Video

22. Juli 2024 - 9:01

 

 

Dieses wunderbare Video der australischen Künstlerin Susan Flavell von 2016 zeigt ihren inzwischen verstorbenen Kelpie-Mix Dotness. Es ist Teil ihrer Werk-Serie "The Dog's Artist". Er sitzt auf einem Sofa, dessen Überwurf seinem Fellkleid ähnelt. Sein durchdringender Blick und seine Mimik laden dazu ein, ihn offen zu betrachten. Es fällt schwer, von diesem Wesen nicht vollkommen eingenommen zu sein!

"The Dog's Artist" umfasst Videoporträts, Porzellan- und Steingutskulpturen sowie Fotografien von Dotness. Die Künstlerin bringt uns ihre Liebe zu ihrer Gefährtin nahe. Da sie auch Hundetrainerin ist, beschäftigt sie sich nicht nur in künstlerischer Hinsicht intensiv mit dem Lesen von Gesichtszügen, Ausdrücken und Stimmungen von Hunden.

Sie hat Dotness auch in mehreren Büsten verewigt. Seit der Antike sind Büsten Teil der Erinnerungskultur und drücken private Wertschätzung aus. Die Büsten von Dotness fordern uns auf, genau hinzuschauen und den Hund - ebenso wie das kunstgeschichtlich vertrautere Subjekt Mensch - als individuelles Wesen zu begreifen.

 

The Dog's Artist © Susan Flavell

The Dog's Artist © Susan Flavell

The Dog's Artist © Susan Flavell

The Dog's Artist © Susan Flavell

The Dog's Artist © Susan Flavell

The Dog's Artist © Susan Flavell

The Dog's Artist © Susan Flavell

 

Auf den Fotografien ist Dotness mit Perlen geschmückt, wie ein königliches Subjekt der Anbetung, das wehmütig, in eine Aura der Traurigkeit gehüllt, in die Ferne blickt.

Viel konnte ich über Susan Flavell (*1964) nicht in Erfahrung bringen, nur dass sie 1985 ihren Bachelor of Arts (Fine Arts) an der Curtin University machte.

alle Bilder und Video © Susan Flavell

Fotofrafie, Skulptur, Video
27. April 2023 - 11:26

Ohne Titel, Video Still, 2019 © Jonas Brinker

 

Das ist nicht nur eine Wölfin, sondern auch eine Schauspielerin, "ein Profi", wie Jonas Brinker hier sagt. Einer von sieben Profis, die bei einem Tiertrainer in Hannover leben, der ihnen das Befolgen einfacher Kommandos beigebracht hat. Sie können auf Befehle hin posieren, laufen, sich hinlegen, zusammenkauern oder für einen Moment stillstehen. Ihr Können wenden die Wölfe bei Film- und Fernsehproduktionen an. Bei den vielen Mystery-, Fantasy- und Landkrimistoffen, die heute modern sind, sind sie sicher viel beschäftigt. "Unsere" Wölfin war sogar "Tatort"-Star.

 

Ohne Titel, Video Still, 2019 © Jonas Brinker

 

Sie ist aber auch Protagonistin und Performerin in Kunst-Zusammenhängen, z.B. in Jonas Brinkers Video "Standing Still". Das dressierte Tier befindet sich lediglich mit einem Papiermaché-Stein für viereinhalb Minuten im künstlichen Setting eines Filmstudios. Das Requisit nimmt einen zentralen Platz im Repertoire der einstudierten Bewegungsabläufe ein. Die Wölfin stellt sich dabei mit den Vorderpfoten auf den Stein, hebt den Kopf und heult. (Der eindrückliche Klang hallte 2019 bei der Ausstellung durch den gesamten Frankfurter Kunstverein.)

Diese beliebte Pose wird häufig in der Werbung, in Medienberichten und Zeitungsartikeln genutzt. Und eben diese Tatsache ist Ausgangspunkt für Brinkers künstlerische Recherche. Ihm war aufgefallen, dass sich die medial verbreiteten Darstellungen des Wolfs stark ähneln und den immer gleichen kompositorischen Prinzipien folgen. Dadurch beeinflussen sie die Art und Weise, wie wir die Tiere sehen und bewerten.

 

Standing Still, 2019, Ausstellungsansicht 1, FKV © Jonas Brinker, Foto Norbert M

Ausstellungsansicht Berlin Masters Foundation, 2021, Foto Marcelina Wellmer

 

Insbesondere in den vergangenen Jahren wurde die Rückkehr des Wolfes in deutschen Wäldern mit Angstszenarien verbunden, die immer wieder bestimmte Metaphern und Topoi aufrufen. Der Wolf steht für viele als Sinnbild für eine bedrohliche, wilde, jedoch auch kluge und freie Kreatur. Diese Stereotypen werden dem Tier vor allem durch eine bestimmte Bildsprache zugeschrieben, die den Wolf in Dokumentationen oder Spielfilmen als eben diese Metapher rahmen.

Pointiert zeigt Jonas Brinker in "Standing Still" das Zusammentreffen von Natürlichem und Künstlichem und führt uns vor Augen, wie die moderne Bilderproduktion unsere Wahrnehmung beeinflusst.

 

Standing Still, 2019, Ausstellungsansicht 2, FKV © Jonas Brinker, Foto Norbert M

 

Seine Videoarbeit baut auf diesen Konnotationen auf und zeigt selbst den Moment, in dem das Tier zum Bild wird. Vor einem Greenscreen drehte der Wolf seine Runden und stellt sich immer wieder auf einen künstlichen Stein, um in die Ferne zu blicken.

Das Tier wurde dressiert, sich in konditionierten Bewegungsabläufen nach dem Befehl des Menschen zu verhalten. Doch wie verhält es sich in einer offenen Versuchsanordnung, wenn es nicht mit einer Handlungsanweisung zur Aktion angehalten wird? Fehlen ihr die Kommandos in dieser unnatürlichen Umgebung?

Bei Brinker verfolgt die Kamera das Verhalten der Wölfin, die die meiste Zeit hilflos und unruhig hin- und herläuft. Ihr Verhalten schwankt zwischen ihrer natürlichen und einer antrainierten, inszenierten Verhaltensweise, zwischen Wildnis und Zivilisation.

Unten sehen sie drei Fotos, die ich auf Jonas Brinkers Instagram-Seite gefunden habe. Es sind Installationsansichten von "Standing Still" während  der Ausstellung  "Framing Movements", 2021 in Tel Aviv.

 

Standing Still, Installationsansicht Framing Movements, 2021, Tel Aviv

Standing Still, Installationsansicht Framing Movements, 2021, Tel Aviv

 

Ein Stein. Ein Wolf! Nichts wie weg!

 

Standing Still, Installationsansicht Framing Movements, 2021, Tel Aviv

 

2022 zeigte Jonas Brinker seine Arbeit "Interval" bei der Ausstellung "The Tide Is High" im Kunsthaus Wiesbaden. Die Ausstellung zeigte Projekte von 16 Künstlerinnen und Künstlern, die ein einjähriges Reisestipendium der Hessischen Kulturstiftung absolviert hatten.

Als er im Zuge dieses Stipendiums zu den Überresten einer unvollendeten Ferienanlage im Sinai zurückkehrte, fand er denselben streunenden Hund, den er zwei Jahre zuvor während eines Austauschprogramms gefilmt hatte. Er filmte ihn erneut, immer noch in der verlassenen Landschaft mit ihren Bauruinen umherirrend, gefangen in einer scheinbar ewigen Zeit. Er zeigt, wie die Aufhebung der Zeitlichkeit nur die anthropozentrische Perspektive beeinflusst und das Subjekt dezentriert, was zu einem weiteren Scheitern der menschlichen Geschichte führt.

