Ausstellung

4. August 2019 - 8:02

David Hammons, Bliz-aard Ball Sale, 1983. Performance view, Cooper Square, New Y
Foto von Artforum

 

Sie sehen oben den afroamerikanischen Künstler David Hammons (*1943 in Springfield, Illinois/USA) bei der künstlerischen Arbeit und zwar bei seiner - in der Folge oft zitierten, aber wenig recherchierten - Aktion "Bliz-aard Ball Sale" von 1983, als er in New York quasi als Straßenhändler nach Größe aufgereihte Schneebälle an Passanten verkaufte.

Geprägt durch die Bürgerrechtsbewegung der 1960er und 1970er Jahre und verwurzelt in der schwarzen urbanen Kultur Amerikas, ist der Alltag auf den Straßen für David Hammons nicht nur eine wichtigste Inspirationsquelle, die Straße ist auch der Ort, an dem er bevorzugt künstlerisch agiert, um der Aufmerksamkeit durch Kritiker, Galerien und Museen zu entgehen.

Hammons spricht in seinen Werken immer wieder politische, soziale und ökonomische Missstände an und thematisiert Kulturstereotypen. Dabei verwendet er für seine Skulpturen und Installationen Fundgegenstände und billige Materialien, den Abfall des afroamerikanischen Lebens, und greift damit unter anderem auf Strategien der Arte Povera zurück. Ebenso steht er in der Tradition eines Marcel Duchamps, da er seine Fundobjekte zu Kunstwerken deklariert.

Obwohl er den Fokus immer mehr auf seine Kunst als auf seine Karriere gerichtet hat, gewann er in der Kunstwelt zunehmend an Bedeutung, 1992 nahm er z.B. an der Documenta IX teil.

Sicher fragen Sie sich inzwischen, was das mit der Biennale (wenig) oder gar mit Hunden (nichts) zu tun hat.

In der zentralen internationalen Ausstellung in den Giardini sind Malereien Henry Taylors (in einem Raum gemeinsam mit Arbeiten von George Condo, Julie Mehretu und Skulpturen von Nairy Baghramian) ausgestellt. Und Taylors Gemälde "Hammons meets a hyena on holiday" von 2016 basiert auf einem Foto, das Hammons bei der beschriebenen Schneeballverkaufs-Aktion zeigt.

 

Henry Taylor, Hammons meets a hyena on holiday, 2016, Foto von Nasher
Foto: Nasher. Museum of Art at Duke University
 

Ergänzt hat Taylor die Szene mit einer Hyäne, einer Moschee und der Jacke eines Weihnachtsmannes, um einen unverfrorenen, respektlosen Kulturmix zu erzeugen.

An dieser Textstelle habe ich, im festen Glauben daran, dass die Hyäne ein afrikanischer Wildhund sei, zur Sicherheit auf Wikipedia nachgelesen.

 

Die Hyänen werden innerhalb der Raubtiere trotz ihres hundeähnlichen Äußeren in die Katzenartigen eingeordnet, was durch Schädelmerkmale, insbesondere den Bau der Paukenhöhle, abgesichert ist.

 

Katzenartig! Ich habe mich entschieden weiterzuschreiben. Bitte verzeihen Sie mir diesen Lapsus, aber ich habe mit David Hammons und Henry Taylor zwei aufrichtige, empathische Künstler kennengelernt, die ich Ihnen - auch ohne Hundebezug - vorstellen will.

Besonders Taylors Malerei, die die Lebenswelten ganz unterschiedlicher Menschen darstellt, wird international bewundert. Als ehemaliger Pfleger in einer psychiatrischen Einrichtung porträtiert er zehn Jahre lang dort lebende Patienten, er malt seine Familie und Freunde, malt Fremde, Mittellose ebenso wie Erfolgreiche, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Opfer von Polizeigewalt und politisch inspirierte Gruppenszenen, die unterschiedliche Geographien und Geschichten, Persönliches und Kollektives zusammenführen. Häufig verwendet er – wie in diesem Beispiel – kunsthistorische Referenzen.

Taylor malt Alltägliches mit präzisem Blick für Ungleichheit und Ungerechtigkeit, für Unsicherheit und Ungeheuerlichkeit des afroamerikanischen Lebens. Dabei ist er mehr als ein Porträtist des Alltags. Er untersucht, was entsteht, wenn Schwarze im Zentrum der Leinwand und im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen, und setzt damit ein Zeichen für die schwarze Kultur der Gegenwart.

Henry Taylor (* 1958 in Ventura, Kalifornien/ USA) lebt und arbeitet in Los Angeles.

Quellen zu David Hammons: Wikipedia, Kunsthalle Basel, The MT Press

Quellen zu Henry Taylor: neben dem offiziellen Biennale-Führer vor allem Interview Magazine, Galerie Eva Presenhuber

Ein paar einleitende Worte zu meinem Besuch auf der Biennale können Sie bei meinem Blog-Beitrag zu Jimmie Durham lesen.

 

24. Juli 2019 - 15:19

Biennale-Besucher vor Djordje Ozbolts Remember me? Foto Petra Hartl

 

Was für ein Glücksfall für mich, dass ich diesen Biennale-Besucher mit seinem Papillon-Terrier genau vor diesem Gemälde von Djordje Ozbolt im Serbien-Pavillon angetroffen habe. Hunde dürfen ja mit aufs Biennale-Gelände und man sieht gar nicht wenige mit ihren Menschen durch das Areal mäandern und die einzelnen Pavillons besuchen.

 

Biennale-Besucher vor Djordje Ozbolts Remember me? Foto Petra Hartl

 

Vielleicht fragen Sie sich, was so ein Bild, das sie vielleicht als Kitsch einstufen, auf der Biennale verloren hat.

 

Djordje Ozbolt, Remember me? Foto Petra Hartl

 

Es gehört zum Ausstellungsdisplay von Djordje Ozbolt. Er hat den großen unstrukturierten Raum mit einer kulissen- und grisailleartigen Wandmalerei (eine imaginäre Landschaft) ausgestaltet, auf der einzelne figurative und abstrakte Bilder hängen und die Handlung entfalten. Ergänzend dazu sind im Raum fünf Skulpturen zu sehen ("Gang of Five"), die sich auf einzelne Bilder beziehen, auf diese hinweisen.

Der erste Eindruck wird bestimmt vom krassen Gegensätzen: zwischen den archaisch anmutenden Skulpturen und den großformatigen mehrheitlich in leuchtenden Farben gehaltenen Bildern, die wiederum einen Gegensatz zur hellen monochromen Wandmalerei bilden.

Das Bild mit den beiden Scotch-Terriern trägt den Titel "Remeber me?" Erinnert es Sie an etwas? Es hat seine Vorlage im Logo des "Black & White" Scotch Whisky. Mit diesem Bild offenbart sich auch ein Teil von Ozbolts Arbeitsweise: Er sucht Bilder aus seiner großen Büchersammlung (von Auktionskatalogen über Katastrophenbücher bis hin zu Büchern über Hunde), die er durchblättert und die ihm Ideen gibt. So wird der Prozess der Bildfindung angeregt, dann frei assoziierend gemalt und das Unbewusste angeregt. Am Ende des Entstehungsprozesses steht oft ein humorvoller, hintersinniger Titel.

