Februar 2025

24. Februar 2025 - 10:45

Bruce, 2022 © Simone Kennedy Doig

 

Was für ein wunderschönes, melancholisches Bild von Bruce! Der große Hund steht am Rand eines Swimming-Pools, eine Frau ruht in Rückenlage auf dem Wasser hinter ihm. Die Körperformen der beiden ergänzen einander. Die menschliche Figur ist in zartes Blau getaucht, nur der Kopf befindet sich über dem Wasser.

Die Künstlerin, Simone Kennedy Doig, Tochter des Künstlers Peter Doig, verbrachte die ersten acht Jahre ihres Lebens in East London, bevor sie mit ihrer Familie nach Trinidad zog. Später kehrte sie nach London zurück und schloss ihr Studium an der Slade School of Fine Art ab.

2018 kehrte sie nach Trinidad zurück. 2020 entstanden dort, in den drei Monaten nach dem Tod ihrer Mutter und als der Lockdown begonnen hatte, die Schwimmbadbilder. Da sie das Anwesen nicht verlassen konnte, erlebte sie dort gemeinsam mit ihren Geschwistern diese einzigartige und besondere Zeit der Trauer. Sie fertigte Zeichnungen und Malereien ihrer Familie rund um das Haus und den Pool an. Dieser wurde zu einem Symbol für die Leere, die Abwesenheit der Mutter.

Vielleicht spürt man den Schmerz über das Sterben der Mutter auch in "Bruce", versinnbildlicht die Figur mit ihrer kalten bläulichen Hautfarbe den Tod und die Vergänglichkeit. Die formale Stilisierung erinnert mich entfernt an Gemälde des Jugendstils, der auch eine Vorliebe für Wasser als Imaginationsraum, Sehnsuchtsort und Todesschlund hatte.

 

Bruce, Detail, 2022 © Simone Kennedy Doig

Indigo House, 2020 © Simone Kennedy Doig

 

Wie groß die Swimmingpool-Bilder sind, sieht man an der Ausstellungsansicht der Galerie Baert zu "Waist Deep" von 2022.

 

Ausstellungsansicht Galerie Tanya Leighton, The Visitor, 2023

Bruce © artrabbit
... und hier ist Bruce! Foto von artrabbit

 

"Under the Golden Arches (City Road)" von 2018 zeigt ein typisches Bild von Simone Kennedy Doig: detailreiche, narrative Straßenansichten aus East London, wo viele Einwanderer aus Trinidad leben. Auch eine Spaziergängerin mit Hund ist dabei. Die Künstlerin verwendet gesättigte Farben und stellt ihre Figuren vereinfacht und skulptural dar. Auf den ersten Blick erkennen wir ein Durcheinander an fast lebensgroßen Figuren, die ins Bild treten oder frontal herausschauen. Auf den zweiten Blick wie wichtig der Künstlerin Augen und Blickrichtungen sind.

 

Under the Golden Arches (City Road), 2018 © Simone Kennedy Doig

 

Als permanent Reisende zwischen Trinidad und London verarbeitet Simone Kennedy Doig ihr Leben in Form einer tagebuchartigen künstlerischen Zusammenschau. Ausgangspunkt bilden Handy-Schnappschüsse, mit denen sie ihre Eindrücke und Beobachtungen festhält.

 

© Simone Kennedy Doig

 

Quellen: Galerie Tanya Leighton, Galerie Baert

alle Bilder © Simone Kennedy Doig

 

Malerei
17. Februar 2025 - 10:55

1925 prägte der junge Mannheimer Kunsthallen-Direktor Gustav F. Hartlaub mit seiner legendären Ausstellung den Begriff "Neue Sachlichkeit" und bezeichnete damit den kulturellen Aufbruch in Kunst, Architektur und Literatur, der als Reaktion auf die großen politischen und sozialen Umwälzungen der 1920er Jahre gelten kann. Zurzeit findet in Mannheim die Ausstellung "Die Neue Sachlichkeit - ein Jahrhundertjubiläum" statt, die Hartlaubs Leistung würdigt, aber auch um das Schaffen von Künstlerinnen ergänzt.

Dass in der Neuen Sachlichkeit auch Hunde immer wieder Thema waren, habe ich schon am Beispiel des Österreichers  Franz Sedlaczek gezeigt. Doch auch die deutschen Maler zeigten das Alltags- und Familienleben mit Hund. Den "Beweis" dafür lieferte mir Sofie Morin, die mich auf die Mannheimer Ausstellung aufmerksam machte und mir zwei Bilder von Fred Goldberg und Carlo Mense schickte.

Vor über 100 Jahren unterschied  Gustav F. Hartlaub zwei Flügel der Neuen Sachlichkeit: eine konservative, "rechte", an Renaissance, Klassizismus und den Nazarenern orientierte Malerei, und eine  "linke", veristisch-sozialkritische Richtung, als deren Hauptvertreter George Grosz und Otto Dix gelten. Sowohl Fred Goldberg als auch Carlo Mense zählen zu den Klassizisten.