 

This reveals how the suspension of temporality only affects anthropocentric perspective and de-centres the subject, leading human history to a further failure. (Silvio Saraceno hier)

 

Und Livne Weitzmann zu Brinkers Werk:

 

Jonas Brinker nutzt Film und Fotografie als Werkzeuge der Beobachtung und Kontemplation.In seiner Kinematografie geht es Brinker darum, anthropozentrische Zeitlichkeiten und Perspektiven zu dezentrieren und die komplexen Verhältnisse und Wechselwirkungen verschiedener Umwelten zu skizzieren und neu zu kontextualisieren.

 

Interval, 2022, Ausstellungsansicht Kunsthaus Wiesbaden, Foto Jens Gerber

Standbild aus Interval, 2022 © Jonas Brinker

Standbild aus Interval, 2022 © Jonas Brinker

Interval, 2022, Austellungsansicht Die Möglichkeit einer Insel

Interval, 2022, Austellungsansicht Die Möglichkeit einer Insel

 

Es geht also um das Zeit- und Ortsempfinden unterschiedlicher Spezies, um die Sicht der Tiere im anthropologisch konditionierten Raum. Was bedeuten zwei Lebensjahre für den Menschen, was sind zwei Jahre für den Hund? Obwohl der Mensch viel älter wird, erlebt er in zwei Jahren mehr, auch an örtlicher Veränderung: Der Künstler kommt von Berlin nach Tel Aviv und zurück.

 

Stray, Ausstellungsansicht Wilhelmshaven, 2023

 

Jonas Brinker (*1989, Bochum/D) studierte von 2015 bis 2018 an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste - Städelschule in Frankfurt am Main bei Prof. Douglas Gordon und Prof. Willem de Rooij und schloss sein Studium als Meisterschüler ab. 2015 graduierte er mit einem Bachelor in Fine Art an der Slade School of Fine Arts in London, GB. Gaststudien führten ihn zudem zur Bezalel Academy nach Tel Aviv und an die Universität der Künste, Berlin. Brinker konnte bereits an Gruppenausstellungen in Frankfurt am Main, San Diego, Amsterdam, London, Maastricht und Paris teilnehmen. Er lebt und arbeitet in Berlin, Deutschland.

Quellen: artmagazine, Berlin Masters, Die Möglichkeit einer Insel, FeuilletonFrankfurt, Frankfurter Rundschau, Frankfurter Kunstverein

alle Bilder © Jonas Brinker

Diesen und die nächsten Beiträge über Wölfe widme ich dem netten Währinger, mit dem ich mich kürzlich über Wölfe, jagende Afghanen, kroatische Mischlinge und "französische Bracken" unterhalten habe, sowie über die Liebe zu einem Hund, die lange über dessen Tod hinaus währt!

 

Installation, Video
30. Mai 2022 - 9:56

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Filippo Berta untersucht Menschen und Tiere in ihren Bewegungen und Handlungen. Seine Werke und sein künstlerischer Prozess heben die sozialen Spannungen, Widersprüche und Dualismen hervor, die durch die Beziehungen zwischen Individuen und ihren jeweiligen Gesellschaften entstehen. Er befragt die oft konfliktreichen und problematischen Grenzen, die diesen dialektischen Zustand definieren. Die Protagonisten machen sich in der Masse - in der Gruppenperformance - zum Träger von Bedeutungen und Unterschieden.

Seine Werke sind hauptsächlich kollektive Performances, die Filippo Berta in einem einzigen ikonografischen Bild oder in einem kurzen essenziellen Video zusammenfasst.

Eines dieser Videos ist "Homo Homini Lupus" von 2011. Obwohl über zehn Jahre alt, hat es nichts von seiner Bedeutung oder Aktualität eingebüßt.

 

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Nach einem zweieinhalb Jahre langen Vorbereitungs- und Auseinandersetzungsprozess mit den Themen Heimat und Nation hat Berta 2011 "Homo Homini Lupus" gedreht. In dieser Videoperformance sind nicht Menschen, sondern Wölfe die Protagonisten, da der Künstler eine Ähnlichkeit zwischen dem Wolf und dem Menschen sieht; auch der Wolf muss in einer Gesellschaft mit klar definierten Regeln leben - mit Ausnahme des "einsamen Wolfs", der diese Regeln verwirft, aber als Ausnahme die Regel bestätigt. Außerdem wollte Berta, dass die Handlung instinktiv und nicht gespielt sein sollte.

Innerhalb des Rudels, einer Metapher für die menschliche Gesellschaft, wetteifern die Mitglieder eifrig um eine Fahne. Das Umland ist eine trostlose Einöde, ein verwüstetes Land, das zunächst als Territorium und dann als Nation gesehen wird.

Drei Wölfe kämpfen aggressiv um die Macht. An ihrer Beute - einer italienische Flagge - reißen sie so wild, als wäre sie die einzige Quelle des Überlebens. Das Wolfsrudel ist eine kleine homogene Gemeinschaft, in der nicht die Solidarität, sondern das Recht des Stärkeren zählt, in der man sich behaupten, für sich und sein Territorium streiten muss, wenn man nicht untergehen will. Dazu der Künstler:

 

Questo video mostra una collettività omogenea che nasconde in sé diverse identità le quali, eccitate da un istinto violento di sopravvivenza, strappano e accumulano le risorse altrui, per poi imporre il proprio potere. La bandiera — contesa e non gratuitamente violentata — nel video esprime un doppio significato, perché nella storia dell’uomo ha sempre definito un territorio entro cui avviene questa lotta fratricida e simboleggia l’imposizione del proprio potere sugli altri. Qualsiasi bandiera riassume nei suoi colori queste caratteristiche. (Filippo Berta zit. n. Flash Art)

 

Dieses Video zeigt ein homogenes Kollektiv, das in sich verschiedene Identitäten verbirgt, die, erregt von einem gewalttätigen Überlebensinstinkt, die Ressourcen der anderen zerreißen und anhäufen, um dann ihre eigene Macht durchzusetzen. Die Flagge - umstritten und nicht grundlos vergewaltigt - hat in dem Video eine doppelte Bedeutung, denn sie hat in der Geschichte der Menschheit immer ein Territorium definiert, in dem dieser Bruderkampf stattfindet, und sie symbolisiert die Auferlegung der eigenen Macht auf andere. Jede Flagge fasst diese Eigenschaften in ihren Farben zusammen. (übersetzt mit DeepL.com)

 

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Filippo Berta und das Museion, das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen, wurden 2017 für die Videopräsentation von "Homo Homini Lupus" im Rahmen der Ausstellung "Hämatli & Patriae" und der darin zu sehenden Zerstörung der italienischen Fahne von rechtspopulistische Seite - von den Fratelli d’Italia - scharf kritisiert. Die Ausstellung thematisierte Begriffe wie Heimat, Ortszugehörigkeit und Vaterland im Lichte der aktuellen Fluchtbewegungen in Europa. Filippo Berta räumte ein, dass die Verwendung der gewalttätig zerrissenen italienischen Flagge eine Verachtung der nationalen Identität impliziert.

 

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Filippo Bertos Arbeit bzw. der Werktitel "Homo Homini Lupus" bezieht sich auf Thomas Hobbes staatstheoretische Schrift "Leviathan" aus dem Jahre 1651.

In "Leviathan"  legt der englische Philosoph den Grundstein für seine Theorie des Naturzustands, in dem die Menschheit ohne Gesetz und ohne Staat lebt. Im Naturzustand wird der Mensch als frei von Einschränkungen der historischen Moral, der Tradition, des Staates oder etwa der Kirche vorgestellt. Aus Hobbes’ Menschenbild ergibt sich, dass in einem solchen Naturzustand Gewalt, Anarchie und Gesetzlosigkeit, ein ständiger Zustand des Krieges (bellum omnium contra omnes) herrschen, in dem "der Mensch dem Menschen ein Wolf ist" (homo homini lupus).

