Tierschutz und Tierrechte

30. April 2024 - 13:42

With what eyes? Mit welchen Augen schaut sie uns an? Mit welchen Augen blicken wir zurück?

 

you burn me, 2023 © Rodrigo Hernandez

 

Selten mache ich eine Ausnahme und zeige Ihnen andere Tiere als Hunde. Die Tierbilder des mexikanischen Malers Rodrigo Hernández sind derart sensibel, empathisch und still, dass ich sie ihnen nicht vorenthalten will. Für mich scheinen die Gemälde Teil eines vergangenen paradiesischen Zustands oder einer ersehnten Utopie zu sein. Wenn ich daran denke, wie Menschen mit Tieren, besonders auch mit Affen, die uns doch so ähnlich sind, umgehen, scheinen diese friedvollen Darstellungen Wunschträume zu sein.

Die Fledermäuse und Äffchen sind weich und sanft gemalt: Feine Härchen wie Flaum; dunkle und zarte Haut der Nasenlöcher und Ohren - glänzend und lebendig gemalt - setzt ihre feinen Sinne buchstäblich ins Licht. Die Bilder sind detailreich und unaufgeregt, aber zu perfekt und ätherisch, um realistisch zu sein. In der Darstellungsweise spiegelt sich die Haltung des Künstlers wider: Er bezieht Stellung für die Tiere, indem er das menschliche Subjekt in den Hintergrund rückt und auf den mexikanischen Philosophen David M. Peña-Guzmán Bezug nimmt, der fragt: Sind die Menschen die einzigen Träumer auf der Erde?

Hernández reflektiert die kognitiven und emotionalen Erfahrungen nichtmenschlicher Tiere, indem er literarische, philosophische und wissenschaftliche Perspektiven in sein Werk miteinbezieht, wobei die Gemälde nur Teil umfangreicherer Installationen und Ausstellungsdesigns sind. Er löst den Diskurs über das Träumen aus dem allgegenwärtigen Rahmen der menschlichen Erfahrung.

Wir sehen eine Serie schlafender Affen und Fledermäuse. Aber sind es auch träumende Tiere? Die schlummernden Geschöpfe geben keine weiteren Details zur Interpretation darüber, was sie erleben, werfen aber viele Fragen auf. In ihrer Stille liegt eine uns unbekannte Welt.

 

stars around this beautiful moon (1) 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Das zarte Tier hängt kopfüber, hat seine Flügel eingezogen, scheint sich selbst mit ihnen zuzudecken. Die andere Fledermaus schläft mit ausgebreiteten Flügeln. Beide scheinen in sich gekehrt und ganz bei sich selbst zu sein. Beim Anblick dieser Bilder ist es kaum vorstellbar, wie diese kleinen Wesen oft von Menschen als Vampire dämonisiert werden.

 

stars around this beautiful moon (5) 2023 © Rodrigio Hernandez, Foto Marjorie Br

 

Können wir mit Gewissheit sagen, dass Tiere im Schlaf träumen? Mit welchen Augen könnten wir die Träume nichtmenschlicher Tiere betrachten? Was würden wir sehen, wenn wir in die Träume eines nichtmenschlichen Lebewesens hineinschauen könnten? Was würde enthüllt werden? Und wie könnten wir diese Visionen zurückübersetzen? Ist unsere Vorstellung vom Träumen unweigerlich mit der Sprache verbunden?

Die Praxis von Rodrigo Hernández wird vom Impuls bestimmt, den Zwängen der physischen Sprache zu entkommen. Er verleiht einer Idee, einem Konzept oder einem Gemälde mehr Substanz als es das geschriebene oder gesprochene Wort hätte. Das Ergebnis dieser offensichtlichen Schwierigkeit, sich verbal auszudrücken, materialisiert sich in Hernández' Werk durch die Schaffung von stillen Bildern, die bleibende Momente des Zweifels und der Unsicherheit hervorrufen.

Er versucht in seiner bildnerischen Praxis nicht zu klären oder Sicherheit herzustellen, sondern die Linien der Kategorisierung zwischen nichtmenschlichen Tieren und menschlichen Tieren zu verwischen.

 

stars around this beautiful moon (2) 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Ein kleiner Exkurs: Ich erinnere mich an einen Vortrag, den der amerikanische Tierrechtsanwalt Steven Wise vor über zwanzig Jahren in Wien gehalten hat.

Steven Wise tritt seit mehreren Jahrzehnten für die Zuerkennung des Stauts als Rechtssubjekte für Tiere nach dem von ihm so benannten Kriterium der "practical autonomy" ein. Dabei plädiert er dafür, Tieren, die einen Sinn des "Ich" besitzen, die intentional handeln und Wünsche haben, zwei elementare Grundrechte - den Anspruch auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit - zuzuerkennen. In seinem Buch "Drawing the Line: Science and the Case for Animal Rights" beschäftigt sich Wise mit der Frage, wo die Grenze zu ziehen sei, wenn erst einmal Affen Grundrechte eingeräumt würden. Was mir besonders in Erinnerung ist, ist seine Bemerkung: "Wir müssen die Linie mit dem Bleistift ziehen".

Noch René Descartes und Immanuel Kant betrachteten Tiere aufgrund ihres Mangels an Sprache, Vernunft und Vorstellungskraft als bloße Maschinen und stellten somit den Menschen über die Natur. Erst Charles Darwin, der fünf Jahre nach Kants Tod geboren wurde, postulierte, dass der Mensch von den Primaten abstammt und somit auch ein Tier ist. Darwin entfachte erneut wissenschaftliche und philosophische Debatten darüber, was es bedeutet, ein Mensch oder ein Nicht-Mensch zu sein. Wenn Menschen Tiere sind, bedeutet dies dann, dass nichtmenschliche Tiere auch andere "menschliche" Eigenschaften haben können und somit Anspruch auf einen moralischen Status haben? Sind sie in der Lage sich etwas vorzustellen und zu träumen?

Im Tierversuch laufen Ratten eine Strecke zu einer Futterquelle. Da sich die Gehirnaktivität im Wachzustand und im Schlaf perfekt widerspiegelt, schließen die Forscher daraus, dass die Ratten im Schlaf wiederholen, was sie gerade erlebt haben, sie also "Realitätssimulationen" durchführen. Oder, wie Peña-Guzmán es ausdrückt, die Ratten träumen davon, die Strecke zu laufen.

In dem Bemühen, eine Anthropomorphisierung der Erfahrung des nichtmenschlichen Tieres zu vermeiden, beschreiben die Forscher die Wiederholung der Wachaktivitäten der Ratten im Schlaf als eine Art Wiederholung und nicht als Traum. Einige Kritiker, darunter Peña-Guzmán, sind jedoch der Ansicht, dass die Feststellung kognitiver Ähnlichkeiten zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren und die Weigerung, einen Begriff zu verwenden, der diese Gemeinsamkeiten anerkennt, zu einer Form von Anthropodenialität führen kann, was einen weiteren Keil zwischen unsere moralische und ethische Beziehung zur nichtmenschlichen Tierwelt treibt. Der Begriff "anthropodenial" geht auf Frans de Waal zurück, der damit die Blindheit gegenüber den menschenähnlichen Eigenschaften von anderen Tieren oder der tierischen Eigenschaften im Menschen meint.

Jeder Tiertraum ist je nach Tierart unterschiedlich. Während die Träume von Primaten eher visuell sind und einem menschlichen Traum näherkommen, sind die Träume von Fledermäusen eher klangvoll und uns daher aus menschlicher Sicht fremd. Trotz umfangreicher wissenschaftlicher Forschungen über den Tierschlaf, bleibt eine epistemische Lücke bestehen. Auf diese Leerstelle fokussiert Hernández Werk.

 

stars around this beautiful moon (3) 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Entspannt schmiegt der kleine Affe seinen rosa Bauch an den dicken Ast, der Kopf ruht auf seinen Armen, die Augen sind fest geschlossen. Erschöpft gibt er sich dem Schlaf hin. Seine Mimik und Schlafposition wirken sehr menschlich.

 

stars around this beautiful moon (4) 2023 © Rodrigi Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Eine orange behandschuhte Hand umschließt eine im Schlaf lächelnde Fledermaus. Ist die Berührung zärtlich und beschützend oder kraftvoll und gefährlich? Hernández zeigt nur einen Ausschnitt der Szene, die Umgebung und die Person bleiben im Verborgenen und der Vorstellung überlassen. Das Orange des Handschuhs leuchtet grell und wirkt kaum vertrauenswürdig. Will die Hand wärmen und umsorgen oder missbrauchen und verletzen?

 

bat dream, 2023 © Rodrigo Hernandez

substitute for love, 2023 © Rodrigo Hernandez

 

In "Substitute for Love" bezieht sich Rodrigo Hernández auf die Harlow-Experimente der 1950er Jahre zur Erforschung der menschlichen Liebe und Zuneigung durch eine Reihe grausamer Affenversuche. Der Psychologe Harry Harlow trennte Baby-Makaken von ihren Eltern und bot ihnen verschiedene Attrappen als Mutterersatz an. Die Jungtiere suchten die Nähe einer weich gepolsterten "Mutter" und verließen diese nur zur Nahrungsaufnahme. Die früh isolierten Affen zeigten teils schwere Verhaltensstörungen und waren selbst nicht in der Lage, Nachwuchs zu versorgen.