Zu Fred Goldberg habe ich sehr wenig Information gefunden. Er wurde  1889  in  Berlin geboren und lebte dort als autodidaktischer Maler  und Graphiker. Als jüdischer Künstler flüchtete er vor den Nazis nach Shanghai und emigrierte nach dem 2. Weltkrieg in die USA, nach San Francisco. Er starb 1973.

 

Sonntagnachmittag, 1930 © Fred Goldberg

 

Sein Gemälde "Sonntagnachmittag" von 1930 zeigt ein nüchternes Spießer-Idyll, bei dem sich der messerscharfe Realismus der Darstellung bis ins kleinste Detail erstreckt: Die im Vordergrund angeschnittene Zeitung gab es wirklich; es ist die im Deutschen Verlag, Berlin, erschienene "Sonntagszeitung für Stadt und Land" mit dem Titel "Die Grüne Post", deren Ausgabe Nr. 25 tatsächlich den röhrenden Hirsch auf dem Titelblatt zeigte. Auch die Ausgehkleidung des älteren Ehepaars (Eheringe) ist mit abnehmbarem Stehkragen, Melone, Stockschirm, Damenhut und Kombineige gut getroffen. Die Frau liest, Mann und Hund schauen in die Ferne. Der Hund scheint angespannt und zum Sprung bereit. Angeordnet ist die Szene in Dreiecks- bzw. pyramidaler Komposition.

 

Familienbild, 1925 © Carlo Mense

 

Nach Jahren der bildnerischen Experimente und formaler Innovationen wendet sich Carol Mense in den zwanziger Jahren der Gegenständlichkeit zu. Bei seinem "Familienbild" von 1925 ist der Anklang an die Renaissance mit ihren Mariendarstellungen in Dreieckskomposition auffällig. Auch die Kleidung ist zeitlos und madonnenhaft. Formal setzt er auf fast schablonenhafte Vereinfachung. Die Dargestellten sind durch maskenhafte Stilisierung und emotionale Erstarrung gekennzeichnet. In dieser Familie ist jegliche Beziehung verloren gegangen -  alle vier haben eine unterschiedliche Blickrichtung. Die aufziehende Dunkelheit korrespondiert mit der Verlorenheit der Figuren.

Unten sehen sie ein Foto von Carlo Mense mit seinem Hund von 1928. Gut möglich, dass der jüngere Hund Modell für das Familienbild stand. Das Foto stammt von hier.

 

Carlo Mense mit Hund, 1928

 

Carlo Mense (*1886 in Rheine/D - †1965 in Königswinter) studierte von 1906 bis 1908 an der Kunstakademie Düsseldorf und schloss 1910 nach Studienaufenthalten in Berlin, Weimar und München seine Ausbildung ab. Ab 1912 begann eine rege Ausstellungstätigkeit, ab 1914 war er Soldat im Ersten Weltkrieg. 1920 zog er nach München, hielt sich aber oft in Italien auf. Von 1925 bis 1932 wirkte Carlo Mense als Professor an der Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau und leitete bis zur Schließung der Akademie mehrere Fachklassen.

Im Nationalsozialismus war er zunächst weiterhin erfolgreich tätig, galt aber ab 1937 als "entartet" und zahlreiche seiner Gemälde wurden aus öffentlichen Sammlungen entfernt und vernichtet. Als Soldat aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt, musste Mense 1944 aus dem Nichts eine neue Existenz aufbauen, da sein Kölner Atelier vollständig zerstört worden war. Er zog sich nach Bad Honnef am Rhein zurück, wo er ein eher durchschnittliches Spätwerk schuf.

Die Ausstellung "Die Neue Sachlichkeit" ist noch bis zum 9. März 2025 in der Kunsthalle Mannheim zu sehen.

 

Ausstellung, Malerei
11. Februar 2025 - 11:27

Der dritte Schwarze Künstler fast in Folge, den ich Ihnen vorstellen will, ist Amokao Boafo. Er ist mit Abstand der bekannteste. Ihm kommt das gesteigerte internationale Interesse an afrikanischer Kunst im Zuge von Repräsentationsdiskursen und Neuaufstellungen in Museen und Großkunstausstellungen entgegen.

Blauschwarze Haut oder asymmetrische Augen waren die Alleinstellungsmerkmale von Annan Affotey und Sesse Elangwe. Amokao Boafos Arbeiten kann man ab etwa 2017 auf Grund seiner Fingermaltechnik wiedererkennen, mit der er die Gesichter und Körper seiner Figuren modelliert und die zu einer unverwechselbaren Textur führt.

Amoako Boafo gilt als eine der wichtigsten Vertreter einer neuen Generation Schwarzer Kunstschaffender. Er thematisiert in seinen Arbeiten das gegenwärtige Bild von Schwarzem Selbstverständnis und Selbstwahrnehmung, indem er ausschließlich Personen der Black Community darstellt.