Filippo Berta greift das Hobbes'sche Thema auf. Um die Bestialität (ferinitas) des Menschen zu visualisieren, bedient sich der Künstler des Wolfsrudels, das um die italienische Fahne kämpft.

In der Hobbes'schen Welt besteht der einzige Ausweg aus diesem ständigen Kriegszustand in der Schaffung eines Staates, der in der Lage ist, die Vielzahl der Einzelwillen auf einen einzigen Willen zu reduzieren und Recht und Gesetz durchzusetzen und in dem es rational ist, ihnen gemäß zu handeln. Erst dadurch, dass mehrere Menschen beschließen, gemeinsam einen politischen Körper zu bilden, kann der Naturzustand überwunden und der Übergang zum Staat geleistet werden.

Diese Lösung wird von Berta durch das emblematische Symbol der Flagge in Frage gestellt, die in dieser allegorischen Inszenierung, die den Naturzustand über den Rechtsstaat stellt, immer präsent ist.

Die Aktion hat kein logisches Ende und verbirgt in sich den menschlichen Dualismus, der durch die Logik des "Rechtsstaats" und die Irrationalität des "Naturzustands" repräsentiert wird.

 

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Filippo Berta (*1977 in Treviglio/Italien) hat einen Abschluss in Theorie und Praxis der zeitgenössischen künstlerischen Sprachen der Akademie der Schönen Künste in Bergamo. Er ist Professor an der Stiftung für Fotografie in Modena, Italien. Er lebt und arbeitet in Bergamo und wird von der Prometeo Gallery vertreten.

 

 

Quellen: Flash Art, Dalloul Art Foundation, Prometeo Gallery, Il Giornale

Video und Video Stills © Filippo Berta

 

Performance, Video
6. Dezember 2021 - 11:48

Linda Brant untersucht in ihrer künstlerischen Arbeit (Fotografie, Skulptur, Kunst im öffentlichen Raum und interaktive Projekte) die Art und Weise wie Menschen nichtmenschliche Tiere nach ihrem Tod ehren oder nicht ehren. Während Haustiere häufig betrauert werden, sterben "Nutziere", Wildtiere und Labortiere praktisch unbemerkt und unbetrauert. Was macht eine Tierart der Trauer würdig, eine andere unwürdig? Welche Auswirkungen haben unsere Werte und Urteile über nichtmenschliche Tiere auf die Menschheit?

In ihrem Pet Cemetery Project dokumentiert Linda Brant Grabsteine auf Haustierfriedhöfen in ländlichen und vorstädtischen Gebieten Floridas und kombiniert sie mit Bildern ausgebeuteter Tiere. Die Bildpaare weisen auf Ungereimtheiten und Widersprüche in unseren Beziehungen zu unterschiedlichen Tieren hin.

 

Gracie © Linda Brant

 

Die Künstlerin kombiniert ein Foto des Grabes von Gracie mit einem Bild von zwei Gorillas im Zoo von San Diego; die Mutter untersucht ein i-Pad, das in das Gehege gefallen ist.

 

Pepper © Linda Brant

 

Sie kombiniert das Foto des Grabes von Pepper mit einem Bild eines Zirkuselefanten, der auf einem Ball balanciert.

 

 

Mourned and Unmourned, ein interaktives Kunstprojekt, fand am 25. April 2015 in Orlando/Florida statt. Einmal im Jahr kommt die Gemeinde von Orlando zusammen, um ihrer verstorbenen Hunde zu gedenken. Dabei werden Papierlaternen mit Fotos, Zeichnungen und Botschaften verziert und in der Abenddämmerung auf den See gesetzt. Linda Brants Projekt fand im Rahmen dieser Veranstaltung statt. Sie recycelte die Papierlaternen von früheren Gedenkfeiern und schuf 68 Collagen, die die betrauerten Hunde und ihre fortdauernde Präsenz in unserem Leben darstellen. Doch was ist mit den nicht betrauerten und unbekannten Hunden?  2014 wurden 1583 Hunde von den Orange County Animal Services eingeschläfert.  Die Öffentlichkeit war eingeladen, der Künstlerin beim Aufhängen von 1583 Hundemarken zu helfen, die jeweils mit dem Wort Unknown beschriftet waren. Die Marken für die namenlosen Hunde hingen über den Collagen für die betrauerten Hunde: An alle wurde gedacht.

Auch wenn es nichts mit Hunden zu tun hat, möchte ich ein weiteres Projekt von Linda Brant vorstellen: Auf dem Hartsdale Pet Cemetery in New York hat die Künstlerin eine besondere Gedenkstätte für Nutztiere errichtet. Das Projekt To Animals We Do Not Mourn begann 2015, als Brant das erste von zwei Kreativitätsstipendien der Culture and Animals Foundation erhielt, deren Aufgabe es ist, Künstler und Stipendiaten dabei zu unterstützen, unser Verständnis und unser Engagement für Tiere zu fördern.

Das Mahnmal ist den Tieren gewidmet, die wir normalerweise nicht betrauern, den namenlosen Rindern, Hühnern, Truthähnen, Schweinen und Schafen. Es ist sowohl ein Mahnmal, ein Kunstwerk als auch ein eindringliches Statement für die Notwendigkeit einer größeren Achtsamkeit beim Umgang mit diesen Individuen.

Das Denkmal besteht aus einer sanft geschwungenen, aufrechten Granittafel mit einem gegossenen Rinderschädel in der Mitte.

 

Frontalansicht des Mahnmals © Linda Brant

 

Ein von Hand facettierter Quarzkristall ist an der Stelle platziert, wo das Bolzenschussgerät beim Töten zwischen die Augen geschossen wird. Der Kristall fungiert als Symbol und verwandelt den Ort des Schmerzes in einen Aufruf zum Mitgefühl.

 

Detailansicht des Mahnmals © Linda Brant

 

Das Denkmal wurde am 26. Oktober 2018 auf dem Hartsdale Pet Cemetery aufgestellt. Am 18. Mai 2019 enthüllen Mia MacDonald (Culture and Animals Foundation), Linda Brant und Ed Martin (Haertsdale Pet Cemetary) das Mahnmal. Es befindet sich in der Mitte des Friedhofs in der Nähe des War Dog Memorials, das 1923 aufgestellt wurde. Der 1896 gegründete Haustierfriedhof Hartsdale ist als "The Peaceable Kingdom" bekannt, weil dort alle Tierarten willkommen sind. Er ist der älteste bekannte Haustierfriedhof in den Vereinigten Staaten und steht auf der Liste des National Register of Historic Places.

 

Enthüllung des Mahnmals

Detailansicht des Mahnmals © Linda Brant

 

Jeder Besucher, der die Botschaft des Mahnmals unterstützt, kann einen Stein an seinem Sockel hinterlassen. Die Steine werden gesammelt und bilden die Grundlage für ein neues Mahnmal für die Unbetrauerten. 

Linda Brant lebt und arbeitet als bildende Künstlerin und klinische Psychologin in Orlando/Florida/USA. Sie unterhält eine Privatpraxis und lehrt am Ringling College of Art and Design und an der Saybrook University.

