Skulptur

17. Januar 2022 - 10:07

Car wash animals © Ricardo Passaporte

 

Das Werk des portugiesischen Künstlers Ricardo Passaporte wird mit der Pop Art in Verbindung gebracht. In Hinblick auf die Wahl seiner Themen ist diese Einschätzung richtig. Wie Andy Warhol, für den Motive wie Kühe, Dollarnoten, Prominente, Suppendosen etc. bei der Darstellung gleichwertig waren, verwendet auch Passaporte Motive der Werbung und Alltagsästhetik sowie Logos und Tiere in seinen Malereien und Installationen.

Oben sehen Sie ein gespraytes Bild, das in seiner letzten Ausstellung "Car Wash Animals" zu sehen war, bei der er verschiedene Tiere zeigte (Hunde, Papageien, Tiger). Als Vorlage wählte er Bilder aus, die er im Internet, in den Printmedien, in der Werbung und in Geschäften und Vitrinen gefunden hatte; ebenso eignete er sich Details von Straßenansichten auf Google Maps an.

Passaporte arbeitete zunächst als Graffiti-Künstler und wurde durch seine vom Discounter Lidl inspirierte Serie von Gemälden bekannt. (Beispiele zeige ich ganz unten). Er schuf auch Skulpturen und Installationen, die sich mit der Ästhetik und Allgegenwärtigkeit von Unternehmensmarken beschäftigten, von Footlocker über Tesco bis hin zur Westminster Kennel Club Dog Show.

Womit wir auf den Hund gekommen wären. Besser gesagt, auf die "Best In Show"!

Die Besten jeder Rasse bei der letzten Westminster Kennel Club Dog Show zeigte Passaporte 2021 in der Galerie Steve Turner in Los Angeles.

 

Babar, 2020 © Ricardo Passaporte

 

Während die gesprühten Porträts von Rumor, Flynn, King, Babar, Miss P und CJ einen einheitlichen blauen Hintergrund haben, ist jeder Hund eine spezifische, identifizierbare Rasse, eine "Marke", die um Popularität, "Likes" und Marktanteile kämpft. Den Hunden fehlen jedoch die üblichen "niedlichen" Eigenschaften, die mit Rassen und Hundeporträts assoziiert werden. Stattdessen hat Passaporte das Klischee durch eine neutrale Qualität ersetzt, die sowohl den Hund als auch den Betrachter von den erdrückenden Auswirkungen von Marketing, Werbung und Konsumismus befreit. (vgl. Steve Turner, übersetzt mit DeepL)

CJ, 2016 © Ricardo Passaporte

Flynn, 2018 © Ricardo Passaporte

King, 2019 © Ricardo Passaporte

Miss P, 2015 © Ricardo Passaporte

 

Rumor, 2017 © Ricardo Passaporte

 

Passaportes Arbeit hat nicht nur mit der Pop Art und deren Warenästhetik zu tun, sondern - durch die häufige Wahl von Sprühfarben - auch mit der Ästhetik der Graffiti-Künstler. Allerdings betont er, dass es einen Unterschied zwischen der künstlerischen Praxis für Galerien und seinen Graffitis gebe und dass seine Kunst keine Weiterentwicklung oder gar "Verbesserung" seiner Praxis als Graffiti-Künstler sei.

Er sprayt die Farbe aus einer gewissen Entfernung auf, was seinen Arbeiten weiches Aussehen und Unschärfe verleiht. Außerdem führt der Abstand zur Leinwand zu einer Unkontrollierbarkeit im Entstehungsprozess, woraus sich unbeabsichtigte Fehler ergeben: Der Raum für Zufall und Überraschung öffnet sich.

 

Best In Show. Installation view, Steve Turner, 2021

Best In Show. Installation view, Steve Turner, 2021

 

Mit der Tiermalerei begonnen hat Passaporte bereits 2020. Auf Mallorca fand seine Ausstellung mit dem wunderbaren Titel "If dogs don’t go to heaven, I want to go where they go", statt.

 

Untitled, 2020 © Ricardo Passaporte

Untitled, 2020 © Ricardo Passaporte

Super cute dog, 2020 © Ricardo Passaporte

6 50 pm, 2020 © Ricardo Passaporte

Good dog, 2020 © Ricardo Passaporte

Two baby poodles, 2020 © Ricardo Passaporte

 

Wie man unschwer an all seinen Arbeiten erkennen kann, ist für Ricardo nicht Brillanz, sondern unbeholfene Darstellung, das weitgehende Fehlen eines "guten" Geschmacks oder der akademischen Gebote von Perspektive und Komposition wesentlich. Er will bei der Kunstproduktion vielmehr Emotionen auf unmittelbare und reine Weise ausdrücken. Deshalb ist er auch von Dingen fasziniert, die auf unprätentiöse Weise entstanden sind wie naive Graffitis oder Kinderzeichnungen. Sein Ziel ist es, vollkommen frei zu malen/sprayen und dem Ergebnis unbekümmert gegenüberzustehen.

Er verwendet verschiedene Medien und Techniken, um zu seinen "naiven" Ergebnissen zu kommen. Seine künstlerische Sprache und Ästhetik sind die Folge eines sehr persönlichen und intimen Prozesses. Seine scheinbare Lockerheit ist darauf zurückzuführen, dass er sich zur Spontaneität zwingt und Raum für Fehler zulässt.

Group of dogs, 2020 © Ricardo Passaporte

Group of dogs, 2020 © Ricardo Passaporte

Poodle with blue background, 2019 © Ricardo Passaporte

Poodle with red background, 2020 © Ricardo Passaporte

 

Mit den Arbeiten zu Lidl wurde Ricardo Passaporte 2016 bekannt. Er setzte sich intensiv mit der Geschichte des Pop auseinander und unterstrich die sich entwickelnde Beziehung zwischen Kunst und Kommerz. Indem er sich diese Logos aneignete, sie abstrahierte und zu seiner persönlichen Sprache machte, unterbrach Passaporte die Beziehung zwischen Marke und Verbraucher.

