Ausstellung

15. Februar 2020 - 14:06

Wie ein tollpatschiger Welpe mit noch überdimensionierten Beinen und Pfoten schaut mich der orange-rosa-beigefarbene Hund fragend und ein bisschen traurig an.

 

aus der Serie Old Baggy Root, 2018/19 © Megan Rooney

 

Doch je länger ich in das Gesicht mit den ausdrucksstarken Augen sehe, desto zweifelnder und verzweifelter wird sein wässriger Blick.

Der Hund unten sieht aus als käme er gerade ins Bild, den Betrachter bemerkend und anblickend, noch bevor sein durchscheinender Körper ganz getrocknet ist.

 

aus der Serie Old Baggy Root, 2018/19 © Megan Rooney

 

Beide Bilder - ohne nennenswerte Vorzeichnung spontan und verfließend ausgeführt - stammen von der kanadischen Künstlerin Megan Rooney. Immer wiederkehrend ist das Motiv des menschlichen und tierischen Kopfes und Körpers, in den alle individuellen Erfahrungen unwiderruflich eingeschrieben sind.

Erzeugen die vorherrschende Palette von blassen, warmen Farbtönen sowie die schwebenden Motive eine spielerische Leichtigkeit (vgl. Felix Kucher) oder überwiegt das Gefühl der Verletzlichkeit und Versehrtheit der Körper dieser eigentümlichen menschlichen und tierischen Individuen? (vgl. Presseinfo Ausstellung Düsseldorf)

 

Old Baggy Root, 2018/19 © Megan Rooney

Old Baggy Root, 2018/19 © Megan Rooney

 

Auch ihre großformatigen Wandmalereien sind durch eine schnelle rhythmische Herangehensweise gekennzeichnet. Dabei verfolgt die Künstlerin oft keinen genauen Plan, sondern geht ohne Vorzeichnung oder Modell vor, beim Malrozess das volle Risiko eingehend. Megan Rooney sagt selbst, dass der Akt der Malerei etwas sei, das Energie freisetzt und es ein Glück sei, malen zu können.

Die aufstrebende Künstlerin arbeitet medienübergreifend mit Malerei, Installation, Performance, Tanz und Sprache. In ihrer künstlerischen Praxis bewältigt sie die gesamte Bandbreite von kleinformatiger intimer figurativer Malerei bis hin zu monumentaler abstrakter Malerei. Sie geht meist auf den zu gestaltenden Ausstellungsort ein und verknüpft die einzelnen Malereien und Objekte zu raumgreifenden Gesamtinszenierungen.

Zurzeit werden mehrere Porträts im Kunsthaus Kollitsch (Klagenfurt/A) sowie großformatige ungegenständliche Arbeiten im Ausstellungsraum Salts (Birsfelden/CH) gezeigt, im Juli 2020 wird eine Einzelpräsentationen im Salzburger Kunstverein (A) zu sehen sein, für die Megan Rooney als Artist-in-Residence den Großen Saal sowie die Ringgalerie gestaltet.

Megan Rooney (*1985, Kapstadt/Südafrika) hat an der University of Toronto und am Goldsmith College in London studiert. Sie lebt und arbeitet seit über zehn Jahren in London.

alle Bilder © Megan Rooney

 

Ausstellung, Installation, Malerei
20. Januar 2020 - 19:37

Eine Ausstellung, die genau zum Thema meines Blogs passt, findet zur Zeit im Bayerischen Nationalmuseum statt: "Treue Freunde - Hunde und Menschen".

Leider habe ich sie (noch) nicht gesehen, allerdings schon einen begeisterten Bericht meiner Freundin Mignon Dobler erhalten (ich habe ihre Hunde Polly und Lise gemalt). Ich muss leider mit Presseberichten und -fotos das Auslangen finden. Auf die Ausstellung aufmerksam gemacht hat mich übrigens Susanne Boecker, die immer wieder an mich denkt, wenn es Hund-und-Kunst-Relevantes gibt!

Mehr als 200 Werke der bildenden Kunst und Alltagskultur werden in zwölf Kapiteln präsentiert und spüren den vielfältigen Aspekten der Hund-Mensch-Beziehung nach. Die Darstellung dieser Beziehung spannt sich von der Antike (ägyptischen Hunde-Mumie) bis zum zeitgenössischen Hunderoboter, von der Kunst zur Kulturgeschichte, von adeligen Hundehalterinnen (Queen) bis zu Adeligen des Humors (Loriot).

In einzelnen Abschnitten werden unter anderem Partnerschaft, Statussymbole, Helfer, Hundeliebe, Hundekult, Trendsetter, Spielereien und Bösartigkeiten thematisiert. Im Kapitel Hundefreundschaft geht es um Prominente mit Hund und nicht - wie von mir fälschlicherweise vermutet - um Hunde und ihre (Hunde)Freunde und Freundinnen.

Der Anlass für die Ausstellung (als ob es eines Anlasses bedürfte!) ist übrigens die vor 100 Jahren erfolgte Erstveröffentlichung von Thomas Manns "Herr und Hund", einem Porträt seines Hühnerhund-Mischlings Bauschan.

