Februar 2021

25. Februar 2021 - 11:33

Nach und nach werden immer mehr Künstlerinnen wiederentdeckt und mit Werkschauen präsentiert. Eine davon ist Ottilie W. Roederstein, deren strenge Selbstporträts mein Interesse weckten. Da sie auch ein paar Hunde gemalt hat, Grund genug, sie im Blog zu zeigen.

Ottilie W. Roederstein (*1859 in Zürich/Schweiz, gest. 1937 in Hofheim am Taunus/D) widmete ihr ganzes Leben der Kunst.

 

Mein ganzes Interesse war Arbeit und Arbeit. Ihr widmete ich mein ganzes Sein. (Ottilie W. Roederstein)

 

Als freischaffende Malerin gehörte sie zu den erfolgreichsten Künstlerinnen ihrer Zeit. Sie fand nicht nur in der Schweiz und Deutschland großen Zuspruch und Anerkennung für ihre Porträts und Stillleben, sondern auch in Paris, wo sie seit 1883 ihre Gemälde ausstellte. Der Erfolg sicherte ihr finanzielle Unabhängigkeit, sodass sie sich gesellschaftliche Freiräume erobern und sich nach ihrem Lebensentwurf entfalten konnte, was den meisten ihrer Zeitgenossinnen verwehrt war.

Als einzige Künstlerin vertrat sie 1912 die Schweiz bei der "Internationalen Kunstausstellung des Sonderbundes" in Köln - neben männlichen Kollegen wie Ferdinand Hodler und Giovanni Giacometti. Trotz ihrer einst internationalen Wertschätzung ist Roederstein fast unmittelbar nach ihrem Tod in Vergessenheit geraten.

In ihrem umfangreichen, in thematischer und stilistischer Hinsicht vielfältigem Œuvre spiegeln sich die modernen Entwicklungen des europäischen Kunstgeschehens, wobei sich Ottilie W. Roederstein zeitlebens im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne bewegte und nie zur künstlerischen Avantgarde gehörte.

Ein Jahr nach ihrem Tod wurden ihr 1938 in Erinnerung an ihr künstlerisches Vermächtnis und an ihr unermüdliches Engagement als Mittlerin zwischen der Schweiz und Deutschland in Frankfurt, Zürich und Bern Gedenkausstellungen ausgerichtet.

Durch die Zäsur des Zweiten Weltkriegs und die allgemeine Fokussierung des Kunstbetriebs auf abstrakte Malerei geriet Roedersteins Werk jedoch in Vergessenheit. Nun, nach über 80 Jahren, ist ihr Werk in einer monografische Werkschau im Kunsthaus Zürich wiederzuentdecken.

 

Ottilie W Roederstein, Jeanne Smith mit Hund, 1889

 

Roederstein, die gegen den Widerstand ihrer gutbürgerlichen Familie Künstlerin wurde, musste sich ihren Lebensunterhalt als freischaffende Künstlerin selbst verdienen. Dementsprechend arbeitete sie gezielt für den Kunstmarkt und hielt sich in ihren frühen Jahren an die malerischen Konventionen und Erwartungen des jeweiligen Auftragsumfeldes. Sie bediente den Geschmack des bürgerlichen Publikums, das ihre Bilder kaufen sollte.

Dies zeigt sich zu Beginn ihrer Karriere durch den Einsatz einer dunkeltonigen Farbpalette sowie durch die Wahl ihrer Bildsujets: den Porträts und Stillleben.

Im Porträt der "Jeanne Smith mit Hund" von 1889 sehen wir ein melancholisches Damenbildnis in altmeisterlichen Hell-Dunkel-Inszenierung. Der Setter wird an der kurzen Leine gehalten und scheint sich gegen den ausgeübten Druck zu stemmen. Im Gegensatz zu dem seelenvollen Blick von Jeanne sieht er uns missmutig und unwirsch an.

In ihrem späteren Werk nahm Roederstein zunehmend Elemente anderen Kunstrichtungen auf. Auch die Temperamalerei, die sie ab 1910 (wieder) einsetzte, übte einen Einfluss auf ihren Stil aus, bevor sie in den 1920er-Jahren zu der ihr eigenen sachlich-nüchternen Bildsprache fand.

