Mai 2022

30. Mai 2022 - 9:56

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Filippo Berta untersucht Menschen und Tiere in ihren Bewegungen und Handlungen. Seine Werke und sein künstlerischer Prozess heben die sozialen Spannungen, Widersprüche und Dualismen hervor, die durch die Beziehungen zwischen Individuen und ihren jeweiligen Gesellschaften entstehen. Er befragt die oft konfliktreichen und problematischen Grenzen, die diesen dialektischen Zustand definieren. Die Protagonisten machen sich in der Masse - in der Gruppenperformance - zum Träger von Bedeutungen und Unterschieden.

Seine Werke sind hauptsächlich kollektive Performances, die Filippo Berta in einem einzigen ikonografischen Bild oder in einem kurzen essenziellen Video zusammenfasst.

Eines dieser Videos ist "Homo Homini Lupus" von 2011. Obwohl über zehn Jahre alt, hat es nichts von seiner Bedeutung oder Aktualität eingebüßt.

 

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Nach einem zweieinhalb Jahre langen Vorbereitungs- und Auseinandersetzungsprozess mit den Themen Heimat und Nation hat Berta 2011 "Homo Homini Lupus" gedreht. In dieser Videoperformance sind nicht Menschen, sondern Wölfe die Protagonisten, da der Künstler eine Ähnlichkeit zwischen dem Wolf und dem Menschen sieht; auch der Wolf muss in einer Gesellschaft mit klar definierten Regeln leben - mit Ausnahme des "einsamen Wolfs", der diese Regeln verwirft, aber als Ausnahme die Regel bestätigt. Außerdem wollte Berta, dass die Handlung instinktiv und nicht gespielt sein sollte.

Innerhalb des Rudels, einer Metapher für die menschliche Gesellschaft, wetteifern die Mitglieder eifrig um eine Fahne. Das Umland ist eine trostlose Einöde, ein verwüstetes Land, das zunächst als Territorium und dann als Nation gesehen wird.

Drei Wölfe kämpfen aggressiv um die Macht. An ihrer Beute - einer italienische Flagge - reißen sie so wild, als wäre sie die einzige Quelle des Überlebens. Das Wolfsrudel ist eine kleine homogene Gemeinschaft, in der nicht die Solidarität, sondern das Recht des Stärkeren zählt, in der man sich behaupten, für sich und sein Territorium streiten muss, wenn man nicht untergehen will. Dazu der Künstler:

 

Questo video mostra una collettività omogenea che nasconde in sé diverse identità le quali, eccitate da un istinto violento di sopravvivenza, strappano e accumulano le risorse altrui, per poi imporre il proprio potere. La bandiera — contesa e non gratuitamente violentata — nel video esprime un doppio significato, perché nella storia dell’uomo ha sempre definito un territorio entro cui avviene questa lotta fratricida e simboleggia l’imposizione del proprio potere sugli altri. Qualsiasi bandiera riassume nei suoi colori queste caratteristiche. (Filippo Berta zit. n. Flash Art)

 

Dieses Video zeigt ein homogenes Kollektiv, das in sich verschiedene Identitäten verbirgt, die, erregt von einem gewalttätigen Überlebensinstinkt, die Ressourcen der anderen zerreißen und anhäufen, um dann ihre eigene Macht durchzusetzen. Die Flagge - umstritten und nicht grundlos vergewaltigt - hat in dem Video eine doppelte Bedeutung, denn sie hat in der Geschichte der Menschheit immer ein Territorium definiert, in dem dieser Bruderkampf stattfindet, und sie symbolisiert die Auferlegung der eigenen Macht auf andere. Jede Flagge fasst diese Eigenschaften in ihren Farben zusammen. (übersetzt mit DeepL.com)

 

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Filippo Berta und das Museion, das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen, wurden 2017 für die Videopräsentation von "Homo Homini Lupus" im Rahmen der Ausstellung "Hämatli & Patriae" und der darin zu sehenden Zerstörung der italienischen Fahne von rechtspopulistische Seite - von den Fratelli d’Italia - scharf kritisiert. Die Ausstellung thematisierte Begriffe wie Heimat, Ortszugehörigkeit und Vaterland im Lichte der aktuellen Fluchtbewegungen in Europa. Filippo Berta räumte ein, dass die Verwendung der gewalttätig zerrissenen italienischen Flagge eine Verachtung der nationalen Identität impliziert.