Ein paar Exponate:

 

Richard Dodd Widdasnach dem Original von Alfred Dedreux, Armer Hund und reicher
Richard Dodd Widdas nach dem Original von Alfred Dedreux, Armer Hund und reicher Hund,
Kingston upon Hull, um 1850/60 © Städtisches Museum Überlingen

Johann Georg Waxschlunger (?), Dogge mit Welpe, München, Anfang 18. Jh. © Baye
Johann Georg Waxschlunger (?), Dogge mit Welpe, München, Anfang 18. Jh.
© Bayerisches Nationalmuseum

Hans Schöpfer der Ältere, Gabriel Ridler, München, 1532 © Bayerisches Nationalmu
Hans Schöpfer der Ältere, Gabriel Ridler, München, 1532
© Bayerisches Nationalmuseum, Foto Bastian Krack

Hofnarr der Familie Fugger-Nordendorf mit zwei Hunden, Süddeutschland, 1. Hälfte
Hofnarr der Familie Fugger-Nordendorf mit zwei Hunden, Süddeutschland, 1. Hälfte 17. Jh
© Privatbesitz, Süddeutschland

Lieblingshund König Ludwig I., München, um 1850 © Bayerisches Nationalmuseum, Fo
Lieblingshund König Ludwig I., München, um 1850
© Bayerisches Nationalmuseum, Foto Bastian Krack

Nadin Rüfenacht, Nature Morte, Burgdorf/Schweiz, 2005 © Sammlung Würth, Foto Phi
Nadin Rüfenacht, Nature Morte, Burgdorf/Schweiz, 2005
© Sammlung Würth, Foto Philipp Schönborn, München

Ferdinand von Keller, Selene, Karlsruhe, 1886 © Kunkel Fine Art, München
Ferdinand von Keller, Selene, Karlsruhe, 1886 © Kunkel Fine Art, München

Thomas Theodor Heine, Siegfried, Dießen am Ammersee, 1921 © Print & Coffee
Thomas Theodor Heine, Siegfried, Dießen am Ammersee, 1921 © Print & Coffee

Ferdinand Georg Waldmüller, Waldmüllers Sohn Ferdinand mit Hund, Wien, 1836 © Ba
Ferdinand Georg Waldmüller, Waldmüllers Sohn Ferdinand mit Hund, Wien, 1836
© Bayerische Staatsgemäldesammlungen

 

Heute habe ich endlich meinen Katalog zur Ausstellung (Deutscher Kunstverlag, 320 Seiten, 262 Abb., ISBN: 978-3422981089) bekommen, einen umfangreichen Wegweiser durch die Vielfalt der Mensch-Hund-Beziehung zum Staunen und Schmökern. Sicher kein Ersatz für einen Ausstellungsbesuch, aber trotzdem mehr als ein Trostpflaster!

Hedy hat schon entschieden, wer zuerst reinschauen darf!

 

Hedy nimmt sich den Ausstellungskatalog © Petra Hartl

Hedy schmökert im Ausstellungskatalog © Petra Hartl

Hedy schmökert im Ausstellungskatalog © Petra Hartl

Zu viel Text, Hedy fallen die Augen zu! © Petra Hartl

 

Die Sonderausstellung "Treue Freunde - Hunde und Menschen" ist im Bayerischen Nationalmuseum noch bis zum bis 19. April 2020 zu sehen, jeweils Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr sowie Donnerstag bis 20 Uhr.

 

4. November 2019 - 9:22

Als begleitende Veranstaltung zur Biennale zeigt die Fondazione Querini Stampalia die erste große Jörg-Immendorff-Ausstellung in Italien: Ichich, Ichihr, Ichwir / We All Have to Die.

Dabei handelt es sich nicht um eine Retrospektive, sondern um eine Präsentation seines Spätwerks, in dem er sich mit der Rolle des Künstlers in Gesellschaft und Geschichte auseinandersetzt.

Ab 1998 - Immendorf erfährt von seiner ALS-Erkrankung - ist sein Werk weniger erzählend oder politisch motiviert. Er nimmt vielmehr vermehrt Anleihen bei der Renaissance. Dahinter steht einerseits ein ganz grundlegendes Interesse an der Kunstgeschichte, das ihn seine gesamte Schaffensphase hindurch begleitete. Er musste aber auch eine Methode finden, die es ihm ermöglichte, seine Arbeit trotz seiner sich verschlimmernden Nervenkrankheit, die ihn immer mehr bewegungsunfähig machte, fortzuführen.

Immendorff konzipiert nun die Bilder: Er malt quasi mit dem Kopf und nicht mehr mit den Händen; beschreibt seinen Assistenten, wie die Werke auszusehen haben. Diese müssen die Anweisungen dann ausführen. Hierfür eignet sich logischerweise ein Zurückgreifen auf das bereits bestehende Repertoire der Kunstgeschichte.

 

Jörg Immendorff, Malsand, 2006, Foto Petra Hartl

Jörg Immendorff, Malsand, 2006, Detail, Foto Petra Hartl

Jörg Immendorff, Malsand, 2006, Detail, Foto Petra Hartl

 

Vor monochrome Hintergründe setzt Immendorff geheimnisvolle Figuren, die zu einer eigenen Ikonographie führen. Auch bei "Malsand" sind die sitzende und dahinter stehende Figur vor einem monochrom schwarzen Hintergrund und einer schwarzen felsigen Landschaft zu sehen.

Der Hund erinnert mich ein bisschen an den Windhund von Dürer, der auch in Dürers "Der heilige Eustachius" vorkommt, vielleicht ist "Malsand" von ihm inspiriert.