Hernández‘ Ölgemälde ist eine direkte Referenz auf eines der während der Experimente aufgenommenen Fotos, auf dem ein kleiner verzweifelter Makake zu sehen ist, der die Stoffpuppe umarmt. Die Ergebnisse dieses zutiefst berührenden Experiments sagen viel über Mutterschaft, Liebe, und Bindung aus, noch mehr zeigen sie die fehlende Moral beim Missbrauchen von Tieren für die Wissenschaft.

 

Harlow-Experiment
Foto von hier

Draht- und Stoffmutter Surrogate
Foto Wikipedia

I would not think to touch the sky with two arms, 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto

 

Auf dem Boden ruht ein in Bronze gegossener hohler Affenkopf und an den umliegenden Wänden hängen die kleinen Ölgemälde der schlafenden Tiere. Die Skulptur trägt den Titel: "I would not think to touch the sky with two arms", eine Zeile, die von Sappho entlehnt ist. Die feinen Gesichtszüge sind sehr menschlich, weshalb die Assoziation zu Constantin Brancusis "Schlafende Muse" leichtfällt.

 

Installationsansicht, stars around this beautiful moon, ChertLüdde, Berlin, 202

Installationsansicht, stars around this beautiful moon, ChertLüdde, Berlin, 202

 

"Flux of Things (Human & Monkey)" ist eine große, handgehämmerte silberne Metallarbeit, die aus acht einzelnen Paneelen aufgebaut ist. Das Werk basiert auf einer einfachen Strichzeichnung und zeigt einen Affen, der sich an eine menschliche Figur schmiegt. Dieser seltene Moment der Verbundenheit zwischen zwei unterschiedlichen Spezies drückt Empathie, Gemeinsamkeit und Hoffnung aus.

 

Flux of Things (Human and Monkey), 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Majorie Brunet

Flux of Things (Human ] Monkey), Detail, 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Majorie

With what eyes no 6, 2023 © Rodrigo Hernandez

With what eyes no9, 2023 © Rodrigo Hernandez

Monkey's dream, 2023 © Rodrigo Hernandez

 

Ein Affe umarmt eine Taube. Das, was uns unwahrscheinlich erscheint, dass eine zur schnellen Flucht fähige Taube sich umarmen lässt, hat Hernandez in Mexiko selbst beobachtet. Er hat diese kurze intime Berührung in einem gehämmerten Messingrelief festgehalten. Der Kontrast zwischen der Festigkeit des Messingblechs und der Zärtlichkeit des Moments, die auf ihm eingeschrieben ist, verleiht der Szene eine ganz besondere poetische und sensible Qualität. Die Arbeit ist Teil einer Installation aus zwölf Reliefs - "Nothing is Solid. Nothing can be held in my hand for long" - die ephemere Gesten der Zuneigung, Berührungen und Umarmungen darstellen.

 

Nothing Is Solid © Rodrigo Hernandez

 

Für uns Hundehalter scheint es evident, dass unsere Hunde träumen, wir brauchen keinen Beweis! Es gibt kaum etwas Spannenderes, als sie dabei zu beobachten: Zuckende Beine, Schwänze, die sich bewegen, grunzende Laute – wahrscheinlich werden zumeist Rehe und Hasen verfolgt! Auch wenn die Hunde in Wirklichkeit an der Leine waren und den Rehen nur nachschauten.

Die Menschheit allerdings wird niemals erfahren, was die schlafenden Hunde, Affen und Fledermäuse träumen, was in ihren Köpfen vorgeht. Die unbekannte Gedankenwelt ist vielleicht deren letztes Refugium.

Als Betrachtende sind wir aufgefordert den Werken von Rodrigo Hernández mit unserer subjektiven sinnlichen Erfahrung - mit Spüren, Fühlen, Wahrnehmen - gegenüberzutreten und sie nicht mit Rationalität zu betrachten.

Die gezeigten Arbeiten waren Teil seiner letzten Ausstellungen in der Galerie Chert Lüdde in Berlin und im CCA Wattis Institute in San Francisco. Seine Installationen - er fügt Wände und architektonische Elemente in den Ausstellungsraum - sollen dem Besuchen bewusst machen, wie er den Raum einnimmt, insofern sind seine räumlichen Konfigurationen Übungen in Perspektive und Wahrnehmung.

Rodrigo Hernández (*1983 in Mexico City/Mexiko) studierte an der Jan Van Eyck Akademie in Maastricht und an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe.

Quellen: Homepage Rodrigo Hernández, Galerie Chert Lüdde, Galerie Madragoa, Gallerytalk, Essay von Diego Villalobos

alle Bilder © Rodrigo Hernández

 

2. Februar 2024 - 16:47

Cleaner, 2020 © Lin May Saeed

 

An Traurigkeit nicht zu überbieten ist diese dystopische Skulptur. "Cleaner/Reiniger" hat Lin May Saeed ihr Werk genannt. Es zeigt eine menschliche sitzende Figur mit Maske und Schutzanzug, die ein kleines Pferd streichelt, ihm den Rücken massiert. Unbeholfen, mit schützenden Fäustlingen geht der zärtliche Vorgang vonstatten. Das Pferdchen, ob tot oder lebendig, fühlt keine Körperwärme des Berührenden.

Obwohl weit entfernt von einer naturalistischen Darstellung macht die Skulptur ob ihrer Zärtlichkeit fassungslos. Zeigt sie die tödliche Hoffnungslosigkeit für die Tiere oder gibt sie Hoffnung auf ein geändertes verbindendes Tier-Mensch-Verhältnis?

 

Milo, 2023, Installationsansicht Georg Kolbe Museum @ Lin May Saeed, Foto Enric

 

Der trauernde Hund "Milo" mit gesenktem Kopf und gebückter Haltung aus weiß bemalter Bronze bildet die bewegende Begrüßungsskulptur zu Lin May Saeeds erster musealen Einzelausstellung in Deutschland, die noch bis zum 25. Februar 2024 im Georg-Kolbe-Museum zu sehen ist. Ihm zur Seite gestellt sind Arbeiten der Bildhauerin Renée Sintenis, womit ein interessanter Dialog entsteht. Die deutsch-irakische Künstlerin selbst ist nur wenige Tage vor der Eröffnung im Alter von 50 Jahren an den Folgen eines Gehirntumors verstorben. Schon der Ausstellungstitel "Im Paradies fällt der Schnee langsam“ verweist auf das sensible, melancholische und poetische Werk der Künstlerin, in dem Tiere ihre Würde wiedererlangen. Dementsprechend haben sich die Styroportiere in der zentralen Halle aus ihren Käfigen befreit.

 

Installationsansicht Georg Kolbe Museum © Lin May Saeed

 

Auch das "Pangolin" steht auf seiner Transportkiste, die ihm nun als Sockel dient. Es gehört zu den meist geschmuggelten Tieren und ist vom Aussterben bedroht. Anders als Marmor oder Bronze wird die Skulptur aus biologisch nicht abbaubarem Styropor seine lebenden Artgenossen überdauern. Sie steht zugleich als Mahnung für die Auswirkungen auf die Umwelt im Zeitalter des Anthropozäns.

 

Pangolin, 2020 © Lin May Saeed, Foto The Clark Art Institute

 

Viele Arbeiten wirken leicht und unbeschwert. Leicht sind sie tatsächlich, da fast alle Skulpturen aus Styroporresten gefertigt sind, die die Künstlerin auf Baustellen und Müll fand oder aus Restbeständen erhielt. Die Leichtigkeit des Materials machte es ihr möglich, in einem lebensgroßen Maßstab zu arbeiten, damit die Betrachtenden auf Augenhöhe mit einer tierischen - oder menschlichen - Figur sind. Die Leichtigkeit des Materials gab ihr aber auch Unabhängigkeit und Selbstermächtigung in der Männerdomäne der Bildhauerei, da es auch ohne starke physische Kraft einfach zu bearbeiten ist.

 

Sie arbeitet so lange mit dem Material, bis es antwortet, bis sich der Arbeitsprozess verselbständigt.