 

Ottilie W. Roederstein, Elisabeth H. Winterhalter mit Schäferhund, 1912

 

1912 entstand das Gemälde "Elisabeth H. Winterhalter mit Schäferhund". Es stellt Roedersteins Lebenspartnerin - eine Gynäkologin und erste deutsche Chirurgin - dar, mit der sich die Künstlerin 1909 im ländlichen Hofheim am Taunus niedergelassen hatte. Roederstein und Winterhalter unterstützten sich gegenseitig, stießen in traditionell Männern vorbehaltene Disziplinen vor und machten in Kunst und Medizin Karriere.

Im Porträt sind schon Nüchternheit und Realismus angedeutet; die Künstlerin sollte sich später mehr und mehr dem Stil der Neuen Sachlichkeit nähern. Sowohl die Temperamalerei als auch die intensive Beschäftigung mit der italienischen Zeichenkunst der Renaissance erzeugten einen plastischen und fast linearen Stil in heller getrübter Farbigkeit. Allerdings greift Roederstein nicht auf die Idealisierung der Renaissance zurück. Ohne jede Idealisierung hat sie nicht nur sich in zahlreichen Selbstporträts, sondern auch die Erscheinung ihrer Freundin gemalt. Die Dargestellte schaut ihre BetrachterInnen skeptisch, kritisch, ja mit nahezu abschätzigem Blick an.

Dem ergebenen Schäferhund wird nicht so viel (künstlerische) Aufmerksamkeit zuteil, sein Kopf ist flächig-expressiv gestaltet und hat mit der schlichten Kleidung und dem einfachen Hintergrund malerisch mehr gemeinsam als mit Elisabeths Gesicht.

 

Ottilie W. Roederstein, Zwillinge mit Wolf und Peitsche, 1916

 

Die "Zwillinge mit Wolf und Peitsche" von 1916 sind sorgfältig durchkomponiert, sie bilden eine Dreiecksform, wobei das Kleid des rechten Mädchens wegsteht, um den symmetrischen Aufbau nicht zu gefährden. Peitsche und Federn verstärken die Vertikalität. Während das rechte Kind durch seinen abwesenden Gesichtsausdruck und seine unsichere Handhaltung auffällt, ist der kritische Blick ihrer Schwester direkt zum Betrachtenden gerichtet. Auch der schmale "Wolf" schaut ernst. Mit der monochromen Farbgestaltung ist Roederstein hier auf der sicheren Seite.

Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz war Roederstein eine feste Größe im Kulturbetrieb. Die vielbeschäftigte Porträtmalerin förderte durch Ankäufe für ihre eigene Sammlung andere Kunstschaffende, unterstützte Ausstellungen moderner französischer und Schweizer Kunst und setzte sich für deren Verbreitung ein.

Bis zum 5. April 2021 ist sie im Kunsthaus Zürich zu sehen, dann kommt die Ausstellung unter dem Titel "Frei schaffend" ins Staedel Museum nach Frankfurt am Main (zu sehen vom 19. Mai bis zum 5. September 2021).

Quellen: Wikipedia, Kunsthaus Zürich, Staedel Musem, ARTinWORDS

Fotos von hier

 

Ausstellung, Malerei
21. Februar 2021 - 14:43

Nathan Oliveira, Standing Man with Stick, 1959

 

Der amerikanische Künstler Nathan Oliveira wurde mit Darstellungen von isolierten Figuren bekannt, er malte aber auch Tiere, Masken, Fetischobjekte und die Geschichte einer erfundenen Kultur mit schamanischen Zügen. Seine Themen und sein Stil variierten enorm, da er ästhetisch unabhängig war, obwohl er sich in seiner Malerei vom abstrakten (Willem de Kooning) und europäischen (Beckmann) Expressionismus sowie von Alberto Giacometti und Francis Bacon beeinflussen ließ.

Er sah sich nicht als Avantgardist, sondern der Garde, die nachher kommt - assimiliert, konsolidiert, verfeinert - zugehörig.

I'm not part of the avant-garde. I'm part of the garde that comes afterward, assimilates, consolidates, refines. (zit.n. Stanford magazine, 2002)

Nach dem Zweiten Weltkrieg überholte New York Paris als Zentrum der Moderne und der amerikanische abstrakte Expressionismus setzte sich in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren von New York bis San Francisco durch. Jackson Pollock eliminierte mit seinem "Action Painting" den Körper und die Gegenständlichkeit vollends aus seiner Kunst. Jeder, der diesen spontanen, gestischen und stark improvisierenden Stil nicht übernahm, galt als akademisch und traditionell.

