November 2020

21. November 2020 - 10:42

Dog with Saddle, 2003 © Augustine Boyce Cummings

 

Die Arbeit des US-amerikanischen Künstlers Augustine Boyce Cummings wird vom Konzept des Gegensatzes definiert. Dabei geht es um inhaltliche Gegensätze ebenso wie um formale.

Bei "Dog with Saddle" betrachtet ein gesattelter Hund ein kleine komplexe Maschine. Der realistisch gemalte Hund steht vor einem zarten floralen monochromen Hintergrund, der von einer Reihe stilisierter ornamentaler blauer Tauben gekrönt wird.

Der "Hound Dog" unten gleicht einem Jagdhund der Renaissance. Das Vogelhäuschen steht im Gegensatz zur spannungsreichen Atmosphäre zwischen dem Hund und dem betrachteten "Wirbelsturm" und erzeugt eine leidlich surreale Anmutung. Wird sich das bewegte Liniengewirr materialisieren?

 

Hound Dog, 2006 © Augustine Boyce Cummings

 

In "Forest Fire" haben ängstliche Hunde die Schwänze eingeklemmt, sie sind nur als Umriss und Binnenzeichnung vorhanden, transparent und dünnhäutig angesichts der Bedrohung: Im Hintergrund lodert der Waldbrand. Die Szene ist in eine Kreisform eingeschrieben und wird von zwei schwarzen Rechtecken (eines mit Stern) ergänzt.

Cummings selbst beschreibt seine Malerei als eine Kombination aus Hard-Edge-Abstraktion (der mir unbekannte Begriff stammt aus den amerikanischen 1960er Jahren und bezeichnet eine ungegenständliche, geometrische Malerei mit klare Kanten), traditioneller gegenständlicher Malerei, Graffiti, Cartoon-Elementen, Science-Fiction, Illustration, die alle durch einen etwas surrealistischen Filter gepresst werden. Verbindend ist die Widersprüchlichkeit, die allen Bildern innewohnt.

Er fügt disparate Dinge kompositorisch gekonnt auf der Leinwand zusammen, ohne die Gegensätze aufzulösen. Inhaltlich verwehren sich die Bilder gegen eine - eindeutige, vernünftige, konventionelle - Erzählung. Die Zwei- und Mehrdeutigkeit ist gewollt, der Betrachter soll assoziieren oder interpretieren.

 

Forest Fire © Augustine Boyce Cummings

 

Ängstlich, unsicher und verzweifelt blickt auch "Sheriff" aus seinen geröteten Augen. Was geht hier vor? Wer schießt die Pfeile ab? Die blaue lineare Zeichnung, sie steht im Kontrast zur Flächigkeit, erinnert leise an ein Ufo. Über allem schwebt das schwarze Rechteck.

 

Sheriff © Augustine Boyce Cummings

 

Abstraktion stößt auf Figuration, Formalismus auf Erzählung, Maschinen auf Hunde, Linien auf Flächen (um bei den hier gezeigten Beispielen zu bleiben). Dabei bedient sich Cummings einer individuellen Symbolsprache, bedient sich eines immer wiederkehrenden Instrumentariums (blaue Vögel, Ellipsen, Landschaften etc.).

Boyce Cummings, geboren und aufgewachsen in Denver, Colorado, zog 1992 nach Chicago, wo er ein Stipendium der School of the Art Institute of Chicago erhielt. 1996 zog er nach New York und studierte Malerei an der School of Visual Arts in New York, wo er 2002 seinen MFA erhielt. Mehr biografische Daten und ein Artist Statement finden Sie auf seiner Homepage.

alle Bilder © Augustine Boyce Cummings

 

Malerei
17. November 2020 - 13:37

Marcel Duchamp, Fountain, 1917, Foto: Alfred Stieglitz

 

Was hat Duchamps "Fountain" (1917) mit Hunden zu tun? Betrachten Sie die Signatur R. Mutt: Im Mutt steckt der Hund. Vom Englischen ins Deutsche übersetzt bedeutet Mutt unter anderem Straßenköter oder Promenadenmischung. Da ich das Wort Köter überhaupt nicht mag, übersetze ich quasi politisch korrekt zu "unbegleiteter Hunde-Mix". Mutt als englisches Wort zu betrachten ist deshalb möglich, da Duchamp sein Werk auch mit dem englischen Wort "fountain" betitelt hat (statt das französische Urinoir zu verwenden), um durch den Transfer in eine andere Sprache eine Verfremdung zum Kunstgegenstand zu erleichtern.

Laut Duchamp geht Mutt auf die populären Comicfiguren Mutt und Jeff zurück, das R steht für Richard, also rich art und nicht wie vermutet für Armut (R. Mutt: englisch R und deutsch Mutt ausgesprochen). Es gibt noch weitere Wortspielereien und Mehrdeutigkeiten um R. Mutt, die sie auf Wikipedia nachlesen können.