 

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

 

In den meisten Bildern kombiniert Ozbolt allerdings mehrere Motive: Er nimmt Anleihen an einer Vielzahl malerischer Kulturen und Traditionen, wobei er kanonische kunsthistorische Motive mit Cartoons und Kitsch kombiniert. So kreiert er durch neue Assoziationen spielerische Neuinterpretation, eine Mischung aus Hoch- und Populärkultur und eine sehr persönliche visuelle Sprache. Eine Sprache, die von Kubismus, Realismus, primitiver Kunst ebenso beeinflusst ist wie von den Surrealisten (unten z.B. von Magritte), Picabia, Kippenberger, Oehlen und vielen anderen. Und das alles auf sehr humorvolle und sarkastische Weise.

 

Djordje Ozbolt, Now Yoe See Me

 

Die gesamte Arbeit, also Wandmalerei, Gemälde und Skulpturen, trägt den Titel "Regaining Memory Loss". Der Künstler, der noch in Jugoslawien aufgewachsen war, untersucht, wie sich Erinnerungen im Laufe der Zeit verändern, wie sie verblassen oder idealisiert werden, woran sich der Einzelne, aber auch die Gesellschaft erinnert und was lieber vergessen wird. Im Gedächtnis bleiben unzuverlässige fragmentarische Erinnerungen. Ozbolts Arbeit in ihrer Gesamtheit ist eine persönliche Interpretation der kollektiven, bewussten und unbewussten Erinnerung, sie handelt von einer subjektiven Sicht auf die Vergangenheit aus der Perspektive des gegenwärtigen Augenblicks. Als Erinnerung sind diese Kunstwerke falsch, als künstlerische Darstellung aber wahr. (Genaueres dazu z.B. auf der Website der Belgrade Design Week)

 

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

 

Djordje Ozbolt (*1967 in Belgrad/Serbien, damals Yugoslawien) studierte von 1988 bis 1991 Architektur und zog 1991 beim Ausbruch des Yugoslawienkrieges nach London, wo er an der Chelsea School of Art, der Slade School of Fine Art und der Royal Academy studierte. Er lebt in London.

Bei jeder Biennale wird neuerlich diskutiert, wie sinnvoll die Beibehaltung der nationalen Pavillons ist. Inwiefern sind die KünstlerInnen noch Repräsentanten ihrer Nationen? Diese Frage hat sich mir auch bei der Recherche zu Djordje Ozbolts Leben und Werk gestellt.

Das Auswahlverfahren für die Gestaltung des Serbien-Pavillons war ziemlich umstritten, da wichtige serbische Institutionen für zeitgenössische Kunst aufgrund intransparenter Verfahren vom Entscheidungsprozess zurücktraten. Auch die lokale Kunstszene kritisierte die Wahl von Ozbolt in den sozialen Medien.

Viele Künstler arbeiten in internationalen Zusammenhängen und Kunstkontexten, die mit ihrer Herkunftsnation wenig zu tun haben. In der Folge gibt es zum nationalen Publikum mit seinem lokalen Zugang wenig Überschneidungen.

Ozbolt antwortet selbst auf die Frage, ob er glaubt, dass seine Arbeit in Serbien anders wahrgenommen wird als in New York oder London, dass er in der sehr kleinen geschlossenen Kunstszene Serbiens als Außenseiter betrachtet werde, weil er früh nach England gegangen sei und Teil der Londoner Kunstszene  geworden wäre. Er fühle sich dieser Szene auch näher, nicht unbedingt in Bezug auf die Arbeit, sondern in sozialer Hinsicht, was ein wenig in die Arbeit einfließe. Aber er habe immer noch ein anderes Erbe, das mitschwinge. Es sei eine Art zu denken und die Dinge zu sehen, die trotz einer westlichen Ausbildung blieben. (vgl. ein Interview von 2015). Ozbolt hat erst einmal an einer Gruppen-Ausstellung in Serbien teilgenommen, 2018 an der Belgrade Biennale.

Mit Djordje Ozbolt sehen wir also einen Künstler, der sein yugoslawisches Erbe mit seiner Londoner und internationalen Erfahrung vermischt, dessen Werk von vielen Reisen und dem Einfluss verschiedener Kulturen, Traditionen und Religionen (bes. Indien und Japan ) geprägt ist. Dessen Bilder alle nationalen und internationalen Erfahrungen, bewusste und unbewusste Assoziationen in sich tragen.

Doch obwohl dieser Künstler in internationalen Kategorien denkt und arbeitet, wirkt der Pavillon auf mich, besonders auf Grund der Skulpturen, auf den ersten Blick sehr "yugoslawisch", bzw. so wie ich mir das vergangene Yugoslawien imaginiere: martialisch, grobschlächtig, handwerklich (als Bollwerk gegen Automatisierung und Digitalisierung) und damit auch ein bisschen abstoßend.

Zweifellos ist dies aber gewollt und Ozbolts sarkastischer Kommentar auf eine Welt, in der viele surreale, lächerliche, oberflächliche Dinge vor sich gehen. (vgl. Interview)

Quellen: neben dem offiziellen Biennale-Führer: Serbian Pavillon, Interview von 2015 sowie Interview von 2019, Belgrade Design Week, Widewalls, Herald St.

Ein paar einleitende Worte zu meinem Besuch auf der Biennale können Sie bei meinem Blog-Beitrag zu Jimmie Durham lesen.

 

Ausstellung, Malerei, Skulptur
21. Juli 2019 - 10:34

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

 

Nach 1988 und 2017 war ich heuer zum dritten Mal auf der Biennale in Venedig. Und obwohl ich an meinen ersten Besuch nur mehr wenig Erinnerung habe (ich war noch Studentin und mit der Meisterklasse unterwegs), ist es wahrscheinlich nicht falsch zu behaupten, dass sie vor rund 30 Jahren noch überwiegend von den viel zitierten "weißen alten Männer" bespielt wurde.

2019 hat der Biennale-Leiter Ralph Rugoff ein ausgewogenes Verhältnis zwischen eingeladenen Künstlern und Künstlerinnen hergestellt, ebenso sind KünstlerInnen aus nichtwestlichen Ländern wie z.B. China, Indien oder Indonesien zahlreich vertreten, ohne dass sie "ländertypische" Kunst zeigten.

Thematisch wird viel verhandelt, wobei ein Schwerpunkt beim afroamerikanischen Körper und schwarzer Identität sowie der Ökologie (vor allem die Meere und der Klimawandel) liegt. Des Weiteren geht es um Migration, Emanzipation, kulturelle Diversität. Nicht alle Werke sind politisch motiviert, es finden sich auch abstrakte Positionen und Auseinandersetzungen mit bestimmten Materialien.