 

Albrecht Dürer,  A greyhound, um 1500, Royal Collection Trust
Albrecht Dürer,  A greyhound, um 1500, Royal Collection Trust

 

Albrecht Dürer,  Der heilige Eustachius, ca. 1501, Staedel Museum
Albrecht Dürer,  Der heilige Eustachius, ca. 1501, Staedel Museum

 

Jörg Immendorff (1945-2007) war einer der wichtigsten deutschen Künstler der Nachkriegszeit. Seine Arbeiten werden seit Mitte der 1960er Jahre international ausgestellt. Er nahm 1972 und 1982 an der Documenta teil, 1976 an der Biennale Venedig. Er lebte und arbeitete in Düsseldorf und Hamburg.

Die Immendorff-Ausstellung in der Fondazione Querini Stampalia ist noch bis zum 24. November 2019 zu sehen.

 

Ausstellung, Malerei
28. Oktober 2019 - 9:25

Valentin de Boulogne, Fröhliche Gesellschaft mit Wahrsagerin (die fünf Sinne), 1

 

Wieso schiebt sich in diesem großen Bild, das Valentin de Boulogne kurz vor seinem Tod fertiggestellt hat, eine Hundeschnauze ins Bild? Und wieso hängt es in der Caravaggio & Bernini-Ausstellung im KHM?

Die zweite Frage ist leicht beantwortet: Valentin de Boulogne zählt zu den Nachfolgern Caravaggios, die sein Themenrepertoire weiterentwickelt und sein Werk zum Ausgangspunkt für eigene Schöpfungen verwendet haben. Schon Caravaggio hat sich mehrmals mit dem Thema der Wahrsagerin, die einem Soldaten die Hand liest, beschäftigt.

 

Valentin de Boulogne, Fröhliche Gesellschaft mit Wahrsagerin (die fünf Sinne)

 

Valentin de Boulogne verwendet die für ihn typischen Personen aus dem Wahrsager-, Wachstuben- und Musikantenmilieu, ganz dem Wunsch des Auftraggebers entsprechend, der dieses Figurenrepertoire im Gemälde verwirklicht sehen wollte. Es wird musiziert, zwei Männer sind in eine Rauferei verwickelt, ein Mädchen versucht eine Geldbörse zu stehlen und eine Wahrsagerin liest einem jungen Mann aus der Hand. Allen Protagonisten gemeinsam ist, dass sie an die Wahrnehmung des Betrachters appellieren. Das Gemälde "Fröhliche Gesellschaft mit Wahrsagerin" trägt auch den Titel "Die fünf Sinne", da es auch als Allegorie auf die Sinne verstanden wird.

An Sinnesmodalitäten sind vertreten: der Tastsinn in der Handleseszene, der Gehörsinn durch die Musikanten, der Geschmackssinn durch das Weintrinken und der Sehsinn durch die intensiven Blicke einerseits und den blinden Musiker am Rand. Und hier kommt auch wieder der Hund ins Geschehen. Als Darstellung des Geruchssinns bringt sich der Hundekopf ins Spiel.

Valentin de Boulogne verbindet eine Allegorie der Sinne mit den verschiedenen aus dem eigenen Oeuvre bekannten Figuren und Szenen zu einer Meditation über das Leben. Wunderbar, dass auch ein Hund daran teilnimmt.

Quellen: Booklet zur Caravaggio & Bernini-Ausstellung im KHM, Liechtenstein. The Princely Collections

 

Ausstellung, Malerei
23. Oktober 2019 - 8:10

Pierre Bonnard, Der Kaffee, 1915, Le Cafe © Tate

 

Das Kunstforum Wien zeigt Pierre Bonnard (1867–1947) in der Ausstellung "Farbe der Erinnerung". Schon im Titel stecken zwei wesentliche Merkmale von Bonnards Malerei: Er malt aus der Erinnerung und sein Thema ist die Farbe, dargebracht vor allem an den Motiven Figur, Interieur und ihn umgebende Landschaft.

Keine Wirklichkeit, kein Motiv soll den Post-Impressionisten von der Farbe ablenken, die er sowohl minimalistisch dünn als auch pastos aufträgt. Immer wieder malt er seine Freundin und spätere Ehefrau in wiederkehrenden Ansichten ihres Zuhauses. Dabei schafft er Durchsichten von innen nach außen (Fenster- und Türdurchblicke), malt Spiegel, die den Blick in den Raum erweitern und ungewöhnlich komplexe sowie angeschnittene Kompositionen, die schon den kommenden Jugendstil andeuten.

Immer wieder verschwimmen Motive im farbenfrohen Punkt- und Liniengewirr. Auch so mancher Hund ist erst auf den zweiten oder dritten Blick zu erkennen.

Obwohl Bonnard viele Hunde gemalt hat, habe ich nur diese drei in der Ausstellung entdeckt:

 

Pierre Bonnard, Der Kaffee, 1915, Detail, Foto Petra Hartl

Pierre Bonnard, Esszimmer, Vernon, um 1925, Detail, Foto Petra Hartl

 

Im "Esszimmer, Vernon" sehen wir einen Innenraum, der durch eine Tür zum Garten geöffnet ist. Die Szene spielt sich im für Bonnards Malerei so charakteristischen Bereich zwischen innen und außen ab. Alles scheint zu flimmern, hinter der geöffneten Gartentür erkennen wir ein verschwommenes Gesicht - vielleicht Bonnard selbst - der die Szene beobachtet. Die Kinder richten ihren Blick auf eine dunkle Stelle neben dem Esstisch. Erst auf den zweiten und dritten Blick erkennen wir eine Hundeschnauze.