 

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Filippo Bertos Arbeit bzw. der Werktitel "Homo Homini Lupus" bezieht sich auf Thomas Hobbes staatstheoretische Schrift "Leviathan" aus dem Jahre 1651.

In "Leviathan"  legt der englische Philosoph den Grundstein für seine Theorie des Naturzustands, in dem die Menschheit ohne Gesetz und ohne Staat lebt. Im Naturzustand wird der Mensch als frei von Einschränkungen der historischen Moral, der Tradition, des Staates oder etwa der Kirche vorgestellt. Aus Hobbes’ Menschenbild ergibt sich, dass in einem solchen Naturzustand Gewalt, Anarchie und Gesetzlosigkeit, ein ständiger Zustand des Krieges (bellum omnium contra omnes) herrschen, in dem "der Mensch dem Menschen ein Wolf ist" (homo homini lupus).

Filippo Berta greift das Hobbes'sche Thema auf. Um die Bestialität (ferinitas) des Menschen zu visualisieren, bedient sich der Künstler des Wolfsrudels, das um die italienische Fahne kämpft.

In der Hobbes'schen Welt besteht der einzige Ausweg aus diesem ständigen Kriegszustand in der Schaffung eines Staates, der in der Lage ist, die Vielzahl der Einzelwillen auf einen einzigen Willen zu reduzieren und Recht und Gesetz durchzusetzen und in dem es rational ist, ihnen gemäß zu handeln. Erst dadurch, dass mehrere Menschen beschließen, gemeinsam einen politischen Körper zu bilden, kann der Naturzustand überwunden und der Übergang zum Staat geleistet werden.

Diese Lösung wird von Berta durch das emblematische Symbol der Flagge in Frage gestellt, die in dieser allegorischen Inszenierung, die den Naturzustand über den Rechtsstaat stellt, immer präsent ist.

Die Aktion hat kein logisches Ende und verbirgt in sich den menschlichen Dualismus, der durch die Logik des "Rechtsstaats" und die Irrationalität des "Naturzustands" repräsentiert wird.

 

Homo Homini Lupus, 2011, Video Still © Filippo Berta

 

Filippo Berta (*1977 in Treviglio/Italien) hat einen Abschluss in Theorie und Praxis der zeitgenössischen künstlerischen Sprachen der Akademie der Schönen Künste in Bergamo. Er ist Professor an der Stiftung für Fotografie in Modena, Italien. Er lebt und arbeitet in Bergamo und wird von der Prometeo Gallery vertreten.

 

 

Quellen: Flash Art, Dalloul Art Foundation, Prometeo Gallery, Il Giornale

Video und Video Stills © Filippo Berta

 

Performance, Video
23. Mai 2022 - 10:13

Etude, 2019 © Gabriele Grones

 

Dieses Ölgemälde eines Hundes hat den Titel "Etude" - welche Tiefstapelei - und ist nur 23 x 25 cm groß!

Es erinnert mich sehr an meine verstorbene Hündin Lucy. Und ja, ich habe bemerkt, dass es sich um einen Rüden handelt. Dennoch …

Ich bin oberflächlich in das künstlerische Universum des italienischen Malers Gabriele Grones eingetaucht. Zwei Themen beschäftigen ihn: Porträts und Naturszenen, die er in einer hyperrealistischen, fast fotografischen Technik ausführt. Beiden widmet er sich mit der gleichen Hingabe und Akribie. Das Hundebild stellt inhaltlich eine Ausnahme dar. Er hat es eigens für eine Ausstellung angefertigt.

