November 2024

25. November 2024 - 11:21

Marlene Fröhlich, Studio Supplement, 2024 © Marlene Fröhlich

 

Sehen Sie oben ein historisches Foto eines homosexuellen Paares mit Kinderersatz? Mitnichten! Es handelt sich um ein KI-generiertes Bild, das die Fotografin und Künstlerin Marlene Fröhlich aufwendig analog ausgearbeitet hat.

 

Ausstellungsansicht, Marlene Fröhlich, Studio Supplement, 2024, Foto Petra Hart

 

Ihre Absicht ist es, historische Leerstellen zu füllen. Trotz der unermüdlichen Arbeit von queeren und feministischen Historiker*innen, Archivar*innen und Aktivist*innen haben es nur wenige feministische und queere Bilder in das kollektive visuelle Gedächtnis geschafft. Es gibt also kaum historische Bilder z.B. homosexueller Paare. Marlene Fröhlich erfindet die fehlende diversere Vergangenheit mit Hilfe einer bildgebenden Künstlichen Intelligenz (KI): Eine Vergangenheit, die zwischenmenschliche Beziehungen zeigt, die nicht einer heteronormativen Vorstellung von Freundschaft und Liebe entsprechen; eine Vergangenheit voll von Menschen und Situationen, die unterdrückt und unsichtbar gemacht wurden – und es immer noch werden.

Präsentiert hat sie ihre Ergebnisse in der Ausstellung "In aller Freundschaft" im Dommuseum, das jährlich eine andere inhaltlich bestimmte Ausstellung bestückt. Die meisten Exponate sind zeitgenössisch, viele werden eigens für die Ausstellung angefertigt.

Marlene Fröhlich ordnet die vielen kleinen Schwarz-Weiß-Fotos ihrer partizipativen Installation an der Wand, sodass sie wirken als seien sie einem Familienalbum entnommen.

 

Ausstellungsdisplay, Studio Supplement, 2024, Foto Petra Hartl

 

Die Arbeit selbst ist einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen, da die Besucher*innen partizipieren können: In einem an der Wand montierten Briefkasten können Wünsche für Bilder von Freundschaft hinterlassen werden, die in der Geschichte und Gegenwart fehlen; ausgewählte Beispiele werden dann von der Künstlerin anstelle von anderen in die Installation integriert.

Wie wurde wohl der Wunsch zu diesem Foto formuliert? (Die Arbeit wurde mehr schlecht als recht von mir in der Ausstellung fotografiert).

 

Marlene Fröhlich, Studio Supplement, 2024,1, Foto Petra Hartl

Marlene Fröhlich, Studio Supplement, 2024,2, Foto Petra Hartl

 

Als "Studio Supplement" lädt die Künstlerin die Öffentlichkeit ein, Wünsche auch über Instagram einzuschicken. Anschließend konfrontiert Fröhlich die zutiefst voreingenommene und englischsprachige KI mit spezifischen Anfragen und übersetzt so die eingesendeten Texte in Bilder. "A cyanotype of an interracial couple of two trans masculine people kissing on a couch, 1940". "„A polaroid lesbian couple taking a self-portrait, 1970". Das Ziel ist es, eine möglichst genaue Darstellung dessen, was gewesen sein könnte, zu generieren. Dabei wählt Fröhlich für jede Zeitspanne unterschiedliche fotografische Methoden: von kleinen fotografischen Visitenkarten (Cartes de visite) zu großformatigen Polaroids.

"A tintype of a man in a ball gown, 1860", also ein Mann im Ballkleid, ist eine zu schwierige Aufgabe für die KI. Das erzeugte Bild zeigt einen Mann mit einem Ball in den Händen.

Die Künstlerin entwickelt jedes KI-generierte Foto als Unikat in verschiedenen Verfahren und Formaten auf abgelaufenen und auslaufenden Vintage-Materialien.

Marlene Fröhlich arbeitet selbstständig als Fotografin und studiert transdisziplinäre Kunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Ihre künstlerische Praxis umfasst eine Vielzahl von Materialien und Formaten, darunter Keramik, analoge Fotografie, KI und Konzeptkunst. Mit einem intersektional feministischen und queeren Blick erforscht Fröhlich, was hätte sein können, rückt das Unsichtbare in den Fokus und schafft spielerische, aber zugleich sensible Erzählungen.

