November 2023

27. November 2023 - 9:45

Das Werk der amerikanischen Künstlerin Sabrina Bockler, die ich im letzten Blogbeitrag vorgestellt habe, ist unter anderem von den Künstlern der Neuen Sachlichkeit wie Franz Sedlacek beeinflusst. Ich habe mich sehr gewundert, dass sie diesen österreichischen Künstler der Zwischenkriegszeit kennt, da er nach dem 2. Weltkrieg vorerst in Vergessenheit geriet und nicht einmal in Österreich besonders bekannt ist. Da ich seit Jahren einen unfertigen Blogbeitrag über Franz Sedlacek in meiner "Warteschleife" habe, sah ich das als eine gute Gelegenheit ihn fertigzustellen.

Der Maler und Grafiker Franz Sedlacek zählt zu den wichtigsten österreichischen Künstlern der Zwischenkriegszeit. Sein einzelgängerisches Werk steht einerseits der Neuen Sachlichkeit nahe, andererseits sind seine grotesk-phantastischen Gemälde von der Kunst der Romantik und der niederländischen Malerei inspiriert.

Vielleicht wurde Sabrina Bockler von diesen Gemälden inspiriert!
 

Franz Sedlacek, Stillleben mit Echse

Franz Sedlacek, Blumenstück, 1933

 

Doch nun zu Sedlacek und seinen Hunden. Er hat sie klein und unauffällig in seine surrealen Landschafts- und Stadtansichten eingeführt. 2014 wurde das Werk des 1945 an der Ostfront verschollenen und 1965 für tot erklärten Franz Sedlacek  in einer Retrospektive im Wien Museum gezeigt. Ich habe die damaligen Rezensionen nachgelesen, um etwas über seine Hundedarstellungen zu finden, doch deren Anwesenheit in den Gemälden wird nirgends erwähnt. Für mich ein Zeichen dafür, wie beiläufig und selbstverständlich Sedlacek dieses Motiv in sein Werk integriert hat.

 

Franz Sedlacek, Gewitterlandschaft, 1936, Nordico-Museum der Stadt Linz

 

Er malt zeitlose, triste Phantasie- und Winterlandschaften, die latent unheimliche Stimmungen vermitteln. Dabei unterstreichen seine penible Malweise mit altmeisterlichem Farbauftrag und seine geometrische Konstruiertheit der Komposition das Geheimnisvolle und Unheimliche der Darstellung. Fenster sind eingeschlagen, im Vordergrund liegt surreal anmutendes metallisches Industriegerümpel. Ein Radfahrer strampelt gegen den Sturm an, auch der Hund sucht das Weite.

 

Franz Sedlacek, Der flüchtende Dieb, 1937

 

Ein Dieb flüchtet in eine düster-pathetische Landschaft, Hausfrau wie Hund nehmen die Verfolgung auf, wild gestikulierend und bellend. Die Figuren scheinen der Karikatur und Groteske entsprungen.

 

Franz Sedlacek, Winterlandschaft, 1931, Wien Museum

 

Obligat ist mystisches Licht, hier bedrohlich dunkel gegen den in Weiß getauchten Schnee gesetzt.

 

Franz Sedlacek, Winterlandschaft, 1931, Wien Museum

 

Das ist kein kleinstädtisches Idyll, vielmehr hängt eine düstere Gewitterstimmung über der vorweihnachtlichen Alltagsszene. Hier herrscht eine klirrende Kälte, die nicht nur durch die Eiskristalle auf den Bäumen hervorgerufen wird. Unzweifelhaft ist hier Sedlacek von der flämisch-holländischen Kunstgeschichte beeinflusst. Erinnert sie der kleine Eislaufplatz im Hintergrund nicht auch an Bruegels Winterlandschaft? Der Hund kehrt allerdings nicht von erfolgloser Jagd heim, sondern trottet neugierig neben seinem Herrchen.

