Juli 2019

24. Juli 2019 - 15:19

Biennale-Besucher vor Djordje Ozbolts Remember me? Foto Petra Hartl

 

Was für ein Glücksfall für mich, dass ich diesen Biennale-Besucher mit seinem Papillon-Terrier genau vor diesem Gemälde von Djordje Ozbolt im Serbien-Pavillon angetroffen habe. Hunde dürfen ja mit aufs Biennale-Gelände und man sieht gar nicht wenige mit ihren Menschen durch das Areal mäandern und die einzelnen Pavillons besuchen.

 

Biennale-Besucher vor Djordje Ozbolts Remember me? Foto Petra Hartl

 

Vielleicht fragen Sie sich, was so ein Bild, das sie vielleicht als Kitsch einstufen, auf der Biennale verloren hat.

 

Djordje Ozbolt, Remember me? Foto Petra Hartl

 

Es gehört zum Ausstellungsdisplay von Djordje Ozbolt. Er hat den großen unstrukturierten Raum mit einer kulissen- und grisailleartigen Wandmalerei (eine imaginäre Landschaft) ausgestaltet, auf der einzelne figurative und abstrakte Bilder hängen und die Handlung entfalten. Ergänzend dazu sind im Raum fünf Skulpturen zu sehen ("Gang of Five"), die sich auf einzelne Bilder beziehen, auf diese hinweisen.

Der erste Eindruck wird bestimmt vom krassen Gegensätzen: zwischen den archaisch anmutenden Skulpturen und den großformatigen mehrheitlich in leuchtenden Farben gehaltenen Bildern, die wiederum einen Gegensatz zur hellen monochromen Wandmalerei bilden.

Das Bild mit den beiden Scotch-Terriern trägt den Titel "Remeber me?" Erinnert es Sie an etwas? Es hat seine Vorlage im Logo des "Black & White" Scotch Whisky. Mit diesem Bild offenbart sich auch ein Teil von Ozbolts Arbeitsweise: Er sucht Bilder aus seiner großen Büchersammlung (von Auktionskatalogen über Katastrophenbücher bis hin zu Büchern über Hunde), die er durchblättert und die ihm Ideen gibt. So wird der Prozess der Bildfindung angeregt, dann frei assoziierend gemalt und das Unbewusste angeregt. Am Ende des Entstehungsprozesses steht oft ein humorvoller, hintersinniger Titel.

 

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

 

In den meisten Bildern kombiniert Ozbolt allerdings mehrere Motive: Er nimmt Anleihen an einer Vielzahl malerischer Kulturen und Traditionen, wobei er kanonische kunsthistorische Motive mit Cartoons und Kitsch kombiniert. So kreiert er durch neue Assoziationen spielerische Neuinterpretation, eine Mischung aus Hoch- und Populärkultur und eine sehr persönliche visuelle Sprache. Eine Sprache, die von Kubismus, Realismus, primitiver Kunst ebenso beeinflusst ist wie von den Surrealisten (unten z.B. von Magritte), Picabia, Kippenberger, Oehlen und vielen anderen. Und das alles auf sehr humorvolle und sarkastische Weise.

 

Djordje Ozbolt, Now Yoe See Me

 

Die gesamte Arbeit, also Wandmalerei, Gemälde und Skulpturen, trägt den Titel "Regaining Memory Loss". Der Künstler, der noch in Jugoslawien aufgewachsen war, untersucht, wie sich Erinnerungen im Laufe der Zeit verändern, wie sie verblassen oder idealisiert werden, woran sich der Einzelne, aber auch die Gesellschaft erinnert und was lieber vergessen wird. Im Gedächtnis bleiben unzuverlässige fragmentarische Erinnerungen. Ozbolts Arbeit in ihrer Gesamtheit ist eine persönliche Interpretation der kollektiven, bewussten und unbewussten Erinnerung, sie handelt von einer subjektiven Sicht auf die Vergangenheit aus der Perspektive des gegenwärtigen Augenblicks. Als Erinnerung sind diese Kunstwerke falsch, als künstlerische Darstellung aber wahr. (Genaueres dazu z.B. auf der Website der Belgrade Design Week)

 

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

Ausstellungsansicht Djordje Ozbolt/Serbischer Pavillon

 

Djordje Ozbolt (*1967 in Belgrad/Serbien, damals Yugoslawien) studierte von 1988 bis 1991 Architektur und zog 1991 beim Ausbruch des Yugoslawienkrieges nach London, wo er an der Chelsea School of Art, der Slade School of Fine Art und der Royal Academy studierte. Er lebt in London.

Bei jeder Biennale wird neuerlich diskutiert, wie sinnvoll die Beibehaltung der nationalen Pavillons ist. Inwiefern sind die KünstlerInnen noch Repräsentanten ihrer Nationen? Diese Frage hat sich mir auch bei der Recherche zu Djordje Ozbolts Leben und Werk gestellt.

Das Auswahlverfahren für die Gestaltung des Serbien-Pavillons war ziemlich umstritten, da wichtige serbische Institutionen für zeitgenössische Kunst aufgrund intransparenter Verfahren vom Entscheidungsprozess zurücktraten. Auch die lokale Kunstszene kritisierte die Wahl von Ozbolt in den sozialen Medien.

