Jaeger, Elisabeth

27. Mai 2024 - 9:48

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

 

Das  Werk der amerikanischen Künstlerin Elisabeth Jaeger, die vor allem poetische Skulpturen und Keramikobjekte zu Installationen zusammenführt, konzentriert sich auf figurative Darstellungen und ihre komplexen Beziehungen. Sie geht dabei oft von einer persönlichen Erfahrung, etwas bewusst Erlebtem oder der Beobachtung einer Situation aus. Auf zwei ihrer Installationen, "6:30" von 2014 und "Prey" (Beute) von 2023 möchte ich näher eingehen, weil Hunde darin vorkommen.

Die menschliche Figur hat die Künstlerin schon immer interessiert, weil sie in der Lage ist, Gesten zu zeigen, Bewegung anzudeuten und dadurch Kommunikation anzuregen und Emotionen auszulösen. Da sie allerdings in besonderem Maße von künstlerischen Qualitäten wie etwa der Materialität ablenkt, beginnt Jaeger mit anderen Formen zu arbeiten: Hunde, Vögel, Fische und Gefäße, um nur einige zu nennen.

Wesentlich für die Figuration, für die Körper im Raum ist auch deren Beziehung zur Umgebung, die sich in Gesten oder Blicken äußert. Dies gilt auch für die Arbeiten mit Tieren: Die Vögel, Hunde, Ratten blicken alle nach außen und implizieren eine Welt um sie herum. Wenn der Betrachter ihren Blicken begegnet, entsteht für einen Moment eine gemeinsame Welt, eine gleichzeitig reale und imaginäre Welt.

Unten sehen Sie Installationsansichten zu "6:30" aus der Galerie Hanley in New York.

 

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

 

"6:30": Morgengrauen oder Abenddämmerung? Eine Installation im Grenzbereich zwischen Anfang oder Ende des Tages. Spärliche Einrichtungsgegenstände aus geschweißtem Metall, darunter ein Kinderbett mit Resten von Tierhaar, Regale, leere Sessel und ein Waschbecken befleckt von einer verdunsteten Flüssigkeit, bilden ein häusliches Tableau, das auf eine flüchtige Erzählung anspielt. Ein Rudel weißer Windhunde aus Keramik und Hydrocal steht Wache, ihre Leinen schleifen über den Boden und weisen auf die abwesende menschliche Existenz hin.

Die Hunde sehen den Betrachter an, ja fixieren ihn, sodass es unmöglich ist, ihre Blicke nicht zu erwidern. Ihr wissender Blick lässt unsere eigenen tragischen Dramen vorausahnen, bevor wir in der Lage sind, das Geschehene zu erkennen und zu artikulieren. Das Gefühl der Verletzlichkeit, das sich wie ein roter Faden durch Jaegers Wek zieht, macht sich breit. Was ist in diesem Raum passiert? Was ist schiefgegangen? Ein starkes und mysteriöses Gefühl der Beunruhigung und subtilen Unheimlichkeit entsteht, das trotz der scheinbaren Vertrautheit mit der Figürlichkeit der Objekte Jaegers Werk inhärent ist.

 

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

Dog, 2014  © Elizabeth Jaeger, Foto Adam Reich

Dog, 2014  © Elizabeth Jaeger, Foto Adam Reich

Dog, 2014  © Elizabeth Jaeger, Foto Adam Reich

Louie (Dog9), 2014 © Elisabeth Jaeger, Foto Adam Reich

 

Hunde blicken uns mit beredter Präsenz an! Zugleich ist ihre emphatische Schönheit und Würde offensichtlich. Als hätten sie die Fähigkeit zum Ausharren und ein ihnen innewohnendes Wissen, das über ihre Stille hinausgeht.

 

Dog 1, 2014  © Elizabeth Jaeger, Foto Adam Reich

 

Wie bei "6:30" geht es auch bei "Prey" um die Erfahrung des Schauens und Angeschautwerdens. In einer besiedelten Umgebung zu leben, bedeutet, dass man gesehen wird, während man andere ansieht und dass man intime Momente mit Fremden austauscht. In "Prey" haben die Menschen den Tieren Platz gemacht, die sich gegenseitig und uns beobachten.