 

Franz Sedlacek, Winterlandschft, 1925, Österreichische Nationalbibliothek

 

Noch düsterer und fast bedrohlich ist die Stimmung in dieser Kleinstadt. Der Hell-Dunkel-Kontrast verläuft haar- und überscharf entlang der beschneiten Flächen, trägt dazu bei, das Unwirkliche dieser Stadtansicht zu betonen. So werden auch der Maroniverkäufer und der Mann mit Hut zu unheimlichen Figuren. Die heitere Stimmung der roten Zipfelmützen unterliegt der aufgeheizten Stimmung der rotgesichtigen Männer. Der Hund schaut oder bellt in die Gasse. Haben sie bemerkt, was im Zentrum des Bildes ist? Ein rotes Plakat mit Hund. Was für ein schöner Einfall!

 

Franz Sedlacek, Industrielandschaft, 1934

 

Eine Industrielandschaft mit Versatzstücken moderner Technik (Schifffahrt) wird mit einer hell erleuchteten Kirche, die auf dem Berg fernab der modernen Zivilisation thront, konfrontiert. Mittendrin ein Mensch mit - Hund!

 

Franz Sedlacek, Übungswiese, 1926, Lentos Kunstmuseum, Linz

 

Auf den Bergkuppen tummeln sich unzählige Schifahrer in grotesken Verrenkungen, sie wirken kontrastreich und ornamental auf ihrer zugeschneiten "Übungswiese" vor dem düsteren Himmel. Auch hier ist ein Hund mit dabei: Aufgeregt bellend kommentiert er das würdelose Schauspiel, das groteske Treiben der Menschen. Dieses Bild ist übriges nur 26,5 x 23,3 cm groß.

 

Franz Sedlacek, Abendlied, 1938

 

In den Innenräumen spielen sich oft kleine, absurde Szenen mit rätselhafter Handlung ab. Der Posaunist scheint beim Fenster in eine weit in die Tiefe führende Landschaft aus Blau- und Brauntönen hinauszuschweben. Gibt es einen Zusammenhang mit den Posaunenengeln der christlichen Ikonographie? im Neuen Testament wird die Stimme Gottes als ein Posaunenton beschrieben.

Nur der Hund bleibt in dieser bizarren Bildwelt auf dem Boden (der Tatsachen). Hunde scheinen das Beständige zu sein, der Anker, der uns eben nicht abheben und in der Weite verlorengehen lässt. Sie stehen für das Bodenständige, Verlässliche, das den Menschen begleitet.

Franz Sedlacek (*1891 in Breslau/P) wuchs in Linz auf, wo er von einem deutschnationalen und antisemitischen Umfeld maßgeblich geprägt wurde. Hochdekoriert mit nationalen und internationalen Auszeichnungen, ging Sedlacek dennoch einem bürgerlichen Beruf nach: Er war Chemiker. Im Alter von 20 Jahren begann er mit dem Studium in Wien, zehn Jahre später wurde er Kustos für Chemie am Technischen Museum, 1937 stellvertretender Direktor. Er konnte seiner Leidenschaft, der Kunst, nur in seiner Freizeit nachgehen. Er zog bereits 1939 in den Krieg und gilt bis heute als vermisst, seine Spuren verlieren sich 1945 an der Ostfront im zentralpolnischen Thorn.

Quellen: Art In Words, Wien Museum

 

Ausstellung, Malerei
20. November 2023 - 10:59

Self Portrait with Louise © Sabrina Bockler

 

Sehen Sie die kleine geschälte Orange? Ein Vanitas-Motiv, wie es auch in den niederländischen Stillleben des Goldenen Zeitalters vorkommt. Dieses kleine Detail zeigt wohin die künstlerische Reise geht! Die amerikanische Malerin Sabrina Bockler ersetzt in ihren aktuellen Arbeiten die menschliche Figur durch Blumen, Lebensmittel und Rassehunde.

Zurzeit sind ihre sorgfältig ausgearbeiteten stilisierten Gemälde mit illustrativem Charakter von der Stilllebenmalerei inspiriert. Sie bezieht sich auf KünstlerInnen des 17. Jahrhunderts wie Balthasar van der Ast und Rachel Ruysch und ist von Malern der Neuen Sachlichkeit wie Franz Sedlacek, Christian Schad und der Fotografin Aenne Biermann beeinflusst. Dabei liegt ihr Interesse in der Spannung zwischen dem Traditionellen, den traditionellen Tropen, und dem Unheimlichen, Surrealen. Dieser Ansatz fordert die Betrachtenden dazu auf über die traditionelle Ästhetik hinauszudenken und sich in dem Chaos innerhalb eines dekorativen Stilllebens zu verlieren. Bockler erschafft demzufolge dekadente Szenen des Überflusses, die zum genauen Hinsehen einladen. Doch es ist nicht alles so, wie es auf den ersten Blick erscheint!