 

Black Skin White Mask, 2016 © Amoako Boafo

 

Er ist wohl auch derjenige, der auf der Klaviatur von Postkolonialismus, Identität und Queerness am erfolgreichsten spielt, seit er sich an der Wiener Kunstakademie, an der er ab 2014 studierte, auf seine Identität besann und sich intensiv mit schwarzer Literatur und Theorie befasste. Er winkt diesbezüglich nicht nur mit dem Zaunpfahl, sondern weist mit der Brechstange darauf hin. Im Selbstporträt "Black Skin, White Masks" (2016) hält er das gleichnamige Werk des Schwarzen Philosophen und Psychiaters Frantz Fanon in Händen, in dem dieser eine scharfe Kritik an Rassismus und kolonialer Unterdrückung übt. Gleichzeitig zeigt er sich im Moment des Innehaltens, der Reflexion und der Kontemplation sowie der Verletzlichkeit - alles Ausdrucksformen, die traditionelle Lesarten von Schwarzer Männlichkeit in Frage stellen.

Die mit den Fingern aufgetragenen Farbspuren sind damals noch flacher und weniger lustvoll verschlungen.

An seinem kometenhaften Aufstieg kann man sehr gut das Funktionieren des Kunstmarkts nachvollziehen. Dazu ausführliche Beiträge von Amira Ben Saoud und Michael Wurmitzer im Standard.

 

Red Collar, 2021 © Amoako Boafo, Foto Paul Salveson

 

Zwei lächelnde schwarze Frauen, Freunde des Künstlers, blicken auf einen kleinen Hund, der von der Frau auf der linken Seite gehalten wird. Beim ersten Blick auf Amoako Boafos Porträt "Red Collar" aus dem Jahr 2021 wird der Betrachter unweigerlich von dem auffälligen bunten Kleid angezogen, das die Mitte des Bildes dominiert, trotzdem hat das Kunstwerk seinen Titel von dem kleinen roten Halsband des Hundes.

Boafo wollte das Kleid ursprünglich mit einem komplizierten Muster verzieren, das er mit seiner Papiertransfertechnik auf die Leinwand übertragen wollte. Da er aber Gesso - eine dünne, weiße Farbe - aufgetragen hatte, um eine glatte Oberfläche zu erhalten, war der Papiertransfer unmöglich. Deshalb entschied er sich für die malerische Gestaltung der Streifen. Die Fingermalerei ist der Haut und den Haaren seiner Figuren vorbehalten.

Der Hintergrund der Figuren ist in einem ähnlichen rosafarbenen Weiß wie der Bauch des Hundes. Unten befindet sich ein brauner Streifen, der vielleicht auf den Boden hinweist.

 

Hudson Burke and Benedita Furacao, 2018 © Amoako Boafo

 

Kennzeichnend für seinen malerischen Stil ist der starke Kontrast von flächigen und ornamentalen Bildelementen und der plastischen Darstellung der Körperteile der porträtierten Personen, die er mittels des Einsatzes von Fingermalerei statt eines Pinsels realisiert.

Im Bildaufbau, oft streng frontal ausgerichtet, sucht der Porträtierte den direkten Blickkontakt zum Betrachter und begegnet diesem als selbstbewusstes Individuum einer schwarzen Kultur. Boafos Arbeiten stellen einen direkten Bezug - jenseits von Klischees und Zuschreibungen - zur vielschichtigen Lebensrealität her. Die Zuneigung zum Terrier wird bestimmt und feinsinnig dargestellt.

 

Red And Green Apple Blanket, 2022 © Amoako Boafo

 

Ob mit gestreiftem Kleid, kariertem Sakko oder rosa Hemd: Die Porträtierten sind lässig, schön, stark. Und farblich in starken Kontrasten ausgeführt: leuchtend bunte oder weiße Bildgründe, darauf kräftig gemusterte Kleider, in denen aus einer vibrierenden Unzahl brauner Farbnuancen geknetet scheinende Gesichter, Arme, Beine stecken. Boafo inszeniert hier den Hintergrund collagenartig mit ornamentalen Details, die mittels eines Transferverfahrens auf die Leinwand übertragen werden.

Er ist in der Lage, kritische Feinheiten und nuancierte Emotionen auf eine Art und Weise einzufangen, die den Betrachter ergreift und fesselt, doch die Zärtlichkeit, mit der er seine Porträtierten wiedergibt, ist die auffälligste Eigenschaft seiner Arbeit. Wie Boafo es ausdrückt, geht es ihm in erster Linie um "die Darstellung, das Dokumentieren, das Zelebrieren und das Aufzeigen neuer Wege, sich dem Schwarzsein zu nähern". (vgl. hier)

Amoako Boafo (*1984 in Accra/Ghana) studierte ab 2007 am Ghanatta College of Art and Design in Accra und ab 2014 an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo er seinen Master of Fine Arts machte. Er wurde 2017 mit dem Preis der Jury des Walter Koschatzky Kunstpreises und 2019 mit dem STRABAG Artaward International ausgezeichnet. Die Österreichische Galerie Belvedere widmete ihm im Herbst 2024 eine umfassende Ausstellung. Der Künstler lebt und arbeitet in Accra und Wien.

Quellen: Galerie Mariane Ibrahim, Gallery1957, SAM Stories, Dazed, Denver Art Museum, Belvedere

alle Bilder © Amoako Boafo

 

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