 

Ausstellungsansicht Galeria Alegria, 2016
Ausstellungsansicht Galeria Alegria, 2016

Ausstellungsansicht Galeria Alegria, 2016

Ausstellungsansicht Ruttkowski;68, 2018
Ausstellungsansicht Ruttkowski;68, 2018

Ausstellungsansicht Ruttkowski;68, 2018

 

Ricardo Passaporte (*1987 in Lissabon/Portugal) lebt und arbeitet in Lissabon.

 

Installation, Malerei, Skulptur
21. Dezember 2021 - 9:53

Die finnische Künstlerin Liisa Hietanen fertigt in der Serie "Villagers" seit 2012 Doppelgänger der Bewohner und Bewohnerinnen ihrer Heimatgemeinde Hämeenkyrö an. Sie strickt, häkelt und stickt, bis bei ihren Skulpturen aus Garn größtmögliche Ähnlichkeit erzielt ist - von der Nachbildung der Kleidung bis hin zu den tierischen Begleitern.

Die Auswahl ihrer Modelle erfolgt intuitiv. Die Person kann jemand sein, den sie in der Bibliothek oder in der Umkleidekabine des Fitnessstudios trifft oder jemand, der mit seinem Hund spazieren geht. Wichtig ist ihr das Darstellen ihr unbekannter Einwohner in Alltagssituationen.

Das Kennenlernen der Modelle und das Arbeiten in der Gemeinde ist neben dem künstlerischen Aspekt ein Hauptanliegen von Liisa. Gegenstand der Arbeiten ist die Begegnung und das langsame Kennenlernen eines Gegenübers. Die Arbeit in einer Gemeinschaft ist ein wesentlicher Teil von Hietanens Arbeit.

 

Raija, 2018 © Liisa Hietanen, Foto Marjaana Malkamäki

 

Was ist unter der Wollhaut, was verbirgt sich im Inneren des Strickwerks? Über ihre Arbeitsweise habe ich nichts Genaues herausgefunden, nur soviel: Die Figuren werden aus weichen Materialien wie Schaumstoff und Watte über einer Armierung geformt.

Zuerst fotografiert sie ihr Modell aus allen Blickwinkeln, Skizzen sind nicht nötig. Sie schweißt ein einfaches Gerüst und verwendet bei Bedarf Beton als Gewicht, damit die Figuren von allein stehen. Danach formt sie die Gestalt aus Schaumstoff und näht Stoff auf diese Füllung. Darauf werden die gestrickten und gehäkelten Teile genäht. Sie können sich sicher vorstellen, dass dies ein langwieriger Prozess ist.

Im Durchschnitt braucht sie drei Monate für eine Dorfbewohner-Skulptur, wenn zusätzliche Teile wie ein Hund dazukommen, dauert es noch länger.

Dieses langsame Entstehen der Skulptur geht parallel mit dem Kennenlernen des modellgebenden Menschen. Während des Prozesses trifft sie ihre Modelle mehrmals persönlich, da es ihr wichtig ist, die Menschen zu sehen, um sie zu modellieren, und nicht nur ihre fotografischen Vorlagen zur Verfügung zu haben.

Die zeitintensive handwerkliche Technik wirkt der gegenwärtigen Schnelllebigkeit entgegen. Auch das Einfühlen in ihr Gegenüber ist für die Textilkünstlerin ein relevanter Wert und steht im Gegensatz zu den schnellen seichten Begegnungen in den sozialen Medien.

 

Liisa Hietanen bei der Arbeit
Foto von hier

 

Jedes fertige Werk wird an einem öffentlichen Ort aufgestellt, der nahe am Alltagsleben der Einwohner ist. Das kann eine Bibliothek, ein Blumenladen oder ein Restaurant sein. Manche Strickskulpturen reisen sogar zu Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. Liisa möchte, dass ihre Arbeit sowohl für sie selbst als auch für die im Dorf lebenden Menschen eine Bedeutung hat.

 

Modell und Skulptur
Foto von sewandsouk

 

Liisa Hietanen (*1981 in Lohja/ Finnland) schloss 2007 ihren Bachelor of Design an der Lahti University of Applied Sciences und 2012 ihren Bachelor of Fine Arts an der Tampere University of Applied Sciences ab. 2009 begann sie mit Garn zu arbeiten, 2011 hatte sie ihre erste Einzelausstellung. Ihre Arbeiten wurden für eine Vielzahl von Gruppenausstellungen in finnischen Galerien und Museen ausgewählt und sind Bestandteil mehrerer öffentlicher Sammlungen. Sie lebt und arbeitet in Hämeenkyrö, Finnland.

Homepage der Künstlerin

 

Skulptur
6. Dezember 2021 - 11:48

Linda Brant untersucht in ihrer künstlerischen Arbeit (Fotografie, Skulptur, Kunst im öffentlichen Raum und interaktive Projekte) die Art und Weise wie Menschen nichtmenschliche Tiere nach ihrem Tod ehren oder nicht ehren. Während Haustiere häufig betrauert werden, sterben "Nutziere", Wildtiere und Labortiere praktisch unbemerkt und unbetrauert. Was macht eine Tierart der Trauer würdig, eine andere unwürdig? Welche Auswirkungen haben unsere Werte und Urteile über nichtmenschliche Tiere auf die Menschheit?

In ihrem Pet Cemetery Project dokumentiert Linda Brant Grabsteine auf Haustierfriedhöfen in ländlichen und vorstädtischen Gebieten Floridas und kombiniert sie mit Bildern ausgebeuteter Tiere. Die Bildpaare weisen auf Ungereimtheiten und Widersprüche in unseren Beziehungen zu unterschiedlichen Tieren hin.