 

Pierre Bonnard, Esszimmer, Vernon, um 1925

Pierre Bonnard, Esszimmer, Vernon, um 1925, Detail, Foto Petra Hartl

Pierre Bonnard, Esszimmer, Vernon, um 1925, Detail, Foto Petra Hartl

 

Auch im "Haus unter Bäumen" finden wir einen kleinen Hund, der seine Besitzerin beim Spaziergang begleitet.

 

Pierre Bonnard, Haus unter Bäumen, 1918, Foto Petra Hartl

Pierre Bonnard, Haus unter Bäumen, 1918, Detail, Foto Petra Hartl

Pierre Bonnard, Haus unter Bäumen, 1918, Detail, Foto Petra Hartl

 

Die Retrospektive im Kunstforum Wien entstand in Kooperation mit der Tate, London und der Ny Carlsberg Glyptothek, Kopenhagen. Unterstützt durch den Bonnard Exhibition Supporters Circle und Tate Members. Sie konzentriert sich auf Bonnards reifes Werk, das nach seinem ersten Besuch an der Côte d’Azur 1909 und der tiefgreifenden Erfahrung des Mittelmeerlichts einsetzt.

Die Ausstellung ist noch bis zum 20. Jänner 2012 zu sehen.
 

Ausstellung, Malerei
4. Oktober 2019 - 14:00

Sit and wait, 2018 © Benjamin Nachtigall

 

Liebevoll umarmt der "Zitronenmann" in "Sit and wait" seinen Hund, beide sind entspannt und heben den Kopf in eine Richtung, vielleicht sehen sie selbstvergessen der Sonne entgegen. Auch "The stranger" wird von seinem Hund begleitet. Aus beiden Arbeiten spricht Zärtlichkeit und Bindung zum Tier.

 

The stranger, 2018 © Benjamin Nachtigall

 

Benjamin Nachtigalls Figuren sind aus Keramik, jede ein von ihm selbst angefertigtes Unikat.

Er arbeitet spontan und intuitiv. Das keramische Material kommt ihm sehr entgegen, da es sich beim Trocknen und Brennen verformt, biegt und mitarbeitet. Die Glasuren werden auf die Plastik geworfen, die Farbtöne fließen ineinander und erzeugen Unerwartetes. "Gefühle, Ängste und Wünsche, die wir alle teilen - und die uns trennen, interessieren mich, nichts Konkretes, Persönliches", sagt Nachtigall (vgl. Wiener Zeitung)

Seine Protagonisten entstammen einer kuriosen, eigentümlichen Figurenwelt, seine humanoiden Figuren tragen Früchte statt Köpfen. Dabei legt er den Fokus eher auf die Geste und die Form selbst sowie auf das Erzeugen einer surrealen Dynamik als auf die Biographie einer Figur. (vgl. artist statement)

Die Fruchtköpfe verhindern, dass wir Individuen erkennen. Gemeinsam mit der Nacktheit der Figuren erzeugt Benjamin Nachtigall eine allgemeine über das Persönliche hinaus gehende Melancholie und Verletzlichkeit, die auch alltäglichen Situationen und Gesten - ein Tier berühren, die Natur erleben - innewohnt.

"Für mich ist ein Kunstwerk ein Rätsel, das nie ganz aufgelöst werden kann", sagte der Künstler bereits 2012 auf Ö1. Dies gilt auch für seine jüngsten Werke, die noch bis zum 12. Oktober 2019 in der Einzelausstellung "Symbiose" in der Galerie Gerasdorfer zu sehen sind.

Benjamin Nachtigall (*1988 in Wien/Österreich) schloss 2015 die Klasse für Grafik und Druckgrafik an der Universität für angewandte Kunst Wien ab.
 

alle Fotos © Benjamin Nachtigall

 

Ausstellung, Skulptur
29. August 2019 - 13:30

Was für ein charmantes Bild! "Die Möglichkeit eines Wolfes"!

 

Die Möglichkeit eines Wolfes, 2019 © Holger Kurt Jäger

 

Zur Einstimmung auf meinen Biennale-Besuch hatte ich das Kunstforum durchgeblättert und war sofort bei der Anzeige der Galerie von Braunbehrens hängengeblieben, die mit diesem Gemälde die Ausstellung von Holger Kurt Jäger, "Hallo Echo", ankündigte. Ich bin seiner Anziehungskraft sogleich erlegen. Innerhalb von Sekunden purzelten vielfältigste Assoziationen durch meinen Kopf. Hatte ich nicht so einen Hund unter dem Handtuch auf einer Ikea-Reklame gesehen, allerdings herziger und weniger melancholisch? Verhüllt der Fotograf Thorsten Brinkmann nicht auch Hunde? Und William Wegman - er fotografiert seine Weimaraner surrealistisch verfremdet! Und erst der Titel: "Die Möglichkeit eines Wolfes" lässt mich sofort literarische - "Die Möglichkeit einer Insel" (Michel Houellebecq) - oder musikalische - "Die Möglichkeit eines Lamas" (Frittenbude) - Bezüge herstellen.

Nachdem ich mir Jägers andere Arbeiten auf seiner Homepage angesehen und ein bisschen recherchiert hatte, war klar, dass dies kein Zufall war, sondern so sein musste: Referenzen sind sein Ding! Er durchforstet Printmedien und das Internet nach Anregungen für seine Gemälde, montiert das Ausgewählte zu witzigen oder surrealen Kompositionen, benützt das vorgefundene Material, um neue Zusammenhänge herzustellen, neue Bedeutungen zu generieren. Nicht zufällig heißt eine Bildserie "Referenzkultur".