Viele Künstler arbeiten in internationalen Zusammenhängen und Kunstkontexten, die mit ihrer Herkunftsnation wenig zu tun haben. In der Folge gibt es zum nationalen Publikum mit seinem lokalen Zugang wenig Überschneidungen.

Ozbolt antwortet selbst auf die Frage, ob er glaubt, dass seine Arbeit in Serbien anders wahrgenommen wird als in New York oder London, dass er in der sehr kleinen geschlossenen Kunstszene Serbiens als Außenseiter betrachtet werde, weil er früh nach England gegangen sei und Teil der Londoner Kunstszene  geworden wäre. Er fühle sich dieser Szene auch näher, nicht unbedingt in Bezug auf die Arbeit, sondern in sozialer Hinsicht, was ein wenig in die Arbeit einfließe. Aber er habe immer noch ein anderes Erbe, das mitschwinge. Es sei eine Art zu denken und die Dinge zu sehen, die trotz einer westlichen Ausbildung blieben. (vgl. ein Interview von 2015). Ozbolt hat erst einmal an einer Gruppen-Ausstellung in Serbien teilgenommen, 2018 an der Belgrade Biennale.

Mit Djordje Ozbolt sehen wir also einen Künstler, der sein yugoslawisches Erbe mit seiner Londoner und internationalen Erfahrung vermischt, dessen Werk von vielen Reisen und dem Einfluss verschiedener Kulturen, Traditionen und Religionen (bes. Indien und Japan ) geprägt ist. Dessen Bilder alle nationalen und internationalen Erfahrungen, bewusste und unbewusste Assoziationen in sich tragen.

Doch obwohl dieser Künstler in internationalen Kategorien denkt und arbeitet, wirkt der Pavillon auf mich, besonders auf Grund der Skulpturen, auf den ersten Blick sehr "yugoslawisch", bzw. so wie ich mir das vergangene Yugoslawien imaginiere: martialisch, grobschlächtig, handwerklich (als Bollwerk gegen Automatisierung und Digitalisierung) und damit auch ein bisschen abstoßend.

Zweifellos ist dies aber gewollt und Ozbolts sarkastischer Kommentar auf eine Welt, in der viele surreale, lächerliche, oberflächliche Dinge vor sich gehen. (vgl. Interview)

Quellen: neben dem offiziellen Biennale-Führer: Serbian Pavillon, Interview von 2015 sowie Interview von 2019, Belgrade Design Week, Widewalls, Herald St.

Ein paar einleitende Worte zu meinem Besuch auf der Biennale können Sie bei meinem Blog-Beitrag zu Jimmie Durham lesen.

 

Ausstellung, Malerei, Skulptur
21. Juli 2019 - 10:34

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

 

Nach 1988 und 2017 war ich heuer zum dritten Mal auf der Biennale in Venedig. Und obwohl ich an meinen ersten Besuch nur mehr wenig Erinnerung habe (ich war noch Studentin und mit der Meisterklasse unterwegs), ist es wahrscheinlich nicht falsch zu behaupten, dass sie vor rund 30 Jahren noch überwiegend von den viel zitierten "weißen alten Männer" bespielt wurde.

2019 hat der Biennale-Leiter Ralph Rugoff ein ausgewogenes Verhältnis zwischen eingeladenen Künstlern und Künstlerinnen hergestellt, ebenso sind KünstlerInnen aus nichtwestlichen Ländern wie z.B. China, Indien oder Indonesien zahlreich vertreten, ohne dass sie "ländertypische" Kunst zeigten.

Thematisch wird viel verhandelt, wobei ein Schwerpunkt beim afroamerikanischen Körper und schwarzer Identität sowie der Ökologie (vor allem die Meere und der Klimawandel) liegt. Des Weiteren geht es um Migration, Emanzipation, kulturelle Diversität. Nicht alle Werke sind politisch motiviert, es finden sich auch abstrakte Positionen und Auseinandersetzungen mit bestimmten Materialien.

Ein Anliegen von Ralph Rugoff ist es, deutlich zu machen, dass Kunst Perspektiven aufzeigt. Es gehört für ihn zum Wesen der Kunst, dass sie Widersprüche nicht auflösen muss, sondern sie ertragen kann.

Die Kunst ist demnach der Ort der Komplexität. Und sie ist für Rugoff ein Gegenpol zu den politischen Lügen und den noch schwerer wiegenden "alternativen Fakten", denen der Mensch im Internet - einem manipulierenden Instrument der Desinformation mit Diskurse verhindernden Filterblasen - ausgesetzt ist. Sie, die Kunst, produziere keine alternativen Fakten, sondern alternative Perspektiven. Darin liege ihre Qualität.