Ein Anliegen von Ralph Rugoff ist es, deutlich zu machen, dass Kunst Perspektiven aufzeigt. Es gehört für ihn zum Wesen der Kunst, dass sie Widersprüche nicht auflösen muss, sondern sie ertragen kann.

Die Kunst ist demnach der Ort der Komplexität. Und sie ist für Rugoff ein Gegenpol zu den politischen Lügen und den noch schwerer wiegenden "alternativen Fakten", denen der Mensch im Internet - einem manipulierenden Instrument der Desinformation mit Diskurse verhindernden Filterblasen - ausgesetzt ist. Sie, die Kunst, produziere keine alternativen Fakten, sondern alternative Perspektiven. Darin liege ihre Qualität.

Für die Themenstellung meines Blogs - Hunde und andere Tiere - gibt es auf der Biennale wenig zu holen. Ihre Kunst ist anthropozentrisch, ihre alternativen Perspektiven haben primär den Menschen im Blick. Mir ist es unverständlich, wie wenig es eine Auseinandersetzung über die Haltung des Menschen zum Tier gibt: Tierfabriken (über 60 Milliarden "Nutztiere" werden jährlich getötet, Fische gar nicht mitgerechnet), Tierversuche, Jagd, Funktionalisierung als Arbeitstier oder zur Unterhaltung, Gewalt gegen Tiere - die Liste ließe sich endlos fortsetzen - kommen in der Kunst nicht zur Sprache. Tiere kommen bei der Biennale nur in homöopathischen Dosen und ohne Belang vor.

Auch die wenigen Hundedarstellungen, die ich gefunden habe, sind nur peripher. Ich möchte trotzdem auf meine "Entdeckungen" eingehen.

Einer der wenigen, der sich dessen bewusst ist, dass Tiere eine Erde mit uns teilen, ist Jimmie Durham.

Ein trauriger Blick aus Murano-Glas!

 

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

 

Jimmie Durham zeigt hier eine Skulptur aus Plastikrohren, Stahl, Gummi, Textilien und einem bemalten Totenschädel zusammengezimmert und "Great Dane" (Dogge) betitelt. Sie ist eine von sieben Skulpturen nicht-menschlicher Tiere - unter anderem Wolf, Bär, Bison, Moschusochse -, alle kombiniert aus Tierschädeln und gefundenen Materialien, die der Künstler als "The Largest Mammals in Europe" im Arsenale ausstellt.

Seine hybriden Skulpturen aus Möbelstücken (der Bisonkörper besteht aus einem Kleiderschrank), industriellen Materialien und gebrauchter Kleidung haben die ungefährere Größe ihrer lebenden Vorbilder und sie bestechen durch ihren Charakter und Ausdruck. Trotzdem sind es keine Tierporträts, sondern poetische Annäherungen und Verschränkungen, die einerseits unsere herkömmliche Vorstellung von der Trennung zwischen Tier und Mensch herausfordern und andererseits die Spezies eindringlich darstellen, die durch den Menschen bedroht sind.

 

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Brown Bear, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Wolf, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Musk Ox, 2017, Foto: Petra Hartl

 

Durhams Werk kommt ohne viel Bedeutungsgenerierung und Referenzkultur aus, wenngleich die Verwendung von Tierschädeln und Skeletten besonders in der zeitgenössischen Kunst der indigenen Völker Nordamerikas häufig vorkommt und man sie mit Tod und Aussterben in Verbindung bringen kann. Insoferne passen die Knochen natürlich zu seinen Skulpturen, die den vom Aussterben bedrohten europäischen Säugetieren gewidmet sind.

Seine aus unterschiedlichsten Objekten und Werkstoffen bestehenden Werke können unterschiedliche Assoziationen auslösen. Jimmie Durham sagt dazu:

 

Wenn ich ein Stück Holz sehe, den Schädel eines Hundes, eine Plastikflasche, dann fühle ich, dass es da eine Verbindung gibt. Jeder dieser Gegenstände hat eine politische und materielle Geschichte, die ähnlich meiner eigenen ist.

 

Der inzwischen fast 80jährige Jimmie Durham wurde auf der Biennale mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Ralph Rugoff begründet die Entscheidung damit, dass Durham immer gute Arbeit geleistet habe, ohne viele Preise gewonnen oder Ausstellungen in der Tate oder dem Centre Pompidou gehabt zu haben. Stattdessen habe Jimmie ein großes Herz und viel Sinn für Humor.

Jimmie Durham (*1940/USA, lebt und arbeitet in Berlin) ist ein Bildhauer, Konzeptkünstler, Performer und Schriftsteller, Essayist. Er verweigert sich einer einfachen Einordnung. Er war auch politischer Aktivist, in der US-Bürgerrechts- und der Indigenenbewegung aktiv, 1974 wer er z.B. Mitbegründer des International Indian Treaty Council.

Mit Jimmie Durham habe ich auch eine lange unübersichtliche Debatte kennengelernt, die hinsichtlich Fragen der Identität und Identitätspolitik als exemplarisch gelten kann und während einer großen Durham-Retrospektive 2017 (Walker Art Center) ihren Höhepunkt fand. Diskutiert wurde sein Anspruch auf Ureinwohner-Abstammung, auf ein Cherokee-Erbe, das er selbst sowohl behauptet, als auch bestritten hat.

Ich möchte auf diese Jahrzehnte dauernde Debatte nicht näher eingehen, sondern nur auf die Webseite Hyperallergic verweisen, die mir einen ersten interessanten Einblick gegeben hat.

Möglicherweise passen an das Ende meines Blogbeitrags seine melancholischen Worte aus einem Interview für das Whitney Museum of American Art vom Oktober 2017 sehr gut: (zit. nach The Bag. Biennale Art Guide 2019, S 46)

 

These days, it sounds stupid to say "I´m a citizen oft the world". I don´t think I´m a citizen, I think I´m a homeless person in the world. I like to be that way. I think, in the long run, it might help me making better art, a more serious art.

 

Ausstellung, Skulptur
5. Juni 2019 - 13:10

Vor Kurzem zeigte das Wiener Untere Belvedere die spannende und viele neue Einblicke gewährende Ausstellung "Künstlerinnen in Wien von 1900 bis 1938. Stadt der Frauen". Zu sehen war weibliches Kunstschaffen von der Wiener Moderne bis zur Neuer Sachlichkeit. In diesem Zusammenhang lernte ich erstmals das Werk von Olga Wisinger-Florian (1844-1926) kennen, einer österreichischen Künstlerin, die dem Stimmungsimpressionismus zuzurechnen ist. Sie gehörte zu den erfolgreichen Landschafts- und Blumenmalerinnen der österreichischen Kunst zwischen 1885 und 1910.