 

"Most animals have fur, feathers, scales or an exoskeleton, and depicting that sculpturally is a challenge. Every living thing moves almost constantly, and motion blur and vividness go together. Likewise, there is a blurriness when working with Styrofoam because of the materiality. Styrofoam is, first of all, block material and on closer inspection it has a smallest visible unit, namely small spheres. The fact that the naked eye can see the smallest unit I feel has a poetic quality. I like to imagine that they are atoms. I look for the productive interplay of these two blurs, the granularity of the material and the living things that emerge from it. And perhaps most crucially: I understand my works not as objects, but as subjects." (zit.n.The New Institute)

„Die meisten Tiere haben ein Fell, Federn, Schuppen oder ein Exoskelett, und das bildhauerisch darzustellen, ist eine Herausforderung. Jedes Lebewesen bewegt sich fast ständig, und Bewegungsunschärfe und Lebendigkeit gehen Hand in Hand. Auch bei der Arbeit mit Styropor gibt es aufgrund der Materialität eine Unschärfe. Styropor ist in erster Linie ein Blockmaterial und hat bei näherer Betrachtung eine kleinste sichtbare Einheit, nämlich kleine Kugeln. Die Tatsache, dass das bloße Auge die kleinste Einheit sehen kann, hat für mich eine poetische Qualität. Ich stelle mir gerne vor, dass es Atome sind. Ich suche nach dem produktiven Zusammenspiel dieser beiden Unschärfen, der Körnigkeit des Materials und den daraus entstehenden Lebewesen. Und vielleicht das Entscheidende: Ich verstehe meine Arbeiten nicht als Objekte, sondern als Subjekte.“ (übersetzt mit DeepL)

 

In den Werken von Lin May Saeed geht es um die Beziehung zwischen Mensch und Tier, um Tierrechte, Artensterben, Massentierhaltung. Doch anstatt nur das Leiden und den Tod der Tiere darzustellen, schuf die Künstlerin "Werke der Hoffnung". Es sind Werke, mit Gesten der Versöhnung. In einem Interview sagte sie dazu:

 

“What would be the alternative to peaceful images? I rarely reproduce the real, structural form of violence in which animals live and die behind closed doors. But I have respect for the artists who do. I would describe the kinder part of my artistic practice as works of hope. I have been working on the series The Liberation of Animals from their Cages since 2006.”

„Was wäre die Alternative zu friedlichen Bildern? Ich gebe selten die reale, strukturelle Form der Gewalt wieder, in der Tiere hinter verschlossenen Türen leben und sterben. Aber ich habe Respekt vor den Künstlern, die das tun. Den freundlicheren Teil meiner künstlerischen Praxis würde ich als Werke der Hoffnung bezeichnen. Seit 2006 arbeite ich an der Serie Die Befreiung der Tiere aus ihren Käfigen." (übersetzt mit DeepL)

 

Liberation of Animals from their Cages IV, 2008 © Lin May Saeed

 

Seit 2006 arbeitete Lin May Saeed an der Serie "The Liberation of Animals from their Cages”. Diese von hinten beleuchtete Arbeit thematisiert die Mitte der 1970er Jahre entstandene Tierbefreiungsbewegung. Sie basiert auf Vorzeichnungen, die auf Papier übertragen und dann ausgeschnitten und mit farbigem Transparentpapier ergänzt wurden.

 

St.Jerome and the Lion, 2016 © Lin May Saeed

 

Liberation of Animals from the Cages XVIII, Olifant Gate, 2016 © Lin May Saeed

Liberation of Animals from their Cages XX, 2017 © Lin May Saeed

Liberation of Animals from their Cages XXI, 2018 © Lin May Saeed

 

Die Stahltüren sind ebenfalls Teil von Lin May Seeds Befreiungsserie "Liberation of Animals from their Cages". Während der heilige Hieronymus den Dorn aus der Pfote des Löwen entfernt und Tierbefreier die Ketten (der Käfige) durchschneiden, hat der Hummer das Werkzeug, um sich selbst zu befreien, indem er das Metallgitter mit seinen Scheren aufschneidet.

Die harmonischen und zurückhaltenden Reliefs spielen in Lin May Saeeds Werk eine wichtige Rolle. Diese Zwischenform aus Skulptur und Malerei, Fläche und Raum zieht sich durch ihr gesamtes Werk.

 

Liberation of Animals from the Cages III, 2008 © Lin May Saeed

Liberation of Animals from the Cages VI, Asylum, 2009 © Lin May Saaed

 

Das Relief "Mureen/Lion School" ist in vier Ebenen unterteilt: Die oberste zeigt eine Löwin, die mit der Löwin auf der darunterliegenden Ebene mit dem poetischen Satz "Im Paradies fallen die Schneeflocken langsam" auf Arabisch ins Gespräch kommt und Inspiration für den Titel der Ausstellung im Georg Kolbe Museum war. Die Künstlerin verwendet immer wieder arabische Schrift in ihren Werken als Verweis auf die Familie ihres Vaters, der aus dem Irak stammte.

 

Mureen/Lion School, 2016 © Lin May Saeed

Teneen Albaher Relief, 2018 © Lin My Saeed, Foto Wolfgang Günzel

 

Lin May Saeed glaubte nicht, dass Kunst in einem moralischen und sozialen Vakuum funktioniert, sondern dass Kunst immer einen Raum der Bedeutung eröffnet. Von Anfang an hatten sie Gespräche mit Tierbefreiungsaktivisten, das Studium der Tierrechtsliteratur und aktuelle Debatten zum ausbeuterischen Tier-Mensch-Verhältnis beeinflusst. Ihre Sicht auf dieses Thema bestimmte ihre grundsätzlich konzeptionelle künstlerische Praxis. In dieser Hinsicht kamen Kunst und Politik in Ihrer Arbeit zusammen.

Doch im Gegensatz zu ihrem politischen Aktivismus, dessen Botschaft sie laut vorbrachte, verwendete Saeed in ihrer Kunst eine scheinbar naive, den Tieren entsprechende unschuldige Sprache, um Empathie zu wecken.

In einem Interview mit Arterritory sprach sie ausführlich darüber, dass ihre Fokussierung auf Tiere wahrscheinlich einer der Faktoren war, die sie lange daran gehindert hatten, ernst genommen zu werden. Sie reflektierte darüber, wieso die Einfühlung in Tiere in der Kunst selten ist, wieso sie mit ihrer friedlichen Kunst deeskalierend wirken will und wieso Tierrechtskunst kein weibliches, sondern ein politisches Thema ist.

 

Lyn May Saeed, Foto von arterritory

 

Lin May Saeed (*1973 in Würzburg/D, †2023 in Berlin/D) studierte von 1995-2001 an der Kunstakademie Düsseldorf unter anderem bei Tony Cragg. Trotz einiger Stipendien wurde ihr Werk erst in den letzten Jahren - im Rahmen des Diskurses über den Klimawandel - vom Kunstbetrieb vermehrt beachtet. Sie war ihrer Zeit voraus.

Quellen: Arterritory (Interview), Art Of Change (Interview), The New Institute (Interview), Galerie Nicoloas Krupp (Bildmaterial), Galerie Jacky Strenz, Galerie Chris Sharp, The Clark, Contemporary Art Library (Ausstellungsübersicht), Berlin Art Week

alle Bilder © Lin May Saeed

27. Juni 2022 - 10:36

o.T, 2020 © Quique Ortiz

 

Die Tiere haben in Quique Ortiz einen Verbündeten gefunden, der nicht nur durch seine Lebensweise und sein Engagement für sie eintritt, sondern auch seine Malerei zu einem Kampf für ihre Rechte macht.

Der Künstler ernährt sich seit Jahren vegan und versucht, wann immer er kann, an Kundgebungen oder Demonstrationen gegen Speziesismus (Diskriminierung auf Grund der Spezies) oder an Kursen und Workshops über Tierethik und Aktivismus teilzunehmen. Er arbeitet auch mit Tierheimen zusammen, die sich in einer prekären Lage befinden. Einen Prozentsatz dessen, was er mit seinen Kunstprojekten verdient, spendet er an Tierschutzorganisationen.

Schon als Kind hat Ortiz immer mit Tieren zu tun gehabt, und die Werte, die in seiner Familie vermittelt wurden, waren stets von Respekt und Gleichberechtigung gegenüber Tieren geprägt. Folgerichtig also, dass er zum Antispeziesismus fand, noch bevor er die Bedeutung des Begriffs und alles, was er beinhaltet, kannte. Für Ortiz ist der Antispeziesismus eine Haltung, die auf der gleichen Ebene steht wie jeder andere soziale Kampf, wie zum Beispiel der Kampf für Menschenrechte, gegen Rassismus oder Sexismus.

Seine ersten Erinnerungen an das, was er malte oder zeichnete, waren Tiere. Manchmal mochte er sie sogar mehr als die Menschen: "Ich sage immer, dass mein Lieblingsmensch ein nicht-menschliches Tier ist, nämlich mein Hund Asia".

Der Hund als solches spielt in Ortiz' Werk auch eine Hauptrolle. Er repräsentiert nicht nur die Werte eines domestizierten, schmeichelnden und treuen Tieres, sondern er symbolisiert auch Kampf, Stärke, zurückgehaltene Wut. In seiner figurativen Malerei und Zeichnung siedelt er seine Hunde in der intimen, dunklen und geheimnisvollen Nacht an, die kaum von Licht durchbrochen wird.

 

o.T, 2020 © Quique Ortiz

o.T, 2020 © Quique Ortiz

o.T, 2020 © Quique Ortiz

o.T, 2020 © Quique Ortiz

o.T, 2020 © Quique Ortiz

o.T, 2020 © Quique Ortiz

o.T, 2020 © Quique Ortiz

slow dogs, 2020 © Quique Ortiz

slow dogs, 2020 © Quique Ortiz

 

Es gibt eine gewisse Brutalität in seiner Arbeit, wie in der Existenz selbst, die schwer zu ertragen ist. Sein Werk ist nicht freundlich oder angenehm, sondern gewalttätig. Gewalt, Unzufriedenheit und Angst durchdringen es ebenso wie ein Aufruf zum Handeln oder zur Wachsamkeit. Die Arbeiten sollen bei den Betrachtern Spannungen und Unbehagen auslösen, um sie dazu zu bringen soll, Fragen zu stellen und andere Lesarten dessen, was im Bild geschieht, zu finden.