 

27. Juni 2021 - 9:54

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Sein Interesse an der Abkehr der Menschheit von der Natur begleitet den neuseeländischen Künstler Hayden Fowler seit seiner Kindheit. Der Wunsch, die Auswirkungen dieser Entfremdung zu erforschen, hat ihn für sein Studium und seine künstlerische Praxis motiviert. Hayden Fowler begann sein Studium der Biologie, Ökologie und Verhaltensforschung in seiner neuseeländischen Heimat, bevor er nach Sydney zur University of New South Wales Art & Design ging. In den folgenden sechs Jahren absolvierte er ein Studium der bildenden Kunst und begann, sich in der Kunstszene von Sydney zu etablieren. Er nutzt dabei seinen wissenschaftlichen Hintergrund für die Entwicklung seiner künstlerischen Projekte.

2018 absolvierte Hayden Fowler einen einjährigen Aufenthalt im Künstlerhaus Bethanien in Berlin, das sich der Förderung der zeitgenössischen bildenden Kunst widmet.

In seinen komplexen Installationen greift Fowler Ideen aus Biologie, Verhaltens- und Zukunftsforschung auf und schafft Versuchsanordnungen, die von Verlust, Hoffnung und der komplizierten, immer neu zu hinterfragenden Beziehung zwischen Mensch und Natur erzählen. Besonders geht er der Frage nach den kulturellen, spirituellen emotionalen und psychischen Auswirkungen des Artensterbens nach und erforscht, wie Umweltzerstörung ein Ausdruck des Verlusts unserer Beziehung zur Natur ist. Er setzt die Zerstörung der Umwelt mit der Degradierung der Kultur und der Denaturierung der Menschheit in Beziehung. Seine Arbeit und Forschung thematisiert die historischen Einflüsse, die dazu geführt haben ebenso, wie sie einen fiktiven Ausblick auf die Zukunft wagt.

Seine Praxis konzentriert sich auf die Schaffung detaillierter Sets und Dioramen, die Szenen von unberührten futuristischen Innenräumen bis hin zu postapokalyptischen Landschaften darstellen. In diesen aufwändigen Sets choreografiert er menschliche und tierische Subjekte. Methodisch verknüpft er innerhalb dieser fiktiven Räume verschiedene Medien, von Fotografie über Video bis hin zu Performance und Skulptur.

Zurzeit ist er mit einer Arbeit bei der Ausstellung "Ruhr Ding: Klima" vertreten. Ziel ist es, den durch theoretische, wissenschaftliche und journalistische Debatten geprägten Klimadiskurs, um künstlerische Sichtweisen zu ergänzen und zu erweitern. Auf dem Gelände der stillgelegten Zeche General Blumenthal in Recklinghausen legt Fowler eine künstliche Landschaft an. In einer geodätischen Kuppel - einem Gewölbe aus einer Vielzahl aneinandergefügter Dreiecke - sollen Pflanzenarten, die in der durch Schwerindustrie gezeichneten Region bereits ausgestorben sind, zu neuem Leben erwachen.

National und international bekannt wurde Hayden 2007 mit der Arbeit "Call of the Wild" bei der er sich ein Paar ausgestorbener Huia-Vögel über die gesamte Fläche seines Rückens tätowieren ließ. Bereits bei dieser Arbeit verschmolz seine Sorge über das zunehmende Aussterben von Pflanzen und Tieren mit seinem Bewusstsein für die Kraft der Performance-Kunst.

"Together Again" (2017) ist eine Virtual-Reality-Landschaftsinstallation und Live-Performance, die erstmals bei Performance Contemporary im Rahmen von Sydney Contemporary 2017, Carriageworks, Sydney, gezeigt wurde.

Die Beziehung zwischen Fowler und einem australischen Dingo wird nicht in seinem natürlichen Habitat, sondern im Kunstkontext gezeigt und erforscht.

 

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Der Dingo (Canis lupus dingo) ist ein Haushund, der schon vor Jahrtausenden verwilderte und heute in vielen Teilen seines Verbreitungsgebietes, vor allem in Australien, vom Menschen völlig unabhängig lebt. Er ist eine einzigartige Spezies mit einer bedeutenden Geschichte und einem bedeutenden Platz innerhalb des australischen Imaginären.

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Der Dingo und der Künstler besetzen während der vierstündigen Performance gemeinsam einen großen Käfig. Eine Virtual-Reality-Brille lässt Fowler in eine idyllische australische Landschaft eintauchen, während die Bewegungen des Dingos, der mit einem VR-Tracker ausgestattet ist, in die VR-Installation übertragen werden. So können Tier und Mensch in dieser digitalen Neuinterpretation der "Wildnis" "koexistieren".

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Der Titel "Together Again“ täuscht über die Trennung zwischen der virtuellen Welt (eine generisch schöne australische Outback-Landschaft) und der physischen Realität des Raums der Ausstellung und der Performance hinweg. Während der Dingo, der einen VR-Tracker trägt, und der Mensch, der eine VR-Brille trägt, den Käfig physisch durchstreifen, werden ihre Bewegungen direkt in der virtuellen Welt abgebildet.

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

The project has developed out of my ongoing concern with the accelerating process of extinction and the relationship between environmental loss and the depletion of human culture and qualitative experience. In particular, the project explores desires for reunion with nature, in the face of the looming impossibilities of this in a near-future world. Research in the development of the project explores indigenous world views, animism, biophilia and the ‘indigenous mind’ (a trait argued to be innate to all humans, instinctively desiring a communal relationship with the rest of nature) as counters to dominant Western thinking.(Hayden Fowler, 2017)

"Das Projekt hat sich aus meiner anhaltenden Beschäftigung mit dem sich beschleunigenden Prozess des Aussterbens und der Beziehung zwischen dem Verlust der Umwelt und der Verarmung der menschlichen Kultur und qualitativen Erfahrung entwickelt. Insbesondere erforscht das Projekt die Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung mit der Natur angesichts der sich abzeichnenden Unmöglichkeit einer solchen in einer Welt der nahen Zukunft. Die Forschung während der Entwicklung des Projekts erkundet indigene Weltanschauungen, Animismus, Biophilie und den 'indigenen Geist' (eine Eigenschaft, von der behauptet wird, dass sie allen Menschen angeboren ist, die instinktiv eine gemeinschaftliche Beziehung mit dem Rest der Natur anstreben) als Gegenpol zum dominanten westlichen Denken." (Hayden Fowler, 2017)

 

(Die Biophilie ist nach Erich Fromm die leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen. Edward O. Wilson definiert die Biophilie als "the innate tendency to focus on life and lifelike processes" (vgl. Wikipedia). Seine Idee wird auch zum Ausgangspunkt umweltethischer Überlegungen wie der Conservation Ethic, nach der das Leben und die Artenvielfalt bewahrt und geschützt werden sollte. Ich nehme an, dass sich Hayden Fowler darauf bezieht.

Über seine Motivation zu "Together Again" sagt der Künstler, dass sich die Welt mit einem drohenden Tod des Alten konfrontiert sehe, sowohl in der menschlichen Kultur als auch in der Umwelt, wo die verzögerten Effekte der Moderne und die Beschleunigung der technologischen Industrialisierung zum Tragen kämen. Wir befänden uns an einem kritischen Kipppunkt der Auslöschung und des Verlustes unserer uralten Beziehungen und unserer physischen Erfahrung der Natur und insbesondere der Wildnis.

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

Together again, 2017 © Hayden Fowler

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Fowlers Projekt wurde im März 2018 in der Zeitschrift Artlink vorgestellt. Im Editorial der Ausgabe stellt die Chefredakteurin Eve Sullivan einen Zusammenhang der Arbeit zu Barbara Creeds „Stray: Human-Animal Ethics in the Anthropocene“ her. Creed, die für ihren Beitrag zur Filmwissenschaft und zum feministischen Denken im Allgemeinen bekannt ist, hat in den letzten Jahren hat ihre Aufmerksamkeit auf das Leben nicht-menschlicher Tiere gerichtet und auf die vielfältigen Möglichkeiten, wie Menschen mit ihren nicht-menschlichen Verwandten umgehen, sie unterdrücken und von ihnen lernen können. Sie fordert gegenseitigen Respekt und Empathie, die darauf basieren, mit und nicht nur auf Tiere zu schauen.