Wenn unser Blick oft ein Machtverhältnis impliziert - der Mensch blickt das Tier an -, dann verschieben Jaegers Objekte die erwarteten Hierarchien zwischen Beobachter und Beobachteten. Und während ein menschenzentrierter Blick von der Vorstellung einer einzigen Welt ausgeht, die von einer Hierarchie von Lebewesen bewohnt wird, könnten wir stattdessen die Perspektiven anderer Lebensformen in Betracht ziehen.

Normalerweise haben wir das Gefühl, dass Tiere und Insekten in unserer Welt leben. Elizabeth Jaeger gibt uns zu verstehen, dass es nicht "unsere" Welt ist, sondern dass wir in ihrer Welt leben, dass wir in eine "natürliche", wenn auch fremde Umgebung eindringen, die alleine - ohne den Menschen - funktioniert und die Verbundenheit aller Lebewesen in den Mittelpunkt stellt.

 

Prey © Elisabeth Jaeger, Ausstellungsansicht Galerie Mennour, Paris 2023

 

Wir sehen eine unbewegliche, aber sehr lebendige Szene: Schnecken krabbeln auf den Wänden und hinterlassen eine Schleimspur, Hunde sind entweder schlafend oder wachsam, schwarze Vögel hocken an den Wänden, Ratten beobachten die Szene aus sicherer Entfernung. Wenn wir ihren Blicken folgen, können wir kleine Dramen zwischen Raubtier und Beute beobachten. Schilf wächst aus einem Sumpf heraus.

 

Prey © Elisabeth Jaeger, Ausstellungsansicht Galerie Mennour, Paris 2023

Prey © Elisabeth Jaeger, Ausstellungsansicht Galerie Mennour, Paris 2023

Prey © Elisabeth Jaeger, Ausstellungsansicht Galerie Mennour, Paris 2023

Prey © Elisabeth Jaeger, Ausstellungsansicht Galerie Mennour, Paris 2023

 

Exkurs: "Im Zuge des animal turn ist ein interdisziplinäres Interesse daran geweckt worden, sich konkreter mit der philosophischen Frage auseinanderzusetzen, wie die Begriffe "Mensch", "Person" und "Tier" miteinander zusammenhängen und ob eine Erweiterung des Personenbegriffs in die Sphäre des Tierlichen hineingreifen kann" (Ina Karkani in Tierstudien 25, S 83). So untersucht z.B. der zeitgenössische italienische Philosoph Giorgio Agamben in "The Open" die Art und Weise, in der der "Mensch" entweder als eine besondere und überlegene Art von Tier oder als eine Art von Wesen, das sich wesentlich vom Tier unterscheidet, betrachtet wurde.

Wie er ausführt, "bewegen sich die Fliege, die Libelle und die Biene, die wir an einem sonnigen Tag neben uns fliegen sehen, nicht in derselben Welt wie die, in der wir sie beobachten, noch teilen sie mit uns - oder miteinander - dieselbe Zeit und denselben Raum". (vgl. Giorgio Agamben, zit. n. Marie Catelano, Press Release Galerie Mennour, übersetzt mit DeepL)

 

(...) “the fly, the dragonfly, and the bee that we observe flying next to us on a sunny day do not move in the same world as the one in which we observe them, nor do they share with us—or with each other—the same time and same space.”

 

So ist es auch im Sumpf von Jaegers Installation, wo eine Vielzahl von Welten artenübergreifend nebeneinander existieren. Die dualen Umgebungen, aus denen sich "Prey" zusammensetzt, ermöglichen es, uns eine Welt vorzustellen, in der wir nicht mehr im Mittelpunkt stehen, sondern vielmehr in einer Ökologie von Lebewesen eingebunden sind, die uns beobachten.

Wir sehen Dinge, aber wir spüren, dass etwas anderes passiert, zu dem wir keinen Zugang haben. Es ist beunruhigend und auf eine vage Weise bedrohlich. Eine Möglichkeit Zugang zur fremden Welt zu erlangen, ist die Empathie, ein Gefühl, das über die Grenzen der Sprache hinausgeht. Unsere Einfühlung wird dergestalt integraler Bestandteil des Werks selbst.