Ab 1881 waren ihre Gemälde regelmäßig auf den Jahresausstellungen des Künstlerhauses, später häufig auch auf Secessions- und Hagenbund-Ausstellungen zu sehen. Mit der Teilnahme an internationalen Ausstellungen in München, Berlin, Prag, London und Paris sowie an den Weltausstellungen (Paris und Chicago) folgte rasch auch internationale Anerkennung. Weiters war sie Gründungsmitglied von "Acht Künstlerinnen" (1900) und der "Vereinigung Bildender Künstlerinnen Österreichs" (1910). Sie förderte sowohl Künstlerinnen als auch die Akzeptanz von weiblichem Kunstschaffen und verkehrte in den Kreisen der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen. Ihre Freundschaft mit Bertha von Suttner führte sie zu politischem Engagement in der Friedensbewegung.

 

Olga Wisinger-Florian, Fallendes Laub, 1899, Foto: Belvedere, Wien/Johannes Stol
Olga Wisinger-Florian: Fallendes Laub (Buchenallee in Hartenstein),1899,
Öl auf Leinwand, 96 x 128 cm, Belvedere, Wien; Foto: Belvedere, Wien/Johannes Stoll
 

Meist beschränkte sich Olga Wisinger-Florian auf die Darstellung der stimmungsvollen, aber menschenleeren Landschaft, zeigte uns deren Schönheit mit pastosem Farbauftrag. Zwischen lyrischem Realismus und Stimmungsimpressionismus changiert ihr Herbstbild "Fallendes Laub" von 1899. Wie schön, dass die Dame auf ihrem Spaziergang in die perspektivische Tiefe einen Hund an ihrer Seite hat. Beide sind umschlossen von einem Blätterdach und folgen dem Geländer, bis sich der Weg zu einem Punkt verengt. Das Bild überzeugt durch seine Farbstimmung, das Flirren des Laubes und die reduzierte halt- und formgebende Struktur.

Nun ist ihr eine umfassende Personale - Olga Wisinger-Florian. Flower-Power der Moderne - in der Sammlung Leopold gewidmet, die noch bis zum 21. Oktober 2019 zu sehen ist.

Quellen: Sammlung Leopold, Art in Words

 

Ausstellung, Malerei
6. Mai 2019 - 19:59

Peder Severin Krøyer, Sommerabend in Skagen, 1892

 

"Ein Sorolla!", war mein erster Gedanke, als ich das Foto sah, das mir Susanne Boecker zugeschickt hatte (Herzlichen Dank!). Ich habe mich nicht nur im Künstler geirrt, sondern auch geografisch sehr verschätzt!

Das Gemälde zeigt die Frau des Künstlers Peder Severin Krøyer (kurz P.S. Krøyer) und deren Hund. Sie merken schon: Der Name des Künstlers klingt zumindest nicht spanisch. Die beiden befinden sich in Skagen, der nördlichsten, als Seebad bekannten Hafengemeinde Dänemarks, die kilometerlange Sandstrände besitzt.

Durch die sogenannten Skagen-Maler, einer Gruppe überwiegend skandinavischer Künstler, die den Fischerort in den 1880er Jahren zu ihrem Sommerrefugium machten, wurde Skagen überregional bekannt.

Die geografische Lage Skagens, hoch im Norden und umgeben vom Meer, sorgte in den Sommermonaten für ein besonderes Licht! Dieses Licht war es auch, weshalb die Künstler die Freiluftmalerei schätzten (ich mich so leicht in die Irre führen ließ) und sich neben dem französischen Realismus für den Impressionismus begeisterten. Die Darstellung des Lichts und der Atmosphäre zu unterschiedlichen Tageszeiten oder im Lauf der Jahreszeiten rückte nun ins malerische Zentrum, Dünen und stürmische Strandszenen standen im Mittelpunkt. Kurz: In der dänischen Kunst kehrte die Moderne ein.

Nachdem die Maler auf der Pariser Weltausstellung 1889 Anerkennung erfahren hatten, ändert sich der Zeitgeschmack und der Symbolismus forderte seelische Tiefe und Phantastisches. Der Einfluss der Künstlerkolonie aus Skagen auf die Malerei verebbte.

 

Peder Severin Krøyer, Sommerabend am Strand von Skagen, 1899

 

Der norwegisch-dänische Maler P. S. Krøyer (1851-1909) ist für seine Landschafts- und Porträtmalerei berühmt. Seine Bilder zeigen ein sorgloses Leben der Künstler, ihre Feste, Spaziergänge am Strand und stimmungsvolle Abende im Mondschein. Krøyers Leben allerdings war nur vordergründig sorglos: Nach 1900 erkrankte Krøyer und er musste mehrmals in einer Nervenheilanstalt behandelt werden. Vermutlich litt er an einer manisch-depressiven Psychose.

In ein paar Tagen, am 15. Mai 2019 eröffnet übrigens die Ausstellung "P. S. Krøyer und die Künstlerkolonie in Hornbæk" in der Sammlung Hirschsprung in Kopenhagen. Was für ein schöner Zufall!

 

22. April 2019 - 10:33

Nursery Rhyme, 1971, Detail © Honore Sharrer

 

"Hunde, Hunde, überall", bemerkte ein Besucher in Honoré Sharrers (1920–2009) Retrospektive A Dangerous Woman: Subversion and Surrealism in the Art of Honoré Sharrer, die vor etwa zwei Jahren im Columbus Museum of Art (CMA) stattfand. Grund genug, eine Künstlerin besser kennenzulernen, die in ihren jungen Jahren - in den 1940er Jahren - viel Anerkennung fand, um dann für viele Jahrzehnte in Vergessenheit zu geraten.

Die Gründe für dieses Vergessen sind mannigfaltig. Einerseits widersetzte sie sich der maskulinen Ästhetik des abstraktem Expressionismus und arbeitete figurativ: Ihr Geschlecht, ihr Bekenntnis zu linken Idealen und die figurative, detailbesessenen Malweise standen im Gegensatz zu dem vorherrschenden politischen und künstlerischen Klima der 1950er Jahre. Weiblich, links und figurativ arbeitend: das waren Ausschließungsgründe für Erfolg und Anerkennung im Amerika der Nachkriegszeit.

In ihren frühen Malereien, die ob ihrer Genauigkeit und Stil- und Farbpalette an den sozialistischen Realismus ebenso wie an die flämischen Meister des 16. Und 17. Jahrhunderts erinnern, stellte sie den amerikanischen Arbeiter und das amerikanische Alltagsleben dar.

Danach wurden ihre Bilder surrealer. Sie benutzte ihr persönliches Archiv an fotografischen Vorlagen für ihre Gemälde, mit deren Hilfe sie eine Brücke zwischen der sozial engagierten Kunst der 1940er Jahre, der politischen Unterdrückung der 1950er Jahre hin zum ironischeren Kommentar der Pop Art schlug.