Zur gleichen Zeit entdeckte Oliveira die Kunst von Max Beckmann, Oskar Kokoschka und Edvard Munch, die im De Young Museum in San Francisco ausgestellt wurden. Alle drei Künstler waren Expressionisten, die sich auf die erzählerischen Möglichkeiten der figurativen Kunst verließen, und eine starke Gegenströmung zur Abstraktion des Action Painting bildeten.

Max Beckmann unterrichtete 1950 in San Francisco eine Sommer-Malklasse, an der Oliveira teilnahm. Die Kraft, die von Beckmanns Malerei ausging, beeinflusste ihn wesentlich und überzeugte ihn davon, dass Malerei eine Geschichte erzählen muss. Trotzdem übte die Abstraktion weiterhin ihren Sog auf Oliveira aus.

Als er 1951 seinen Abschluss an der Kunstschule machte, war er also bereits mit beiden mächtigen künstlerischen Traditionen konfrontiert worden, die er in sein Werk integrierte: Figuration und Abstraktion.

 

Nathan Oliveira, Seated Man with Dog,1957

 

Er vereinte den körperlosen abstrakten Expressionismus und die Figuration des europäischen Expressionismus in psychologisch aufgeladenen Gemälden, die menschliche Isolation und Entfremdung erforschten.

In seinem "Sitzender Mann mit Hund" von 1957 (oben) erkennen wir eine rätselhafte flache Figur aus einer schwarzen Masse, die durch graue Pinselstriche entweder verdeckt wird oder sich bereits in Auflösung befindet. Ihre Präsenz ist schwach. Der Hund ist schon fast ganz verschwunden. Oliveiras nervöse Menschenbilder sind aus dicken Schichten abgewetzter und zerkratzter Farbe aufgebaut. Spricht die spontane suchende Qualität, die sich auf den Leinwänden abbildet, dafür, dass der Künstler die Figur im Prozess des Malens findet? Holt Oliveira die Figur aus der Farbe hervor oder lässt er sie in ihr verschwinden? Anwesenheit und Abwesenheit menschlicher und tierlicher Existenz werden als Thema verhandelt.

Als Oliveiras Werk 1959 in der Ausstellung "New Images of Man" im New Yorker Museum of Modern Art nationale Aufmerksamkeit erregte, war die Welt noch mit den Schrecken beschäftigt, die der Holocaust in Europa und der Einsatz von Atomwaffen in Japan real über den menschlichen Körper gebracht hatten. In dieser Ausstellung wurden Oliveiras Gemälde neben denen führender Europäer wie Alberto Giacometti und Francis Bacon gezeigt, die Bilder der menschlichen Figur in einer gottlosen und düsteren Zukunft anzudeuten versuchten. Auch Oliveiras Figuren und Landschaften spiegeln – weitaus stärker abstrahiert - eine Affinität zu diesen düsteren Visionen europäischer oder zeitgenössischer Künstler wider, die seinen Sinn für menschliche Konflikte und existenzielle Ängste teilen.

 

Nathan Oliveira, Running Dog, 1961

 

Das obere Bild trägt den Titel "Running Dog", für mich ganz klar ein liegender Hund, wenn auch der Hintergrund - die orange Farbe liegt wohl über dem Horizont - etwa anderes vorgibt.

 

Nathan Oliveira, Jumping Dog, 1962

Nathan Oliveira, Woman with Rottweilers, 1964

 

Oliveira, dessen Eltern von Portugal nach Amerika emigriert waren, beschreibt sein Werk mit dem portugiesischen Wort "saudade", das für eine spezifisch portugiesische Form des Weltschmerzes steht.

Das Konzept der Saudade lässt sich mit "Traurigkeit" und "Sehnsucht" nur unzureichend übersetzen. Das Wort steht für das nostalgische Gefühl, etwas Geliebtes verloren zu haben, und drückt oft das Unglück und das unterdrückte Wissen aus, die Sehnsucht nach dem Verlorenen niemals stillen zu können, da es wohl nicht wiederkehren wird. (vgl. Wikipedia)

 

Nathan Oliveira, Dog Man, 1994

 

Der "Dog Man" ist ein Beispiel für Oliveiras druckgrafisches Werk, hier Kaltnadel mit Aquatinta.

 

Nathan Oliveira, African Runner, 2001

 

Oliveira war ein Maler, der sich mit Erdfarben, dem Dreck und Schmutz, dem Entfetten und Abschaben, dem Wischen und Pinseln wohlfühlte. Er schuf einsame Figuren, die uns mit ihren satten Ocker-, Braun- und Rottönen und ihren tief strukturierten und dennoch ausgewogenen Pinselstrichen ebenso fesseln wie mit ihrer Lebendigkeit.