Die Ausstellung "In aller Freundschaft" ist noch bis zum 24. August 2015 im  Dom Museum Wien zu sehen.

Quellen: Die Angewandte, Studio Supplement/Marlene Fröhlich, Text Alina Strmljan
 

Ausstellung, Fotografie
18. November 2024 - 10:10

Collective Monologue

 

Der Dokumentarfilm "Collective Monologue" der argentinisch-britischen Regisseurin Jessica Sarah Rinland ist eine Nahaufnahme von Tieren in Zoos, Tierheimen und Auswilderungsstationen und deren Beziehung zu den Menschen, die sich um sie kümmern. Manche der Arbeitenden (zumeist Frauen) haben über Jahrzehnte ein besonderes Band zu ihren animalischen Schützlingen entwickelt und widmen ihnen ihre ganze Zeit und Kraft.

Ich habe diesen Film bei der heurigen Viennale gesehen, und was mir vom Film primär in Erinnerung bleibt, ist große Zärtlichkeit, Zuneigung und das Verständnis zwischen Tier und Mensch. Fest macht das die Regisseurin vor allem an den Großaufnahmen streichelnder und massierender Hände. Affen strecken die Hände durch die Zäune und Gitter und fordern Liebkosungen ein. Wie innig das Band der Beteiligten ist, zeigt die Regisseurin z.B. dann, wenn im Moment der Berührung zwischen Maca, der Pflegerin, und Venus, einem Brüllaffen, deren Haare miteinander verschmelzen. Sie werden zu ineinander verschlungenen Körpern. Mit Szenen wie dieser gelingt es ihr, dass der Zuseher keinen Unterschied zwischen den Spezies fühlt.

 

 

Atemberaubend ist das blinde Vertrauen, das die Tiere den Pflegerinnen entgegenbringen: der Rüssel, der zur Fütterung durch das Gitter gesteckt wird und mehr Futter einfordert; der Elefantenfuß, der die Fußpflege geduldig mitmacht.

 

Collective Monologue
Bei der Pediküre!

 

In die Warmherzigkeit der Begegnungen zwischen Tier und Pfleger mischt sich allerdings auch Traurigkeit und Verzweiflung, ob der Gefangenschaft der Tiere, die Institutionen wie Zoos eigen ist.

 

"Es ist eine Welt der Mauern, Gräben und Gitter, durch die sich in einer der sorgsam beobachteten Szenen zaghaft eine Hand schiebt." (moviebreak)

 

"Collective Monologue" stößt nicht nur Debatten über die implizite Gewalt des Zoos auf, sondern zeigt auch, wie die Pflegenden als Teil des Systems, das sie zu verbessern versuchen, in diesem Konstrukt gefangen und ihm ausgeliefert sind. (vgl. moviebreak)

Der langsame und bedächtige Film gibt denjenigen eine Stimme, die keine haben, und beleuchtet die Realitäten, die oft von der Dominanz des Anthropozäns überschattet werden. Er gibt aber auch den wenig gesehenen und unterschätzten Menschen, deren Leben ihrer Pflege gewidmet ist, Raum.

 

Collective Monologue

Collective Monologue
Flamingos vor der Auswilderung

 

Ein Teil des Films widmet sich dem Zoo von Buenos Aires, bevor er 2016 geschlossen und als Öko-Park neu eröffnet wurde. Er gehört zu den ältesten der Welt und wir sehen die Renovierung der alten Gebäude in unterschiedlichen historischen und Nationalstilen. Als der Zoo 1888 gegründet wurde, sollten die Besucher anhand der Architektur sehen, woher die Tiere stammen, was zu absurden Ergebnissen führte, so lebten die afrikanischen Elefanten in einem hinduistischen Tempel. Auch bei der Darstellung der Renovierung liegt ein Augenmerk auf den Händen der Restauratoren, die Tierfiguren geduldig und aufmerksam ausbessern.

 

Collective Monologue

 

Die Regisseurin verwendet eindringliche poetische 16-mm-Nahaufnahmen auf Gesicht und Hände beim Filmen der Tiere, die durch ihre bedächtigen Handlungen den Rhythmus des Geschehens bestimmen und unser Augenmerk auf ihre Interaktionen lenken. Nur die automatischen Nachtaufnahmen zeigen Begegnungen zwischen den eingeschlossenen Tieren und ihren Pflegern aus einer gewissen Entfernung.