 

Leda and the Folks, 1963 © HonoréSharrer

 

“Leda and the Folks” von 1963 lässt neben formalen Elementen der Pop Art (z.B. abstrahierter Sockel und Schatzkiste, flächige Darstellung ohne Tiefenwirkung) erstmals surreale Anklänge erkennen, vor allem im inhaltlichen Verknüpfen mythologischer und zeitgenössischer Figuren. Das ältere Paar erinnert an Gladys und Vernon, die Eltern von Elvis Presley, die junge weißhäutige und goldblonde nackte Frau stellt Leda dar. Sharrer greift auf den griechischen Mythos von Leda und Zeus zurück. Letzterer hat sich Leda in Gestalt eines Schwanes genähert und verführt. Das Gemälde untersucht die Schnittstelle zwischen Mythos und Celebrity-Kultur, die Prominente schon in den frühen 1960er Jahren umgab.

Der Schwan fehlt in Sharrers Gemälde, allerdings ergänzt ein kleiner Hund die Szene. Hunde treten von nun an in vielen Gemälden auf, sie gehören zu Sharrers visuellem Vokabular, das sie nach und nach entwickelt.

Neben der außergewöhnlichen Farbigkeit gefällt mir besonders die Genauigkeit und Konsequenz, mit der sie ihre Bilder komponiert hat: Der Hüftschwung Ledas wiederholt sich im Oberarm/runden Ellbogen von Elvis Mutter, taucht in der Krümmung des rosa Anzugs wieder auf und sogar im Halsschwung des Hundes!

 

Nursery Rhyme, 1971 © Honore Sharrer

 

In "Nursery Rhyme" (1971) fliegen Löffel, gebogene Gabeln, Messer und Teller durch die Luft. Die animierten Objekte begleiten die Frau.

Bemerkenswert sind hier ihre subtilen Malreferenzen: Ist das schwerkraftverletzende Messer in der linken unteren Ecke eine Referenz an klassische Stillleben, wo Messer über den Rand eines Tisches ausbalanciert werden? Neben formalen finden sich inhaltliche Verweise: Zitieren die Ameisen am Klebestreifen zum Insektenfang Dalis Ameisen - wie sie z.B. bei seinem Soft Self-Portrait vorkommen? Sharrer stellte zwischen inkompatiblen Elementen Beziehungen her, um eine private Welt zu schaffen, die sie uns exquisit farbig (rosa orange, lavendel…) präsentiert.

 

Loretta as Lady of Spain, 1972 © HonoréSharrer

 

Inzwischen hat Sharrer ein klares visuelles Vokabular herausgebildet: Kleine Hunde, verbogenes  Besteck, gebratene Hähnchen und rundgesichtige Menschen mit aufgeblasenen Backen bilden wiederkehrende Motive.

 

Before the Divorce, 1976 © HonoréSharrer

 

"Before the Divorce", 1976: Ein hoher Horizont an dem Windmühlen stehen, die Stellung der Windräder erinnert an Kreuze. Davor ein Ehepaar - vor der Scheidung - und getrennt durch eine schwarz gekleidete Figur. Sessel sind bereits umgestoßen, Paket und Schere fliegen durch den Raum. Wie lang wird sich das Hähnchen noch auf dem Tisch halten können? Die Hunde sind der Spannung bereits entflohen.

 

Resurrection of the Waitress, 1984 © HonoréSharrer

 

"Resurrection of the Waitress", 1984: Eine Kellnerin wird von einer Frau mit Propellerantrieb mithilfe eines mechanischen Schneebesens an den Haaren aus dem Wasser gezogen. Was sich absurd liest, wird stimmig malerisch umgesetzt. Verbindendes Element sind die konzentrischen Kreise, die den Hintergrund bilden und sich in Richtung einer Rasierklinge verengen. Der Bildinhalt ist weniger surreal als vermutet, vieles ist entschlüsselbar: Sharrer erzählt die Geschichte einer Ertrinkenden, indem sie das Bosch-Gemälde "Aufstieg der Seligen" (1505-1515) paraphrasiert.

 

Roman Holiday, 1989 © HonoréSharrer

Two Dogs in a Still Life, 1997 © HonoréSharrer

 

Auch in dem späten "Zwei Hunde in einem Stillleben" tanzt wieder das Besteck!

Sharrer setzte sich bis zu ihrem Tod 2009 in ihren Bildern mit der Rolle der Frau, Familie, Scheidung auseinander. Dabei hatte sie einen - von Mythologie, Kunstgeschichte, Kinderreimen und Popkultur beeinflussten - Stil entwickelt, der Witz, soziale Kommentare und "visuelle Subversion" beinhaltet, während sie ein tiefes Bekenntnis zu den humanistischen Idealen beibehielt, die ihre früheren Arbeiten beeinflusst hatten. Ihre Malerei wird auch als "magischer Realismus" beschrieben.

Quellen: Columbus Museum of Art, Hyperallergic, Wall Street International, Smith College Museum of Art

 

Ausstellung, Malerei
30. November 2018 - 10:36

Paula Rego (*1935) bezieht die Inspiration für ihre figurativen Werke vor allem aus der realistischen und fantastischen Literatur sowie der bildenden Kunst vergangener Jahrhunderte. Sie mischt diese Referenzen mit autobiografischen Elementen und gesellschaftspolitischen Themen. So entstehen oft mehrteilige Gemälde, deren Erzählung nicht eindeutig ist und die eine surreale Atmosphäre schaffen.

Zum Beispiel bezieht sich das untere Werk "The Betrothal" von 1999 auf William Hogarths sechsteiligen Zyklus "Marriage a la Mode" von 1743, in dem es um eine arrangierte Hochzeit geht. Es bildet den rechten Teil eines großen Pastell-Triptychons. Rego transferiert die Szene - die Mütter handeln den Kontrakt aus - ins Portugal der 1950er Jahre.

Im Vordergrund sitzt die junge Braut in einem roten Armlehnstuhl, ihr Fuß ruht auf dem Rücken des Hundes vor ihr. Beide, Hund und Mädchen, blicken auf den Vater, der für uns im Spiegel zu sehen ist. In einer bizarr anmutenden Inszenierung wird hier die Situation der Frau, die der elterlichen Autorität unterliegt, thematisiert.

 

The Betrothal, 1999 © Paula Rego

 

Paula Rego ist zweifellos eine der bedeutendsten Künstlerinnen ihrer Generation. Monumentalität, psychologisches Drama, Menschen in geheimnisvollen und beunruhigenden Zusammenhängen bestimmen ihr Werk. Umso erstaunlicher ist es, wie diese Künstlerin mit einem Jahrzehnte umfassenden Werk spurlos an mir vorüber gehen konnte.

Meine erste google-Bildersuche zeigte ein ungemein kraftvolles Œuvre, das mich stilistisch sofort an viele Werke bekannter Künstler des 20. Jahrhunderts erinnert hat, wie Beckmann (die Triptychen und kontrastreiche Farbgestaltung), Picasso (die Monumentalität der Figuren), Balthus (die verstörenden sexuellen Anspielungen in familiären Interieurs), die Surrealisten, Ensor, Degas etc. Ihre Bezugnahme auf kunsthistorische Werke ist nicht imitierend oder eklektizistisch, sondern zeigt vielmehr eine postmoderne Herangehensweise. Rego malt gegen das Innovationsstreben der Moderne an, bedient sich an historischen Elementen, die sie in neue Zusammenhänge setzt und kritisch reflektiert.