Oliveira hat die menschliche und tierische Figur zum Ausgangspunkt seines künstlerischen Prozesses gemacht, versuchte aber gleichzeitig sie in einem lebenslangen Prozess zu vergessen, zu überwinden, sich in Ideen und Bildern zur Abstraktion zu bewegen.

I always have wanted to be an abstract artist, but it had to be about something very particular. (zit.n. ebsqart)

 

Nathan Oliveira, Red Dog, 2000

 

Ein intensiv feuerroter Hund löst sich in einem orangeroten Hintergrund fast auf. Er ist gesichts- und eigenschaftslos. Die Auslöschung seiner Besonderheiten wird malerisch vollzogen, wir erfahren nichts über Geschlecht oder Rasse. Das Gemälde ist ebenso sinnlich, was seine Materialität angeht (Farbauftrag und die Oberflächenbeschaffenheit), wie spirituell: der Hund scheint, nicht erdverbunden oder geerdet, mit dem Umraum zu verschmelzen.

Oliveiras solitäre Hunde (ob in Bewegung oder in Ruhe) sind so lebendig, dass wir das Gefühl bekommen, dass sie sich anmutig und sicher in ihrer privaten Sphäre weiterbewegen oder verschwinden werden, nachdem sie sich von uns abgewandt haben.

 

Nathan Oliveira, Max 1, 1989

 

Oliveira liebte Hunde und unterstützte die Humane Society Silicon Valley, ein Tierheim in San Jose, nahe San Francisco. Dort fand 2012 auch eine Ausstellung seiner Hundebilder statt, darunter Bilder von Max, einem seiner geliebten Rottweiler und andere private, noch nie gezeigte Hundeporträts. Leider ist die Ausstellung auf der HSSV-Homepage nicht dokumentiert.

 

Nathan Oliveira unter Bild von Max
Foto von hier

 

Nathan Oliveira (* 1928 in Oakland, Kalifornien, gest. 2010 in Stanford/Kalifornien) war ein amerikanischer Maler, Grafiker und Bildhauer, Sohn portugiesischer Einwanderer. Ab den späten 1950er Jahren war Oliveira in fast einhundert Einzelausstellungen und darüber hinaus in Hunderten von Gruppenausstellungen in wichtigen Museen und Galerien weltweit vertreten. Ab 1955 lehrte er Kunst an verschiedenen Hochschulen, darunter das California College of the Arts, die California School of Fine Arts (heute das San Francisco Art Institute), die University of Chicago, die UCLA. Von 1964 bis zu seiner Pensionierung 1995 hatte er einen Lehrauftrag an der Stanford University inne. Oliveira erhielt viele Auszeichnungen, zwei Ehrendoktorwürden und im Jahr 2000  einen von der portugiesischen Regierung verliehenen Orden.

Quellen:

Wikipedia, ebsqart, The New York Times u.a.

 

Grafik, Malerei
14. Februar 2021 - 21:10

Das ist Paša! Der Hund des kroatischen Malers Miloslav Kraljević!

 

Miroslav Kraljevic, Paša, 1910

 

Miroslav Kraljević ist als einer der Begründer der modernen Kunst in Kroatien eine Schlüsselfigur der kroatischen Malerei des frühen 20. Jahrhunderts. Obwohl aufgrund seines frühen Todes sein Oeuvre relativ klein blieb, übte er mit seinen Gemälden, Zeichnungen, Drucken und Skulpturen, die in nicht ganz sechs Jahren kulminierenden Schaffens von Požega, Wien, Zagreb, München und Paris aus entstanden, einen starken Einfluss auf die nachfolgenden Künstlergenerationen aus.

Sein Werk enthält sowohl Elemente des Impressionismus als auch des Expressionismus, auffällig ist allerdings seine Nähe zu den Malmethoden Cezannes, denen er ab 1911 in seinen Porträts, Stillleben, Tieren und Landschaften nachspürte. Der Einfluss des Franzosen geht auf einen Aufenthalt Kraljevićs in Paris zurück, das in den 1910er Jahren das Zentrum der europäischen Kunst darstellte und für kroatische Künstler, die sich bis dahin eher nach Wien oder München orientierten, im wörtlichen und übertragenen Sinn nicht nahelag. Kraljević und andere kroatische Maler seiner Generation wandten sich gegen die herrschenden akademischen Traditionen mit ihren literarischen, historischen oder moralischen Bezügen und den französischen Impressionisten als Vorbilder zu. Kraljevic flanierte durch Paris, beobachtete die Gesellschaft und malte, was er sah.