Neben dem Motiv des Hundes wählt Ortiz das zeitgenössische Thema des Tierschutzes als Ausdrucksform für seine künstlerische Arbeitsweise. So besteht das Projekt, das er in den letzten Jahren entwickelt hat, aus figurativen und realistischen Gemälden und Zeichnungen, die verschiedene Aktionen der Animal Liberation Front (ALF) dokumentieren. ALF ist der Name eines Kollektivs von Tierrechtsaktivisten, die sich mit gewaltfreien direkten Aktionen für die Befreiung von Tieren einsetzen. Dazu gehört die Rettung von Tieren aus Tierversuchslabors und die Sabotage und der Boykott von Industrien, die auf der Ausbeutung von Tieren durch den Menschen basieren. Die ALF dokumentiert Grausamkeit und Vernachlässigung, beschädigt Foltergeräte und befreit Tiere von Leid und Vernachlässigung, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen.

 

Lazzaro, 2019 © Quique Ortiz

De casta le viene al galgo © Quique Ortiz

Border collie © Quique Ortiz

Norway Beagle, 2018.© Quique Ortiz

Norway Beagle © Quique Ortiz

Spain perros © Quique Ortiz

Beagles © Quique Ortiz

Liberation is love © Quique Ortiz

 

Ortiz bedauert, dass unsere Gesellschaft diese mitfühlenden und mutigen Handlungen als illegal betrachtet und die Aktivisten in die Anonymität zwingt, wo sie sich hinter Sturmhauben verstecken. Die aggressive Ästhetik der Sturmhaube steht in krassem Gegensatz zu der Tatsache, dass das Ziel die Rettung wehrloser Tiere ist.

 

 

Balaclavas © Quique Ortiz

 

Ortiz sammelt die Vorlagen für seine Bilder aus dem Internet oder aus Zeitschriften, zuletzt verwendete er vor allem Archivbilder verschiedener Aktionen der Frente de Liberación Animal. Meist sind die Fotos von schlechter Qualität, was Ortiz als Freiheit zum Experimentieren nutzt: Er fügt Elemente hinzu oder lässt etwas weg, verleiht ihnen durch Malerei und Zeichnung mit seiner künstlerischen Arbeitsweise einen kollektiven Charakter. Er malt in der Regel mit Öl auf Leinwand, führt aber auch andere Techniken wie Acryl, Sprays und Marker auf Holz ein und zeichnet mit Graphit und Kohle auf Papier.

Ortiz Kunst ist nicht autonom, sondern im Gegenteil funktional, sie ist eine "Waffe", sie ist Aktion. Die Kunst und die Künstler spielen eine Rolle bei der gesellschaftlichen Umgestaltung - und zwar über den therapeutischen und beruhigenden Effekt hinaus, den der bloße Akt des Kunstschaffens für die Künstler selbst haben kann; Ortiz versucht mit seinem Kunstprojekt eine bestehende Situation, wie die Ausbeutung nicht-menschlicher Tiere durch den Menschen, öffentlich zu machen und gleichzeitig den Betrachter für dieses Problem zu sensibilisieren und eine Veränderung einzuleiten.

 

Street Art, Santander, 2020

 

Santander's Urban Art. Ein Graffiti von Quique Ortiz auf einer Mauer in Santander, Spanien, 2020. Der genaue Ort und weitere Fotos sind auf dieser Karte zu sehen.

Quique Ortiz (*1988 in Santander/Spanien) hat einen Abschluss in Bildender Kunst von der UPV/EHU und einen Master-Abschluss in künstlerischer Produktion und Forschung von der Universität von Barcelona UB. Ortiz war sowohl in Einzel- als auch als Gruppenausstellungen in Spanien, Portugal und Deutschland vertreten. Er lebt und arbeitet in Santander.

Quellen: Interview mit Quique Ortiz in Elemmental, Galeria Juan Silio

alle Bilder © Quique Ortiz

 

6. Dezember 2021 - 12:48

Linda Brant untersucht in ihrer künstlerischen Arbeit (Fotografie, Skulptur, Kunst im öffentlichen Raum und interaktive Projekte) die Art und Weise wie Menschen nichtmenschliche Tiere nach ihrem Tod ehren oder nicht ehren. Während Haustiere häufig betrauert werden, sterben "Nutziere", Wildtiere und Labortiere praktisch unbemerkt und unbetrauert. Was macht eine Tierart der Trauer würdig, eine andere unwürdig? Welche Auswirkungen haben unsere Werte und Urteile über nichtmenschliche Tiere auf die Menschheit?

In ihrem Pet Cemetery Project dokumentiert Linda Brant Grabsteine auf Haustierfriedhöfen in ländlichen und vorstädtischen Gebieten Floridas und kombiniert sie mit Bildern ausgebeuteter Tiere. Die Bildpaare weisen auf Ungereimtheiten und Widersprüche in unseren Beziehungen zu unterschiedlichen Tieren hin.

 

Gracie © Linda Brant

 

Die Künstlerin kombiniert ein Foto des Grabes von Gracie mit einem Bild von zwei Gorillas im Zoo von San Diego; die Mutter untersucht ein i-Pad, das in das Gehege gefallen ist.

 

Pepper © Linda Brant

 

Sie kombiniert das Foto des Grabes von Pepper mit einem Bild eines Zirkuselefanten, der auf einem Ball balanciert.

 

 

Mourned and Unmourned, ein interaktives Kunstprojekt, fand am 25. April 2015 in Orlando/Florida statt. Einmal im Jahr kommt die Gemeinde von Orlando zusammen, um ihrer verstorbenen Hunde zu gedenken. Dabei werden Papierlaternen mit Fotos, Zeichnungen und Botschaften verziert und in der Abenddämmerung auf den See gesetzt. Linda Brants Projekt fand im Rahmen dieser Veranstaltung statt. Sie recycelte die Papierlaternen von früheren Gedenkfeiern und schuf 68 Collagen, die die betrauerten Hunde und ihre fortdauernde Präsenz in unserem Leben darstellen. Doch was ist mit den nicht betrauerten und unbekannten Hunden?  2014 wurden 1583 Hunde von den Orange County Animal Services eingeschläfert.  Die Öffentlichkeit war eingeladen, der Künstlerin beim Aufhängen von 1583 Hundemarken zu helfen, die jeweils mit dem Wort Unknown beschriftet waren. Die Marken für die namenlosen Hunde hingen über den Collagen für die betrauerten Hunde: An alle wurde gedacht.

Auch wenn es nichts mit Hunden zu tun hat, möchte ich ein weiteres Projekt von Linda Brant vorstellen: Auf dem Hartsdale Pet Cemetery in New York hat die Künstlerin eine besondere Gedenkstätte für Nutztiere errichtet. Das Projekt To Animals We Do Not Mourn begann 2015, als Brant das erste von zwei Kreativitätsstipendien der Culture and Animals Foundation erhielt, deren Aufgabe es ist, Künstler und Stipendiaten dabei zu unterstützen, unser Verständnis und unser Engagement für Tiere zu fördern.

Das Mahnmal ist den Tieren gewidmet, die wir normalerweise nicht betrauern, den namenlosen Rindern, Hühnern, Truthähnen, Schweinen und Schafen. Es ist sowohl ein Mahnmal, ein Kunstwerk als auch ein eindringliches Statement für die Notwendigkeit einer größeren Achtsamkeit beim Umgang mit diesen Individuen.

Das Denkmal besteht aus einer sanft geschwungenen, aufrechten Granittafel mit einem gegossenen Rinderschädel in der Mitte.

 

Frontalansicht des Mahnmals © Linda Brant

 

Ein von Hand facettierter Quarzkristall ist an der Stelle platziert, wo das Bolzenschussgerät beim Töten zwischen die Augen geschossen wird. Der Kristall fungiert als Symbol und verwandelt den Ort des Schmerzes in einen Aufruf zum Mitgefühl.

 

Detailansicht des Mahnmals © Linda Brant

 

Das Denkmal wurde am 26. Oktober 2018 auf dem Hartsdale Pet Cemetery aufgestellt. Am 18. Mai 2019 enthüllen Mia MacDonald (Culture and Animals Foundation), Linda Brant und Ed Martin (Haertsdale Pet Cemetary) das Mahnmal. Es befindet sich in der Mitte des Friedhofs in der Nähe des War Dog Memorials, das 1923 aufgestellt wurde. Der 1896 gegründete Haustierfriedhof Hartsdale ist als "The Peaceable Kingdom" bekannt, weil dort alle Tierarten willkommen sind. Er ist der älteste bekannte Haustierfriedhof in den Vereinigten Staaten und steht auf der Liste des National Register of Historic Places.

 

Enthüllung des Mahnmals

Detailansicht des Mahnmals © Linda Brant

 

Jeder Besucher, der die Botschaft des Mahnmals unterstützt, kann einen Stein an seinem Sockel hinterlassen. Die Steine werden gesammelt und bilden die Grundlage für ein neues Mahnmal für die Unbetrauerten. 

Linda Brant lebt und arbeitet als bildende Künstlerin und klinische Psychologin in Orlando/Florida/USA. Sie unterhält eine Privatpraxis und lehrt am Ringling College of Art and Design und an der Saybrook University.