Doch wer hat denn nun "Die Möglichkeit eines Wolfes"? Auf den ersten Blick scheint der Dackel gemeint zu sein, der dasitzt, als hätte er kein Hinterteil. Aber auch der in zu kurzer, blasslachsener Hose und Hausschuhen gewandete Mensch - es ist bloß seine untere Hälfte zu sehen - scheint die harmlose Figur, die er abgibt, durch den Wolfspelz-gefütterten Mantel überspielen zu wollen. Die Armbündchen des Pullovers sind schon aufgeschlitzt, steht die Wandlung der Hände in Pfoten bevor?

Alles an dem Gemälde ist realistisch, erst der Titel verleiht ihm einen unwirklichen, träumerischen und sehnsüchtigen Spin. "Könnte ich mich doch verwandeln, verwirklichen, - könnte ich doch verwildern", scheinen sich beide zu wünschen.

 

Referenzkultur 1 © Holger Kurt Jäger

 

Zu Jägers neuesten Arbeiten gehören Darstellungen junger stilvoller Menschen in hellen banal-surrealen Umgebungen. Doch keine kommt an die lavendel-beige-lachs-farbige Schönheit und Melancholie der "Möglichkeit" heran.

 

Ausstellungsansicht Galerie von Braunbehrens

 

Unten eine kleine Auswahl an Malereien mit Hundemotiv der letzten Jahre:

 

Die Jägerprüfung, 2017 © Holger Kurt Jäger

Die Gattin, 2015 © Holger Kurt Jäger

Hui buh, 2014 © Holger Kurt Jäger

 

Bekannt wurde Jäger unter anderem durch seine Waschlappenbilder, quasi einer Chronik des Zeitgeschehens auf Baumwolle. Er bemalte die Lappen mit Porträts von Politikern, Verbrechern, Künstlern, von Menschen, die unsere Gegenwart prägten oder nur im Gespräch waren: Ob die Dargestellten durch Material und Funktion des Bildträgers gedemütigt oder durch die Verwendung der klassischen Ölmalerei überhöht werden sollten, bleibt offen.

Neben den Waschlappenbildern haben auch Jägers bemalte Airbags oder seine vieräugigen Politikerporträts von Merkel oder Obama Aufmerksamkeit erregt. Der deutsche Maler (*1979 in Düsseldorf), der vom Graffiti kommt, hat sich nun anscheinend wieder mehr der traditionellen Ölmalerei zugewandt (auf Leinwand!). Mich freut das sehr.

Die Ausstellung in der Galerie von Braunbehrens ist noch bis zum 6. September 2019 zu sehen. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
 

 

Ausstellung, Buch, Malerei
21. August 2019 - 12:20

Hedy mit Postkarte, Foto Petra Hartl

Hedy mit Postkarte, Foto Petra Hartl

 

Die letzte Station meines Ausstellungsmarathons war die Punta della Dogana, neben dem Palazzo Grassi die zweite große Ausstellungsfläche der Stiftung Pinault: eine Oase der Ruhe an der äußersten Spitze der Halbinsel zwischen Canale Grande und Canale della Giudecca, im Stadtteil Dorsoduro. Auf der gegenüberliegenden Seite des Canale Grande befindet sich der belebte Markusplatz.

Das 1682 fertiggestellte Gebäude war bis in die 1980er Jahre ein Zollamt und damit untrennbar mit der Geschichte Venedigs verbunden. 2007 erhielt die Pinault-Collection den Zuschlag, das dreiecksförmige Gebäude in einen zeitgenössischen Kunstraum zu verwandeln. Die Restaurierung des imposanten Komplexes begann, und im Juni 2009 war die Punta della Dogana wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Sie präsentiert seitdem wechselnde Ausstellungen. Heuer ist "Luogo e Segni" zu sehen, in der über hundert Werke von 36 KünstlerInnen versammelt sind, die eine besondere Beziehung zu ihrem urbanen, sozialen, politischen, historischen und intellektuellen Umfeld herstellen.

Das Gebäude ist riesig und die Arbeiten - vor allem Konzeptkunst, Minimal Art, Videokunst - sind so großzügig präsentiert, dass es mir fast obszön erschien. Schon im Palazzo Grassi bei Luc Tuymans war ich erstaunt, wie viel Platz den Werken eingeräumt wurde.

Obwohl ich beim Durchstreifen der riesigen Räume schon erschöpft und kaum mehr aufnahmefähig war, entging mir dieser kleine Hundekunstschnipsel nicht: eine kleine Postkarte mit Hund, die zu dem 90teiligen Gemeinschaftswerk "Monotype Melody (Ninety Works for Marian Goodman)" von Tacita Dean und Julie Mehretu gehört.

Von diesen 90 Arbeiten sind in Venedig 25 gerahmte Postkarten und 25 gerahmte Monotypien zu sehen. Sie spiegeln die einzigartige Zusammenarbeit und den intensiven und fruchtbaren Dialog der langjährigen Freundinnen Tacita Dean und Julie Mehretu wider. Beide Künstlerinnen arbeiteten unabhängig voneinander in Los Angeles und New York an ihren Monotypien und entwickelten ein Netz aus subtilen Referenzen und Verbindungen zwischen den einzelnen Arbeiten. In Venedig werden die Werke der einen zwischen den Werken der anderen präsentiert, es entsteht ein Puzzle aus schwarz-weißen Monotypien und farbig überarbeiteten Postkarten, eine rhythmische Verflechtung, die man beim Ausstellungsbesuch in ihrer Gesamtheit wahrnehmen kann.