Der Kroate hatte nur sechs Jahre Zeit seinen Stil zu entwickeln. Wahrscheinlich war er als junger Student künstlerisch beeinflussbar und hat alles Neue, jede avantgardistische Strömung wie ein Schwamm aufgesaugt.

Mir allerdings gefällt ein Werk am besten, in dem er ganz traditionell malt und seine große Begabung für tiefgründige Menschen- und Tierporträts zum Ausdruck kommt. Nicht von ungefähr wird Kraljević in Kroatien als "Künstler der Seele" bezeichnet.

 

Miroslav Kraljevic, Selbstporträt mit Hund, 1910

 

Ganz bemerkenswert an diesem Doppelporträt finde ich den gleichen Gesichtsausdruck der beiden: Herr und Hund schauen unsicher und fragend, ja sogar skeptisch und sorgenvoll. Großartig, wie die ganze Seele nur im Blick, im Glanz der Augen liegt. Ganz deutlich ist zu spüren, wie der Maler seine Hand beschützend auf Paša legt, ihn förmlich an seinen Körper drückt. Wir sehen zwei Lebewesen, die sich einig und sehr nahe sind.

 

Miroslav Kraljevic, Selbstporträt mit Hund, Detail, 1910

 

Miroslav Kraljević (*1885 in Gospić/Kroatien, gest. 1913 in Zagreb/Kroatien) verlässt 1904 nach der Matura Kroatien und zieht nach Wien, wo er Rechtswissenschaften studiert und privat Malunterricht nimmt. Zwei Jahre später bricht er sein Jurastudium ab und widmet sich nur noch der Malerei. 1906 geht er nach München, das neben Wien als wichtiger Knotenpunkt der europäischen Kunstszene gilt, und schreibt sich an der Akademie der Bildenden Künste ein. Nach mehrjährigem Studium zieht er zu seiner Familie nach Požega zurück, wo er die Jahre 1910 und 1911 verbringt. "Selbstbildnis mit Hund" stammt aus dieser Zeit. 1911 erhält er auch ein staatliches Stipendium für Paris, wo er ein Jahr studiert. 1912 kehrt er nach Kroatien zurück, mietet ein Atelier, malt, organisiert seine erste Einzelausstellung - und lebt am Rande des Todes. Auch ein Sanatoriumsaufenthalt kann an seiner unerbittlichen Krankheit, der Tuberkulose, nichts ändern. Er stirbt 1913 mit 27 Jahren in Zagreb.

Quelle: Venetian Cat

 

Malerei
5. Februar 2021 - 12:43

Dog 1, 2017 © Sabine Moritz

 

Der immer gleiche Hund läuft, sich umschauend, in einer verlassenen Stadt herum. Die Rollläden sind heruntergelassen. Die Geisterstadt ist in unterschiedlichen Abstraktionsgraden gemalt.

Im ersten Bild ist der Hund groß dargestellt, er spiegelt sich in den Wasserlacken, der Umraum ist nur gestisch expressiv bestimmt. Aussehen und inneres Erleben des Hundes scheinen in allen vier Bildern unverändert, nur äußere Stimmungs- und Wetterlagen ändern sich. Im zweiten Bild scheint etwas Ruhe eingekehrt, die Luft ist klarer.

 

Dog 2, 2017 © Sabine Moritz

Ghost Town I, 2016 © Sabine Moritz

 

Ghost Town I und II zeigen fast denselben Bildausschnitt, wobei sich der Hund in der unteren Darstellung nahezu in Farbschlieren auflöst, er noch abstrahierter, entmaterialisierter und düsterer ist.

In dieser expressiveren Variante hat der Hund die gleiche Farbigkeit wie seine Umgebung. Neben dieser kalten Farbgebung bringt die Unschärfe etwas Geheimnisvolles, Lebendiges, aber auch Bedrohliches ins Bild.

Ich habe nach Spuren gesucht, die mir verraten, wieso mich diese Bilder an Asien denken lassen, etwa an ein verlassenes chinesisches oder japanisches Dorf. Welche Spuren habe ich gefunden: Der Bildtitel "Ghost Town" klingt nach einem Thriller aus dem Fernen Osten, einem Eastern. Zeigen sich vielleicht Schriftzeichen im expressiven Duktus? Könnte nicht der blinde Samurai gleich zwischen den Häusern hervortreten?