Für die Themenstellung meines Blogs - Hunde und andere Tiere - gibt es auf der Biennale wenig zu holen. Ihre Kunst ist anthropozentrisch, ihre alternativen Perspektiven haben primär den Menschen im Blick. Mir ist es unverständlich, wie wenig es eine Auseinandersetzung über die Haltung des Menschen zum Tier gibt: Tierfabriken (über 60 Milliarden "Nutztiere" werden jährlich getötet, Fische gar nicht mitgerechnet), Tierversuche, Jagd, Funktionalisierung als Arbeitstier oder zur Unterhaltung, Gewalt gegen Tiere - die Liste ließe sich endlos fortsetzen - kommen in der Kunst nicht zur Sprache. Tiere kommen bei der Biennale nur in homöopathischen Dosen und ohne Belang vor.

Auch die wenigen Hundedarstellungen, die ich gefunden habe, sind nur peripher. Ich möchte trotzdem auf meine "Entdeckungen" eingehen.

Einer der wenigen, der sich dessen bewusst ist, dass Tiere eine Erde mit uns teilen, ist Jimmie Durham.

Ein trauriger Blick aus Murano-Glas!

 

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

 

Jimmie Durham zeigt hier eine Skulptur aus Plastikrohren, Stahl, Gummi, Textilien und einem bemalten Totenschädel zusammengezimmert und "Great Dane" (Dogge) betitelt. Sie ist eine von sieben Skulpturen nicht-menschlicher Tiere - unter anderem Wolf, Bär, Bison, Moschusochse -, alle kombiniert aus Tierschädeln und gefundenen Materialien, die der Künstler als "The Largest Mammals in Europe" im Arsenale ausstellt.

Seine hybriden Skulpturen aus Möbelstücken (der Bisonkörper besteht aus einem Kleiderschrank), industriellen Materialien und gebrauchter Kleidung haben die ungefährere Größe ihrer lebenden Vorbilder und sie bestechen durch ihren Charakter und Ausdruck. Trotzdem sind es keine Tierporträts, sondern poetische Annäherungen und Verschränkungen, die einerseits unsere herkömmliche Vorstellung von der Trennung zwischen Tier und Mensch herausfordern und andererseits die Spezies eindringlich darstellen, die durch den Menschen bedroht sind.

 

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Great Dane, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Brown Bear, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Wolf, 2017, Foto: Petra Hartl

Jimmie Durham, Musk Ox, 2017, Foto: Petra Hartl

 

Durhams Werk kommt ohne viel Bedeutungsgenerierung und Referenzkultur aus, wenngleich die Verwendung von Tierschädeln und Skeletten besonders in der zeitgenössischen Kunst der indigenen Völker Nordamerikas häufig vorkommt und man sie mit Tod und Aussterben in Verbindung bringen kann. Insoferne passen die Knochen natürlich zu seinen Skulpturen, die den vom Aussterben bedrohten europäischen Säugetieren gewidmet sind.

Seine aus unterschiedlichsten Objekten und Werkstoffen bestehenden Werke können unterschiedliche Assoziationen auslösen. Jimmie Durham sagt dazu:

 

Wenn ich ein Stück Holz sehe, den Schädel eines Hundes, eine Plastikflasche, dann fühle ich, dass es da eine Verbindung gibt. Jeder dieser Gegenstände hat eine politische und materielle Geschichte, die ähnlich meiner eigenen ist.

 

Der inzwischen fast 80jährige Jimmie Durham wurde auf der Biennale mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Ralph Rugoff begründet die Entscheidung damit, dass Durham immer gute Arbeit geleistet habe, ohne viele Preise gewonnen oder Ausstellungen in der Tate oder dem Centre Pompidou gehabt zu haben. Stattdessen habe Jimmie ein großes Herz und viel Sinn für Humor.

Jimmie Durham (*1940/USA, lebt und arbeitet in Berlin) ist ein Bildhauer, Konzeptkünstler, Performer und Schriftsteller, Essayist. Er verweigert sich einer einfachen Einordnung. Er war auch politischer Aktivist, in der US-Bürgerrechts- und der Indigenenbewegung aktiv, 1974 wer er z.B. Mitbegründer des International Indian Treaty Council.

Mit Jimmie Durham habe ich auch eine lange unübersichtliche Debatte kennengelernt, die hinsichtlich Fragen der Identität und Identitätspolitik als exemplarisch gelten kann und während einer großen Durham-Retrospektive 2017 (Walker Art Center) ihren Höhepunkt fand. Diskutiert wurde sein Anspruch auf Ureinwohner-Abstammung, auf ein Cherokee-Erbe, das er selbst sowohl behauptet, als auch bestritten hat.

Ich möchte auf diese Jahrzehnte dauernde Debatte nicht näher eingehen, sondern nur auf die Webseite Hyperallergic verweisen, die mir einen ersten interessanten Einblick gegeben hat.

Möglicherweise passen an das Ende meines Blogbeitrags seine melancholischen Worte aus einem Interview für das Whitney Museum of American Art vom Oktober 2017 sehr gut: (zit. nach The Bag. Biennale Art Guide 2019, S 46)

 

These days, it sounds stupid to say "I´m a citizen oft the world". I don´t think I´m a citizen, I think I´m a homeless person in the world. I like to be that way. I think, in the long run, it might help me making better art, a more serious art.

 

Ausstellung, Skulptur