 

27. Juni 2021 - 10:54

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Sein Interesse an der Abkehr der Menschheit von der Natur begleitet den neuseeländischen Künstler Hayden Fowler seit seiner Kindheit. Der Wunsch, die Auswirkungen dieser Entfremdung zu erforschen, hat ihn für sein Studium und seine künstlerische Praxis motiviert. Hayden Fowler begann sein Studium der Biologie, Ökologie und Verhaltensforschung in seiner neuseeländischen Heimat, bevor er nach Sydney zur University of New South Wales Art & Design ging. In den folgenden sechs Jahren absolvierte er ein Studium der bildenden Kunst und begann, sich in der Kunstszene von Sydney zu etablieren. Er nutzt dabei seinen wissenschaftlichen Hintergrund für die Entwicklung seiner künstlerischen Projekte.

2018 absolvierte Hayden Fowler einen einjährigen Aufenthalt im Künstlerhaus Bethanien in Berlin, das sich der Förderung der zeitgenössischen bildenden Kunst widmet.

In seinen komplexen Installationen greift Fowler Ideen aus Biologie, Verhaltens- und Zukunftsforschung auf und schafft Versuchsanordnungen, die von Verlust, Hoffnung und der komplizierten, immer neu zu hinterfragenden Beziehung zwischen Mensch und Natur erzählen. Besonders geht er der Frage nach den kulturellen, spirituellen emotionalen und psychischen Auswirkungen des Artensterbens nach und erforscht, wie Umweltzerstörung ein Ausdruck des Verlusts unserer Beziehung zur Natur ist. Er setzt die Zerstörung der Umwelt mit der Degradierung der Kultur und der Denaturierung der Menschheit in Beziehung. Seine Arbeit und Forschung thematisiert die historischen Einflüsse, die dazu geführt haben ebenso, wie sie einen fiktiven Ausblick auf die Zukunft wagt.

Seine Praxis konzentriert sich auf die Schaffung detaillierter Sets und Dioramen, die Szenen von unberührten futuristischen Innenräumen bis hin zu postapokalyptischen Landschaften darstellen. In diesen aufwändigen Sets choreografiert er menschliche und tierische Subjekte. Methodisch verknüpft er innerhalb dieser fiktiven Räume verschiedene Medien, von Fotografie über Video bis hin zu Performance und Skulptur.

Zurzeit ist er mit einer Arbeit bei der Ausstellung "Ruhr Ding: Klima" vertreten. Ziel ist es, den durch theoretische, wissenschaftliche und journalistische Debatten geprägten Klimadiskurs, um künstlerische Sichtweisen zu ergänzen und zu erweitern. Auf dem Gelände der stillgelegten Zeche General Blumenthal in Recklinghausen legt Fowler eine künstliche Landschaft an. In einer geodätischen Kuppel - einem Gewölbe aus einer Vielzahl aneinandergefügter Dreiecke - sollen Pflanzenarten, die in der durch Schwerindustrie gezeichneten Region bereits ausgestorben sind, zu neuem Leben erwachen.

National und international bekannt wurde Hayden 2007 mit der Arbeit "Call of the Wild" bei der er sich ein Paar ausgestorbener Huia-Vögel über die gesamte Fläche seines Rückens tätowieren ließ. Bereits bei dieser Arbeit verschmolz seine Sorge über das zunehmende Aussterben von Pflanzen und Tieren mit seinem Bewusstsein für die Kraft der Performance-Kunst.

"Together Again" (2017) ist eine Virtual-Reality-Landschaftsinstallation und Live-Performance, die erstmals bei Performance Contemporary im Rahmen von Sydney Contemporary 2017, Carriageworks, Sydney, gezeigt wurde.

Die Beziehung zwischen Fowler und einem australischen Dingo wird nicht in seinem natürlichen Habitat, sondern im Kunstkontext gezeigt und erforscht.

 

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Der Dingo (Canis lupus dingo) ist ein Haushund, der schon vor Jahrtausenden verwilderte und heute in vielen Teilen seines Verbreitungsgebietes, vor allem in Australien, vom Menschen völlig unabhängig lebt. Er ist eine einzigartige Spezies mit einer bedeutenden Geschichte und einem bedeutenden Platz innerhalb des australischen Imaginären.

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Der Dingo und der Künstler besetzen während der vierstündigen Performance gemeinsam einen großen Käfig. Eine Virtual-Reality-Brille lässt Fowler in eine idyllische australische Landschaft eintauchen, während die Bewegungen des Dingos, der mit einem VR-Tracker ausgestattet ist, in die VR-Installation übertragen werden. So können Tier und Mensch in dieser digitalen Neuinterpretation der "Wildnis" "koexistieren".

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Der Titel "Together Again“ täuscht über die Trennung zwischen der virtuellen Welt (eine generisch schöne australische Outback-Landschaft) und der physischen Realität des Raums der Ausstellung und der Performance hinweg. Während der Dingo, der einen VR-Tracker trägt, und der Mensch, der eine VR-Brille trägt, den Käfig physisch durchstreifen, werden ihre Bewegungen direkt in der virtuellen Welt abgebildet.

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

The project has developed out of my ongoing concern with the accelerating process of extinction and the relationship between environmental loss and the depletion of human culture and qualitative experience. In particular, the project explores desires for reunion with nature, in the face of the looming impossibilities of this in a near-future world. Research in the development of the project explores indigenous world views, animism, biophilia and the ‘indigenous mind’ (a trait argued to be innate to all humans, instinctively desiring a communal relationship with the rest of nature) as counters to dominant Western thinking.(Hayden Fowler, 2017)

"Das Projekt hat sich aus meiner anhaltenden Beschäftigung mit dem sich beschleunigenden Prozess des Aussterbens und der Beziehung zwischen dem Verlust der Umwelt und der Verarmung der menschlichen Kultur und qualitativen Erfahrung entwickelt. Insbesondere erforscht das Projekt die Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung mit der Natur angesichts der sich abzeichnenden Unmöglichkeit einer solchen in einer Welt der nahen Zukunft. Die Forschung während der Entwicklung des Projekts erkundet indigene Weltanschauungen, Animismus, Biophilie und den 'indigenen Geist' (eine Eigenschaft, von der behauptet wird, dass sie allen Menschen angeboren ist, die instinktiv eine gemeinschaftliche Beziehung mit dem Rest der Natur anstreben) als Gegenpol zum dominanten westlichen Denken." (Hayden Fowler, 2017)

 

(Die Biophilie ist nach Erich Fromm die leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen. Edward O. Wilson definiert die Biophilie als "the innate tendency to focus on life and lifelike processes" (vgl. Wikipedia). Seine Idee wird auch zum Ausgangspunkt umweltethischer Überlegungen wie der Conservation Ethic, nach der das Leben und die Artenvielfalt bewahrt und geschützt werden sollte. Ich nehme an, dass sich Hayden Fowler darauf bezieht.

Über seine Motivation zu "Together Again" sagt der Künstler, dass sich die Welt mit einem drohenden Tod des Alten konfrontiert sehe, sowohl in der menschlichen Kultur als auch in der Umwelt, wo die verzögerten Effekte der Moderne und die Beschleunigung der technologischen Industrialisierung zum Tragen kämen. Wir befänden uns an einem kritischen Kipppunkt der Auslöschung und des Verlustes unserer uralten Beziehungen und unserer physischen Erfahrung der Natur und insbesondere der Wildnis.

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

Together again, 2017 © Hayden Fowler

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Fowlers Projekt wurde im März 2018 in der Zeitschrift Artlink vorgestellt. Im Editorial der Ausgabe stellt die Chefredakteurin Eve Sullivan einen Zusammenhang der Arbeit zu Barbara Creeds „Stray: Human-Animal Ethics in the Anthropocene“ her. Creed, die für ihren Beitrag zur Filmwissenschaft und zum feministischen Denken im Allgemeinen bekannt ist, hat in den letzten Jahren hat ihre Aufmerksamkeit auf das Leben nicht-menschlicher Tiere gerichtet und auf die vielfältigen Möglichkeiten, wie Menschen mit ihren nicht-menschlichen Verwandten umgehen, sie unterdrücken und von ihnen lernen können. Sie fordert gegenseitigen Respekt und Empathie, die darauf basieren, mit und nicht nur auf Tiere zu schauen.

In diesem Sinn kann man Fowlers Arbeit als künstlerische Übersetzung ihrer "Streuner-Ethik" - die Co-Abhängigkeit zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren in Zeiten der Bedrohung und Verlassenheit - bezeichnen.

Wahrscheinlich ist Ihnen auch sofort Joseph Beuys und der Kojote eingefallen. Da heuer Beuys 100. Geburtstag wäre, ist sein Werk auch in vielen Ausstellungen gegenwärtig. Auch Susan Ballard geht bei ihrer Beschreibung von Fowlers Performence kurz auf Beuys ein. Ich folge den Ausführungen ihres Aufsatzes "Heading for trouble: Non-human futures in recent art".