 

Gracie © Linda Brant

 

Die Künstlerin kombiniert ein Foto des Grabes von Gracie mit einem Bild von zwei Gorillas im Zoo von San Diego; die Mutter untersucht ein i-Pad, das in das Gehege gefallen ist.

 

Pepper © Linda Brant

 

Sie kombiniert das Foto des Grabes von Pepper mit einem Bild eines Zirkuselefanten, der auf einem Ball balanciert.

 

 

Mourned and Unmourned, ein interaktives Kunstprojekt, fand am 25. April 2015 in Orlando/Florida statt. Einmal im Jahr kommt die Gemeinde von Orlando zusammen, um ihrer verstorbenen Hunde zu gedenken. Dabei werden Papierlaternen mit Fotos, Zeichnungen und Botschaften verziert und in der Abenddämmerung auf den See gesetzt. Linda Brants Projekt fand im Rahmen dieser Veranstaltung statt. Sie recycelte die Papierlaternen von früheren Gedenkfeiern und schuf 68 Collagen, die die betrauerten Hunde und ihre fortdauernde Präsenz in unserem Leben darstellen. Doch was ist mit den nicht betrauerten und unbekannten Hunden?  2014 wurden 1583 Hunde von den Orange County Animal Services eingeschläfert.  Die Öffentlichkeit war eingeladen, der Künstlerin beim Aufhängen von 1583 Hundemarken zu helfen, die jeweils mit dem Wort Unknown beschriftet waren. Die Marken für die namenlosen Hunde hingen über den Collagen für die betrauerten Hunde: An alle wurde gedacht.

Auch wenn es nichts mit Hunden zu tun hat, möchte ich ein weiteres Projekt von Linda Brant vorstellen: Auf dem Hartsdale Pet Cemetery in New York hat die Künstlerin eine besondere Gedenkstätte für Nutztiere errichtet. Das Projekt To Animals We Do Not Mourn begann 2015, als Brant das erste von zwei Kreativitätsstipendien der Culture and Animals Foundation erhielt, deren Aufgabe es ist, Künstler und Stipendiaten dabei zu unterstützen, unser Verständnis und unser Engagement für Tiere zu fördern.

Das Mahnmal ist den Tieren gewidmet, die wir normalerweise nicht betrauern, den namenlosen Rindern, Hühnern, Truthähnen, Schweinen und Schafen. Es ist sowohl ein Mahnmal, ein Kunstwerk als auch ein eindringliches Statement für die Notwendigkeit einer größeren Achtsamkeit beim Umgang mit diesen Individuen.

Das Denkmal besteht aus einer sanft geschwungenen, aufrechten Granittafel mit einem gegossenen Rinderschädel in der Mitte.

 

Frontalansicht des Mahnmals © Linda Brant

 

Ein von Hand facettierter Quarzkristall ist an der Stelle platziert, wo das Bolzenschussgerät beim Töten zwischen die Augen geschossen wird. Der Kristall fungiert als Symbol und verwandelt den Ort des Schmerzes in einen Aufruf zum Mitgefühl.

 

Detailansicht des Mahnmals © Linda Brant

 

Das Denkmal wurde am 26. Oktober 2018 auf dem Hartsdale Pet Cemetery aufgestellt. Am 18. Mai 2019 enthüllen Mia MacDonald (Culture and Animals Foundation), Linda Brant und Ed Martin (Haertsdale Pet Cemetary) das Mahnmal. Es befindet sich in der Mitte des Friedhofs in der Nähe des War Dog Memorials, das 1923 aufgestellt wurde. Der 1896 gegründete Haustierfriedhof Hartsdale ist als "The Peaceable Kingdom" bekannt, weil dort alle Tierarten willkommen sind. Er ist der älteste bekannte Haustierfriedhof in den Vereinigten Staaten und steht auf der Liste des National Register of Historic Places.

 

Enthüllung des Mahnmals

Detailansicht des Mahnmals © Linda Brant

 

Jeder Besucher, der die Botschaft des Mahnmals unterstützt, kann einen Stein an seinem Sockel hinterlassen. Die Steine werden gesammelt und bilden die Grundlage für ein neues Mahnmal für die Unbetrauerten. 

Linda Brant lebt und arbeitet als bildende Künstlerin und klinische Psychologin in Orlando/Florida/USA. Sie unterhält eine Privatpraxis und lehrt am Ringling College of Art and Design und an der Saybrook University.

 

12. November 2021 - 12:20

Die letzten Monate standen ganz im Zeichen der Vor- und Nachbereitung meiner Hochzeit, da ich nach achtzehn Jahren (un)wilder Ehe meinen Lebenspartner geheiratet habe. Nach mehrmonatiger Pause nehme ich nun die Arbeit an meinem Blog wieder auf.

 

Das frisch getraute Ehepaar, Foto: freynoi

Hedy, Foto: freynoi

 

Ich versuche diesem privaten Ereignis auch Hund-und-Kunst-Aspekte abzuringen:

 

Die Hochzeitstorte, Foto: freynoi

 

Sind die Huskys auf der Torte nicht absolut gelungen? Wahres Zuckerkunsthandwerk!

 

Petra und Marion, Foto: freynoi

 

Hier sehen Sie Marion Löcker vom Tierrechtsverein Robin Hood, wie ich ihr gerade eine Hundekeramik überreiche. Christiane Grüner hat die Hundehütte mit ruhendem Husky darauf gestaltet. Sie kann wie eine Dose mit Deckel geöffnet werden, darin befand sich ein Geldgeschenk für Marions Grönlandhundeprojekt.

 

Das Geschenk, Foto: freynoi

Eine Hundekeramik (Detail), Foto: freynoi

 

Im großen Packerl unter dem Tisch befindet sich ein Bild, darüber im nächsten Blogbeitrag mehr!