In diesem Sinn kann man Fowlers Arbeit als künstlerische Übersetzung ihrer "Streuner-Ethik" - die Co-Abhängigkeit zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren in Zeiten der Bedrohung und Verlassenheit - bezeichnen.

Wahrscheinlich ist Ihnen auch sofort Joseph Beuys und der Kojote eingefallen. Da heuer Beuys 100. Geburtstag wäre, ist sein Werk auch in vielen Ausstellungen gegenwärtig. Auch Susan Ballard geht bei ihrer Beschreibung von Fowlers Performence kurz auf Beuys ein. Ich folge den Ausführungen ihres Aufsatzes "Heading for trouble: Non-human futures in recent art".

Inmitten des Lärms und des Verkehrs einer Kunstmesse gibt es in diesem abgeschlossenen Raum bei Sydney Contemporary eine einzige, weich gepolsterte Plattform, auf der sich Mensch und Dingo gemeinsam aufhalten. Trotz und vielleicht gerade wegen der räumlichen Beschränkungen stehen der Künstler und das Tier eindeutig in einer Beziehung der Intimität. Joseph Beuys' kämpferisches Einsperren von Mensch und Kojote in einem Galerieraum für die Aktion "I Like America and America Likes Me" (1974) wird hier durch eine Beziehung des scheinbaren gegenseitigen Nutzens ersetzt, die durch sanfte Berührung und langsame Bewegung definiert ist. Der Käfig erscheint trostlos, aber die virtuelle Welt ist erfüllt von Farbe, Licht und der scheinbaren Pracht der Natur, die durch Dingoaugen imaginiert wird. Doch auch die Grenzen dieser Welt sind offensichtlich; nachdem immer wieder dieselben drei Kakadus vorbeifliegen, flacht das visionäre Erlebnis ab. Fowler befindet sich innerhalb dieses Endspiels der Natur, die durch die flachen Ebenen der Wiederholung als ausgedünnte, künstlich destillierte Erfahrung abgebildet wird. Der reduzierten Erfahrung wird der restaurative Trost der Mensch-Dingo-Beziehung mit artübergreifender Kommunikation entgegengesetzt, der den Weg nach vorne weist.

 

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

 

 

Diese Arbeit wurde im Garage Museum in Moskau mit einer russischen Landschaft und einem europäischen Wolf wiederholt. Die Zuschauer konnten das VR-Erlebnis über einen Monitor verfolgen, der Fowlers Live-Ansicht übertrug.

 

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

 

Auch mit  "Captive born" (2020) zeigt der Künstler eine poetische, ritualbasierte Performance, die die Zukunft neu imaginiert und modelliert und versucht historische und systemische Machtstrukturen aufzudecken und aufzubrechen. Bereits der Titel zeigt die Herrschaft des Menschen über das Tier, in Gefangenschaft geboren und zumeist gestorben.
 

 

Captive born, 2020 © Hayden Fowler

 

Ein australischer Dingo - als Exponent einer immer noch erinnerten Wildnis - ist in einem antiquierten Zoo-Gehege eingesperrt. Das Gehege verweist auf die jüngere Geschichte menschlicher Herrschaft und Expansion, symbolisiert durch botanische und zoologische Sammlungen, die verblasste Überbleibsel der Aufklärung sind. Isoliert in seinem konkreten Lebensraum, kommuniziert der Blick des Tieres einen Widerstand gegen die Unterwerfung.

 

Hayden Fowler (*1973 in Te Awamutu/ Neuseeland) lebt in Berlin und Sydney.

 

23. Februar 2017 - 10:48

Die Video- und Fotoarbeiten von Anna Jermolaewa bestechen durch eine unprätentiöse, prägnante Bildsprache. Doch nur vordergründig erscheinen die kurzen Filmstücke anspruchslos und schlicht. Auf den zweiten Blick entblößen sie verstörende Bedeutungsebenen: Die Filmsequenzen thematisieren die sozialen Beziehungsabläufe und Routinen unserer Gesellschaft, zeigen Macht- und Kontrollmechanismen. Dabei steht die Einfachheit der filmischen Darstellung im Gegensatz zur Hintergründigkeit ihrer Werke.

Anna Jermolaewa sieht sich nicht als Videokünstlerin im eigentlichen Sinne, da sie kaum mit dieser Technik experimentiert und das Videomaterial auch nicht durch digitale Nachbearbeitung oder Spezialeffekte manipuliert. Einzig durch den Einsatz des Loops, eines ihrer Markenzeichen, wird die gefilmte alltägliche Situation, das alltägliche Motiv potenziert.

Ich möchte drei Videoarbeiten vorstellen, die mit dem Motiv des Hundes arbeiten.

Untitled, Video, 1 min., 2004

Dieses Video bietet nur einen ersten Eindruck, in besserer Qualität und voller Länge finden Sie die Arbeit auf der Homepage der Künstlerin.

 

 

 

Wie meist in ihren Arbeiten wird der Zuschauer auch hier mit einem starren, das Geschehen strikt begrenzenden Bildausschnitt konfrontiert. Wir sehen batteriebetriebene Spielzeughuskys, deren Augen nacheinander rhythmisch zu blinken beginnen. Erst dieses Blinken verwandelt die Spielzeuge in etwas Außergewöhnliches. Verwandeln sich die Spielzeughunde, ergänzt durch den "belebenden" Ton aus dem Inneren, in Wesen, die bedrohen, ängstigen und nicht nur unterhalten? Kippt des Alltägliche und Belanglose ins Unheimliche? Oder zwinkern sie uns doch nur ironisch zu?

Von drei Seiten ist der Besucher von den blinkenden Huskys umgeben. Wird er Augen- und Ohrenzeuge einer quasi unaufhörlichen Besessenheit und Zwanghaftigkeit?

 

Ausstellungsansicht Galerie XL, Moskau, 2008
Ausstellungsansicht Galerie XL, Moskau, 2008

 

Untitled, Video, HD, 3.48 min., Loop, 2010/2012

Ein Schäferhund ist auf einem Gepäckförderband auf einem russischen Flughafen zu sehen. Er beschnüffelt, von einer Sicherheitsbeamtin instruiert, die Koffer und springt dann vom Fließband hinunter und aus unserm Blickfeld hinaus. Die statische Kamera ist quasi teilnahms- und emotionslos auf die Koffer und mit Plastik verschnürten Pakete gerichtet, die sich in der Kurve stauen, weiterschieben, auftürmen und herunterfallen.

Mein erster Gedanke war, dass es um die Funktionalisierung des Hundes für menschliche Zwecke geht. Der (Arbeits-)Hund hat in dieser Situation keine Entscheidungsgewalt über sein Tun, sondern seine Beziehung zum Menschen ist z.B. von Gehorsam oder Gefallen-Wollen geprägt, sodass er als Drogenhund benützt werden kann. Der öffentliche Ort einer Transitzone im Flughafen wird nicht nur durch Überwachungskameras kontrolliert, auch die Gepäckstücke unterliegen organisierter staatlicher Kontrolle. Die Kontrollgesellschaft hat einen Teil dieser Überwachung an den Hund abgegeben, der ungewollt zum Komplizen des Überwachungs-Staates wird.