 

Prey © Elisabeth Jaeger, Ausstellungsansicht Galerie Mennour, Paris 2023

 

Ihre intimen Kontemplationsräume, die diffuse Emotionalität erzeugen, sind mit Objekten bewohnt bzw. bevölkert, deren Fragilität durch dunkle Materialität und die Härte und Strenge des Materials gebrochen wird. Amorphe Formen sowie Formen aus Flora und Fauna werden mit geometrischen Stahlkonstruktionen kombiniert, es entsteht eine Ambivalenz zwischen vertrauter Form und abstrakter Brechung.

Ihre Materialien sind einfach, aber haptisch: Ton, Keramik, Gips, Stahl, Seide und Glas zeigen und bewahren den "Abdruck", der Künstlerhand. Sie sind Mittel, um ein neues visuelles Vokabular zu schaffen, das seltsam vertraut und doch magisch aufgeladen erscheint.

Hier sehen sie Hedy mit der von Jessica Ullrich herausgegebenen Fachzeitschrift "Tierstudien". Die interdisziplinären Tierstudien widmen sich im Kontext der neu entstandenen Animal Studies dem Verhältnis von Mensch und Tier, indem sie vor allem, aber nicht nur aus kultur- und geisteswissenschaftlicher Perspektive kulturell und historisch bedingte Vorstellungen, Bilder und Repräsentationen von Tieren, aber auch aktuelle Praktiken und Theorien der Tier-Mensch-Beziehung untersucht.

 

Hedy mit Tierstudien, Foto Petra Hartl

Hedy mit Tierstudien, Foto Petra Hartl

 

Einen schönen Gedanken der Künstlerin möchte ich ans Ende stellen. Auf die Frage nach ihren Einflüssen, nennt sie neben der Künstlerin Louise Bourgeois einen abstrakten Begriff:

 

"The word “simultaneous” and the sense of how large and diverse and multifaceted the world is. Whether it's by physical (or social media-haha) travel, meeting another person with no shared spoken language but a deep mutual affinity, finding another artist’s work from a completely different time and/or place and really feeling like you understand it, or sharing an inexplicable meaningful moment with an animal - these give me hope of the possibility of real communication and love, and with that the possibility of peace." (zit. n. Sonam Khetan)

"Das Wort "simultan" und das Gefühl, wie groß, vielfältig und facettenreich die Welt ist. Ob man nun physisch (oder über soziale Medien - haha) reist, eine andere Person trifft, die keine gemeinsame Sprache spricht, aber eine tiefe gegenseitige Verbundenheit empfindet, das Werk eines anderen Künstlers aus einer völlig anderen Zeit und/oder an einem anderen Ort entdeckt und wirklich das Gefühl hat, es zu verstehen, oder einen unerklärlich bedeutungsvollen Moment mit einem Tier teilt - all das gibt mir Hoffnung auf die Möglichkeit echter Kommunikation und Liebe und damit auf die Möglichkeit von Frieden." (übersetzt mit DeepL)

 

Lost dog, 2021 © Elisabeth Jaeger
Foto von Klemm's

 

Elizabeth Jaeger (*1988 in San Francisco, USA) besuchte das Lewis and Clark College in Portland, Oregon, die School of the Art Institute of Chicago und die École Nationale Supérieur des Arts in Nancy. Sie lebt und arbeitet in New York. Ihr Werk reicht von der Bildhauerei über die Herstellung von Büchern und Kleidung bis zur Seidenmalerei. Elizabeth Jaeger hat ihre Arbeiten in Galerien und Zeitschriften in den gesamten Vereinigten Staaten ausgestellt und veröffentlicht. Gemeinsam mit Sam Finn hat sie den Verlag Peradam gegründet, der handgefertigte Künstlerbücher herstellt.

 

Quellen: Galerie Mennour Paris, Galerie Klemm's Berlin, Sonam Khetan, Berlin Art Link, Jack Hanley Gallery New York, Elisabeth Jaeger Instagram

alle Bilder (außer Hedy) © Elisabeth Jaeger

 

Installation, Skulptur