 

Noch verpackt, Foto: freynoi

 

alle Fotos © freynoi

 

Sonstiges, Skulptur
8. März 2021 - 10:53

Schon vor Jahren ist mir Bärbel Rothhaar mit ihren Bienenprojekten im Internet begegnet. Da diese nicht zu meinem Blogthema passten, blieb es bei der Speicherung eines Links. Manchmal stöbere ich in meiner viele Jahre alten Linksammlung und spüre einzelnen KünstlerInnen nach. Und siehe da: Bei Bärbel Rothhaar habe ich Patti gefunden!

 

Patti, 2015 © Bärbel Rothhaar

 

Das Bild ist aus vordergründig disparaten Elementen zusammengesetzt: formlosen wässrigen Flächen und lasierenden Flächen, die Schatten bilden; konzentrischen Linien, die auf eine Wasserlacke hindeuten; dem Hund und den Pflanzen. Die Wörter, es handelt sich um botanische Begriffe, verweisen auf das Dargestellte: Google erklärt es näher. Eustoma grandiflorum ist der großblütige Prärieenzian, früher als Lisianthus bekannt. Stamina (Mz.), die Staubblätter, sind die Pollen erzeugenden Organe bei zwittrigen oder rein männlichen Blüten der Bedecktsamer. Das Stigma (die Narbe) dient der Aufnahme des männlichen Pollen. Der Stylus (der Griffel) in einer Blüte ist der Teil eines Fruchtblatts oder Stempels, der die Narbe trägt.

Die gelbgrünen Formen sind die Pollen, hoch ästhetische Gebilde, die seit der Erfindung des Mikroskops nicht nur WissenschaftlerInnen, sondern auch KünstlerInnen immer wieder faszinieren.

Patti, ein Whippet, kratzt mit der Pfote im Wasser. Malerischer Zufall und wissenschaftliche Genauigkeit ergänzen einander in dieser auf Braun- und Grüntöne beschränkten Arbeit. Auch wenn ein Teil des Bildrätsels gelöst ist, bleibt die Kombination der Teile in dieser Malerei doch geheimnisvoll und unergründlich.

Bärbel Rothhaar arbeitet oft in Serien, wobei ihre Themen (Natur, Naturwissenschaften und Ökologie) bei unterschiedlichsten Kunstprojekten vorkommen und Querverbindungen mit anderen Werken, wie Skulpturen oder Performances, eingehen.

So bildeten Aspekte von Symbiosen zwischen Lebewesen 2015 den Ausgangspunkt eines Kunstprojekts im Botanischen Museum in Berlin. Auch hier richtete sich der Blick der Künstlerin auf die Pollen der Pflanzen - auf Ihre Rolle in der Symbiose zwischen Pflanzen- und Tierwelt und natürlich auf die enorm wichtige Rolle der Bienen bei der Bestäubung.

 

Patti, 2020 © Bärbel Rothhaar

 

In einem perspektivisch uneindeutigen Raum sitzt Patti auf einem nach vorne geneigten roten Hocker, von dem sie eigentlich herunterrutschen müsste. Den oberen Bildraum nimmt eine Art Brücke ein. Die Verbindung von Innen und Außen bleibt unklar. Auch hier wirkt die Zusammenfügung von Gegensätzen - ornamentalen und informellen Bildteilen - charmant und anziehend.

Unten ein kleines Bild (30 x 40 cm) eines Kojoten, der in einer flachen Kuhle liegt: Drückt er schlafend die bunten Blumen zusammen oder wurde er, der Verstorbene, mit Blumen bekränzt? Ich tendiere zu Letzterem. Vielleicht wurde er von einem Auto angefahren und blieb leblos am Straßenrand liegen. Und die Künstlerin hat ihn malerisch zur Ruhe gebettet.

 

Kojote, 2020 © Bärbel Rothhaar

 

Inzwischen kenne ich die Erzählung hinter "Kojote, 2020". Er lebte in der kalifornischen Mojave-Wüste und war einer der zahlreichen Kojoten in dieser Gegend: Ein räudiges, krankes Tier, das von Nathini, der Tochter der Künstlerin, versorgt wurde. Sie gab ihm gelegentlich Wasser und Futter, das mit Medikamenten gegen Räude gemischt war.

 

An einem Ostersonntag ging das Leben des Kojoten aber dann doch zu Ende und er hat sich dafür die Terrasse ihres Hauses ausgesucht, um dort in der Nacht zu sterben. Das Foto mit den Wüstenblumen ist bei der Kojoten-Beerdigung entstanden und es hat mich so sehr berührt, dass ich es malen wollte. (Bärbel Rothhaar)

 

Beides, sowohl das Bild als auch die Geschichte, berührt auch mich. Ein Kojote, der so großes Vertrauen zu einem Menschen hat, dass er dessen Terrasse als Rückzugsort zum Sterben wählt. Eine Frau, die nicht gleichgültig gegen das Leid eines Tieres ist, ihm im Leben hilft und auch nach dessen Tod seine Würde achtet, indem sie ihn mit Zuneigung zu Grabe trägt. Und eine Künstlerin, die die Erinnerung an "Kojote" festhält.

Hunde kommen auch in Bärbel Rothhaars Arbeiten auf Papier vor, in Mischtechnik oder mit Tusche.

 

Quiet Hour, 2020 © Bärbel Rothhaar

Hund, 2018 © Bärbel Rothhaar

 

Weniger emotional herausfordernd ist eine Serie von Aquarellen auf A4-Papier, die ab Sommer 2020 enstand und Mensch-Tier-Metamorphosen zum Inhalt hat, darunter vier mit Hunden. Der Mensch ist schon so lange mit dem Hund verbunden, dass die beiden Spezies eine große Nähe und gegenseitiges Verstehen entwickelt haben. Ja es kommt sogar zu physiognomisch frappierenden Ähnlichkeiten. Das bringt die Künstlerin mit viel Humor und genauer Beobachtung z.B. bei "Dog Lady" oder "Bulldog Man" zum Ausdruck. Hätte Letzterer andere Ohren, würde ich meinen Onkel erkennen!