 

Werktitel, Foto Petra Hartl

Installationsansicht Tacita Dean und Julie Merhetu, Foto Petra Hartl

Installationsansicht Tacita Dean und Julie Merhetu, Foto Petra Hartl

Tacita Dean, Found Postcard, Monoprint (Finger), 2018, Foto Petra Hartl

Postkarte, Foto Petra Hartl

 

Tacita Dean hat mit alten gefundenen Postkarten gearbeitet, auf die sie mit Tinte kleine Ergänzungen eingetragen oder Überarbeitungen durchgeführt hat.

Obwohl sie auch fotografiert und zeichnet, ist Tacita Dean (1965, Canterbury/UK) vor allem für ihre 16mm-Filme bekannt, in denen sie sich besonders mit historischen oder fiktiven Geschichten beschäftigt. Wiederkehrende Themen in ihrer Arbeit sind die Begriffe Zeit und Erinnerung - einschließlich des analogen Gedächtnisses des Films und der Herausforderungen seiner Erhaltung/Konservierung.

Julie Mehretu (*1970 in Äthiopien) malt und zeichnet seit fast 20 Jahren an zumeist großformatigen, gestischen Gemälden, die aus mehreren Schichten unterschiedlicher Materialien (Acrylfarbe, Bleistift, Feder, Tinte) bestehen.

 

Ausstellung, Grafik, Installation, Malerei
15. August 2019 - 8:30

Self-Portrait with Animal Mask, 2018 © Adrian Ghenie

 

Während der Biennale-Monate finden auch viele große Ausstellungen in Museen und Palazzi in ganz Venedig statt, dabei wird heuer auch sehr viel Malerei gezeigt. Auch wenn die Massen durch die Lagunenstadt strömen, finden doch nur wenige Besucher den Eingang in diese kühlen, klimatisierten Häuser. Auch im Hochsommer kann man sich hier wohlfühlen und sich vom Trubel in den Giardini und im Arsenale erholen.

Ich habe in der Fondazione Prada die Jannis-Kounellis-Ausstellung besucht und neben den ausgestellten Werken konnte ich heuer endlich die Räumlichkeiten genießen, von denen vor zwei Jahren bei der großartigen Ausstellung "The Boat is Leaking. The Captain Lied." von Alexander Kluge, Thomas Demand und Anna Viebrock aufgrund der Ausstellungsgestaltung mit vielen Einbauten kaum etwas zu sehen war. Alleine der Palazzo Ca’ Corner della Regina ist sehenswert.

Ähnlich ging es mir auch im Palazzo Grassi, dessen große, mehrgeschoßige Eingangshalle vor zwei Jahren von Damian Hirsts "Demon with Bowl" ausgefüllt wurde. Heuer wurde die Leere und die großzügige Hängung bei Luc Tuymans Einzelausstellung "La Pelle" zum Erlebnis. Den Bildern wurde viel Platz gegeben, manchmal hing eine kleine Arbeit in einem eigenen Raum.

Sehr ansprechend präsentiert waren auch die Werkschau von Sean Scully "Human" und die Retrospektive von Alberto Burri, beide auf der Isola di San Giorgo Maggiore und fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Scully ist auch in Wien öfters zu sehen, Burri war für mich in Originalen ganz neu. Auf der Insel gab es auch ein sehr schönes, durchgestyltes Museum für Glaskunst des 20. Jahrhunderts, Le Stanze del Vetro, in dem Glaskunstwerke des französischen Designers Maurice Marinot aus der Zeit von 1911-1934 zu sehen waren. Und all das bei freiem Eintritt, wenn ich es recht in Erinnerung habe.

Vor etwa zehn Jahren wurde der eindrucksvoll renovierte Renaissance-Palazzo Grimani als Museum und Veranstaltungsort eröffnet, zur Zeit ist dort die amerikanische Künstlerin Helen Frankenthaler zu sehen, im Palazzo Contarini Polignac - zur Abwechslung ein Ausstellungsort mit reichlich Patina - der deutsche Maler Günter Förg.

Die Ausstellung, die mich aber mit Abstand am meisten begeistert hat, war "The Battle Between Carnival and Feast" des rumänischen Künstlers Adrian Ghenie. Was für eine Schönheit, Farbenpracht und expressive Kraft! Erfreulicherweise war ein Gemälde "Figur mit Hund" dabei, sodass ich guten Gewissens davon berichten kann.

Adrian Ghenie hat das zweite Stockwerk im Palazzo Cini gestaltet und dafür neun neue Bilder gemalt. Die Galerie Palazzo Cini hat diese Soloschau gemeinsam mit der Galerie Thaddaeus Ropac konzipiert. Der Ausstellungs-Titel hat mich sofort an das gleichnamige Gemälde von Peter Breughel (Kampf zwischen Fasching und Fasten, 1559) denken lassen, das ich erst kürzlich im Wiener Kunsthistorischen Museum gesehen habe. Allerdings bezieht sich der Künstler meines Erachtens mehr auf den venezianischen Karneval (Bild ganz oben "Self-Portrait with Animal Mask", 2018) und auf die Geschichte Venedigs als auf Breughels Bild der Sitten und Gebräuche.