Die Interaktion erfolgt auch durch liebevolle Wendungen wie reina mía (wörtlich "meine Königin"), te amo ("ich liebe dich") oder con amor ("mit Liebe"), kleine Momente des Einfühlungsvermögens, die zu Manifesten der Empathie werden.

Auch die Tiere "sprechen", der Akt des Zuhörens erfordert allerdings Aufmerksamkeit für Wahrnehmungsweisen jenseits der verbalen Kommunikation. Diese "Anti-Sprache" schlägt sich in einem stärker verkörperten Kino nieder und in der Bedeutung der Unmittelbarkeit des Augenblicks, der Beobachtung der flüchtigen Momente. Worauf es ankommt, ist die Fähigkeit, Tiere so zu akzeptieren, wie sie sind, mit all ihren Vorzügen und Fehlern, in einem Akt des uneigennützigen Verständnisses, der auf Zärtlichkeit und Liebe beruht.

 

Collective Monologue

 

Maca nimmt in der Schlussszene das kleine Äffchen Juanita in den Arm, das in einer Ecke kauert und zu schwach scheint, um sich zu bewegen, Ein Träne rinnt über die Wange der Pflegerin - vielleicht als vorweggenommene Trauer für das alte Tier – und gerinnt zur Essenz des Films, die in der reinen Unmittelbarkeit der Existenz wurzelt: Die physische Distanz zwischen Mensch und Tier wird unbedeutend; was zählt, ist der tiefe und intensive Charakter des Kontakts und die Aufrichtigkeit einer scheinbar einfachen Geste, die sich zu einem Moment der Katharsis entwickelt.

Der schöne ruhige Film mit seinen intimen Porträts von Tier und Mensch und deren Gefühl der Harmonie und Freundschaft wirkt lange nach.

Quellen: moviebreak, cineuropa, variety

Film, Tierschutz und Tierrechte
12. November 2024 - 11:36

Die schwarzen Hunde, 2005 © Annedore Dietze

 

Kampfhunde stehen, laufen und springen uns aus ihren dunklen Hintergründen entgegen. Die Hunde, in höchster Anspannung und Verausgabung dargestellt, werden in Annedore Dietzes kraftvoller Malerei zu Motiven von Vitalität, zu Chiffren von Stärke und Gewalt. Die Arbeiten aus 2005 sind sehr klein (24,5 cm x 21 cm) und übermalte Radierungen (Radierung, Tusche, Acryl auf Papier).

 

Die schwarzen Hunde 2, 2005 © Annedore Dietze

Die schwarzen Hunde 3, 2005 © Annedore Dietze

Die schwarzen Hunde 4, 2005 © Annedore Dietze

Die schwarzen Hunde 5, 2005 © Annedore Dietze

Die schwarzen Hunde 6, 2005 © Annedore Dietze

 

Die expressive Malerin beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit der Körperlichkeit und allem Lebendigem in seiner Wildheit und Unberechenbarkeit, seinem Werden und Vergehen. Menschen zeigt sie von ihrer (selbst)zerstörerischen Seite: im Boxkampf, beim Sumoringen. Die Männer haben nackte Oberkörper und Tattoos. Dergestalt findet sich in ihrer Kunst ein existenzielles Konzept des Menschen und seines Körpers - rau und unmittelbar sowie gleichzeitig verletzlich und geheimnisvoll.

 

"Es ist immer die Natur, die mich begeistert und der Körper. Das Existenzielle. Nicht bestimmte Handlungen von Menschen, aber Körper die da sind. Einfache Kompositionen haben mich immer interessiert. In der Natur das Komplexe, das Rauschhafte. Das was ich möchte, ist eine Malerei zu erzeugen, die begeistert. Die Leute wollen meistens eine Geschichte, oftmals ist die Malerei an sich für viele unzugänglich. Aber das ist der Punkt an dem Malerei einsetzt." (Annelore Dietze in einem Interview mit Valeria Drotskaja)

 