Erst beim weiteren Betrachten fiel mir die Ähnlichkeit zum Video "Überlebensversuche" auf, in dem Spielzeug-Stehauffiguren sich immer schneller bewegen, bis sie vom Tisch hinunterfallen. Auch bei Untitled, Video, HD, 3.48 min., Loop, 2010/2012 lässt Anna Jermolaewa die Dingwelt sprechen, die Videoprotagonisten sind allerdings Gepäckstücke. Sind die Koffer Metaphern für das Weiterkommen, Auf-der-Strecke-Bleiben, Hinausfallen (aus der Gesellschaft, dem Arbeitsprozess etc.)? Die Tonspur bringt dumpfe verzerrte Geräusche der weitertransportierten Bündel auf dem Fließband und erzeugt ein Gefühl der Beklemmung.

 

Motherhood, Video, 33 sec., Loop, 1999

Leider habe ich zu diesem Video nur Filmstills gefunden, weshalb das Gezeigte für mich nicht eindeutig ist. Auch in den kunsttheoretischen Texten finden sich unterschiedliche Sichtweisen und Bewertungen. Ich habe vor allem diese Quellen verwendet: Dr. Ulrike Ritter: Narrationen gegen die Monumentalisierung des Bildes, Martin Prinzhorn: Der Blick vorbei aufs Ganze, Martin Pesch: Anna Jermolaewa sowie Texte auf Anna Jermolaewas Homepage.

Der Titel "Mutterschaft" lässt Bilder des Umsorgens, des zärtlichen Zuwendens zu den Welpen in uns entstehen, doch die Filmstills zeigen etwas anderes:

 

Anna Jermolaewa, Standbild aus dem Video Motherhood, 1999

Anna Jermolaewa, Standbild aus dem Video Motherhood, 1999

Anna Jermolaewa, Standbild aus dem Video Motherhood, 1999

Anna Jermolaewa, Standbild aus dem Video Motherhood, 1999
Anna Jermolaewa, Standbilder aus dem Video "Motherhood", 1999, Quelle mumok

 

Während die Welpen an den Zitzen einer Hündin saugen, gilt die Aufmerksamkeit der Hundemutter einer menschlichen Hand, die sie füttert. Die andere Hand hält den Hund an einer Hautfalte am Nacken fest. Dabei ist unklar, ob sich die Hundemutter von selbst dem Menschen zuwendet oder am Nacken gezogen wird.

Der fütternde und manipulierende Mensch, der an einem Tisch sitzt, bleibt für den Betrachter/die Betrachterin ebenso außerhalb des Bildausschnitts wie die Tischrunde, auf deren Gespräch er sich der konzentriert. Viele Arbeiten Anna Jermolaewas handeln von Manipulation. Die Künstlerin sagt selbst: "Wer oder was manipuliert, bleibt dabei fast immer außerhalb des Bildfeldes. Die Machtmechanismen, die ein Individuum heute beeinflussen oder lenken, werden immer feiner und unsichtbarer".

Alexandra Henning beschreibt das Video als "ein so eindringliches wie idiosynkratisches Beispiel für das Ungleichgewicht von Liebe und Zuneigung, Macht und Ohnmacht, Abhängigkeit und Manipulation" (vgl. Anna Jermolaewas Homepage)

Ich möchte mich dem anzuschließen: Wenn man die kleine Szene nicht nur kunsttheoretisch betrachtet, sondern auf die Körpersprache der Hündin achtet, bemerkt man, dass sie die Ohren zurücklegt, also zumindest Unbehagen ausdrückt. Die menschliche Berührung ist ihr unangenehm. Trotzdem nimmt sie das Futter an.

Die Videostills bzw. das Video zeichnen in ihrem unklaren Beziehungsgeflecht der Abhängigkeiten ein deprimierendes, hoffnungsloses Bild, das durch unser unbeteiligtes Betrachten umso dramatischer wird.

Die mit 17 Jahren aus Russland geflohene Anna Jermolaewa (geb.1970 in St.Petersburg) studierte in Wien Kunstgeschichte und anschließend bei Peter Kogler an der Akademie der bildenden Künste. Einem größeren Publikum wurde sie 1999 durch Teilnahme an der Biennale Venedig bekannt.

Homepage von Anna Jermolaewa

 

Fotografie, Video
31. Mai 2016 - 8:24

Das, was den meisten von uns vertraut ist, das Spazierengehen mit unserem Hund, hat die Fotografin Brigitte Bauer zum Ausgangspunkt eines Foto-Projektes gemacht. Anlass dafür war die Einladung zu einer Gruppenausstellung, die die französische Landschaft zum Thema hatte. Brigitte Bauer entschied sich dafür, ihre nächste Umgebung in Arles, die sie täglich mit ihrem Hund abgeht, künstlerisch zu untersuchen. Bald verlagerte sich die Aufmerksamkeit von der Landschaft auf Charo, ihren Hund.

 

aus der Serie Dogwalk © Brigitte Bauer

aus der Serie Dogwalk © Brigitte Bauer

aus der Serie Dogwalk © Brigitte Bauer

aus der Serie Dogwalk © Brigitte Bauer

 

Für das Projekt (Dogwalk 2011-2014) ist die Fotografin immer wieder die gleiche Strecke abgegangen und hat dieselben Motive bei verschiedenen Gelegenheiten fotografiert. Es ging um das Wesen des Gehens mit Hund und um das, was man während des Flanierens sieht.

Für die Spaziergänge hat Brigitte Bauer Gegenden ohne Autoverkehr ausgesucht, sodass sich ihre inzwischen 14-jährige Hündin Charo nicht nur frei, sondern auch sicher bewegen konnte. Die Fotografin ist ihr gefolgt und hat sich ihrem Erkundungsrhythmus angepasst. Hunde erfahren ihre Territorien und Reviere mit allen Sinnen, besonders aber nehmen sie Gerüche auf. Da sich Charo beim leinenlosen Umherstreifen nicht an räumliche, vom Menschen vorgegebe Grenzen hielt, verlagerte sich auch Brigitte Bauers Aufmerksamkeit auf das, was die Hündin interessiert hat und dem sie sonst wenig Beachtung schenkt.

 

aus der Serie Dogwalk © Brigitte Bauer

aus der Serie Dogwalk © Brigitte Bauer

aus der Serie Dogwalk © Brigitte Bauer

aus der Serie Dogwalk © Brigitte Bauer

aus der Serie Dogwalk © Brigitte Bauer

 

Es entstand eine Serie von über 3000 Fotos mit dem Handy, aus denen Brigitte Bauer für die Ausstellung auswählen konnte. Jedes Foto kann allerdings auch als Einzelbild gezeigt werden.

"Dogwalk" und "Charo's video" sind von 1. bis 23. Oktober 2016 beim Parcours de l'Art, Avignon zu sehen.

 

aus der Serie Dogwalk © Brigitte Bauer

 

Brigitte Bauer wurde mit ihren Fotos vom Montagne Sainte-Victoire (1992-94), dem Berg, den schon Cezanne gemalt hat, bekannt. In den folgenden Jahren hat sie sich immer mehr dem alltäglich Unspektakulären zugewandt. Sie näherte sich der Landschaft in Serien mit Kreisverkehren (Rond-Points) und Parkflächen in Stadtzentren oder in der Peripherie an (Aller aux jardins; La ville et le jardin) und konfrontiert unsere Naturvorstellungen mit den sozioökonomischen Veränderungen der Landschaft. Auf den ersten Blick mögen ihre Fotos dokumentarisch wirken, doch der Bildaufbau ist hinsichtlich Farbkomposition, Lichtgestaltung und räumlicher Anordnung der Figuren klar kalkuliert.

Auf ihre Fotoserie "Dogwalk" bin ich auf Fauna & Flora gestoßen. Dort finden sie auch ein Interview mit der Künstlerin.