Ghenie verweist auf die reiche maritime Geschichte der Stadt mit ihren vielen Wasserstraßen, thematisiert aber auch Flucht und Migration über das Mittelmeer, er orientiert sich an der Tradition, bezieht aber auch Position zu zeitgenössischen Ereignissen. Das Thema Wasser und die Grün-, Blau- und Grautöne sind der gemeinsame Nenner dieser Werke.

 

Untitled, 2019 © Adrian Ghenie

 

Wie aktuell sein Werk ist, erkennt man auch an seiner kleinen Porträtserie. Obwohl die Arbeiten "Untitled" sind, ist der Dargestellte auf den ersten Blick zu erkennen. Wie sehr das Gesicht - einer Landschaft gleich - doch redundant ist, wenn wir eine Haartolle wiedererkennen! Mühelos ergänzt unser Gehirn die fehlenden anatomischen Teile zu Trump.

 

Figure with Dog, 2019 © Adrian Ghenie

 

"Figure with Dog" wird von einer riesigen dekonstruierten Figur dominiert. Teile der Sportkleidung sind noch erkennbar, ansonsten erahnt man eine Masse aus Fleisch und Haaren. Wie auch bei seinen anderen Werken erinnert mich manches an Francis Bacon (eine moderne poppige, glühend farbigere Variante Bacons): der Kontrast zwischen den dynamischen Teilen der belebten Figuren - Mensch und hockender Hund - und der unbewegten Natur - wie Wasser, Himmel und Strand - sowie die Ausgewogenheit zwischen diesen Bildbereichen. Adrian Ghenies figurative Malerei ist gestisch und kontrolliert, nichts erscheint zufällig.

Adrian Ghenie findet den Vergleich mit Francis Bacon nur ermüdend, trotzdem ist es vor allem bei den Porträts eine Assoziation, die sich bei mir sofort und absichtslos einstellte.

 

That does not say anything about my painting [practice] but it says a lot about the art world, which always wants a quick explanation or description. We’re coming from different directions. (Ghenie zit. n. The Art Newspaper)

 

"Figure with Dog is dominated by an enormous partially clothed figure, standing near a petrified squatting dog and set against a Rousseau-esque landscape“, lese ich auf der Seite der Galerie Ropac. "Rousseau-artig"? Jean-Jacques oder Henri? Ich vermute der französische "Zurück zur Natur!"-Philosoph ist gemeint, wenngleich für mich auch Henris Phantasiewälder im Sinne des Kontrastes von Natur und Figur durchaus passend wären.

Ghenies tiefsinnige und gleichzeitig nebulösen Gemälde zeichnen sich durch eine experimentelle und emotionale Verwendung von Farben aus, er kratzt sie ab, manipuliert sie. Mehr noch als er die Vergangenheit und Gegenwart inhaltlich verhandelt, untersucht er die Möglichkeiten des Mediums Malerei, den Malakt an sich.

Adrian Ghenie (*1977 in Baia Mare/Rumänien) lebt und arbeitet derzeit in Berlin. Seine Ausstellung im rumänischen Pavillon auf der 56. Biennale in Venedig (2015) brachte ihm internationales Renommee ein und seine Werke sind heute in bedeutenden Museen und Galerien zu sehen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 18. November 2019  im Palazzo Cini zu sehen. Begleitend ist ein Katalog erschienen.

Ich habe übrigens schon 2014 einen Blogeintrag über Adrian Ghenie verfasst, nachdem ich lediglich ein Bild von ihm in Wien gesehen hatte. Vor allem die Farbpalette hat sich seit damals verändert. Vergleichen Sie!

alle Bilder © Adrian Ghenie

 

Ausstellung, Malerei
10. August 2019 - 11:14

Liliana Moro, Anemos, 2019
Foto von hier

 

Der große italienische Pavillon befindet sich fast am Ende des Arsenale-Geländes und kann über mehrere Eingänge betreten werden. Der Kurator Milovan Farronato zeigt hier in einer sehr speziellen Ausstellungsarchitektur zwei Künstlerinnen - Liliana Moro und Chiara Fumai - und einen Künstler - Enrico David.

Das labyrinthische Ausstellungskonzept ist von Italo Calvinos Essay "Die Herausforderung an das Labyrinth" von 1962 inspiriert. Der Kurator wollte damit die Komplexität der modernen Welt widerspiegeln, in der es keine traditionellen Bezugspunkte mehr gibt, keinen Anfang und kein Ende, keine lineare, umfassende Erzählung. Es soll der Komplexität und Fülle von Interpretationsmöglichkeiten gerecht werden.

Als sehr systematischer Mensch habe ich dieses Labyrinth als wahres Wege-Spiegel-Paravent-Vorhang-Durcheinander empfunden. Da ich nichts übersehen wollte, war ich mehr darauf konzentriert alles vollständig abzuschreiten, als die Kunst anzusehen: Die Präsentation hat für mich die Kunst überlagert. Wahrscheinlich bräuchte es einen intuitiveren Charakter als mich, um hier Erkenntnis zu gewinnen.

Ich beschränke mich in der Folge auf die Beschreibung eines Werkes von Liliana Moro (*1961, Mailand/Italien). Als Künstlerin verwebt sie architektonische Interventionen mit Soundarbeiten. Ihre Skulpturen und Installationen werden als luzide, kraftvoll, entschieden und kompromisslos beschrieben.