Während die niederländischen Stillleben des Goldenen Zeitalters lediglich reiche und aufwändige Tischdekorationen zeigen, die mit einer Fülle von Gegenständen wie Blumen, teuren Gläsern, Silberbesteck, tropischen Früchten, Muscheln und sogar lebenden Tieren wie Affen oder Papageien ausstaffiert waren, stört Bockler die Opulenz. Ihre Haustiere treiben Unfug und zerstören die Dekorationen: die Krustentiertürme, die perfekt geschnittene Melone und die Blumensträuße, die aus ihren Vasen fallen.

 

A La Carte, 2023 © Sabrina Bockler

 

In "A la Carte" erzählt die Künstlerin von Sinnlichkeit, Begehren, Weiblichkeit und Fruchtbarkeit, dargestellt durch aphrodisierende Lebensmittel wie Granatäpfel, Feigen, Trauben und Austern. Der Hummer, rot und auffällig, war das Symbol der Surrealisten für Erotik und sexuelle Ausschweifung. Er liegt neben dem Pfau, dessen leuchtende Farben und komplizierte Muster mit Stolz, Luxus und Raffinesse in Verbindung gebracht werden und der seinerseits zu dem Hund schaut, dessen Körper bescheiden ins Bild ragt.

 

Venus and Mars, 2021 © Sabrina Bockler

Decadence and Disaster, 2023 © Sabrina Bockler

 

Titelgemäß geht es in "Decadence and Disaster" schon wilder zu! Zwei kleine Papillons mit langem, seidigem Haar haben den eleganten Tisch bereits erobert und Unheil angerichtet. Die Erdbeerschale wurde umgestoßen, Blumen aus dem Bouquet gerissen, ein Cremetortenstück zerquetscht. Während einer noch im Obstkorb herumstochert, hat der andere bereits einen Fisch im Maul.

 

Table Manners, 2022 © Sabrina Bockler

 

An Tischmanieren mangelt es in "Table Manners" nicht nur, die ganze Tischlandschaft ist vielmehr aus den Fugen geraten: Kräftige Kiefer packen den Schinken, die Krabbe wird heruntergerissen!

 

Old Fruit, 2022 © Sabrina Bockler

Garland Of Flowers With Greyhounds, 2023 © Sabrina Bockler

The Voyeur, 2021 © Sabrina Bockler

 

"Garland Of Flowers With Greyhounds" und "The Voyeur" sind nicht nur Hommagen an die Rokokokünstlerin Rachel Ruysch, deren Werke für ihre exquisite Schönheit und Präzision bekannt waren, sondern es zeigt auch Bocklers humoristischen Sinn: Sie baut Rassehunde in die Mitte des Blütenkranzes.

 

Intrusive Thoughts, 2023 © Sabrina Bockler

 

Ein Papillon in "Intrusive Thoughts" sieht uns teilnahmslos an, während er auf eine Blumenvase uriniert. Die Komposition ist in einer häuslichen Umgebung angesiedelt. Das Markieren kann als ein dreister und rücksichtsloser Akt der Behauptung von Privilegien gelesen werden.

 

Eclipse, 2023 © Sabrina Bockler

Borzois In Moonlight, 2023 © Sabrina Bockler

Hounds, 2023 © Sabrina Bockler

 

Auch die "Hounds" - königliche Windhunde - sind von häuslicher, privilegierter Opulenz umgeben. Ihr Prunk, ihre Eleganz und Anmut haben beinahe etwas Unnatürliches an sich. Gezüchtet um bestimmte ästhetische Standards zu erfüllen, wirken sie wie Dekorationsobjekte für die Wohnung.

Bocklers detailreiche Acrylbilder bestechen durch versierte Eleganz und Stilsicherheit. Sie imitiert, übertreibt, überspitzt, karikiert die traditionelle Stilllebenmalerei,  wodurch ihre Arrangements und Kompositionen etwas Beunruhigendes, Groteskes erhalten.