Ist das untere Werk eine Paraphrase oder Persiflage auf das berühmte Urinal?

 

Our Mutt Dog Bowl © Ourmutt

 

Wie auch immer die amerikanischen Künstler Tamara Johnson und Trey Burns ihre Übersetzung gemeint haben, es erfolgt eine Kommerzialisierung von Duchamps Werk sowie ein weiterer Funktionstransfer, allerdings auf sehr liebenswerte Art. Die Produktion erfolgt in Handarbeit unter Hinzufügung einer Seriennummer.

Aus dem ikonischen Readymade wird durch die Funktionalisierung zur Hundeschüssel ein einzigartiges Designobjekt. Aus R. Mutt wird Our Mutt, die Trinkschüssel für unseren Hund.

Unten sehen Sie Benny, den "Mutt" des Designers. Sie können das Wasserschüsserl auch kaufen, leider ist es so teuer, dass es sich nicht als witziges Mitbringsel für den Vierbeiner eines kunstsinnigen Menschen eignet.

 

Our Mutt Dog Bowl with Benny © Ourmutt

 

Fotos der Our Mutt Dog Bowl © ourmutt.com

 

Skulptur
11. November 2020 - 9:54

Hund, 2019 © Claudia Fuchs, Foto Lichterloh Fotografie

 

Ein kleines auf seinem Hinterteil hockendes Tier streckt den Hals, um irgendetwas genau zu betrachten. Die Augen sind zu schmalen Schlitzen fast geschlossen, um klarer und fokussierter sehen zu können. Oder streckt es die Schnauze lang nach vorne, um etwas zu erschnüffeln? Die Farbgebung erinnert an ein Reptil, das sich in seiner Umgebung tarnt. Doch wir haben es mit einem Hund in unkonventioneller Farbgebung zu tun. Und dieser kleine ausdrucksstarke Hund aus rosa, hellblau, grün und braun glasiertem Ton, scheint zu lächeln. Er hat wahrlich keinen Grund sich zu tarnen oder zu verstecken.

Die Künstlerin, Claudia Fuchs, fertigt ausschließlich Tontiere an. Dabei kann es sich um autonome Kunstwerke handeln (darunter Eidechsen oder eine Schnecke, die frech die Zunge herausstreckt) oder um Gebrauchsgegenstände, die sie mit Tierplastiken kombiniert. Seit 2019 arbeitet sie regelmäßig künstlerisch im Atelier der Kreativen Werkstatt Lobetal.

Heuer hat sie mit dieser kleinen plastischen Arbeit "Hund" beim Bundeskunstpreis für Menschen mit Behinderung den ersten Platz belegt. Zum 22. Mal wurde dieser Preis, der wichtigste Preis seiner Art in Deutschland, in Radolfzell am Bodensee verliehen. Die Stadt Radolfzell bietet mit diesem Preis ein wichtiges Forum, das den Kunstschaffenden und deren künstlerischen Arbeiten eine größere Präsenz verschafft. Er richtet sich an Künstlerinnen und Künstler aus ganz Deutschland mit einem Schwerbehindertengrad geistiger, körperlicher oder psychischer Art von mindestens 80 Prozent und bietet einen einzigartigen Rahmen für deren Wertschätzung.

Für die Kunstschaffenden ist die Ausstellung ein Ziel, auf das viele hinarbeiten. Der künstlerische Prozess ist auch eine Form der Bewältigung ihrer besonderen Lebenssituation oder eine Möglichkeit bildhaft auszudrücken, was ihr Innerstes bewegt und was sie mit Worten nicht ausdrücken können. Wenn auch der Alltag mancher Künstler und Künstlerinnen eingeschränkt ist, so gilt dies nicht für ihren künstlerischen Blick auf die Welt.

Ausgewählt werden die Preisträger nach künstlerischen Kriterien: Das Hauptaugenmerk liegt auf persönlichem Ausdruck, künstlerischer Eigenständigkeit und Werkaussage. Bundesweit haben 300 Künstler ihre Arbeiten für den alle zwei Jahre vergebenen Kunstpreis eingereicht. Die dreiköpfige Jury rund um den Leiter der Heidelberger Sammlung Prinzhorn, Thomas Röske, hat aus diesen Einreichungen 100 Exemplare für die Ausstellung ausgewählt und aus diesen nochmals 15 Preisträger gekürt. Die 100 ausgewählte Arbeiten sind bis zum 8. November in der Villa Bosch in Radolfzell zu sehen.

 

Hund, 2019 © Claudia Fuchs, Foto Hoffnungstaler Stiftung Lobetal

 

Für mich bildet der kleine lächelnde Hund den Gegenpol zu Liu Ruowangs monumentaler Wolfs-Installation. Müsste ich eines der beiden Kunstwerke wählen: Ich würde mich jederzeit für "Hund" entscheiden.