Im Pavillon sind Arbeiten ihrer letzten 30 Jahre ausgestellt, sowohl frühe als auch neue, noch nie gezeigte. Da die Stellwände des Ausstellungsdisplays unterschiedlich hoch sind, kann man in andere Labyrinthgänge hinübersehen und so neue Interpretationen durch die Nähe zu anderen Werken, neue mögliche Bedeutungen zwischen ihren Arbeiten und denen der beiden anderen Künstler herstellen. Diese Kommunikation der Werke untereinander - je nach Blickwinkel im Labyrinth - soll die Unmöglichkeit verdeutlichen, eindeutige, vorhersagbare Zusammenhänge herzustellen.

Liliana Moro arbeitet mit verschiedenen Materialien und in verschiedenen Maßstäben. Ihre klare und präzise Herangehensweise führt zur Schaffung scheinbar einfacher Gesten, die aus diesem Grund für eine Vielzahl unterschiedlicher Interpretationen offen sind. Eine dieser Gesten zeigt die Arbeit "Anemos" von 2019, eine Hundeskulptur aus silbern glasierter Keramik auf einem Metallblech mit Sockel.

Wie bereits erwähnt, kann der Pavillon durch vier Ein- bzw. Ausgänge betreten werden. Das letzte Werk, bevor ich "meinen" Ausgang fand, war eben dieses "Anemos".

 

Liliana Moro, Anemos, 2019, Foto Petra Hartl

Liliana Moro, Anemos, 2019, Foto Petra Hartl

 

Ein Hund schaut auf ein hinunterfallendes Blatt, gleichzeitig versucht er es wiederzuerlangen und mit seinem Körper im Gleichgewicht zu bleiben. Die Arbeit, deren griechischer Titel "den Wind betreffend", "Lufthauch" aber auch "Leidenschaft" und "Unsicherheit" bedeutet, verewigt einen Moment des Fallens und des Verlustes, der die unvermeidliche Transformation und Vergänglichkeit sozialer Werte in historischen Epochen widerspiegelt (soweit der kleine Folder zum italienischen Pavillon).

 

Liliana Moro, Anemos, 2019, Foto Petra Hartl

 

Wir sehen also ein sehr poetisches Werk, aber wir sehen es nicht ohne hinaufzuschauen. Liliana Moro nützt die Höhe des Ausstellungsraums, indem sie die Hundeskulptur auf einem mehrere Meter hohen Sockel positioniert, der Betrachter muss sich zum Hund hinaufwenden, um dessen prekäre Situation erleben zu können.

Als ich mich in das Werk Moros eingelesen habe, bin ich auch auf ihre Arbeit "Underdog" (2005) aufmerksam geworden, die ich hier gerne ergänzend zeigen möchte.

 

Liliana Moro, Underdog, 2005

Liliana Moro, Underdog, 2005

 

Die Fotos sind von der Biennale 4 in Thessaloniki, wo die Arbeit 2013 gezeigt wurde.

Im Ausstellungsraum sind Bronzeskulpturen von fünf Hunden in unterschiedlichen Positionen und Rollen angeordnet. Einer wacht mit angespannten Muskeln; zwei andere kämpfen miteinander; einer heult triumphierend, während ein anderer ermattet und erschöpft - vielleicht auch tot - am Boden liegt. Die Tiere scheinen Wachsamkeit, Angriff/Kampf, Siegestaumel und Niederlage zu verkörpern. Die freudige Erregung des Gewinners wird ebenso dargestellt wie die unvermeidliche Anwesenheit des Unterlegenen.

Das verwendete Material ist für Liliana Moro immer sehr wichtig, bei "Underdog" ist es Bronze. Sie selbst beschreibt das Material als wichtig in einem politischen Kontext, Bronze sei ein traditionelles Material, das den Bezug zu großen repräsentativen Monumenten und Denkmälern von Herrschern und Helden herstellt. (vgl. hier)

Die Arbeit wirft Fragen auf und lässt viele Interpretationen zu: Der "Underdog" kann ein Individuum (ob Hund oder Mensch) sein, von dem wir erwarten, dass es in verschiedenen Konfrontationen und Wettbewerben, von existenziellen, politischen bis zu sportlichen, verliert. Es kann aber auch um eine Gruppe, die Verlierer der Gesellschaft, gehen, darum, wer sie sind und wie sie gesehen werden.

Warum muss Kontakt zu einem Konflikt werden, der Verlierer und Sieger hervorbringt? Was gewinnt oder verliert man? Was führt zum Umkippen dieser Rollen?

In jedem Fall können die Skulpturen auch als fünf "Phasen" im Leben eines einzelnen Individuums angesehen werden: Jede Figur ist sowohl Opfer als auch Angreifer, Verlierer als auch Gewinner, beides gehört zum Kreislauf des Lebens.

Milovan Farronato, der Kurator des italienischen Biennale-Pavillons, hat sich bereits 2006 mit "Underdog" auseinandergesetzt. Sie können seine Überlegungen hier auszugsweise nachlesen und vielleicht auch nachvollziehen.

Liliana Moro lebt und arbeitet in Mailand. Nach ihrem Studium war sie gegen Ende der 1980er Jahre Mitbegründerin eines alternativen Ausstellungsraumes, der das kulturelle Klima Mailands belebte. Schon zu Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit erlangte die Künstlerin mit einer Einladung zur Documenta IX (1992) und zur Biennale von Venedig (1993) wichtige Anerkennung.

Quellen: neben dem offiziellen Biennale-Führer vor allem The Bag. Biennale Art Guide 2019, S 81ff

Ein paar einleitende Worte zu meinem Besuch auf der Biennale können Sie bei meinem Blog-Beitrag zu Jimmie Durham lesen.

 

Ausstellung, Installation, Skulptur