Inmitten des Lärms und des Verkehrs einer Kunstmesse gibt es in diesem abgeschlossenen Raum bei Sydney Contemporary eine einzige, weich gepolsterte Plattform, auf der sich Mensch und Dingo gemeinsam aufhalten. Trotz und vielleicht gerade wegen der räumlichen Beschränkungen stehen der Künstler und das Tier eindeutig in einer Beziehung der Intimität. Joseph Beuys' kämpferisches Einsperren von Mensch und Kojote in einem Galerieraum für die Aktion "I Like America and America Likes Me" (1974) wird hier durch eine Beziehung des scheinbaren gegenseitigen Nutzens ersetzt, die durch sanfte Berührung und langsame Bewegung definiert ist. Der Käfig erscheint trostlos, aber die virtuelle Welt ist erfüllt von Farbe, Licht und der scheinbaren Pracht der Natur, die durch Dingoaugen imaginiert wird. Doch auch die Grenzen dieser Welt sind offensichtlich; nachdem immer wieder dieselben drei Kakadus vorbeifliegen, flacht das visionäre Erlebnis ab. Fowler befindet sich innerhalb dieses Endspiels der Natur, die durch die flachen Ebenen der Wiederholung als ausgedünnte, künstlich destillierte Erfahrung abgebildet wird. Der reduzierten Erfahrung wird der restaurative Trost der Mensch-Dingo-Beziehung mit artübergreifender Kommunikation entgegengesetzt, der den Weg nach vorne weist.

 

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

 

 

Diese Arbeit wurde im Garage Museum in Moskau mit einer russischen Landschaft und einem europäischen Wolf wiederholt. Die Zuschauer konnten das VR-Erlebnis über einen Monitor verfolgen, der Fowlers Live-Ansicht übertrug.

 

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

 

Auch mit  "Captive born" (2020) zeigt der Künstler eine poetische, ritualbasierte Performance, die die Zukunft neu imaginiert und modelliert und versucht historische und systemische Machtstrukturen aufzudecken und aufzubrechen. Bereits der Titel zeigt die Herrschaft des Menschen über das Tier, in Gefangenschaft geboren und zumeist gestorben.
 

 

Captive born, 2020 © Hayden Fowler

 

Ein australischer Dingo - als Exponent einer immer noch erinnerten Wildnis - ist in einem antiquierten Zoo-Gehege eingesperrt. Das Gehege verweist auf die jüngere Geschichte menschlicher Herrschaft und Expansion, symbolisiert durch botanische und zoologische Sammlungen, die verblasste Überbleibsel der Aufklärung sind. Isoliert in seinem konkreten Lebensraum, kommuniziert der Blick des Tieres einen Widerstand gegen die Unterwerfung.

 

Hayden Fowler (*1973 in Te Awamutu/ Neuseeland) lebt in Berlin und Sydney.

 

1. September 2017 - 18:20

aus der Serie: In Bed © Lisa Strömbeck

 

Die schwedische Künstlerin Lisa Strömbeck zeigt in ihrer Fotoserie "In Bed" (2015) den physischen Kontakt zwischen Tier und Mensch im Bett. Die Schönheit von schlafenden, in sich ruhenden Lebewesen interessiert sie dabei ebenso, wie das Phänomen der Ruhe, das im Bett als stillsten und intimsten Ort seinen Ausdruck findet.

Entstanden sind Fotos, die Wärme, Vertrauen und Verbundenheit ausdrücken. Ist es nicht unmöglich, sich einsam zu fühlen, wenn der Hund, der uns vorbehaltlos liebt, neben einem atmet?

 

aus der Serie: In Bed © Lisa Strömbeck

aus der Serie: In Bed © Lisa Strömbeck

aus der Serie: In Bed © Lisa Strömbeck

aus der Serie: In Bed © Lisa Strömbeck

aus der Serie: In Bed © Lisa Strömbeck

aus der Serie: In Bed © Lisa Strömbeck

 

Das letzte Bild zeigt Lisa Strömbecks Mann Niels neben ihrem alten Hund Ivan, in dessen Lieblings-Schlafposition. Im Laufe seines fast sechzehnjährigen Lebens half ihr Ivan, ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit zurückzuerlangen, das sie aus ihrer Kindheit kannte, wenn sie sich neben ihrem Hund zusammenrollte.

Als die Künstlerin 2009 auf Meg Daley Olmerts Buch "Made for Each Other – the Biology of the Human-Animal Bond” stieß, fand sie endlich das bekräftigt, was sie ohnehin fühlte. Ihre Empfindungen wurden in neurowissenschaftlichen Forschungsergebnissen bestätigt:

Es macht den Menschen nicht nur glücklich mit einem Hund zu leben, es ist auch gesund. Das Streicheln des Hundes stabilisiert den Blutdruck, vermindert Stress und lindert Schmerzen. Wenn wir unseren Hund streicheln, erhöht das die Produktion des Hormons Oxycotin, das uns nicht nur vertrauen lässt, sondern alle sozialen Interaktionen beeinflusst.

Lisa Strömbeck (*1966 in Andrarum/Schweden) beschäftigt sich vor allem mit den Medien Fotografie, Video und Collage. Immer wiederkehrend ist das Motiv des Tieres und die Beziehung und Hierarchie zwischen Tieren und Menschen.

Die Fotoserie "Uniform" (2008/09) zeigt unter anderem Hunde, die von Menschen gehalten werden. Dabei ähnelt die Pelzbekleidung der Menschen dem Fell der Tiere in Farbe und Textur. Auf den ersten Blick sehen wir lediglich eine einheitliches und gleichförmiges Fellkonglomerat, ergänzt durch Hände, Zungen und Augen. Vordergründig betrachtet sind die Fotos witzig und formal sehr gelungen. Doch auf den zweiten Blick sind sie ein Beispiel dafür, wie der Mensch Tiere kategorisiert (Nutztiere, Haustiere, etc.) und kulturell unterschiedlich bewertet.

Denn darauf lenkt Lisa Strömbeck unser Augenmerk: Wir verwöhnen unsere Haustiere, den anderen ziehen wir das Fell ab. Während die Empörung groß ist, wenn in China Hunde und Katzen für Pelzverbrämungen auf Kapuzen getötet werden, ist es stiller, wenn es um Pelzfarmen geht, in denen die Tiere durch Elektroschocks im Anus langsam und qualvoll sterben. (Zu dieser Fotoserie gibt es auch einen Text auf der Website der Galerie Martin Asbaek von Jane Rowley.)

 

aus der Serie: Uniform © Lisa Strömbeck

aus der Serie: Uniform © Lisa Strömbeck

aus der Serie: Uniform © Lisa Strömbeck

aus der Serie: Uniform © Lisa Strömbeck

 

Auch "In Memory of All Those Who Work Without Ever Getting a Reward" (2007/08) ist eine dreiteilige Videoarbeit über Hierarchien und Machtstrukturen zwischen Mensch und Tier. Ein kleiner Hund muss eine Wurstscheibe auf der Nase balancieren, er muss hinter einem Haufen Wurst sitzen, die er nicht essen darf und er muss liegen bleiben, während auf seinen Pfoten Salamischeiben liegen.

Die Videos erscheinen fast wie Standbilder, so wenig bewegt sich der Hund. Doch gerade weil so wenig passiert, sind sie umso eindringlicher: Mich macht diese Dressur und das darin erkennbare Machtgefälle sehr traurig und betroffen - vor allem das dritte Video, in dem der Terrier immer wieder beschwichtigend zu (s)einem Menschen blinzelt. Da die Protagonisten vor und hinter der Kamera aber vermutlich Ivan und Lisa sind, bin ich überzeugt, dass der Hund eine großzügige Belohnung erhalten hat.

 

 

Alle drei Videos sind auch auf Lisa Strömbecks Homepage zu sehen.

alle Fotos © Lisa Strömbeck

 

18. Juni 2015 - 21:10

Ich möchte meinen vorletzten Blogbeitrag über Matt Brown, der Kettenhunde in den Appalachen fotografierte, zum Anlass nehmen, um Sie auf das Schicksal von Kettenhunden aufmerksam zu machen, die nur sehr selten in den Fokus unseres Interesses treten. Gleichzeitig will ich Ihnen das Projekt "Gefrorene Herzen - Grönlands traurige Schlittenhunde" des Tierschutzvereins "Robin Hood" vorstellen, das versucht, diesen vergessenen Hunden zu helfen.

Obwohl die Fotos in diesem Beitrag nicht primär unter künstlerischen Gesichtspunkten erstellt wurden, sondern der Dokumentation dienen, brauchen sie einen Vergleich mit Aufnahmen professioneller FotografInnen nicht zu scheuen. Marion Löcker (die Vereinsgründerin) ist als Tierrechtlerin auch eine tolle Fotografin. Aus jedem einzelnen Foto sprechen zudem Liebe und Respekt.

Mein Text folgt sinngemäß und sehr gekürzt ihren Projektbeschreibungen auf der Homepage von "Robin Hood".

 

Tassilaq und Kummiut in Ostgrönland, Foto: Marion Löcker

 

Grönland wird mit Eis, Schnee, mit endlosen Weiten und unberührter Natur in Verbindung gebracht - und natürlich mit Schlittenhunden. Mensch und Tier versuchen gemeinsam den Kampf gegen die Kälte zu gewinnen. Soweit die noch weit verbreitete romantische Vorstellung.