Hund © Claudia Fuchs

 

Skulptur
5. November 2020 - 20:27

Ein einschüchterndes und bedrohliches Wolfsrudel (aus 110 Stahlgussteilen mit einem Gewicht von je 280 kg) drang während der letzten Monate in die Mitte von Florenz vor, dort schien es einen Krieger anzugreifen, der schwach und machtlos wirkte.

Erschaffen und in Szene gesetzt hat dieses eindrucksvolle, raumgreifende und mit Spannung aufgeladene Werk der chinesische Künstler Liu Ruowang.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Roberto Borghi

 

Ich habe in den letzten von Corona überschatteten Monaten oft an die Künstlerinnen und Künstler gedacht, die monatelang auf eine Ausstellung hinarbeiten, die dann durch die Schließung der Ausstellungsräume kaum jemand sieht. Mit diesem Problem ist Liu Ruowang nicht konfrontiert, da seine Installation im öffentlichen Raum steht und die Wölfe nicht nur mit der Architektur interagieren, sondern auch mit den BewohnerInnen kommunizieren. Damit erfüllen sie die explizite Absicht des Künstlers, die Kunst frei zugänglich in den Alltag zu bringen. Er will den EinwohnerInnen von Florenz, die vielleicht nicht in ein Museum gehen würden, seine Kunst nahebringen und sie allgemein für Kunst sensibilisieren.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Lauretta Dimmik (Ausschnitt)

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Lorenzelli Arte

 

Und übersehen kann man diese monumentale Skulptureninstallation nicht, da sie zwei repräsentative Plätze einnimmt: Piazza Pitti und Piazza Santissima Annunziata. Die Wölfe stehen somit im Dialog mit zwei emblematischen Gebäuden der Renaissance, dem Filippo Brunelleschi zugeschriebenen Palazzo Pitti und seinem Ospedale degli Innocenti (Waisenhaus), bei dem er seine Auffassung von Raum, Proportionen und architektonischem Rhythmus zeigen konnte und das noch auf der Idee der Harmonie beruht. Diese Harmonie wird vorgeblich von den Wölfen gebrochen, deren Aggressivität, Zähigkeit und Stärke eine dramatische Spannung in die Ordnung der architektonischen Umgebung bringen.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Uffizien

 

Der Verlust der Harmonie zwischen Mensch/Kultur und Natur und deren Auswirkungen auf die Menschheit und den Planeten ist der Aspekt, der dem gesamten Werk von Liu Ruowang zugrunde liegt. Das Wolfsrudel steht als Warnung an die Menschheit; sie sind Agitatoren des Gewissens, die darauf abzielen, bei denen, die ihnen begegnen, eine tiefe Beunruhigung hervorzurufen und sie zur Erkenntnis und zum Umdenken zu bringen.

Der Wolf hat eine diverse symbolische und mythologische Bedeutung. Er wird sowohl als ein aggressiver und bedrohlicher "Räuber" (Rotkäppchen) als auch als ein wohlwollendes soziales Tier (Romulus und Remus) gesehen. Der Wolf, der auch in Mitteleuropa wieder Fuß fasst, lässt wohl niemanden kalt. Manche sehen in ihm ein Raubtier, das getötet werden muss (erst gestern habe ich gelesen, dass der Wolf in Deutschland in das niedersächsische Jagdgesetz aufgenommen wird), bei anderen hat er nahezu einen Heiligenschein.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Lorenzelli Arte

 

Liu Ruowang inszeniert die Wölfe nicht als "Räuber", die Installation reflektiert vielmehr über die räuberische Haltung und Aggressivität des Menschen gegenüber der Natur und Umwelt. Unsere heutige Zivilisation wird vom wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt und dessen Exzessen beherrscht, gerät nicht nur in Konflikt mit der Natur, sondern beherrscht und zerstört sie.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Lorenzelli Arte

 

Auch ganz real sind der Wolf und andere Wildtiere bis in die Florentiner Boboli-Gärten vorgedrungen, ist das Wilde in die Zivilisation zurückgekehrt.

Die "Lupi in arrivo" allerdings haben nicht nur Florenz erobert, sie waren auch 2015 auf der Biennale in Venedig. In Deutschland kamen die Wölfe 2016 bis in die Eingangshalle der internationalen Kunstausstellung NordArt (Foto unten), von dort starteten sie ihre Europa- und Amerikatournee.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto NordArt, 2016

 

Liu Ruowang (*1977, Shaanxi Provinz/China) gehört zu den wichtigen zeitgenössischen Künstlern Chinas. Er hat an der China Central Academy of Fine Arts studiert, stellt weltweit aus, erhält zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Seine Werke - Skulpturen und Gemälde - sind im chinesischen kulturellen und historischen Kontext verwurzelt, er schöpft aber auch aus unserem gegenwärtigen Dasein und der westlichen Kultur. Immer geht für ihn die Geschichte des Menschen mit der Geschichte seiner Beziehung zur Natur einher.

Quellen: Lorenzelli Arte, Uffizien

 

Installation, Skulptur