Zu Regos immer wiederkehrenden Motiven gehören Hunde, Mädchen, dominante Vaterfiguren, klaustrophobische Familienszenen: Sie schaffen eine einzigartig persönliche Ikonographie.

Mitte der 1980er-Jahre beginnt Paula Rego mit der "Girl and Dog"-Serie, bei der ein oder zwei Mädchen einen kranken Hund pflegen. Sie helfen ihm beim Essen, Trinken und Ankleiden (legen ihm ein Halsband um). Der Hund hebt sogar vertrauensvoll seinen Kopf, um sich die Kehle rasieren zu lassen. (Biographischer Hintergrund ist die Erkrankung von Paula Regos Mann an multipler Sklerose). Die Hunde nehmen in den Gemälden den Platz des Mannes ein. Die Künstlerin setzt sich dergestalt mit Kraft und Zärtlichkeit, aber auch Abhängigkeit und Ohnmacht in Beziehungen auseinander.

 

Dog and Girl - Serie @ Paula Rego

Dog and Girl - Serie @ Paula Rego

Dog and Girl - Serie @ Paula Rego

Dog and Girl - Serie @ Paula Rego

Dog and Girl - Serie @ Paula Rego

Dog and Girl - Serie @ Paula Rego

Dog and Girl - Serie @ Paula Rego

 

In "Looking Back" scheinen die großen Mädchen erleichtert, dass ein viel jüngeres mit seinem kleinen Welpen spielt. Die Pelzdecke könnte einen getöteten größeren Hund symbolisieren.

 

Looking Back, 1987 © Paula Rego

 

Die in Lissabon geborene Künstlerin verließ als Jugendliche das diktatorische Regime von Salazar und studierte an der Slade School of Fine Art in London. Sie verkehrte mit Francis Bacon, Lucian Freud, Frank Auerbach und David Hockney und war die einzige Frau der Künstlergruppe School of London.

Frauen spielen in ihrem singulären Werk fast immer die Hauptrolle: Sie zeigt deren Rolle in der Gesellschaft, ihr Leid und ihre Unterdrückung. Während sie in ihren Anfangsjahren als Künstlerin noch mit Collagen arbeitete, malte sie später Acrylgemälde auf Papier. Mit Beginn der 1990er-Jahre verwendet sie nur noch Pastellkreiden für ihre großformatigen Zyklen.

Auch in ihrem umfangreichen druckgrafischen Werk verarbeitet sie literarische Bezüge und setzt sich subversiv und expressiv mit der Rolle der Frau und ihren Verstrickungen auseinander.

 

Doctor Dog, 1982 © © Paula Rego

© Paula Rego

© Paula Rego

© Paula Rego

 

Unter dem Titel "Die grausamen Erzählungen von Paula Rego" stellt das Musée d’Orangerie bis zum 14. Jänner 2019 etwa 70 Gemälde und Zeichnungen der britischen Künstlerin aus. Ihr Werk wird mit einigen Zeichnungen und Druckgrafiken von Daumier, Goya und Degas kontrastiert und ergänzt.

 

Ausstellung, Grafik, Malerei
30. Oktober 2018 - 9:36

Gassi-Gehen, 2008 © Eun-Joo Shin

 

Ein schier unerschöpfliches Thema für Künstller und Künstlerinnen ist die Beziehung des Menschen zu seinem Hund. Der südkoreanischen Künstlerin Eun-Joo Shin fielen die vielen Hundehalter auf, die die europäischen Straßen bevölkern und sie beschloss sich mit dem Phänomen des Gassi-Gehens auseinanderzusetzen. Eine Bildserie nach Fotografien entstand.

 

Gassi-Gehen, 2008 © Eun-Joo Shin

 

Mensch und Hund sind in typischen Bewegungen und Tätigkeiten dargestellt - der Hund zieht an der Leine, muss neben dem sitzenden Herrchen rasten, wartet während Gesprächen, heischt nach Aufmerksamkeit, wird getragen - in Situationen, die man von seinen eigenen Streifzügen mit Hund kennt. Die Beziehung zwischen Hund und Mensch wird in ihren sensiblen Arbeiten ebenso deutlich wie die Stimmung, in der das Flanieren statt findet.

 

Gassi-Gehen, 2008 © Eun-Joo Shin

 

Eun-Joo Shins Werke schauen auf den ersten Blick wie Aquarell-Malerei aus, die Künstlerin malt aber in Öl, wobei sie die Farbe in dünnen Schichten auf Malkarton oder Leinwand aufträgt. Auch die leeren weißen Flächen verstärken den fragmentarischen Eindruck der Aquarellmalerei. Nur durch zarte Liniengerüste wird eine perspektivische Verortung angedeutet, werden aus den weißen Flächen Räume. Durch den Wechsel von detaillierten, großzügig gemalten und leeren Stellen, erzeugt sie zusätzlich Spannung, vereint sie Elemente traditioneller ostasiatischer und westlicher Seh- und Malweisen.

 

Gassi-Gehen, 2008 © Eun-Joo Shin

 

Die zarte Farbgebung der Gemälde, Eun-Joo Shin konzentriert sich auf Grün-Blau- sowie Gelb-Braun-Töne, evoziert auch eine psychologische Tiefe der Porträtierten und scheint uns einen Blick in deren Innenleben zu gestatten, vermittelt Leichtigkeit und Spontaneität. Die Verläufe der verdünnten fließenden Farbe machen den Entstehungsprozess der Bilder nachvollziehbar.

 

Gassi-Gehen, 2008 © Eun-Joo Shin

Gassi-Gehen, 2008 © Eun-Joo Shin

 

Eun-Joo Shin (*1968) stammt aus Südkorea und lebt seit 1996 in Deutschland. Nach ihrem Studium in Seoul und einem Studium der Freien Grafik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart lebt und arbeitet sie in Frankfurt am Main.

alle Bilder © Eun-Joo Shin

 

Ausstellung, Malerei, Zeichnung
10. Oktober 2018 - 8:15

Die deutsch-schwedische Malerin Lotte Laserstein (1898–1993) gehört zu den wichtigen Wiederentdeckungen der letzten Jahre. Nach dem 2. Weltkrieg war sie für viele Jahrzehnte in Vergessenheit geraten, erst 2010 wurde ihr Hauptwerk "Abend über Potsdam" durch die Berliner Nationalgalerie erworben. Zur Zeit findet eine große Ausstellung im Frankfurter Städel statt, ab April 2019 werden ihre Werke im Museum Berlinische Galerie zu sehen sein.

Lotte Laserstein beschäftigte sich vor allem mit Porträtmalerei, wobei ihr Fokus auf Frauenporträts lag. Sie zeichnete dabei ein einfühlsames und psychologisch tiefes Bild der emanzipierten, selbstbewussten Städterinnen. Lotte Laserstein selbst gehörte auch zu diesen modernen "neuen" Frauen.