 

Bulldog Man, 2020 © Bärbel Rothhaar

Dog Dancer, 2020 © Bärbel Rothhaar

Dog Lady, 2020 © Bärbel Rothhaar

Hundemetamorphose, 2020 © Bärbel Rothhaar

 

 

Bärbel Rothhaar widmet sich in ihrer Arbeit als bildende Künstlerin experimentellen Kunstformen, wie beispielsweise prozesshaften Arbeiten im Bereich Kunst und Natur, u.a. Kunstprojekten mit Bienenvölkern. Sie zeichnet (analog und digital), malt und beschäftigt sich mit Enkaustik, der Malerei mit erhitztem, pigmentiertem Wachs.

In den Jahren der Auseinandersetzung mit Bienen spielten für Bärbel Rothhaar viele Faktoren und Ereignisse eine Rolle, die den künstlerischen Prozess motiviert und in Gang gehalten haben:

Zuerst beschäftigte sie sich mit der überaus vielfältigen Bienensymbolik in allen Kulturen. Ab 1999 begann sie mit lebenden Bienenvölkern zu experimentieren. Sie setzte unterschiedliche Objekte - Zeichnungen, Knochen, Metallobjekte - in die Bienenkästen ein und ließ sie von den Bienen verändern und überbauen. Es ging bei dieser "Wildwuchs" genannten Kooperation um den Dialog ihrer eigenen künstlerischen Intention mit natürlichen Prozessen, die nicht immer kontrollierbar waren.

Einige Methoden ihrer Arbeit näherten sich fast der naturwissenschaftlichen Forschung an, ohne das Gleiche zu sein. Dazu gehören Fragestellungen als Motivation und Ausgangspunkt der Arbeit, Interesse am Prozessualen, aber auch Versuchsreihen und Selbstversuche. In "Sleeping in a Beehive" lebte die Künstlerin einige Wochen mit einem Bienenvolk in ihrer Wohnung.

Näheres über Bärbel Rothhaars Bienenprojekte können Sie auf ihrem Blog oder auf ihrer Homepage nachlesen.

Bärbel Rothhaar (*1957 in Rockenhausen/D) hat Bildende Kunst an der Universität der Künste Berlin studiert und anschließend am Whitney Museum Independent Study Program in New York teilgenommen. Sie erhielt zahlreiche Stipendien, u.a. von der Studienstiftung des Deutschen Volkes, dem DAAD, der Karl-Hofer-Gesellschaft Berlin sowie dem Hanse-Wissenschaftskolleg. Seit 1980 stellt sie im In- und Ausland aus und führt Projekte durch.

 

alle Bilder © Bärbel Rothhaar

 

Malerei, Skulptur, Zeichnung
17. November 2020 - 13:37

Marcel Duchamp, Fountain, 1917, Foto: Alfred Stieglitz

 

Was hat Duchamps "Fountain" (1917) mit Hunden zu tun? Betrachten Sie die Signatur R. Mutt: Im Mutt steckt der Hund. Vom Englischen ins Deutsche übersetzt bedeutet Mutt unter anderem Straßenköter oder Promenadenmischung. Da ich das Wort Köter überhaupt nicht mag, übersetze ich quasi politisch korrekt zu "unbegleiteter Hunde-Mix". Mutt als englisches Wort zu betrachten ist deshalb möglich, da Duchamp sein Werk auch mit dem englischen Wort "fountain" betitelt hat (statt das französische Urinoir zu verwenden), um durch den Transfer in eine andere Sprache eine Verfremdung zum Kunstgegenstand zu erleichtern.

Laut Duchamp geht Mutt auf die populären Comicfiguren Mutt und Jeff zurück, das R steht für Richard, also rich art und nicht wie vermutet für Armut (R. Mutt: englisch R und deutsch Mutt ausgesprochen). Es gibt noch weitere Wortspielereien und Mehrdeutigkeiten um R. Mutt, die sie auf Wikipedia nachlesen können.

Ist das untere Werk eine Paraphrase oder Persiflage auf das berühmte Urinal?

 

Our Mutt Dog Bowl © Ourmutt

 

Wie auch immer die amerikanischen Künstler Tamara Johnson und Trey Burns ihre Übersetzung gemeint haben, es erfolgt eine Kommerzialisierung von Duchamps Werk sowie ein weiterer Funktionstransfer, allerdings auf sehr liebenswerte Art. Die Produktion erfolgt in Handarbeit unter Hinzufügung einer Seriennummer.

Aus dem ikonischen Readymade wird durch die Funktionalisierung zur Hundeschüssel ein einzigartiges Designobjekt. Aus R. Mutt wird Our Mutt, die Trinkschüssel für unseren Hund.

Unten sehen Sie Benny, den "Mutt" des Designers. Sie können das Wasserschüsserl auch kaufen, leider ist es so teuer, dass es sich nicht als witziges Mitbringsel für den Vierbeiner eines kunstsinnigen Menschen eignet.

 

Our Mutt Dog Bowl with Benny © Ourmutt

 

Fotos der Our Mutt Dog Bowl © ourmutt.com

 

Skulptur
11. November 2020 - 9:54

Hund, 2019 © Claudia Fuchs, Foto Lichterloh Fotografie

 

Ein kleines auf seinem Hinterteil hockendes Tier streckt den Hals, um irgendetwas genau zu betrachten. Die Augen sind zu schmalen Schlitzen fast geschlossen, um klarer und fokussierter sehen zu können. Oder streckt es die Schnauze lang nach vorne, um etwas zu erschnüffeln? Die Farbgebung erinnert an ein Reptil, das sich in seiner Umgebung tarnt. Doch wir haben es mit einem Hund in unkonventioneller Farbgebung zu tun. Und dieser kleine ausdrucksstarke Hund aus rosa, hellblau, grün und braun glasiertem Ton, scheint zu lächeln. Er hat wahrlich keinen Grund sich zu tarnen oder zu verstecken.