In seinen "Porträts" von Pflanzen, Blättern und Grashalmen ("Frammenti") erforscht er die Komplexität der natürlichen Welt, indem er die Schönheit der Natur in Nahaufnahme und im Detail anhand von undramatischen und als unbedeutend geltenden Naturausschnitten darstellt. Dabei bezieht er sich, neben Dürers "Grasstück", auf die Schriften des Heiligen Ignatius von Loyola, der den Menschen dazu anregte, mit einem intensiven und tiefgründigen Blick zu schauen und in allen Dingen eine göttliche Präsenz zu finden.

 

Frammento © Gabriele Grones

 

Beim menschlichen Porträt entwickelt er oft Bildserien derselben Person in leicht unterschiedlichen Posen und Lichtverhältnissen. Die obsessive Darstellung des Gesichts in akribischen Klein- und Mittelformaten und die fehlende Kontextualisierung ermöglichen es dem Künstler, die Bilder in eine metaphysische Atmosphäre zu tauchen.

 

o.T. © Gabriele Grones

 

Gabriele Grones, (*1983 in Arabba/Italien) erhielt seine Ausbildung am Liceo Artistico Statale und an der Accademia di Belle Arti in Venedig, wo er 2009 seinen Abschluss machte. Er nahm bereits zweimal an der Biennale von Venedig teil (Atelier Aperti, 2005 und Padiglione Accademie, 2011). Grones stellt in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen national und international aus. Er lebt und arbeitet zwischen Rovigo, Mailand und New York.

 

alle Bilder © Gabriele Grones

 

Malerei
16. Mai 2022 - 9:18

Vielleicht habe ich schon einmal erwähnt, dass ich Kunstlehrerin bin (in Österreich heißt das Fach Bildnerische Erziehung). Während des Corona-bedingten Distance Learnings habe ich mit meinen 15jährigen Schülern und Schülerinnen die "Family Portraits" der italienischen Fotografin Camilla Catrambone besprochen und sie aufgefordert, von sich Selbstporträts aus Dingen zu erstellen.

Catrambone hat in ihrer Serie die Verwandten durch (Haushalts-) Gegenstände dargestellt, die für die Personen wichtig sind. Dabei ordnete sie die Gegenstände zu einer sorgfältigen Komposition. Jeder Betrachtende kann sich selbst ein Bild davon machen, wie der Besitzer/die Besitzerin dieser Gebrauchsgegenstände real aussehen würde. Der Glaube an die Fähigkeit der Dinge Informationen über den Besitzer zu bringen ist kulturell gefestigt. Trotzdem bleibt die Frage, ob in den Arbeiten Rollenbilder oder Individualität transportiert wird.

 

Family Portraits, 2013 © Camilla Catrambone
Family Portraits, 2013 © Camilla Catrambone

 

Ich glaube nicht, dass Menschen ohne Hund meinen Blog lesen. Deshalb renne ich sicher offene Türen ein, wenn ich Ihnen erzähle, dass auch Hunde eigenen Persönlichkeiten und Charaktere haben. In "A Dog‘s Life" hat Alicia Rius Catrambones Methode (vermeintlich) auf Hunde angewendet und dabei unterschiedliche Hundetypen und -rassen dargestellt. Im Unterschied zu Catrambones Serie zeigt Alicia Rius allerdings beides: die Hunde und ihre Welt, d.h. die Gegenstände, die ihre Persönlichkeit definieren.

Jeder Hund hat oder tut bestimmte Dinge in seinem Leben, die definieren, wer er ist oder was er gerade durchmacht. Alicia Rius traf sich zu Gesprächen mit den HundehalterInnen, schaute sich die Besitztümer jedes Hundes an, um zu verstehen, inwieweit sie zu dem passten, was der Besitzer über den Lebensstil und die Persönlichkeit seines Hundes zu sagen hatten.