 

Ghost Town II, 2016 © Sabine Moritz

 

Ganz falsch lag ich mit meiner Spurensuche nicht, denn die Bilder zeigen eine japanische evakuierte Stadt. Die deutsche Künstlerin Sabine Moritz hat die Bilder fünf Jahre nach dem Reaktorunglück von Fokushima nach einem alten Zeitungsfoto gemalt. Da die Einheimischen ihre Tiere zurücklassen mussten, blieb nur der verwaiste Hund im Bild. Die alte Heimat wurde für die ehemaligen BewohnerInnen und die Zurückgelassenen zur Gefahrenzone in dreckigem Katastrophengrau.

 

Dog, 2019 © Sabine Moritz

 

Sabine Moritz malt von Motiven, die ihr wichtig sind, mehrere Versionen, wobei sie den Bildausschnitt unterschiedlich skaliert oder die Bildwirkung durch die Wahl der Farben ändert. Damit dekontextualisiert sie das vorgegebene Motiv. Anstatt den Reaktorunfall zu malen, stellt sie dessen Auswirkungen dar und lässt uns im Unklaren darüber, was passiert ist.

 

Dog, 2017 © Sabine Moritz

 

Die Künstlerin wurde 1969 Quedlinburg in Ostdeutschland geboren und kam 1985 mit 16 Jahren in den Westen. Sie studierte zunächst an der Hochschule für Gestaltung Offenbach, bevor sie in die Kunstakademie Düsseldorf eintrat. Schon während des Studiums begann sie aus dem Gedächtnis zu zeichen, etwa die Plattenbausiedlung Lobeda nahe Jena, wo sie aufgewachsen war. Später zog sie für ihre Bilder auch Familienschnappschüsse, eigene Fotos und Zeitungsquellen zur Ergänzung der Erinnerung heran.

Und um Erinnerung geht es in vielen ihrer Werke: die Erinnerung an Ihren Vater, der bei einem Arbeitsunfall starb, als sie gerade vier Jahre alt war, die Erinnerung an die DDR, die ihr verloren schien und Heimweh verursachte, nachdem die Familie 1985 von Jena nach Darmstadt ausreisen durfte. In ihrer Malerei konkretisieren sich Moritz' Untersuchungen darüber, wie man sich erinnert und wie die Erinnerungen einer ständigen Veränderung und Verzerrung unterzogen sind, ja einem Verblassen anheimfallen. Mit ihren figurativen Bildern malt sie gegen das bevorstehende Vergessen an und erzählt gleichzeitig von persönlichen Erfahrungen, die Teil einer kollektiven Geschichte sind.

 

Ruin, 2017 © Sabine Moritz

Screenshot von Dog I-III, 2012 © Sabine Moritz
Screenshot von Marian Goodman Gallery

 

Ich war in meiner Bildersuche und Internet-Recherche schon weit fortgeschritten, als ich las, dass Sabine Moritz seit 1996 die Ehefrau von Gerhard Richter ist. Zuvor war sie seine Studentin in Düsseldorf. Das hat mich insoferne überrascht, als ich noch nie etwas von dieser großartigen und vielschichtigen Künstlerin gehört hatte.

Vielleicht hatte ich erwartet, dass ihr als Frau des weltberühmten Gerhard Richter viele Türen offen stünden. Doch das Gegenteil scheint hier der Fall zu sein. Vielleicht will niemand in Verdacht geraten, sie aufgrund ihres Ehemanns zu protegieren. Wie anders ist es zu erklären, dass es vergleichsweise wenig mediale Resonanz auf ihre Bilder gibt, obwohl ihre Arbeiten in Deutschland unter anderem in der Kunsthalle Rostock, Kunsthalle Bremerhaven, Von der Heydt Kunsthalle Wuppertal und international in London und Paris ausgestellt wurden. Allerdings ist ihr Werk in einer großen Anzahl von Katalogen präsent.

Bis zum 27. März 2021 zeigt die Galerie Pilar Corrias in London ihre Arbeiten in der Einzelausstellung ‘Mercy’. Neben großformatiger abstrakter Malerei und Zeichnung wird erstmals ihr fotografisches Werk ausgestellt. Sehr umfassend werden ihre Arbeiten auf der Homepage der Galerie gezeigt.

Die Künstlerin lebt und arbeitet in Köln.

Quellen: Marian Goodman Gallery, Galerie Pilar Corrias, Felix Ringel Galerie

alle Bilder © Sabine Moritz

 

Ausstellung, Malerei, Zeichnung