Die Realität sieht anders aus: Etwa 21000 Schlittenhunde, die so genannten Grönlandhunde, vegetieren unter unfassbaren Bedingungen vor sich hin. Sie verbringen ihr kurzes Leben in Ketten, werden kaum mit dem Lebensnotwendigsten versorgt, Wasser und Futter sind selten, menschliche Zuwendung gibt es überhaupt nicht. Viele verdursten an der Kette, Welpen sterben auf felsigem Boden. Die Schlittenhunde Grönlands leiden und sterben unbemerkt.

2007 ist Marion Löcker erstmals nach Grönland gereist, um sich ein Bild von der Situation vor Ort zu machen. Was sie gesehen hat, war deprimierend in seinen Ausmaßen: eine schreckliche, unbeschreibliche Verwahrlosung tausender Hunde. Wieder in Österreich, hat sie ein Hilfsprojekt ausgearbeitet, das Mensch und Tier helfen sollte. Den Hunden durch den Bau von kleinen Tierheimen für ausgerissene, alte oder kranke Schlittenhunde, den jungen Inuit durch die Möglichkeit eine Ausbildung als Tierpfleger zu erhalten oder durch den Bau von Hundehütten der Arbeitslosigkeit zu entkommen. Außerdem sollte eine große Aufklärungskampagne an Grönlands Schulen erfolgen.

Die Inuit kämpfen mit vielfältigen sozialen Problemen: Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Alkoholismus, Kindesmissbrauch, einer hohen Selbstmordrate. Unter diesen Umständen wird den Tieren keine Aufmerksamkeit zuteil, Tierschutz existiert nicht. Die jungen Menschen fühlen sich aufgerieben zwischen einer sterbenden Tradition und einer Welt, die sie aus Internet und Medien kennen.

 

Tassilaq und Kummiut in Ostgrönland, Foto: Marion Löcker

Tassilaq und Kummiut in Ostgrönland, Foto: Marion Löcker

Tassilaq und Kummiut in Ostgrönland, Foto: Marion Löcker

 

Viele Hunde bekommen nur unregelmäßig Wasser und Futter. Sie sind den Wetterwidrigkeiten schutzlos ausgesetzt. Ketten und Seile verwickeln sich, sodass Hundemütter nicht zu den Welpen kommen, die fiebernd in einer Erdhöhle vor sich hin jammern. 

 

Mama mit Kindern, Tassilaq und Kummiut in Ostgrönland, Foto: Marion Löcker

Tassilaq und Kummiut in Ostgrönland, Foto: Marion Löcker

Tassilaq und Kummiut in Ostgrönland, Foto: Marion Löcker

Kein Wasser, Tassilaq, Ostgrönland, Foto: Marion Löcker

Er sieht sehr schlecht aus, Tassilaq und Kummiut in Ostgrönland, Foto: Marion L

Tassilaq und Kummiut in Ostgrönland, Foto: Marion Löcker

Tassilaq und Kummiut in Ostgrönland, Foto: Marion Löcker

Tassilaq und Kummiut in Ostgrönland, Foto: Marion Löcker

 

Bis heute fährt Marion Löcker jedes Jahr nach Grönland um zu helfen, schreibt sie an Gott und die Welt, um auf die Schlittenhunde aufmerksam zu machen. Es erschienen Berichte in verschiedenen Medien, doch eine Änderung in Grönland bei den HundehalterInnen oder Behörden hatte dies nicht zur Folge. Erst 2012 kam der Durchbruch, als sie einen für Umwelt, Natur und Nachhaltigkeit zuständigen Beamten in Grönland kennen lernte, der sich für ihr Anliegen interessierte. Das Hüttenbauprogramm begann! Eine Wasserleitung zum großen Hundeplatz wird noch heuer gebaut.

 

Tassilaq, Ostgrönland, Foto: Marion Löcker

 

Ein weiterer Erfolg für die Hunde: Es werden gepolsterte Brustgeschirre hergestellt, die nach und nach die blutig scheuernden Seile ersetzen sollen.

 

Gepolsterte Brustgeschirre statt blutig scheuernder Seile werden hergestellt, Fo

 

Seit über 23 Jahren arbeitet Marion im Tierschutz, 2010 hat sie den Verein "Robin Hood“ gegründet, der vor allem osteuropäische Tierheime betreut und Kastrationsprojekte durchführt. Ich kenne sie seit 15 Jahren persönlich, durch sie bin ich auch zu meiner rumänischen Huskyhündin Hedy gekommen.

Hunderte Fotos auf Grönland entstanden, eines bewegender, erschütternder als das andere, manche aber auch Hoffnung machend. Zu sehen in vielen Alben auf der Facebook-Seite von "Robin Hood" (z.B. Gefrorene Herzen, Grönlands Schlittenhunde bekommen kaum Wasser, Schlittenhunde in Grönland). Auf der Homepage von "Robin Hood" können sie die Geschichte von Marions Einsatz für die Grönlandhunde nachlesen, auf Ihrem Blog erzählt sie, wie wichtig es ist, nie aufzugeben.

Ich kann nur "Danke“ sagen dafür, dass es Menschen wie Marion gibt. Menschen, die nicht locker lassen, die auf Tierleid mit Energie und Handeln reagieren und nicht in Trauer oder Gefühlen der Ohnmacht erstarren.

Und hier ist sie, Marion Löcker, die ihr Herz an die Grönlandhunde verloren hat.

 

Marion hat ihr Herz an sie verloren, Tassilaq und Kummiut in Ostgrönland

 

Wenn auch Sie den Grönlandhunden helfen wollen, können Sie das bei "4000 Bausteine für Grönland“ ganz konkret tun. Mit Ihrer Unterstützung erhalten die Hunde weitere Hütten, werden regelmäßig mit Wasser und Futter versorgt und medizinisch betreut; neue Ortschaften können in das Projekt einbezogen und der Schutz der Hunde sowohl flächenmäßig als auch qualitativ ausgedehnt werden.

 

9. Mai 2015 - 9:15

© Martin Usborne

Der Blick in eine Hundeseele - ein Foto voller Zärtlichkeit.

 

Wenn Sie zu den langjährigen LeserInnen meines Blogs gehören, können Sie sich vielleicht noch an Martin Usbornes Foto-Serie "Mute - The Silence of Dogs in Cars" erinnern, über die ich am 1. September 2011 geschrieben habe. Es war einer der ersten Beiträge überhaupt, die ich veröffentlicht hatte. Nicht zuletzt deshalb ist mir Martin Usbornes Arbeit, die ich mit großem Interesse verfolge, ans Herz gewachsen. Er gehört zu den Guten! Zu jenen, die ihre Kunst in den Dienst der Tiere stellen.

Jetzt freue mich ganz besonders, Ihnen sein neues Projekt vorstellen zu dürfen - ein Fotobuch, das auf das Leben und Sterben der spanischen Windhunde hinweist: Where hunting dogs rest. Dieses Buch stellt Porträts von geretteten Hunden neben Aufnahmen der Landschaften, wo die weniger glücklichen unter ihnen den Tod finden: in Schluchten und Flüssen, auf Landstraßen und dem freien Feld.

Sie können durch Unterstützung seines Projekts auf Kickstarter dazu beitragen, das Leid dieser Hunde bekannt zu machen und zu mindern. Mit seinem Fotobuch, in dem er die Schönheit und Würde dieser Tiere zeigt, möchte Martin Usborne diesen Hunden eine Stimme geben.

 

© Martin Usborne

© Martin Usborne

 

Jeden Winter werden in Spanien mindestens 30 000 Windhunde, die zur Hasenhetzjagd verwendet wurden, ausgesetzt oder auf barbarische Weise getötet, weil sie zu langsam oder zu alt sind. Vielen Besitzern ist es schlicht zu teuer, sie bis zur nächsten Saison zu behalten. Weltweit, aber auch in Spanien, ist deren qualvolles Dasein viel zu wenig bekannt oder es wird ignoriert.

Vor einigen Jahrhunderten waren diese wunderbaren Hunde die Gefährten der Könige und des Adels. Das Töten dieser Hunde war ein Verbrechen und wurde schwer bestraft. Heute werden der große Galgo und der kleinere Podenco zur Jagd auf Kleinwild eingesetzt. Nach der Saison werden die Hunde - nun selbst Opfer einer verkommenen Jagdtradition - mit Steinen um den Hals in Brunnen und Flüsse geworfen oder an Bäumen aufgehängt - eine besonders sadistische Form des Tötens, die Osborne hier beschreibt. Manche werden verletzt oder halb verhungert in Rettungsstationen aufgenommen und warten dort auf ein neues Zuhause.

 

© Martin Usborne

 

Es ist schwer zu sagen, wie viele Hunde unter diesen Zuständen leiden, da die Jagd in abgelegenen Gebieten stattfindet. Schätzungen sprechen von bis zu 200 000 Hunden jährlich. Das Tierheim 112 Carlota Galgos, in dem Martin Usborne fotografierte, und das nur ein kleines Gebiet abdeckt, bekommt täglich bis zu 90 Hunden.