 

ein Hund der Künstlerin © Sabrina Bockler

 

Sabrina Bockler lebt mit ihrem Partner Kevin und ihren Hunden Louise und Rae. Oft verbringen sie Zeit mit ihr im Atelier.

Noch bis zum 2. Dezember 2023 stellt die Künstlerin in der Galerie Duran/Mashaal in Montreal aus.

Sabrina Bockler (1987) ist eine amerikanische Künstlerin, die in Brooklyn, New York, lebt und arbeitet. Im Jahr 2011 erwarb Bockler einen Bachelor-Abschluss in Fine Arts an der Parsons New School of Design.

Quellen: Galerie Duran/Mashaal, Galerie Beers London, Galerie Hashimoto Contemporary, Colossal, Art of Choice

alle Bilder © Sabrina Bockler

 

Ausstellung, Malerei
13. November 2023 - 10:56

Gina © Patricia Haas

 

Vielleicht steckt Gina ihre Nase ins Fell der geliebten Gefährtin und saugt den wunderbaren Fellgeruch ein - das würde ich machen-, vielleicht küsst sie sie auch auf den samtigen Brustkorb.

Das Foto stammt von der Berliner Fotografin Patricia Haas. Sie zeigt in ihrer von 2020 bis 2022 entstandenen Fotoserie Frauen und Mädchen mit ihren Hunden, Katzen, Vögeln und anderen Tieren.

Das Projekt trägt den Namen "Gefährtin" und spiegelt damit den Charakter der vertrauten Beziehungen wider. Doch wer sind die Gefährtinnen? Sind damit die Tierhalterinnen oder die Hündinnen gemeint? Laut Lexikon ist eine Gefährtin eine "mir durch Schicksal oder Zuneigung verbundene Person" und meint damit eigentlich die dargestellten Frauen: "Ich habe die Sicht des Tieres gewählt, weil es die in der Malerei nicht gibt." (Patricia Haas zit. n. metropol)

 

Rita © Patricia Haas

Rica © Patricia Haas

 

Patricia Haas sagt, sie habe nicht von Anfang an geplant, nur Frauen und Mädchen zu fotografieren, sondern dass sich das während des Projekts ergeben hätte. Und sie habe das Gefühl, dass das Verhältnis zwischen Frauen und ihren Tieren ein ganz besonderes sei. Obwohl selbst Gefährtin einer Hündin, teile ich ihr Gefühl keineswegs. Wie ich auch aus eigener Erfahrung weiß, können auch Männer eine ganz besondere Beziehung zu Hündinnen oder Rüden haben: Vielleicht gibt es ja auch irgendwo eine Serie mit "Gefährten".

 

Nadine © Patricia Haas

Yasmina © Patricia Haas

Frieda © Patricia Haas

Luise © Patricia Haas

Jacqueline © Patricia Haas

Gabi © Patricia Haas

Maxi © Patricia Haas

 

Die Verbindung zwischen Menschen und Hunden ist sicher außergewöhnlich - er steht seit 15000 Jahren an unserer Seite - und ihre Darstellung zieht sich durch die ganze Kunstgeschichte. Haas hat sich für ihre Arbeit mit diesen traditionellen Darstellungen auseinandergesetzt. Während Männer mit ihren Hunden zum Beispiel auf der Jagd zu finden sind, stellen Tiere oft bestimmte Attribute dar, die den Frauen zugeschrieben werden: die wilde Frau, die flatterhafte Frau, die exotische Frau, die treue Frau. Die Fotografin bricht diese Stereotype der Kunstgeschichte: Entstanden sind Doppelporträts, die die Zweiteilung in menschliche und nicht-menschliche Spezies aufhebt, die Vertrautheit und Wärme zwischen Mensch und Tier zeigen, ja eine "Spezies der Gefährt:innen" erschafft. (vgl. monopol)

Hund und Mensch blicken nicht in die Kamera, sie kommunizieren nicht mit uns Betrachtenden, sondern sind gemeinschaftlich in die Szene versenkt. Beide treten im Bild als gleichberechtigt auf, in ihrer Beziehung zueinander verbunden. Diese Innigkeit, die uns ausschließt, wirkt durch ihre Reserviertheit manchmal kühl, manchmal sogar emotionslos.

Patricia Haas ist freie Fotografin und Grafikerin und lebt in Berlin.

alle Bilder © Patricia Haas

 

Fotografie