 

Just like humans, dogs form attachments to their personal possessions and can give the viewer deeper insight into their identity. The items that shape their daily routine, that they carry, keep, and even eat- give us a glimpse into their hearts and minds. They show us what makes them most proud or happy and even puts their vulnerability on display. (Alicia Rius zit. n. hier)

Genau wie Menschen hängen auch Hunde an ihren persönlichen Gegenständen und können dem Betrachter einen tieferen Einblick in ihre Identität geben. Die Gegenstände, die ihren Alltag prägen, die sie bei sich tragen, aufbewahren und sogar essen, geben uns einen Einblick in ihr Herz und ihren Verstand. Sie zeigen uns, was sie am meisten stolz oder glücklich macht und stellen sogar ihre Verletzlichkeit zur Schau. (übersetzt mit Deepl.com)

 

Die Gegenstände, die zu jedem Hund gehören, zeigen uns also, was der Hund wirklich ist und wie sich sein reales Leben darstellt. Die künstlerische Aufreihung der persönlichen Dinge des Hundealltags zeugt von viel Liebe und Humor der Fotografin. Die fotografischen Ansammlungen sind überaus liebenswert, entzückend, einfühlsam, berührend.

Sie merken, ich bin von ihrer Serie begeistert und kann mich an den Dingen, die sie für ihre Protagonisten ausgesucht hat, gar nicht sattsehen. Meine besondere Liebe gilt den alten Hunden. Deshalb ist auch "Der Senior" mein Lieblingsfoto, dicht gefolgt von "Der Streuner".

 

The Senior, 2018 © Alicia Rius

 

Der Senior: Haben Sie die kleinen Röntgenbilder mit den zarten, zerbrechlichen Hundepfotenskeletten von Magda, einem 13 Jahre alten Spaniel-Dackel-Mix gesehen? Magda wurde als kranker Hund im Tierheim abgegeben und lebt inzwischen bei einer Pflegemutter. Seither hat sie einen Weg voller Tierarztbesuche, Medikamente, Hautbehandlungen und täglicher Injektionen hinter sich, um wieder auf die Beine zu kommen. Doch trotz ihrer schmerzhaften Geschichte wird sie von Liebe und Hoffnung angetrieben.

 

The Neurotic, 2018 © Alicia Rius

 

Der Neurotische: Bär ist eine 4,5 Jahre alte Englische Bulldogge. Die Rasse ist für ihre Sturheit bekannt. Wenn er nicht bekommt, was er will, kaut er stattdessen auf allem herum, dessen er habhaft werden kann.

 

The Stray, 2018 © Alicia Rius

 

Der Streuner: Der Streuner heißt Marmaduke und ist ein 7,5 Jahre alter geretteter Pitbull-Mix, der aufgrund seiner Rasse ausgesetzt wurde und als Restefresser überleben musste. Das harte, ermüdende und hoffnungslose Leben auf der Straße hat Alicia Rius mit all dem verdorbenen Essen illustriert, das er vor seiner Rettung zu sich nahm. Doch Obacht: Die Karotte hat er nicht angerührt.

 

The Fetcher, 2018 © Alicia Rius

 

The Fetcher (Er holt/bringt die geworfenen Bälle. Dafür finde ich kein passendes deutsches Nomen): Knuckles, der 7 Jahre alte Australian Shepherd, ist energiegeladen, intelligent und davon besessen, Frisbees und Bälle zu apportieren. Trainiert wird mit Leckerlis (Beutel). Die Medaillen zeigen, wie gut er bei Wettbewerben ist.

 

The best in show, 2018 © Alicia Rius

 

Der Ausstellungsbeste: Zig, der afghanische Windhund, verbringt die meiste Zeit seines dreijährigen Lebens damit, auf Hundeausstellungen um den Titel "All-Breed Show" zu kämpfen und zu gewinnen! Bei dieser Veranstaltung werden die Hunde danach beurteilt, inwieweit sie mit dem Perfektionsstandard ihrer Rasse konform gehen. Bemerken Sie den eleganten grauen Hintergrund, auf dem seine Utensilien aufgereiht sind?