 

White Galga © Martin Usborne

 

Martin Usborne, der auf seinen Reisen auch nach Spanien kam, reagiert auf diesen unerträglichen Zustand mit einem Fotobuch: Fotografieren ist das, wie er sagt, was er am besten kann. Das Buch selbst erzählt von der Schönheit und Eleganz der Tiere. Usborne stellt die Brutalität und das Leid nicht direkt dar, trotzdem ist es in den Hunden präsent. Sie sind nervös, schwach, scheu. Martin Usbornes Bilder nehmen die Tonalität und Stimmung von Gemälden Velázquez’ auf, geschaffen zu einer Zeit, als diese Hunde noch mit großem Respekt behandelt wurden.

   The work of this book is inspired by Velazquez. He painted at a time when these dogs were still revered and was born in an area where the dogs still hunt. His use of dramatic lighting and earthy colours provided a constant reference point and a reminder of these dogs' noble past. I hope that this images show something of the classical beauty and heritage of these dogs whilst not ignoring the ugliness of their modern situation.

 

© Martin Usborne

The smaller Podenco © Martin Usborne

 

Die Fotos wurden in Andalusien und Extremadura aufgenommen, wo die Hetzjagd üblich ist. Unerwünschte Hunde werden ausgesetzt, verbrannt, in den Flüssen ertränkt.

 

© Martin Usborne

© Martin Usborne

© Martin Usborne

 

Ein Teil des Bucherlöses kommt Tierheimen zugute. Neben dieser ganz konkreten Hilfe will Martin Usborne vor allem das internationale Bewusstsein erhöhen, um diese grausame Jagdtradition einzudämmen.

Auf seinem Blog "A year to help" beschreibt Martin Usborne seinen Versuch, in einem Jahr so viele Tiere zu retten wie möglich. Viele Tage beschäftigen sich mit "The rise and (almost) fall of the galgo"

Hier nochmals der Link zu Kickstarter, wo auch ein Video zum Projekt zu sehen ist.

Wenn Sie einen Galgo oder Podenco adoptieren wollen, können Sie sich an diese Rettungsstationen wenden: 112 Carlota Galgos und Fundatcion Benjamin Mehnert.

alle Fotos © Martin Usborne

 

17. April 2015 - 8:50

Midnight Strolls © Pooja Jain

 

Der indischen Fotografin Pooja Jain verdanken wir diese bewegenden Aufnahmen von Sabihah und ihren Straßenhunden, die von Liebe, Zärtlichkeit und Widerstand gegen die vorherrschende Haltung von Muslimen gegenüber Hunden erzählen. Die Fotoserie trägt den Namen "Midnight Strolls", denn Sabihah lässt ihre zehn Hunde nur in der Nacht zu gemeinsamen Spaziergängen aus der Wohnung. Da die meisten Muslime Hunde als sündig und unrein betrachten, ist es die einzige Zeit, in der sie vor Belästigung sicher ist.

 

Midnight Strolls © Pooja Jain

Midnight Strolls © Pooja Jain

Midnight Strolls © Pooja Jain

Midnight Strolls © Pooja Jain

 

Pooja Jain ist bei Ihrer Arbeit in einer Tierklinik durch den Tierarzt Dr. Ayoub M. Banderker auf die Debatte um Hunde und den Islam aufmerksam geworden. In seinem Aufsatz über Misshandlung und Vernachlässigung von Hunden (Animal Abuse and Welfare in Islam) beschreibt er, wie fehlende Information und Ignoranz die Grundlage von Tierquälerei und Tötungen bilden. Pooja Jains weiterführende Recherchen haben sie zu Sabihah geführt. Sie nimmt die gesellschaftliche Stigmatisierung auf sich, um das Leiden der Hunde zu mildern. Sie bewahrt nicht nur viele Hunde vor dem Verhungern und bringt ihnen Mitgefühl entgegen, sie versucht auch den Blick ihrer Mitmenschen auf die Hunde zu verändern. Gemeinsam mit örtlichen Tierschutzorganisationen ermutigt sie andere, Hunde aufzunehmen anstatt sie zu töten.

Ich habe die Pooja Jain auf feature shoot entdeckt, wo Sabihahs Arbeit umfassender dargestellt wird.

 

Alle Fotos © Pooja Jain

12. Januar 2015 - 15:50

Bis zum 18. Jänner 2015 zeigt das Wien Museum die Ausstellung "Wien im Ersten Weltkrieg - Stadtalltag in Fotografie und Grafik". Es werden die Auswirkungen eines Krieges, der weit vom Stadtgebiet entfernt stattfand, auf die Wiener Bevölkerung gezeigt, Flüchtlinge prägten den Alltag, Versorgungsengpässe und Hunger waren an der Tagesordnung. Kriegspropaganda und Realität klafften immer weiter auseinander.

Viele Frauen engagierten sich bei patriotischen Aktionen wie Wohltätigkeitsinitiativen, Spendenaufrufen, Sammeltätigkeiten. Die Postkarte und das Ausstellungsplakat zeigen eine Sammelaktion für das Rote Kreuz, ein Riesenschnauzer trägt die Spendenbox. Eine vergleichsweise harmlose Arbeit für einen Hund im Krieg.

 

Rote Kreuz Woche, Postkartenverlag
"Rote Kreuz Woche" vom 31. April – 6. Mai 1916, Postkartenverlag "Bediene Dich selbst",
© Wien Museum

Ausstellungsplakat © Wien Museum

 

Was Tiere im Ersten Weltkrieg zu erleiden hatten, hat Rainer Pöppinghege in seiner Kulturgeschichte "Tiere im Ersten Weltkrieg" erforscht. 

Da die Motorisierung 1914 noch lange nicht etabliert war, war die Nutzung von Tieren in allen Lebensbereichen völlig üblich. Als Reit- Last und Zugtiere waren Millionen Tiere während des Ersten Weltkriegs für die Fortbewegung von Menschen und Material unverzichtbar.

Auch Hunde sind in großer Zahl an der Front. Wegen des steigenden Bedarfs werden sie vielfach von Privatpersonen rekrutiert. In England wählen Tierschutzvereine taugliche Tiere aus. Sehr gute Augen, Ohren und eine hervorragende Witterung sind ebenso wie Gehorsam und Robustheit Grundvoraussetzungen für den Kriegsdienst. In "Kriegshundekursen" werden die Tiere zudem für ihren Einsatz ausgebildet. "Einige Wochen wurden darauf verwendet, die Hunde fit und schusssicher zu machen", erklärt der Kriegshistoriker Rainer Pöppinghege.

Deutschland verfügte - wie Großbritannien - über ein organisatorisch vorbildliches Militärhundewesen: Hunde für den Kontrollgang wurden darauf getestet, ob sie "schussfest" wären; d.h. ob es die Hunde schafften, auch bei lautem Gewehr- oder Artilleriebeschuss ihren Aufgaben nachzukommen.

Hunde warnten vor Giftgasangriffen - sie trugen auch Gasmasken -, Meldehunde legten kilometerlange gefährliche Wege zwischen den Gräben zurück, Hunde zogen kleine Karren und verlegten mit auf dem Rücken festgeschnallten Kabeltrommeln Feldtelefonleitungen. Sanitätshunde trugen Erste-Hilfe-Material und schlugen an, wenn sie einen Verwundeten fanden - für viele verletzte Soldaten waren die Vierbeiner Lebensretter. Auch bei der Bergung von Toten unterstützten Hunde die Soldaten und waren dabei selbst Todesgefahr ausgesetzt. Für die Hunde wurden eigene Lazarette eingerichtet.

Das Pferd war allerdings das zentrale Tier im Ersten Weltkrieg. Beim deutschen Feldheer standen zwischen 1914 und 1918 an die eineinhalb Millionen Pferde im Einsatz; betrug der deutsche Pferdebestand vor dem Krieg 4,7 Millionen Tiere, waren es nach dem Krieg nur noch 3,3 Millionen. Aus dem Krieg kehrte eine halbe Million britischer Pferde nicht mehr heim, die französischen Verluste betrugen eine Million. Insgesamt fielen acht Millionen Pferde dem Ersten Weltkrieg zum Opfer.

Während des Ersten Weltkrieges entstand in Deutschland auch eine radikale linke Tierschutzbewegung. Diskutiert wurde dort der Gnadenschuss für verwundete Pferde am Schlachtfeld - und noch grundsätzlicher, ob es einen Zusammenhang von Fleischkonsum im Alltag und der Bereitschaft zu militärischer Konfliktlösung gebe.

Tiere für menschlichen Belange wie Kriege auszunutzen und zu töten ist ethisch nicht vertretbar, die Schlussfolgerung die der Historiker Rainer Pöppinghege aus seinen Forschungen zieht, geht allerdings über die Kriegszeiten hinaus:

   Doch sollten wir nicht vorschnell urteilen über frühere Epochen oder ruchlose Militärs: Der zivile Alltag für viele Tiere ist in Zeiten der Massentierhaltung ungleich grauenvoller, quälerischer und todbringend.

 

Cover Tiere im Ersten Weltkrieg

 

Rainer Pöppinghege, Tiere im Ersten Weltkrieg, Eine Kulturgeschichte, 144 Seiten, Rotbuch Verlag, Berlin, ISBN 9783867892001

Quellen: Buchbesprechung auf oe1: Tiere im Ersten Weltkrieg, Süddeutsche Zeitung: Wie Front-Hund Stubby zum Helden wurde

 

Ich danke Erwin Lengauer, der mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht hat.