Februar 2020

21. Februar 2020 - 12:50

Hier sehen Sie Blossfeldts Hund.

 

Blossfeldt's Dog © Alice Wellinger

 

Doch wer war Blossfeldt? Laut Wikipedia war Karl Blossfeldt (1865-1932) ein deutscher Fotograf, der besonders durch streng-formale Pflanzenfotografien bekannt wurde. Er gilt fotokünstlerisch als Vertreter der Neuen Sachlichkeit.

Er sah seine Fotografien aber nicht als eigenständige künstlerische Leistung an, sondern als Vorlage und Unterrichtsmaterial für den Zeichenunterricht.

 

Karl Blossfeldt, Acanthus mollis, 1928

Karl Blossfeldt, Cucurbita, 1928

 

Die österreichische Illustratorin und Künstlerin Alice Wellinger verwendet seine Fotografien als Impuls für ihr Bild "Blossfeldt's Dog".

 

Blossfeldt's Dog © Alice Wellinger

 

Es  zeigt einen kubistisch zerlegten Hintergrund, aus dem Pflanzen im Stil von Karl Blossfeldt wachsen. Im Hintergrund strahlt die Morgenröte. Der Windhund verharrt verzweifelt in dieser zur Monumentalität aufgeblasenen und psychedelisch anmutenden Pflanzenwelt. Die Natur kommt hier sehr unnatürlich, fremd und verunsichernd daher. Schauen Sie nur das Auge des Hundes an! "Wo bin ich nur hineingeraten?", scheint er zu denken. Gut gewählt ist die sensible Rasse des Windhunds; kaum vorzustellen, dass sich ein Bernhardiner von dieser wundersamen Umgebung irritieren ließe.

Karl Blossfeldt wollte mit seinen "Pflanzenurkunden", wie er im Vorwort zu seinem Buch "Wundergarten der Natur" schreibt, dazu beitragen, die Verbindung mit der Natur wiederherzustellen. Diese Absicht konterkariert Alice Wellinger. Mir gefällt dieses Bild ganz besonders, weil es nur durch die Vergrößerung der Pflanzen und durch deren überbordende Ornamentik eine wunderbar bizarre und surreale Komponente bekommt.

Auf ihrer Instagram-Seite finden sich unzählige Arbeiten, wobei sie ihre kommerziellen Illustrationen nicht von ihren persönlichen Projekten trennt. Es finden sich viele verfremdete Gesichter, Körper, Körperteile, Pflanzen, Anklänge an Magritte, Kahlo, Rousseau, literarische und künstlerische Querverweise. Die narrativen, figurativen Arbeiten sind hintersinnig, ironisch, surreal, nüchtern oder poetisch und lassen breiten Raum für Assoziation und Interpretation.

Inspiriert wird die Künstlerin vom Alltag, von Kindheitserinnerungen, vergangenen Erfahrungen und Albträumen. Sie ist eine genaue Beobachterin von menschlichem und tierischem Verhalten, von Gefühlen und emotionalen Kämpfen, die sie in kleine Geschichten verpackt. Sie mag es, wenn die Leute etwas zum Nachdenken haben.

Alice Wellinger (*1962 in Lustenau/Österreich) war lange als Grafikdesignerin für Werbeagenturen tätig, bevor sie begann Kinderbücher zu schreiben und zu illustrieren. Heute arbeitet sie vor allem als freie Illustratorin für den Editorial-Bereich von Magazinen und an freien künstlerischen Projekten in unterschiedlichen Techniken (vor allem Acryl, aber auch Collagen und Buntstift auf schwarzem Tonpapier). Alice Wellingers Arbeiten wurden mehrfach international ausgezeichnet, ausgestellt und in Annuals publiziert.

Die Fotos von Karl Blossfeldt stammen von commons.wikimedia

Blossfeldt's Dog © Alice Wellinger

 

Fotografie, Grafik, Malerei
15. Februar 2020 - 14:06

Wie ein tollpatschiger Welpe mit noch überdimensionierten Beinen und Pfoten schaut mich der orange-rosa-beigefarbene Hund fragend und ein bisschen traurig an.

 

aus der Serie Old Baggy Root, 2018/19 © Megan Rooney

 

Doch je länger ich in das Gesicht mit den ausdrucksstarken Augen sehe, desto zweifelnder und verzweifelter wird sein wässriger Blick.

Der Hund unten sieht aus als käme er gerade ins Bild, den Betrachter bemerkend und anblickend, noch bevor sein durchscheinender Körper ganz getrocknet ist.

 

aus der Serie Old Baggy Root, 2018/19 © Megan Rooney

 

Beide Bilder - ohne nennenswerte Vorzeichnung spontan und verfließend ausgeführt - stammen von der kanadischen Künstlerin Megan Rooney. Immer wiederkehrend ist das Motiv des menschlichen und tierischen Kopfes und Körpers, in den alle individuellen Erfahrungen unwiderruflich eingeschrieben sind.