Zum Abschluss sehen Sie Charo's Video, nicht mit der Hand-, sondern der Hundekamera (Body Cam) gedreht.

 

 

Brigitte Bauer (*1959 in Deutschland) lebt seit 1987 in Arles/Frankreich.

alle Fotos © Brigitte Bauer

 

Ausstellung, Fotografie, Video
8. Oktober 2015 - 16:30

Das ist Ovidiu Anton! Der in Wien lebende rumänische Künstler (*1982 in Timişoara) setzt sich unter anderem mit den politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten Rumäniens auseinander. Fast zwangsläufig kommen da Hunde vor.

 

Ovidiu Anton, Foto: Hanna Noller

 

Erst kürzlich erhielt er für das Projekt "How I miss Bucharest or The Journey of a Dog’s Life" gemeinsam mit Alexandru Bălășescu den Hauptpreis des Ideenwettbewerbs "Create Your Bucharest". Der Wettbewerb suchte nach neuen Impulsen für die rumänische Metropole, die von unterschiedlichen kulturellen, historischen und politischen Einflüssen geprägt ist und die derzeit in einem Prozess des Wandels steht.

Die vor wenigen Tagen im MAK zu Ende gegangenen Ausstellung "Mapping Bucharest: Art, Memory, and Revolution 1916-2016" beleuchtete nicht nur das Potenzial der rumänischen Kunstszene, sie zeigte auch die zehn prämierten Beiträge des Wettbewerbs.

Ovidiu Anton und Alexandru Bălășescu erkunden in ihrem geplanten Videoprojekt das heutige Bukarest, indem sie die gegensätzlichen Lebensgeschichten zweier Stadthunde dokumentieren. Die Erzählung entwickelt sich als Auseinandersetzung mit kritischen und traumatischen Erfahrungen wie Mobilität, Exil, Eigentum, Überwachung, Urbanismus und Zugehörigkeit.

 

"Die Geschichte des heutigen Bukarests zu erkunden, indem die gegensätzlichen Leben von zwei Stadthunden nacherzählt werden, ist eine ungewöhnlich eloquente, prägnante und originelle Form der Auseinandersetzung mit kritischen und oft schmerzhaften Themen wie Mobilität, Exil, Eigentum, Überwachung, Urbanismus und Zugehörigkeit. Ein Hund wurde als Streuner in Bukarest geboren und nach Wien adoptiert. Der andere reist mit seinen Wiener Besitzern als Haustier nach Bukarest und landet auf der Straße. Das Schicksal beider Hunde wirkt als Metapher für die Launen und Versprechen des täglichen Lebens in der Stadt." (aus der Jury-Begründung)

 

Wenn ich es richtig verstanden habe, handelt sich es bei dieser Arbeit um ein Projekt, das noch nicht durchgeführt wurde. Ich hoffe natürlich, dass es dabei bleibt und es nicht wirklich einen Hundehalter gibt, der seinen Hund in Bukarest aussetzt.

Bereits 2008 hat Ovidiu Anton bei dem Videoprojekt "Stray Dogs Love Flags" mit Straßenhunden gearbeitet.

Auf seiner Homepage beschreibt der Künstler die Hintergründe zu seiner Arbeit, ich gebe seine Ausführungen hier kurz wieder:

Seit den 1980er Jahren leben in Bukarest unzählige Straßenhunde. Nicolae Ceausescu ließ damals viele Häuser abreißen, um seine ehrgeizigen Großbauprojekte realisieren zu können. Die ehemaligen BewohnerInnen wurden in Sozialwohnungen umgesiedelt, die zu klein waren, um Hunde zu halten. Weiters wurden von staatlicher Seite hohe Gebühren für die Genehmigung zur Hundehaltung eingehoben, die sich die Bevölkerung nicht leisten konnte, sodass sie die Hunde auf den Straßen zurückließ. In der Folge wurden die Hunderudel immer größer, durch unkontrollierte Vermehrung lebten bald 200 000 Straßenhunde in Bukarest. Die Stadt wurde zum Synonym für diese Streuner.

Am Beginn der 1990er Jahre war die Situation unkontrollierbar geworden. Die Stadtregierung begann die Hunde einzufangen und mit Strychnin zu töten, was zu großen internationalen Protesten führte. Heute ist man dazu übergegangen die Hunde einzufangen und zu kastrieren.

Rumänien ist seit 2004 NATO-Mitglied. Man erwartete sich vom Beitritt einerseits ausländische Investitionen, andererseits einen Schritt von der Diktatur hin zur Demokratie. Im April 2008 fand der 20. NATO-Gipfel in Bukarest statt. Bestimmte Teile der Stadtteile wurden zu Sicherheitszonen erklärt und für die Öffentlichkeit gesperrt. Neben einer sichtbar hohen Polizeipräsenz, gab es im Vorfeld Anstrengungen die Stadt zu säubern. So wurden nicht nur Parks gereinigt und Häuser gestrichen, sondern auch die Straßenhunde eingefangen und an unbekannte Orte gebracht. Es gab keine Demonstrationen, weder gegen die Militarisierung und die kapitalistische Ausbeutung noch gegen Bush oder Putin.

Aber ein paar Hunde "protestierten". Ovidiu Anton gab ein paar Straßenhunden in Bukarest eine gestohlene Nato-Flagge, die er zuvor mit Wurstgeruch präpariert hatte.

 

Stray Dogs Love Flags © Ovidiu Anton

 

 

"For the exhibition project Archive In Residence Vienna-Bucharest during this summit I found a pack of dogs in the city centre that I gave a stolen NATO flag. I prepared it with sausage-flavour beforehand. They immediately smelt and loved that dark blue piece of cloth with its white compass rose. The video shows the alpha-dog taking and ripping the flag infront the other members of the pack. There‘s also a private security guy involved, who is usually there to protect the property. A real deep-political comedy!" (Ovidiu Anton hier)

 

 

Stray Dogs Love Flags © Ovidiu Anton

Stray Dogs Love Flags © Ovidiu Anton

 

Ovidiu Anton verwendet Hunde nicht, um auf die deren Lebensbedingungen aufmerksam zu machen, sie fungieren. vielmehr als Metaphern, die seine Gesellschaftskritik transportieren. Ortsspezifischer Kontext und gesellschaftliche Fragen, die mit diesem Ort in Verbindung stehen, prägen sein Werk (so setzt er sich auch mit der Koexistenz von Mensch und Tier im öffentlichen Raum am Beispiel der Katzen in Istanbul auseinander).

Wie die Situation der Straßenhunde in Rumänen zur Zeit aussieht, kann ich nicht beurteilen. Tatsache ist jedenfalls, dass es sowohl städtische als auch private Tierheime gibt. Meine Hedy ist aus einem privaten Tierheim in Reghin. Eine gute Gelegenheit wieder ein Hedy-Foto in meinen Blog einzubauen. Wie sie sehen, passt es nicht nur inhaltlich, sondern auch formal. (Hedy ist übrigens das kleine Husky-Mädchen).

 

Tashi und Hedy, Foto: Helmut Singer

 

Projektfotos © Ovidiu Anton

 

Ausstellung, Video
17. März 2014 - 8:50

Ich habe noch nie etwas vergleichbar Wunderbares gesehen, wie dieses Video. Es versammelt 60 Hunde, die in den letzten 5000 Jahren Künstler und Künstlerinnen zu ihren Bildern inspiriert haben.

 

 

Es stammt von Moira McLaughlin, die nicht nur ganz sensible Collagen um ihrem verstorbenen Hund Darby kreiert, sondern seit Jahren den Blog Dog Art Today schreibt, in dem sie sich mit dem Motiv Hund in der Kunst ernsthaft auseinandersetzt. Überflüssig zu sagen, dass Sie Vorbild für meinen Blog ist.