Als eine der ersten Frauen studierte sie von 1921 bis 1927 an der Berliner Hochschule für Bildende Künste und arbeitete danach zielgerichtet an ihrer Karriere. Sie engagierte sich in Künstlerinnenvereinen und schuf sich dadurch ein breites Netzwerk, das ihr Ausstellungs- und Verkaufsmöglichkeiten bot, sie eröffnete eine private Malschule, die ihr auch finanzielle Sicherheit brachte. Bald gehörte sie zu den erfolgreichsten Künstlerinnen in der Weimarer Republik und konnte von ihrer Kunst leben. Ihre Werke wurden in zahlreichen Ausstellungen gezeigt und in Zeitschriften publiziert. Allerdings wurde sie noch nicht in Museen ausgestellt, als sie, als Jüdin gebrandmarkt, 1937 nach Schweden emigrieren musste. Dort arbeitete bis zu ihrem Tod als erfolgreiche Malerin und gefragte Auftragsporträtistin.

Ihr Hauptwerk ist das 1930 entstandene große querformatige Tafelbild "Abend über Potsdam". Ihre Meisterschaft in der Porträtmalerei bringt sie in dieses streng komponierte Gruppenporträt ein.

 

Lotte Laserstein, Abend über Potsdam, 1930, Foto: Staatliche Museen zu Berlin, N
Lotte Laserstein, Abend über Potsdam, 1930, Öl auf Holz, 111 x 205,7 cm
(Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Staatliche Museen zu Berlin,
Nationalgalerie / Roman März © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

 

Erzählungen zufolge ließ sie eine große Holzplatte zuerst mit der Berliner S-Bahn, dann mit der Pferdekutsche nach Potsdam transportieren und auf eine Dachterrasse tragen. Dort gruppierte und skizzierte sie ihre Freunde und legte die Potsdamer Stadtlandschaft topografisch genau an. Der Entwurf wurde dann in ihr Berliner Atelier gebracht, wo sie das Gemälde in monatelanger akribischer Arbeit fertigstellte. Sie ging dabei nicht den einfacheren Weg nach Foto zu malen, sondern ließ ihre Freunde in langwierigen Prozessen Modell stehen.

Das die Porträtierten Verbindende ist das Schweigen, in dem fünf Personen und ein Hund verharren. Melancholisch und vereinzelt scheint jeder seinen eigenen Gedanken nachzuhängen.

 

„Lasersteins Kunst aber ist das Schweigen. Ist die Versonnenheit. Ein In-sich-Blicken. So sieht man ihre Freunde auf dem wohl bekanntesten Bild, das sie gemalt hat: Abend über Potsdam. Versunken, erschöpft, alle Worte sind gewechselt, so sitzen, so stehen sie da, der wolkige Himmel hängt tief. Vielleicht gab es Streit? Vielleicht ist gerade eine Nachricht eingetroffen, dort oben über den Dächern Potsdams – und nun sind alle verstummt, weil sie es nicht fassen können? Vielleicht erzählt dieses Bild aber auch von einer anderen Art Unfasslichkeit: von jener tiefen Vertrautheit der Freunde, die sich nicht festhalten oder einfach aufmalen lässt. Im stummen Miteinander scheint sie auf und will in der Melancholie des Augenblicks schon wieder schwinden.“ (zit. n. Hanno Rauterberg: Ein Wagnis namens Nähe)

 

Die Freunde schweigen an diesem Potsdamer Abend nicht nur, die präzise an ihren Platz Gestellten schauen einander auch nicht an. Zwei Seitenfiguren, sie müssen den Kopf senken, damit sie ins Bild passen, flankieren die Gruppe. Die linke Figur am Geländer ist Traute Rose, Freundin und wichtigstes Modell. Ihr Mann Ernst sitzt am Tisch und wendet uns den Rücken zu. Zu seinem Fuß und halb unter dem Tisch liegend sein Hund: Auch er drückt und drängt sich von unten ins Bild, scheint kaum hinein zu passen an diese zentrale Stelle.

Doch was ist seine Funktion in dieser malerischen Fülle, warum musste er noch ins übervolle Bild? Er gehörte zu ihrer besten Freundin und deren Mann, war vielleicht immer mit dabei. Vielleicht erfüllte er auch eine kompositorische Funktion. Sollte er die Komposition der Gäste zur Ellipse schließen oder die - in der Rezeption immer wieder betonte - formale Analogie zu Leonardo da Vincis "Letztes Abendmahl" verstärken. Die dortige konkave Einwölbung des Tisches korrespondiert mit der Wölbung des Tischtuchs im "Abend über Potsdam", durch den Hunderücken bedingt.

Oft wurde in der Rezeption auf die kommende Machtergreifung der Nationalsozialisten hingewiesen, die die Dargestellten im sprachlosen Entsetzen vorausahnen. Ich tendiere eher dazu, das Gemälde als Bild der Vertrautheit zu deuten, weniger zeitkritisch als stimmungsvoll. Zu ruhig liegt der dösende Hund, er spiegelt keine Aufgeregtheit der Menschen.

Noch ein weiters Mal kommt der Hund in einem Gemälde vor. "Die Unterhaltung" von 1934 zeigt eine Gruppe von drei jungen Männern, Gottfried Meyer (links), Heinz Trapp (Mitte) und Erhard Manthei (rechts), alles Freunde der Malerin, die auf einem Dachboden diskutieren. Die kompositorische Enge, die im "Abend über Potsdam" durch die Seitenfiguren angedeutet ist, wird bei dieser Unterhaltung noch gesteigert.

 

Lotte Laserstein, Die Unterhaltung, 1934
Lotte Laserstein, Die Unterhaltung, 1934, Foto epd, von Frankfurter Rundschau

 

Lotte Lasersteins Malweise ist sehr akademisch, ihre Bilder sind einem Realismus verpflichtet, der nicht den Geist der in der zwanziger Jahren aktuellen "Neuen Sachlichkeit" wiederspiegelt, sondern sich am 19. und frühen 20. Jahrhundert, an Menzel, Leibl, Schuch oder Trübner orientiert. Seit Kindheitstagen an, wollte sie einmal so malen wie Wilhelm Leibl. (vgl. Art In Words) Zur "Neuen Sachlichkeit" fehlt Laserstein das Kühle, Überzeichnende, das Gesellschaftskritische.

Dieses Kühle, fast Hysterische kommt in Dix "Bildnis des Fotografen Hugo Erfurth mit Hund" von 1926 sehr gut zur Geltung, so sieht der Hund der "Neuen Sachlichkeit" aus, übertrieben erregt, nervös, überspannt, mit dem typischen stechenden Dix-Blick: gemeinsames Erschrecken, bizarres Erstarren mit seinem Herrchen Hugo Erfurth.