Erzeugen die vorherrschende Palette von blassen, warmen Farbtönen sowie die schwebenden Motive eine spielerische Leichtigkeit (vgl. Felix Kucher) oder überwiegt das Gefühl der Verletzlichkeit und Versehrtheit der Körper dieser eigentümlichen menschlichen und tierischen Individuen? (vgl. Presseinfo Ausstellung Düsseldorf)

 

Old Baggy Root, 2018/19 © Megan Rooney

Old Baggy Root, 2018/19 © Megan Rooney

 

Auch ihre großformatigen Wandmalereien sind durch eine schnelle rhythmische Herangehensweise gekennzeichnet. Dabei verfolgt die Künstlerin oft keinen genauen Plan, sondern geht ohne Vorzeichnung oder Modell vor, beim Malrozess das volle Risiko eingehend. Megan Rooney sagt selbst, dass der Akt der Malerei etwas sei, das Energie freisetzt und es ein Glück sei, malen zu können.

Die aufstrebende Künstlerin arbeitet medienübergreifend mit Malerei, Installation, Performance, Tanz und Sprache. In ihrer künstlerischen Praxis bewältigt sie die gesamte Bandbreite von kleinformatiger intimer figurativer Malerei bis hin zu monumentaler abstrakter Malerei. Sie geht meist auf den zu gestaltenden Ausstellungsort ein und verknüpft die einzelnen Malereien und Objekte zu raumgreifenden Gesamtinszenierungen.

Zurzeit werden mehrere Porträts im Kunsthaus Kollitsch (Klagenfurt/A) sowie großformatige ungegenständliche Arbeiten im Ausstellungsraum Salts (Birsfelden/CH) gezeigt, im Juli 2020 wird eine Einzelpräsentationen im Salzburger Kunstverein (A) zu sehen sein, für die Megan Rooney als Artist-in-Residence den Großen Saal sowie die Ringgalerie gestaltet.

Megan Rooney (*1985, Kapstadt/Südafrika) hat an der University of Toronto und am Goldsmith College in London studiert. Sie lebt und arbeitet seit über zehn Jahren in London.

alle Bilder © Megan Rooney

 

Ausstellung, Installation, Malerei
6. Februar 2020 - 10:13

Neben David Titlow möchte ich Ihnen noch einen Taylor Wessing Photographic Portrait - Preisgewinner vorstellen, der meine Aufmerksamkeit erregt hat, und zwar Pat Martin, den Gewinner von 2019. Zwei Porträts seiner Serie "Goldie (Mother)" - Gail and Beaux sowie Mom (our last one) - wurden ausgezeichnet.

Als ich dieses Foto nur ganz kurz betrachtet habe, nur so lange, um die Entscheidung zu treffen, dass es etwas für den Blog wäre, lag seine Spannung im Kontrast zwischen der schwergewichtigen Frau und dem winzigen Hund. Wahrscheinlich sehe nicht nur ich mich in unserer medial aufgeladenen und reizüberfluteten Zeit permanent mit Fernsehserien wie "The Biggest Loser" oder "No Body is perfect" konfrontiert, in denen dicke Menschen unterschwellig vorgeführt werden. In einem Sekundenbruchteil wollte ich die Frau beim Thema Übergewicht einordnen und als undisziplinierte Angehörige einer bildungsfernen und ökonomisch schwachen Schicht abwerten.

Doch es gelang mir nicht. Wieso verweigern sich diese zwei prämierten Fotografien der despektierlichen Betrachtung und voyeuristischen Aneignung? Wieso erstarb mein Schmunzeln sofort?

Und wieso berührt mich dieses Bild?

 

Pat Martin, Gail and Beaux, 2018 © Pat Martin

 

Beide Porträts zeigen die Mutter des Fotografen. In einem Porträt blickt sie streng und hart in die Kamera und umfasst einen kleinen Chihuahua, dessen Gesicht sich auch auf ihrem T-Shirt befindet. Das andere zeigt sie in Nahaufnahme, wobei ihr Kopf fast das Format ausfüllt und ihr gefärbtes rotbraunes Haar ihre schweren Gesichtszüge einrahmt. Die gesprenkelte Haut gleicht einer Landschaft gelebter Erfahrung, ihr abgewandter Blick ist nachdenklich und verschlossen. Es trägt den Titel Mom (our last one) und wurde nur zwei Monate vor ihrem Tod aufgenommen.

 

rechts - Pat Martin, Mom (our last one), 2018 © Pat Martin
links: Gail and Beaux, rechts: Mom (our last one),
beide aus der Serie Goldie (Mother), 2018

 

Schonungslos ehrlich stellt Pat Martin seine Mutter dar. Eine tiefe leise Traurigkeit, aber auch Leere zeigt sich in ihrem Gesicht (und straft das lustige T-Shirt Lügen). Gails Blick macht ihre Unempfänglichkeit gegenüber unserer Meinung deutlich, er verhindert, dass wir lachen oder uns überlegen fühlen.