 

The Princess, 2018 © Alicia Rius

 

Die Prinzessin: Der junge weiße Malteser-Shih Tzu-Mix Lola Rose ist verwöhnt und wird wie eine Prinzessin behandelt. Selbstverständlich hat er einen eigenen Instagram-Account! Seine Tasche stammt von Pawda!

Wenn ich mir die Besitztümer der Hunde ansehe, merke ich erst, was für ein einfacher, bescheidener Hund meine Hedy ist. Ihr gehören zwei Stofftiere, ein "Furminator" - eine Bürste zur Fellpflege (Huskie!) - und ansonsten nur Verbrauchsgüter: ein Kübel mit Leckerlis, getrockneter Pansen, Ochsenziemer, getrocknete Schweinsohren, Rinderkopfhaut und Stinkestangerl.

Bitte schauen Sie sich die ausführliche Making-of-Dokumentation auf Alicia Rius' Blog an. Niemals hätte ich erwartet, wie aufwändig es war, dieses Projekt durchzuführen.

Interessant ist auch, dass der Impuls zur Arbeit nicht von Camilla Catrambone kommt, wie ich vermutet hätte, sondern von Gabriele Galimberti und deren Serie "Toy Stories". Über zwei Jahre lang hat sie mehr als 50 Länder besucht und farbenfrohe Bilder von Kindern mit ihren Spielsachen gemacht und die spontane und natürliche Freude und den Stolz festgehalten, die Kinder empfinden, wenn sie ihre Besitztümer herzeigen.

 

Toy Stories © Gabriele Galimberti

 

alle Fotos © Alicia Rius

 

Fotografie
9. Mai 2022 - 9:48

Captivity I, 2017 aus Myth of the Flat World © Morgan Barrie

 

Schon auf den ersten Blick hat Morgan Barries Foto etwas Artifizielles. Der Eindruck ist berechtigt, da es sich um eine digitale Collage handelt, die ganz unterschiedliche Pflanzen und Tiere auf einem Bild versammelt.

 

Each work is assembled flower by flower so that the final image contains dozens of individual photographs. Native species mix with non-native and even invasive plants, as do human and animal elements. (zit. n. artist statement)

 

Jedes Werk wird Blüte für Blüte zusammengesetzt, so dass das endgültige Bild Dutzende von Einzelfotos enthält. Einheimische Arten mischen sich mit nicht einheimischen und sogar invasiven Pflanzen, ebenso wie menschliche und tierische Elemente. (übersetzt mit DeepL.com)

 

Morgan Barrie erforscht "die natürliche Welt" sowohl als Ideal als auch als Realität. Sie nimmt ihr Ausgangsmaterial selbst auf (Pflanzen etc) und setzt sie digital zusammen.

Ich musste bei Barries Werk sofort an die Blumenstillleben von Jan Breughel d. Ä. denken, der Pflanzen in detailgetreuer Abbildung versammelt, die niemals auf natürliche Weise in einem Strauß vorkommen könnten, da sie zu unterschiedlichen Jahreszeiten, auf unterschiedlichen Kontinenten blühen. Sie deuten auf einen utopischen Zustand der Welt, womit gemeinhin das Paradies gemeint ist. Unten ein Beispiel seiner vielen Blumenstillleben.

 

Jan Bruegel der Ältere, Blumenstrauß in einer Keramik-Vase, nach 1599, Foto Kun

 

Dass es sich um keine Darstellung eines realen Straußes handelt, erkennt man schon daran, dass fast jede Blume zur Gänze zu sehen ist und es kaum Überschneidungen gibt. Diese akribische, virtuose Wiedergabe zeugt vom wissenschaftlichen Interesse der Künstler an der Natur. Die Maler übertreffen allerdings die Natur selbst, indem sie die Pracht von Pflanzen darstellen, die zu verschiedenen Zeiten blühen und deren kostbare Blüten zudem nicht dem natürlichen Verfall unterliegen.