Die Künstlerin, Claudia Fuchs, fertigt ausschließlich Tontiere an. Dabei kann es sich um autonome Kunstwerke handeln (darunter Eidechsen oder eine Schnecke, die frech die Zunge herausstreckt) oder um Gebrauchsgegenstände, die sie mit Tierplastiken kombiniert. Seit 2019 arbeitet sie regelmäßig künstlerisch im Atelier der Kreativen Werkstatt Lobetal.

Heuer hat sie mit dieser kleinen plastischen Arbeit "Hund" beim Bundeskunstpreis für Menschen mit Behinderung den ersten Platz belegt. Zum 22. Mal wurde dieser Preis, der wichtigste Preis seiner Art in Deutschland, in Radolfzell am Bodensee verliehen. Die Stadt Radolfzell bietet mit diesem Preis ein wichtiges Forum, das den Kunstschaffenden und deren künstlerischen Arbeiten eine größere Präsenz verschafft. Er richtet sich an Künstlerinnen und Künstler aus ganz Deutschland mit einem Schwerbehindertengrad geistiger, körperlicher oder psychischer Art von mindestens 80 Prozent und bietet einen einzigartigen Rahmen für deren Wertschätzung.

Für die Kunstschaffenden ist die Ausstellung ein Ziel, auf das viele hinarbeiten. Der künstlerische Prozess ist auch eine Form der Bewältigung ihrer besonderen Lebenssituation oder eine Möglichkeit bildhaft auszudrücken, was ihr Innerstes bewegt und was sie mit Worten nicht ausdrücken können. Wenn auch der Alltag mancher Künstler und Künstlerinnen eingeschränkt ist, so gilt dies nicht für ihren künstlerischen Blick auf die Welt.

Ausgewählt werden die Preisträger nach künstlerischen Kriterien: Das Hauptaugenmerk liegt auf persönlichem Ausdruck, künstlerischer Eigenständigkeit und Werkaussage. Bundesweit haben 300 Künstler ihre Arbeiten für den alle zwei Jahre vergebenen Kunstpreis eingereicht. Die dreiköpfige Jury rund um den Leiter der Heidelberger Sammlung Prinzhorn, Thomas Röske, hat aus diesen Einreichungen 100 Exemplare für die Ausstellung ausgewählt und aus diesen nochmals 15 Preisträger gekürt. Die 100 ausgewählte Arbeiten sind bis zum 8. November in der Villa Bosch in Radolfzell zu sehen.

 

Hund, 2019 © Claudia Fuchs, Foto Hoffnungstaler Stiftung Lobetal

 

Für mich bildet der kleine lächelnde Hund den Gegenpol zu Liu Ruowangs monumentaler Wolfs-Installation. Müsste ich eines der beiden Kunstwerke wählen: Ich würde mich jederzeit für "Hund" entscheiden.

Hund © Claudia Fuchs

 

Skulptur
5. November 2020 - 20:27

Ein einschüchterndes und bedrohliches Wolfsrudel (aus 110 Stahlgussteilen mit einem Gewicht von je 280 kg) drang während der letzten Monate in die Mitte von Florenz vor, dort schien es einen Krieger anzugreifen, der schwach und machtlos wirkte.

Erschaffen und in Szene gesetzt hat dieses eindrucksvolle, raumgreifende und mit Spannung aufgeladene Werk der chinesische Künstler Liu Ruowang.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Roberto Borghi

 

Ich habe in den letzten von Corona überschatteten Monaten oft an die Künstlerinnen und Künstler gedacht, die monatelang auf eine Ausstellung hinarbeiten, die dann durch die Schließung der Ausstellungsräume kaum jemand sieht. Mit diesem Problem ist Liu Ruowang nicht konfrontiert, da seine Installation im öffentlichen Raum steht und die Wölfe nicht nur mit der Architektur interagieren, sondern auch mit den BewohnerInnen kommunizieren. Damit erfüllen sie die explizite Absicht des Künstlers, die Kunst frei zugänglich in den Alltag zu bringen. Er will den EinwohnerInnen von Florenz, die vielleicht nicht in ein Museum gehen würden, seine Kunst nahebringen und sie allgemein für Kunst sensibilisieren.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Lauretta Dimmik (Ausschnitt)

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Lorenzelli Arte

 

Und übersehen kann man diese monumentale Skulptureninstallation nicht, da sie zwei repräsentative Plätze einnimmt: Piazza Pitti und Piazza Santissima Annunziata. Die Wölfe stehen somit im Dialog mit zwei emblematischen Gebäuden der Renaissance, dem Filippo Brunelleschi zugeschriebenen Palazzo Pitti und seinem Ospedale degli Innocenti (Waisenhaus), bei dem er seine Auffassung von Raum, Proportionen und architektonischem Rhythmus zeigen konnte und das noch auf der Idee der Harmonie beruht. Diese Harmonie wird vorgeblich von den Wölfen gebrochen, deren Aggressivität, Zähigkeit und Stärke eine dramatische Spannung in die Ordnung der architektonischen Umgebung bringen.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Uffizien

 

Der Verlust der Harmonie zwischen Mensch/Kultur und Natur und deren Auswirkungen auf die Menschheit und den Planeten ist der Aspekt, der dem gesamten Werk von Liu Ruowang zugrunde liegt. Das Wolfsrudel steht als Warnung an die Menschheit; sie sind Agitatoren des Gewissens, die darauf abzielen, bei denen, die ihnen begegnen, eine tiefe Beunruhigung hervorzurufen und sie zur Erkenntnis und zum Umdenken zu bringen.