Pat Martin (*1992/Los Angeles, USA) hat von 2015 bis 2018 hunderte Porträts seiner Mutter Gail aufgenommen und zwar in deren relativ ruhigen Lebenszeit, nachdem sie ihre Drogensucht überwunden, aber schon mit schweren Atembeschwerden zu kämpfen hatte.

Dem Sohn wurde der sich abzeichnende unwiederbringliche Verlust der Mutter bewusst und er begann mit Porträts, in denen er ihr nicht nur formal, sondern auch emotional immer näher kam. Er betrachtete sie, um etwas über ihr, aber auch sein bewegtes Leben zu erfahren. Sie zu fotografieren wurde für ihn zu einer Art in einen Spiegel zu schauen und unbekannte Spuren zu finden. Doch auch unter seinem tiefen - liebevollen - sezierenden Blick blieb sie seltsam schwer fassbar.

Neben dem fotografischen Eindringen und Einfühlen in ihr Selbst, war die Arbeit an der Serie gleichzeitig eine Möglichkeit ein leeres Familienalbum zu füllen. Pat Martin hatte nur wenige Fotos von sich: seine Geburt, die ersten Geburtstage. Es gab kein Bild seiner Mutter, kein fotografisches Dokument ihrer Existenz. Sie zu fotografieren, kam einem Sammeln von Erinnerungen gleich.

In einem langen Interview, das Pat Martin mit Sean O´Hagan führte, erfährt man die Familiengeschichte, die hinter der Goldie (Mother)-Serie steht. Er lässt uns an seinem Schicksal teilnehmen, das eng mit der Geschichte seiner Mutter verknüpft ist. Ich fasse seine Ausführungen ganz kurz zusammen. Sie helfen vielleicht zu verstehen, wieso sich der Fotograf so exzessiv am Motiv seiner Mutter abarbeiten musste:

Der Vater verließ die Familie als Pat Martin drei Jahre alt war (hier enden auch die fotografischen Erinnerungen). Seine Mutter war süchtig und psychisch krank, unterlag Stimmungsschwankungen, war oft fort (auf Drogenentzug). Das einzig Beständige für den Sohn war die immer wiederkehrende Abwesenheit seiner Mutter, aber auch die nachlässige Betreuung durch deren wechselnde Freunde und sein Gefühl des Unbehagens in deren Gegenwart, das ihn in seiner frühen Kindheit mit einem Gefühl der Angst und des Verlassenseins leben ließ. Später wurde die Mutter auch zu einem funktionierenden Elternteil, der mit Pat die Erfahrungen einer ökonomisch schwachen Existenz teilte. Nach einer Delogierung wurde er von der Familie seines besten Freundes aufgenommen. Er erinnert sich daran als eine Zeit des Glücks und der Stabilität.

Erst als Pat Martin erfuhr, dass seine Mutter an einer bipolaren Erkrankung litt und selbst Missbrauchsopfer ihres Vaters war, verringerte sich seine Wut auf sie. Das Fotografieren wurde zum therapeutischen Akt, zur Möglichkeit seine komplexe und widersprüchliche Beziehung zu ihr durchzuarbeiten. Das Gefühl der Kälte sollte durch warme Erinnerungen ersetzt werden.

Doch können Fotos die Geschichte umschreiben? Pat Martin sagt selbst:

 

"That stuff – my mother’s sadness, her addiction –

it is so much a part of me still." (zit. n. The Guardian)

 

Ich selbst finde es erschütternd und traurig zu sehen, wie groß seine Anstrengungen sind, doch noch so etwas wie schöne Erinnerungen zu erzeugen. Und wie schwierig es für ihn ist, endgültig anzuerkennen, dass die Kindheit freudlos und unsicher war und er vielleicht doch nicht die Mutterliebe erfahren hat, derer er wert gewesen wäre.

 

Pat Martin vor seinen prämierten Fotos, Foto Jorge Herrera

 

Ich bin mir darüber im Klaren, dass dieser Blogbeitrag das Thema Hund weitestgehend verlässt. Als ich das Foto von Gail und Beaux zum ersten Mal sah, wusste ich allerdings noch nicht, wohin mich die Auseinandersetzung mit ihm führen würde. Seine Geschichte hat mich bewegt, vielleicht konnten Sie ihr auch etwas abgewinnen.

Das Wichtigste kommt aber zum Schluss: Letztendlich habe ich doch noch einen Artikel gefunden, in dem über das weitere Schicksal des kleinen Hundes Beaux berichtet wird. Er lebt nun mit Pat Martin.

 

"He's a four-year-old chihuahua, and is now my little pup." (zit.n. Insider)

 

Bilder von Gail und Beaux © Pat Martin

 

Fotografie