Da Blumen noch nicht gezüchtet wurden, stellten Blumensträuße eine große Besonderheit dar. Sowohl reale Sträuße wie auch gemalte Exemplare wurden als kostbare Rarität empfunden und zeugten von weitreichenden Handelsbeziehungen in ferne Länder. Die Gemälde repräsentierten den Reichtum ihrer Auftraggeber. Sie enthielten aber auch eine Mahnung, da den Gemälden auch Vanitas-Motive, z.B. Insekten, hinzugefügt wurden, die für Vergänglichkeit alles Irdischen stehen.

Tod und Vergänglichkeit ist auch bei Barrie mittelbar präsent - invasive, also eingeführte  Pflanzen, die überhandnehmen, verdrängen andere.

 

A landscape can be read like a text, each element revealing a piece of a narrative. Weeds can tell stories of traveling across continents and displacing other species to dominate their new terrains. Cultivated plants have survived and spread partially through their seduction of human beings, and some animal species are now believed to have partially domesticated themselves. Landscape is something constructed, piece by piece, by many different players. (zit.ebd.)

Eine Landschaft kann wie ein Text gelesen werden, wobei jedes Element einen Teil einer Erzählung offenbart. Unkräuter können Geschichten erzählen, wie sie über Kontinente wandern und andere Arten verdrängen, um ihr neues Terrain zu beherrschen. Kulturpflanzen haben überlebt und sich teilweise durch die Verführung des Menschen ausgebreitet, und von einigen Tierarten wird heute angenommen, dass sie sich teilweise selbst domestiziert haben. Landschaft ist etwas, das von vielen verschiedenen Akteuren Stück für Stück konstruiert wird. (übersetzt mit DeepL.com)

 

Während mich Barries Werk an Breughel erinnert, gibt die Künstlerin selbst Millefleur-Tapisserien (also Wandteppiche der Spätgotik, die Streublumen - tausend Blumen - als Ornament haben) als Ausgangspunkt für ihre Werke an.

In "Captivity I", 2017 spielt Morgan Barrie auf den Wandteppich "The Unicorn in Captivity" (from the Unicorn Tapestries) von 1495–1505 an, der sich im Besitz des Metropolitan Museum of Art befindet. Sie adaptiert die dekorativen Pflanzen des ursprünglichen Wandteppichs, indem sie nordamerikanische Pflanzen einführt, die sie digital auf einen dunklen Hintergrund collagiert. Statt des Einhorns, das für den gezähmten Geliebten steht, befindet sich der angekettete domestizierte Familienhund in der Mitte eines kleinen umzäunten Areals.

 

The Unicorn in Captivity, Foto The Met New York

 

Nochmals zum Vergleich "Captivity I":

 

Captivity I, 2017 aus Myth of the Flat World © Morgan Barrie

 

Ein zweites Beispiel aus der Serie "Myth of the Flat World"

 

Pieces from an Island that is Still Forming II, 2019 (Copy) aus Myth of the Flat

 

Morgan Barries zweite Serie, in der Hunde vorkommen, ist "Arcadia":

Arkadien bezieht sich auf die idyllische Vision einer unberührten Natur und auf die Vorstellung eines Lebens in Harmonie mit der Natur. Es ist ein unerreichbarer Ort, ein verlorener Garten Eden. Schon in der Zeit des Hellenismus wurde Arkadien zum Ort verklärt wo die Menschen unbelastet von mühsamer Arbeit und gesellschaftlichem Anpassungsdruck in einer idyllischen Natur als zufriedene und glückliche Hirten lebten. In der bildenden Kunst und Literatur der Renaissance wurde die griechische Region Arkadien als perfekte und unberührte, unverdorbene Wildnis wiederbelebt.