Der Wolf hat eine diverse symbolische und mythologische Bedeutung. Er wird sowohl als ein aggressiver und bedrohlicher "Räuber" (Rotkäppchen) als auch als ein wohlwollendes soziales Tier (Romulus und Remus) gesehen. Der Wolf, der auch in Mitteleuropa wieder Fuß fasst, lässt wohl niemanden kalt. Manche sehen in ihm ein Raubtier, das getötet werden muss (erst gestern habe ich gelesen, dass der Wolf in Deutschland in das niedersächsische Jagdgesetz aufgenommen wird), bei anderen hat er nahezu einen Heiligenschein.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Lorenzelli Arte

 

Liu Ruowang inszeniert die Wölfe nicht als "Räuber", die Installation reflektiert vielmehr über die räuberische Haltung und Aggressivität des Menschen gegenüber der Natur und Umwelt. Unsere heutige Zivilisation wird vom wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt und dessen Exzessen beherrscht, gerät nicht nur in Konflikt mit der Natur, sondern beherrscht und zerstört sie.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Lorenzelli Arte

 

Auch ganz real sind der Wolf und andere Wildtiere bis in die Florentiner Boboli-Gärten vorgedrungen, ist das Wilde in die Zivilisation zurückgekehrt.

Die "Lupi in arrivo" allerdings haben nicht nur Florenz erobert, sie waren auch 2015 auf der Biennale in Venedig. In Deutschland kamen die Wölfe 2016 bis in die Eingangshalle der internationalen Kunstausstellung NordArt (Foto unten), von dort starteten sie ihre Europa- und Amerikatournee.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto NordArt, 2016

 

Liu Ruowang (*1977, Shaanxi Provinz/China) gehört zu den wichtigen zeitgenössischen Künstlern Chinas. Er hat an der China Central Academy of Fine Arts studiert, stellt weltweit aus, erhält zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Seine Werke - Skulpturen und Gemälde - sind im chinesischen kulturellen und historischen Kontext verwurzelt, er schöpft aber auch aus unserem gegenwärtigen Dasein und der westlichen Kultur. Immer geht für ihn die Geschichte des Menschen mit der Geschichte seiner Beziehung zur Natur einher.

Quellen: Lorenzelli Arte, Uffizien

 

Installation, Skulptur
4. Oktober 2019 - 14:00

Sit and wait, 2018 © Benjamin Nachtigall

 

Liebevoll umarmt der "Zitronenmann" in "Sit and wait" seinen Hund, beide sind entspannt und heben den Kopf in eine Richtung, vielleicht sehen sie selbstvergessen der Sonne entgegen. Auch "The stranger" wird von seinem Hund begleitet. Aus beiden Arbeiten spricht Zärtlichkeit und Bindung zum Tier.

 

The stranger, 2018 © Benjamin Nachtigall

 

Benjamin Nachtigalls Figuren sind aus Keramik, jede ein von ihm selbst angefertigtes Unikat.

Er arbeitet spontan und intuitiv. Das keramische Material kommt ihm sehr entgegen, da es sich beim Trocknen und Brennen verformt, biegt und mitarbeitet. Die Glasuren werden auf die Plastik geworfen, die Farbtöne fließen ineinander und erzeugen Unerwartetes. "Gefühle, Ängste und Wünsche, die wir alle teilen - und die uns trennen, interessieren mich, nichts Konkretes, Persönliches", sagt Nachtigall (vgl. Wiener Zeitung)

Seine Protagonisten entstammen einer kuriosen, eigentümlichen Figurenwelt, seine humanoiden Figuren tragen Früchte statt Köpfen. Dabei legt er den Fokus eher auf die Geste und die Form selbst sowie auf das Erzeugen einer surrealen Dynamik als auf die Biographie einer Figur. (vgl. artist statement)

Die Fruchtköpfe verhindern, dass wir Individuen erkennen. Gemeinsam mit der Nacktheit der Figuren erzeugt Benjamin Nachtigall eine allgemeine über das Persönliche hinaus gehende Melancholie und Verletzlichkeit, die auch alltäglichen Situationen und Gesten - ein Tier berühren, die Natur erleben - innewohnt.

"Für mich ist ein Kunstwerk ein Rätsel, das nie ganz aufgelöst werden kann", sagte der Künstler bereits 2012 auf Ö1. Dies gilt auch für seine jüngsten Werke, die noch bis zum 12. Oktober 2019 in der Einzelausstellung "Symbiose" in der Galerie Gerasdorfer zu sehen sind.

Benjamin Nachtigall (*1988 in Wien/Österreich) schloss 2015 die Klasse für Grafik und Druckgrafik an der Universität für angewandte Kunst Wien ab.
 

alle Fotos © Benjamin Nachtigall

 

Ausstellung, Skulptur
10. August 2019 - 11:14

Liliana Moro, Anemos, 2019
Foto von hier

 

Der große italienische Pavillon befindet sich fast am Ende des Arsenale-Geländes und kann über mehrere Eingänge betreten werden. Der Kurator Milovan Farronato zeigt hier in einer sehr speziellen Ausstellungsarchitektur zwei Künstlerinnen - Liliana Moro und Chiara Fumai - und einen Künstler - Enrico David.

Das labyrinthische Ausstellungskonzept ist von Italo Calvinos Essay "Die Herausforderung an das Labyrinth" von 1962 inspiriert. Der Kurator wollte damit die Komplexität der modernen Welt widerspiegeln, in der es keine traditionellen Bezugspunkte mehr gibt, keinen Anfang und kein Ende, keine lineare, umfassende Erzählung. Es soll der Komplexität und Fülle von Interpretationsmöglichkeiten gerecht werden.

