Vor ein paar Tagen habe ich mir zwei Fotografie-Ausstellungen in Wien angesehen. Die beiden Fotografen hatten nicht nur auf den ersten Blick nichts gemeinsam (außer dem Umstand, dass ich deren Werk am selben Tag kennengelernt habe), sie könnten vielmehr nicht gegensätzlicher sein.
Der eine, Joel Meyerowitz, nimmt für sich in Anspruch, die Farbe in die künstlerische Fotografie eingeführt zu haben und sich nicht für grafische Kompositionen, sondern für die umfassendste Beschreibung der Realität ("description") zu interessieren.
Dem anderen, Mario Giacomelli, er fotografierte nur schwarz-weiß, ging es gerade um formale Aspekte, um grafische Strukturen. Ich würde noch einschränkender sagen, es ging ihm um die Steigerung, ja Übersteigerung des Schwarz-Weiß-Kontrastes und um die Linie. Er war aber auch hauptberuflich Schriftsetzer!
Erfreulicherweise fanden sich bei beiden Fotografen auch Hunde als Motiv - wenn auch wahrlich nicht werkprägend -, sodass ich sie hier doch mit gutem Gewissen vorstellen kann.
New York City, 1965 © Joel Meyerowitz
Joel Meyerowitz wird zur Zeit mit einer Retrospektive im Kunst Haus Wien gewürdigt. Der inzwischen 77-jährige Fotograf und Dokumentarfilmer wurde in New York geboren und studierte Malerei (bei Ad Reinhardt) und Kunstgeschichte. Nach einer Begegnung mit Robert Frank wandte er sich der Fotografie zu. Er schrieb als Mitbegründer der Street Photography Fotografiegeschichte und etablierte in den 1960/70er Jahren die Farbfotografie (New Color Photography) als künstlerisches Medium. Er hat zahlreiche internationale Preise erhalten, 16 Bücher veröffentlicht und wurde bisher weltweit über 350-mal ausgestellt.
Die Retrospektive bildet einen Querschnitt durch sein Werk von den 1960er Jahren bis heute. Wir sehen seine Entwicklung von der Schwarzweiß-Fotografie zur damals als Fotografie für Hochzeiten verpönten und nur im privaten Umfeld oder in der Werbung verwendeten "unseriösen" Farbfotografie; seinen Wandel vom dynamischen Jäger als Street Photographer zum beobachtenden Inszenierer von Fundstücken, die er im Studio zu Stillleben arrangiert und fotografiert. Und wir sehen sein Experimentieren mit unterschiedlichen Formaten, Filmen und Kameras.
Als Street Photographer in New York und während seiner Europareise finden sich noch Aufnahmen mit Hund, ist er doch ständiger Begleiter des Menschen. Mit zunehmender thematischer Spezialisierung auf Architektur, Landschaft, Porträt und Stillleben (Cape Light, Red Heads, Ground Zero, Legancy - The parks of New York City, Still lifes) verschwinden sie jedoch aus seinem Œuvre.
New York City, 1963 © Joel Meyerowitz, Courtesy Howard Greenberg Gallery
Über diese Fotografie sagt Joel Meyerowitz selbst, dass er sich sehr dafür interessierte, wie Menschen, die eigentlich nichts miteinander zu tun hatten, zusammengewürfelt wurden. Er fotografierte die Menschen und deren spannende Beziehung zueinander oft während der zahlreichen Paraden, die in den 1960er Jahren stattfanden. Durch das Fotografieren stellte er sie in einen Rahmen, wodurch sie einen neuen Kontext erhielten. Der lachende Mann mit Hund steht einfach herum, der Betrachter weiß nicht, dass er einer Parade zusieht. Der andere respektvolle Mann hält seinen Hut vor die Brust, weil gerade die amerikanische Flagge vorbeigetragen wird, auch das weiß der Betrachter nicht. Ohne Kontext entsteht also ein surrealer, absurder Inhalt.
Mir gefällt das untere Bild viel besser: Als HundeliebhaberInnen identifizieren wir sofort das relevante Bildgeschehen. Der Dackelblick folgt dem Chihuahua, während die Kaffeehaus-Besucher den Dackel ansehen.
Paris, France, 1967 © Joel Meyerowitz.
Ich habe dieses Foto in der Ausstellung abgeknipst.
In "War protest" zeigt sich, wie Joel Meyerowitz sagt, die Eigenart des aufgesteckten Blitzlichtes den Schwerpunkt der Fotografie zu verändern. Die Demonstration gegen den Vietnamkrieg verschwindet, aber die Emotionen scheinen in der Angst und Angriffslust der Hunde verkörpert zu werden. Wenn Sie genau schauen, bemerken Sie, dass der Schäferhund den Husky gerade in die Pfote beißt.
Hedy mit Ausstellungskatalog, aufgeschlagen bei War protest, New York City, 1968
Die Fotografie unten ist am Bodensee während der ersten Europareise von Joel Meyerowitz entstanden, der Hund steht im Hintergrund.
Bodensee, 1967 © Joel Meyerowitz
Für die Serie "From a moving car“ von 1966/67 fotografierte er in Europa aus dem fahrenden Auto. Über 2000 Aufnahmen entstanden, wobei 40 für seine erste Einzelausstellung im Museum of Modern Art verwendet wurden. Ein besonderes Highlight der Ausstellung im Kunst Haus Wien ist die Präsentation der 40 original vintage prints aus der MoMA-Schau von 1968.
Paris, Port de Cignancourt, 1966 © Joel Meyerowitz.
Ich habe dieses Foto in der Ausstellung abgeknipst.
Bei der Führung durch die Ausstellung am 16.7. 2015 äußerte sich Joel Meyerowitz zur Serie "From a moving car“:
I was in my Volvo car, the whole time and I photographed out of the window as I was driving the car … it was for me a conceptual work. I treated the car as if it was the camera and the window was the lens and I was inside the camera, driving the camera. …. I wanted to make photographs of things that I only had the barest recognition … I did not care about the perfect framing ...
Auch wenn für Joel Meyerowitz der "richtige" Bildausschnitt bei der Aufnahme kein Kriterium war, so sicherlich bei der Auswahl der Fotografien für die Ausstellung im MoMA. Das Foto mit dem weißen Hund ist einfach perfekt!
Bitte entschuldigen Sie, dass ich teilweise auf das Abknipsen der Arbeiten zurückgreifen musste, aber ich wollte Ihnen die wenigen Beispiele, die zu unserem gemeinsamen Nischen-interesse "Hund und Kunst" passen, nicht vorenthalten.
Die Ausstellung im Kunst Haus Wien (in Kooperation mit dem NRW-Forum Düsseldorf) ist noch bis zum 1. November 2015 zu sehen.
Quelle: Pressematerial und Katalog zur Ausstellung (Ralph Goertz (Hg.): Joel Meyerowitz Retrospective, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2014)