In diesem fiktiven Arkadien lebten die Menschen in Harmonie mit der Landschaft und anderen Tieren. Selbst heutzutage gibt es eine Vorstellung von einer vergangenen Zeit, in der die Menschen in einer Art Eden lebten, bevor unsere eigene Natur uns daraus verdrängte.

Einerseits möchte der Mensch weitgehend außerhalb der sehr realen und schmerzhaften Zyklen der Natur existieren, andererseits hat er auch eine gleichwertige, aber gegensätzliche Sehnsucht, sich wieder mit der Natur zu verbinden. Die Serie "Arcadia" beschäftigt sich mit diesen zwei gegensätzliche Haltungen, die der Mensch zur natürlichen Welt einnimmt. Barrie  beleuchtet die Schnittstelle zwischen "menschlichen" und "natürlichen" Orten und Seinszuständen. (vgl. artist statement)

The Conqueror, 2014 aus Arcadia © Morgan Barrie

Pet, 2012 aus Arcadia © Morgan Barrie

 

Scott Falls, 2011 aus Arcadia © Morgan Barrie

 

Morgan Barrie reflektiert über die Zukunft unserer Beziehung zur Natur in einer künstlerischen Weise, die durch ihre Schönheit inspiriert und Resonanz findet.

Die in Ann Arbor (Michigan/USA) lebende Künstlerin und Fotografin studierte am Columbia College Chicago, wo sie ihren Bachelor of Arts machte und an der Eastern Michigan University, wo sie im April 2013 ihren MFA-Abschluss in Fotografie erhielt. Ihre Arbeiten werden national und international ausgestellt. Seit 2019 ist sie Assistenzprofessorin an der University of Wisconsin-Stout.

alle Fotos © Morgan Barrie

 

Fotografie
2. Mai 2022 - 8:33

Im Zuge eines vierjährigen Forschungsprojektes, das die Rolle von Malerinnen, Sammlerinnen, Konservatorinnen und Mäzeninnen genauer untersucht, kam das Gemälde "Junge italienische Frau mit Hund Puck" von Thérèse Schwartze aus dem Depot in die Ausstellung des Amsterdamer Reichsmuseums und wurde schnell zum Publikumsliebling. Der Name des dargestellten Hundes ist bekannt, nicht aber der des Modells. Auch danach wird nun geforscht.

Ich kannte zwar das Bild, wusste aber nichts über die Künstlerin. Durch Rodney van den Beemd, der das Gemälde im Rijksmuseum gesehen hatte, kam die Anregung es im Blog vorzustellen.

Thérèse Schwartze (*1851 in Amsterdam/Niederlande, gest. 1918 ebenda) war eine Porträtmalerin, deren Werke den Glamour und Optimismus der niederländischen Elite während der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts einfingen. Sie verband Talent und künstlerische Meisterschaft mit ausgeprägtem Geschäftssinn. Durch Aufträge von wohlhabenden Niederländern und Mitgliedern der königlichen Familie wurde sie sehr wohlhabend. Schwartze erlangte zudem internationales Ansehen, wovon etliche Aufträge aus dem Ausland und Ausstellungen in verschiedenen europäischen Ländern und den USA zeugen.

Auch als sie bereits Millionärin war, ließ Schwartzes Arbeitseifer nicht nach. Ein starkes Streben nach wirtschaftlichem Erfolg - kombiniert mit dem Wissen um die sehr reale Gefahr des Misserfolgs und finanziellen Ruins - zählte zu den hervorstechenden Merkmalen ihrer Persönlichkeit und erklärt, warum Schwartze sich primär Auftragsarbeiten widmete, deren Verkauf zu einem im Voraus vereinbarten Preis gesichert war.