In diesem Interview erzählt die Künstlerin, dass sie in ihrem Innersten daran interessiert ist, die substanzielle, brutale und auch zeitgemäße Malerei zum Vorschein zu bringen. Annedore Dietze erzählt also keine Geschichten, sie bleibt auf Distanz zu ihren Motiven, die nur Anlass für die Malerei an sich sind. Themen ihrer Gemälde sind die Volumen, Flächen, Linien und der Raum. In ihren Bildern sucht die Künstlerin nach halb abstrakten, halb gegenständlichen Lösungen für Volumen und Formen, die in ihrer Anordnung und räumlichen Erscheinung eine ganz eigene Sprache sprechen. (vgl. Interview)

Die Kunstwerke "sollen nicht mehr als den gezeigten Augenblick abbilden, doch sie erscheinen beseelt und sind damit nicht nur Körper, sondern auch Leiber im Sinne des philosophischen und anthropologischen Diskurses, der beiden Begriffen verschiedene Bedeutungsebenen zuordnet." (Susanne Greinke zit. n. hier)

 

Hund, 2001 © Annedore Dietze

 

Die Künstlerin abstrahiert und  verfremdet die figürliche Darstellung, sie zeigt nicht reine abstrakte Formen, sondern eine collagenartige Malerei mit Elementen, die man wiedererkennt, wie z.B. einem Tierkopf. "Eine reine chaotische Geste wäre mir zu wenig. In einem Bild will ich organisierte Hierarchien von Bildelementen verknüpfen. Es gibt eine übergeordnete Form, der sich die anderen Elemente unterordnen." (interview)

In der formalen Herangehensweise an ihre Gemälde liegt auch die Bedeutung der Zeichnung begründet, die mit Handwerk zu tun hat. Als Studien für ihre Bilder zeichnet sie wieder und wieder Videostills vor dem Fernseher, um sich in der Figuration sicher zu werden. Diese Sicherheit macht sie unabhängig von technischen Hilfsmitteln wie dem Beamer, der heutzutage oft benützt wird. Wenn Bilder mit Beamer hergestellt werden, bleibt eine oberflächliche, dünne Ausstrahlung von dem Bild selbst. Dietzes zeichnerisches Abarbeiten an der Figur, ihr solides Handwerk, wird auch in Ihrer Malerei als ganz eigene Qualität sichtbar.

Zusätzlich zum Können und der Beherrschung der Materie tritt die Idee: Das Leben, das auf einen einströmt, sowie die Ängste und die Verzweiflung der Menschen. Der Wille zur Kreativität. (vgl. interview)

 

Hund A. 2, 2011 © Annedore Dietze

o.T. (Hund), 2014 © Annedore Dietze

 

"Das Ideal ist natürlich das Wie malen und das Was malen miteinander zu verbinden." (Interview) Die Verbindung von Inhalt und Form erfolgt durch die Verdichtung, die aus dem Chaos erwächst. Die Verdichtung erfolgt über die immer wiederkehrende Korrektur. Der Blick hinter das Offensichtliche eröffnet bei Annedore Dietze Abgründe - das Unkontrollierte und Unkontrollierbare scheint durch, Libido und Emotion, rohe Energie brechen sich Bahn und eröffnen, was sonst lieber versteckt oder verdrängt wird.

 

Race, 2019 © Annedore Dietze

The Great Dictator and his dogs, 2023 © Annedore Dietze

The mourning of the dogs, 2023 © Annedore Dietze

Madhouse, 2024 © Annedore Dietze

As you like it, 2024 © Annedore Dietze

 

Erst nachdem ich diesen Beitrag geschrieben hatte, erhielt ich das antiquarische Buch "Corpus", das zwei Jahrzehnte bildnerischer Erforschung versammelt. (Kerber Verlag)

 

Cover Corpus

 

Schauen Sie nur, was Hedy in der Publikation entdeckt hat!

 

Hedy entdeckt die Huskys in Annedore Ditzes Katalog
 

 

Annedore Dietze (*1972 in Bischofswerda bei Dresden/ehem. DDR) studierte in den 1990er Jahren Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. 1999 absolvierte sie in London am Chelsea College of Art & Design ihren Master of Arts. Sie  hat zahlreiche Preise und Stipendien erhalten, die sie unter anderem nach Italien führten. 2012 bis 2019 reiste sie mehrfach für längere Zeit ins Ausland, darunter auch nach China, in die USA, Ägypten, Kambodscha und Mexiko. Annedore Dietze lebt und arbeitet in Berlin.

alle Bilder © Annedore Dietze

 

Buch, Collage, Malerei, Zeichnung