 

Otto Dix, Bildnis des Fotografen Hugo Erfurth mit Hund (Detail), 1926
Otto Dix, Bildnis des Fotografen Hugo Erfurth mit Hund (Detail), 1926,
Tempera und Öl auf Holzplatte, 80 x 100 cm (Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid),
© VG Bild-Kunst, Bonn 2016

 

Da Lotte Laserstein nicht dieser Avantgarde zugehörig war, wurde ihr Werk nach dem 2. Weltkrieg nicht rezipiert. In den 1950er Jahren richtete sich das Interesse auf die Expressionisten und auf abstrakte Maler, in den 1960er Jahren auf die Künstler der "Neuen Sachlichkeit". Da Laserstein auch nicht in der Ausstellung "Entartete Kunst" diffamiert wurde, ihr Stil war dazu zu konservativ, konnte auch durch diese Nachkriegsforschung keine Wiederentdeckung erfolgen.

Das Städel in Frankfurt zeigt Lotte Laserstein vom 19. September 2018 bis zum 17. März 2019. In Berlin, im Museum Berlinische Galerie, werden vom April 2019 an Werke von ihr zu sehen sein.

Quellen: Städel Museum, Art In Words, Zeit online, Der Tagesspiegel

 

Ausstellung, Malerei
20. Juni 2018 - 9:22

My dog is cuter than your ugly baby, 2013 © Elina Brotherus

 

"My dog is cuter than your ugly baby“ betitelt Elina Brotherus eines ihrer Werke. Das ist einmal eine Äußerung nach meinem Geschmack! Finde ich doch auch jeden Welpen weitaus entzückender und schöner als jedes Baby. Die international bekannte finnische Fotografin und Videokünstlerin hat damit meine Neugier geweckt.

Wie viele FotografInnen arbeitet sie in Serien, was sicher nicht nur künstlerisch bedingt, sondern den Methoden des Kunstmarks geschuldet ist (steigt ein Werk einer Serie im Preis, ziehen die anderen der gleichen Serie nach).

Viele ihrer Serien sind biografische Dokumentationen einzelner Lebensabschnitte, auf die sie quasi einen Blick von außen durch die analoge Linse wirft. Das Kabel des Selbstauslösers ist oft sichtbar und weist derart auf die Personalunion von fotografiertem und fotografierenden Subjekt hin.

In ihrer autobiographischen Bildserie "Annonciation" (2009-2013) setzt sie sich mit ihrem unerfüllten Kinderwunsch und der fünfjährigen erfolglosen Therapie auseinander, mit einer Thematik, die sie in der Kunst für tabuisiert hält. Die einzelnen Fotografien zeigen Menstruationsblut, Medikamente, nutzlose Hormontherapien: Stationen, die nicht zur Empfängnis führten.

Der Titel der Serie stellt die Verbindung zur Kunstgeschichte, zur Verkündigung Mariä, her.

 

This a story of false annunciations, about waiting for an angel who never shows up. First we don’t know if he’s there, because he could just be hiding behind the doorway. Gradually it becomes clear that he’s not coming. (zit. n. hier)

 

Marcello - "My dog is cuter than your ugly baby" - steht am Ende der Serie, sie hat den Dackel anstelle eines Kindes in ihr Leben aufgenommen. Trotz scheint aus dem Titel zu sprechen. Mit dem ausgestreckten Mittelfinger präsentiert sich Elina Brotherus als eine weitere Frau, die das gängige Klischee des Hundes als Kinderersatz bedient.
 

In der Serie "Carpe Fucking Diem" (2011-2015) setzt sie sich mit einem Leben auseinander, das anders als erwartet verlaufen ist, einem Leben das sich der Zukunft mit Kind verweigert. Allerdings kann Elina Brotherus sich durch ihre Kinderlosigkeit dem Erwachsensein und der Normalität verweigern, wie sie sagt.

 

I don't have children so I don't need to adopt any preconceived role of an adult. I can give normality the finger. "Carpe Fucking Diem" is also about inventing strange games for the playground of the camera. (zit. n. hier)

 

Arbeiten aus der Serie "Carpe Fucking Diem"

Marcello in Forest, 2014 © Elina Brotherus

Sleeping Puppy, 2013 © Elina Brotherus

Silver River, 2014 © Elina Brotherus

Marcello's Theme, 2014 © Elina Brotherus

 

Neben den biographisch inspirierten Serien stehen Fotoserien, in denen sie sich mit der älteren Kunstgeschichte beschäftigt, sie eine "persönliche Forschungsreise in die Geschichte der westlichen Kunst“ unternimmt (vgl. hier). So interpretiert sie in "The New Painting" z.B. die Rückenansichten C.D.Friedrichs. Sie posiert, inszeniert und positioniert sich auf bestehenden kunstgeschichtlichen Positionen. Elina Brotherus setzt sich auch mit Fluxus auseinander, in der Serie "Regles de jeu" inszeniert sie sich nach fremden Anleitungen und Anweisungen, in der Serie "The Baldessari Assignments" stellt sie Baldessaris Handlungsanweisungen dar. Eigens für die Wiener Ausstellung arbeitet sie sich an Valie Export, Maria Lassnig und Erwin Wurm ab.

 

aus der Serie "The Baldessari Assignments"

Dress a Dog with a Beard, 2017 © Elina Brotherus

After John Baldessari, Dress a dog or a cow with a beard,
from Thirty-Nine Journal Entries, 1970

 

aus der Serie "Regles de jeu"

Flux Harpsichord Concert, 2016 © Elina Brotherus

After George Maciunas, 12 compositions for piano – for Nam June Paik, Composition no.5:
Place a dog or a cat (or both) inside a piano and play Chopin, 1962,
and after Flux-Harpsichord Konzert, Akademie der Künste,
Berlin, organised by René Block, Sept. 3, 1976

Can One Sit so Low, 2017 © Elina Brotherus

After Tuomas Timonen, Is it possible to sit so low? 2017

Ich male einfach was ich sehe, 2017 © Elina Brotherus

After Asta Gröting, Ich male einfach was ich sehe, 1985

Vienna Work, 2018 © Elina Brotherus

Hundertwasserhaus mit Hund, aus Vienna Work 2018

Zweifellos ist Brotherus Werk formal perfekt, wirken manche Fotografien auch auf Grund ihrer Größe, dennoch lassen mich ihre Arbeiten unberührt, bleibt ein schaler Eindruck zurück. Vielleicht ist sie mir zu ästhetisch in ihren biographischen Arbeiten und zu epigonenhaft in ihrer Bezugnahme auf die Kunstgeschichte.

Elina Brotherus (*1972 in Helsinki/Finnland) lebt und arbeitet in Finnland und Frankreich.

Noch bis zum 19. August 2018 sind im Kunsthaus Wien die wichtigsten Werkserien (1997-2018) in der Mid-Career-Retrospektive "It´s Not Me, It‘s a Photograph" (auch der Titel scheint der kunsttheoretischen Mottenkiste entsprungen) zu sehen.

 

Quellen: Kunsthaus Wien, Kurier, Die Presse, Der Standard, Parnass, Salzburger Nachrichten

 

alle Bilder © Elina Brotherus

 

Ausstellung, Fotografie