 

Thérèse Schwartze, Young Italian Woman with the Dog Puck, um 1879-1885

 

Thérèse Schwartze malte dieses Modell in italienischem Gewand in ihrem Pariser Atelier. Die junge Frau tauscht einen Blick mit Puck, dem Hund zu ihrer Rechten, aus. Die verschiedenen reichen Stoffe ihres Kleides sind meisterhaft wiedergegeben. Für eine junge Niederländerin war es damals ebenso unkonventionell, in Paris zu arbeiten, wie eine künstlerische Karriere zu verfolgen. Doch als erfahrene Tochter eines professionellen Malers ließ sich Schwartze von solchen Hindernissen nicht abschrecken.

Durch die Kombination von pastosen und feineren Pinselstrichen erzielt Schwartze eine spielerische und lebendige Wirkung. Die puffartig gebundenen Ärmel des Kleides der jungen Frau sind großzügig gemalt, während ihre Hände, ihr Gesicht und ihre Haarlocken sehr detailliert sind.

Die Haltung und der Blick des Hundes erinnert mich an den Hund bei Passerotti, den ich kürzlich vorgestellt habe. Doch während dort bedingungslose gegenseitige Liebe dargestellt wird, sieht die junge Italienerin ein bisschen abschätzig auf den Hund, als wolle sie fragen, was er wolle, und scheint sich über seine Zugewandtheit zu amüsieren.

 

Thérèse Schwartze, Young Italian Woman with the Dog Puck, Detail, um 1879-1885

 

Schwartzes Biografie ist die Geschichte einer einzigartigen Karriere und einer bemerkenswerten Persönlichkeit, die ihrer Zeit voraus war.

Schon als Kind wurde Thérèse von ihrem Vater, dem Maler Georg Schwartze, dazu erzogen, Künstlerin und seine Nachfolgerin zu werden, obwohl die malerische Ausbildung für ein junges Mädchen im 19. Jahrhundert nicht als Beruf, sondern als Teil einer kultivierten Erziehung galt. Geld zu verdienen war nicht die Aufgabe der Frau, sondern die des (Ehe)-Mannes. Aber ihr ehrgeiziger Vater kümmerte sich nicht um die Konventionen der Gesellschaft.

Als er starb, übernahm sie sein Atelier und wurde mit 22 Jahren die Ernährerin der Familie. Ihr Malereibetrieb wurde zu einem echten Familienunternehmen; ihre Mutter kümmerte sich um die Finanzverwaltung und ihre Schwestern halfen beim Kundenempfang.

Bis 1885 arbeitete sie ausschließlich mit Öl, wobei sie die Nass-in-Nass-Technik verwendete. Die Abschnitte, an denen sie arbeitete, mussten in wenigen Tagen vollendet werden, solange die Farbe noch nicht getrocknet war. Als aide-memoires (Gedächtnisstütze) verwendete Schwartze professionell hergestellte Fotografien ihrer Modelle. Später wandte sie sich der Pastelltechnik zu, da sie keine Trocknungszeit erforderte. In nur wenigen Stunden gelang es ihr, ihre Kunden mit sanften Strichen und klaren Tönen zu erfassen. Schwartze war für ihre schnellen Arbeitsmethoden bekannt, sie schuf im Laufe ihrer rund 40 Jahre währenden Karriere etwa 1000 Zeichnungen, Pastelle und Gemälde.

Grund für diese enorme Produktivität scheint ihr unermüdliches Bestreben gewesen zu sein, ihre vielköpfige Familie finanziell abzusichern, vor allem, da sie keinen Ehemann hatte. Sie heiratete erst 1906.

Thérèse war bekannt für ihren geselligen Charakter. Sie knüpfte ein umfangreiches Netzwerk zu prominenten Persönlichkeiten der Kunstwelt, reiste viel, was für Frauen zu dieser Zeit noch ungewöhnlich war. Ihre hochrangigen Kunden empfing sie in einem großen Atelier, das sie später um einen eigenen Ausstellungsraum erweiterte. Aufgrund ihrer Leistungen wurde sie 1896 als erste Frau überhaupt zum Ritter des Ordens von Oranien-Nassau ernannt.

Quellen: Reichsmuseum, Reichsmuseum Sammlung

 

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