Sie haben nur ganz wenige Hunde erkannt? Mir erging es nicht anders. Für alle, die es genau wissen wollen, hat Moira eine Liste der verwendeten Hunde zusammengestellt, sie finden sie hier. Die Musik, die sich ins Herz schleicht, ist übrigens Parlez-Moi D'Amour vom französischen Musiker Charlélie Couture. Und jetzt viel Freude beim Nochmalschauen! 

 

Video
30. Oktober 2012 - 10:59

Hörner/Antlfinger, Kramfors, Foto © Edith Ruß Haus

 

Eine Kalbskulptur aus Leder ...

 

Hörner/Antlfinger, Kramfors, Foto © Edith Ruß Haus

 

... und oben deren dreidimensionale Schnittmustervorlage. Das Ungewöhnliche daran: Das Leder stammt von einer Couch im Haushalt des Künstlerduos Hörner/Antlfinger. Die Idee dahinter: einen Diebstahl rückgängig machen, die gestohlene Haut zumindest symbolisch einem Tier zurückgeben. Die Installation heißt "Kramfors", nach dem IKEA-Namen der Couch.

Es gibt nicht viele KünstlerInnen, die unser Verhältnis zum Tier thematisieren, dabei den Bereich der Chimären (Mischwesen) oder der Taxidermie (Tierpräperation) verlassen und sich den von uns so genannten Nutztieren zuwenden. Hörner/Antlfinger widmen sich dem Mensch-Tier-Verhältnis im Bereich der Massentierhaltung, in dem das Tier wird nicht mehr als Lebewesen, sondern nur mehr als Lebensmittel betrachtet wird. Als Eigentum/Objekt des Produzenten ist es rechtlos. Das Künstlerpaar wirft die Frage nach den Rechten der "Nutztiere" auf: Unser Verhältnis zu diesen Tieren gehöre zu den wichtigsten Themen und  Fragestellungen des 21. Jahrhunderts, postulieren sie auf der Pressekonferenz zu ihrer Ausstellung "Discrete Farms. Irgendwo muss das Fleisch doch herkommen" im Oldenburger Edith-Ruß-Haus für Medienkunst.

Das Kölner Duo setzte sich mehrere Monate mit der Tierproduktion in Niedersachsen auseinander, es recherchierte im Internet, führte Gespräche, wollte Mastställe sehen. Doch kein Tierfabrikant ließ das Paar in seinen Betrieb. Die "Bauern" (Antlfinger nennt sie "Stellschrauben im Produktionsprozess") verbergen die Zustände: Discrete Farms demnach, Die Wahrheit der Lebensrealität der Tiere ist den Menschen anscheinend nicht zumutbar.

"Rund 36,5 Millionen Masthühner wurden nach Angaben des Landesbetriebs für Statistik 2010 in Niedersachsen gehalten, 70 Prozent davon in Ställen mit 50 000 Tieren und mehr. Immer weniger Betriebe halten immer mehr Tiere - dieser Trend setzt sich der aktuellen Landwirtschaftszählung (Stand: März 2010) zufolge in Deutschland gerade bei der Haltung von Schweinen und Geflügel zunehmend durch. Bei beidem ist Niedersachsen bundesweit der Spitzenreiter." (Zitat Kreiszeitung)

Mit dem Projekt factory≠farm (2011/12) unternimmt das Künstlerpaar eine politische, ortsbezogene, künstlerische Untersuchung. Dabei stellen sie die gigantischen Massentierhaltungen im Oldenburger Land dem romantisierten Bild des Bauernhofes gegenüber, untersuchen sie das heikle Verhältnis zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren sowie die Medialisierung der Agrarwirtschaft, in der Bauern und Tierhaltung noch immer positiv besetzt sind. Welchen Einfluss haben solche Imaginationen auf die physische, die "reale" Welt?

"Das Bild des Bauernhofs dient heute als Projektion für eine akzeptable Behandlung von Tieren. Diese Projektion überdeckt den aktuellen Kontext der Fleischproduktion, die Fabrik", so das Künstlerpaar. Vorstellungen von "Bauernhöfen" als idyllische Familienbetriebe und würdige Lebensorte von Tieren stehen im Widerspruch zu einer hochautomatisierten Tierindustrie, in der Massenaufzucht in Megaställen und Schlachtung am Fließband den alltäglichen Konsum von Tierprodukten ermöglichen.

In "Bauer Kybers Operations Room" entwerfen die Künstler eine surreale Welt, in der die Vorstellung vom ländlich-idyllischen Bauernhof und die realen »Black-Boxes« Massentierhaltung eine unheilige Verbindung eingehen. Auf drei Bildschirmen in der angedeuteten Bauernstube flimmern winzige Dreiecke, die Hähnchen in einem Stall in realitätsgetreuem Maßstab darstellen. Am Monitor kann der Bauer den Stall komplett überwachen, per Knopfdruck die Temperatur regeln, den Boden reinigen oder die Tiere füttern. Betreten muss er den Betrieb nicht mehr.

 

Hörner/Antlfinger, Foto © dpa

 

Oben sehen sie das Künstlerpaar mit einer Hasenpuppe. In drei Videoarbeiten sprechen zwei handgeschneiderte Hasenpuppen als deren Alter Egos über über alternative Modelle zum Fleischkonsum. Dialog als künstlerische Methode: Gespräche untereinander als künstlerische Form, die dem Publikum präsentiert werden, und Gespräche mit dem Publikum zu unterschiedlichen Projekten, Aktionen und Installationen.

"In Videosequenzen führen die beiden Hasen, flankiert von den Künstlern in militanten Aktivistenoutfits, Gespräche über Haltungsformen, Fleischkonsum und Tierrechte. Gespräche, die wie Bekennerbotschaften daherkommen, aber so normal sind, dass sie auch am Kneipentresen geführt werden könnten. Die beiden Hasen diskutieren über Veganismus oder Missionierungsbemühungen, reden über Agitationsformen und philosophieren darüber, warum es in Frankreich eine Vorschrift gibt, nach der jede Schulmahlzeit Fleisch beinhalten müsse, aber keine, die etwa einen vegetarischen Tag pro Woche festlegt." (Zitat taz)

 

Hörner/Antlfinger, Videostill

Hörner/Antlfinger, Discrete Farms

 

Das gesamte Œuvre von Hörner/Antlfinger baut auf Kommunikation in unterschiedlichen Formaten wie 3-D-Animationen, (virtuellen) Dialogen, Puppenspiel-Adaptionen, Soundskulpturen und Videoarbeiten auf. Ihr Projekt "Discrete Farms" entstand während eines Arbeitsstipendiums, das das Edith-Ruß-Haus für Medienkunst einmal im Jahr vergibt. Ute Hörner unterrichtet an der Kunsthochschule für Medien Köln. Beide leben mit Tieren und vegan.

Die Ausstellung, die bis zum 25. November zu sehen ist, zeigt nicht nur "Discrete Farms", sondern bietet auch eine Retrospektive auf das politisch-engagierte Werk von Hörner/Antlfinger seit den 1990er Jahren. Zur Ausstellung findet ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Führungen, Tierrechtsvorträgen und Kochworkshops (Kochen ohne Knochen) statt.

Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Katharinenstraße 23, D-26121 Oldenburg. Öffnungszeiten: Di–Fr 14.00–18.00 Uhr, Sa+So 11.00–18.00 Uhr, Mo geschlossen

Zum Weiterlesen: Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Homepage von Hörner/Antlfinger, Hochschule für Medien Köln, taz, Wechselausstellung, eigene werte, Kreiszeitung