Als sehr systematischer Mensch habe ich dieses Labyrinth als wahres Wege-Spiegel-Paravent-Vorhang-Durcheinander empfunden. Da ich nichts übersehen wollte, war ich mehr darauf konzentriert alles vollständig abzuschreiten, als die Kunst anzusehen: Die Präsentation hat für mich die Kunst überlagert. Wahrscheinlich bräuchte es einen intuitiveren Charakter als mich, um hier Erkenntnis zu gewinnen.

Ich beschränke mich in der Folge auf die Beschreibung eines Werkes von Liliana Moro (*1961, Mailand/Italien). Als Künstlerin verwebt sie architektonische Interventionen mit Soundarbeiten. Ihre Skulpturen und Installationen werden als luzide, kraftvoll, entschieden und kompromisslos beschrieben.

Im Pavillon sind Arbeiten ihrer letzten 30 Jahre ausgestellt, sowohl frühe als auch neue, noch nie gezeigte. Da die Stellwände des Ausstellungsdisplays unterschiedlich hoch sind, kann man in andere Labyrinthgänge hinübersehen und so neue Interpretationen durch die Nähe zu anderen Werken, neue mögliche Bedeutungen zwischen ihren Arbeiten und denen der beiden anderen Künstler herstellen. Diese Kommunikation der Werke untereinander - je nach Blickwinkel im Labyrinth - soll die Unmöglichkeit verdeutlichen, eindeutige, vorhersagbare Zusammenhänge herzustellen.

Liliana Moro arbeitet mit verschiedenen Materialien und in verschiedenen Maßstäben. Ihre klare und präzise Herangehensweise führt zur Schaffung scheinbar einfacher Gesten, die aus diesem Grund für eine Vielzahl unterschiedlicher Interpretationen offen sind. Eine dieser Gesten zeigt die Arbeit "Anemos" von 2019, eine Hundeskulptur aus silbern glasierter Keramik auf einem Metallblech mit Sockel.

Wie bereits erwähnt, kann der Pavillon durch vier Ein- bzw. Ausgänge betreten werden. Das letzte Werk, bevor ich "meinen" Ausgang fand, war eben dieses "Anemos".

 

Liliana Moro, Anemos, 2019, Foto Petra Hartl

Liliana Moro, Anemos, 2019, Foto Petra Hartl

 

Ein Hund schaut auf ein hinunterfallendes Blatt, gleichzeitig versucht er es wiederzuerlangen und mit seinem Körper im Gleichgewicht zu bleiben. Die Arbeit, deren griechischer Titel "den Wind betreffend", "Lufthauch" aber auch "Leidenschaft" und "Unsicherheit" bedeutet, verewigt einen Moment des Fallens und des Verlustes, der die unvermeidliche Transformation und Vergänglichkeit sozialer Werte in historischen Epochen widerspiegelt (soweit der kleine Folder zum italienischen Pavillon).

 

Liliana Moro, Anemos, 2019, Foto Petra Hartl

 

Wir sehen also ein sehr poetisches Werk, aber wir sehen es nicht ohne hinaufzuschauen. Liliana Moro nützt die Höhe des Ausstellungsraums, indem sie die Hundeskulptur auf einem mehrere Meter hohen Sockel positioniert, der Betrachter muss sich zum Hund hinaufwenden, um dessen prekäre Situation erleben zu können.

Als ich mich in das Werk Moros eingelesen habe, bin ich auch auf ihre Arbeit "Underdog" (2005) aufmerksam geworden, die ich hier gerne ergänzend zeigen möchte.

 

Liliana Moro, Underdog, 2005

Liliana Moro, Underdog, 2005

 

Die Fotos sind von der Biennale 4 in Thessaloniki, wo die Arbeit 2013 gezeigt wurde.

Im Ausstellungsraum sind Bronzeskulpturen von fünf Hunden in unterschiedlichen Positionen und Rollen angeordnet. Einer wacht mit angespannten Muskeln; zwei andere kämpfen miteinander; einer heult triumphierend, während ein anderer ermattet und erschöpft - vielleicht auch tot - am Boden liegt. Die Tiere scheinen Wachsamkeit, Angriff/Kampf, Siegestaumel und Niederlage zu verkörpern. Die freudige Erregung des Gewinners wird ebenso dargestellt wie die unvermeidliche Anwesenheit des Unterlegenen.

Das verwendete Material ist für Liliana Moro immer sehr wichtig, bei "Underdog" ist es Bronze. Sie selbst beschreibt das Material als wichtig in einem politischen Kontext, Bronze sei ein traditionelles Material, das den Bezug zu großen repräsentativen Monumenten und Denkmälern von Herrschern und Helden herstellt. (vgl. hier)

Die Arbeit wirft Fragen auf und lässt viele Interpretationen zu: Der "Underdog" kann ein Individuum (ob Hund oder Mensch) sein, von dem wir erwarten, dass es in verschiedenen Konfrontationen und Wettbewerben, von existenziellen, politischen bis zu sportlichen, verliert. Es kann aber auch um eine Gruppe, die Verlierer der Gesellschaft, gehen, darum, wer sie sind und wie sie gesehen werden.

Warum muss Kontakt zu einem Konflikt werden, der Verlierer und Sieger hervorbringt? Was gewinnt oder verliert man? Was führt zum Umkippen dieser Rollen?

In jedem Fall können die Skulpturen auch als fünf "Phasen" im Leben eines einzelnen Individuums angesehen werden: Jede Figur ist sowohl Opfer als auch Angreifer, Verlierer als auch Gewinner, beides gehört zum Kreislauf des Lebens.

Milovan Farronato, der Kurator des italienischen Biennale-Pavillons, hat sich bereits 2006 mit "Underdog" auseinandergesetzt. Sie können seine Überlegungen hier auszugsweise nachlesen und vielleicht auch nachvollziehen.

Liliana Moro lebt und arbeitet in Mailand. Nach ihrem Studium war sie gegen Ende der 1980er Jahre Mitbegründerin eines alternativen Ausstellungsraumes, der das kulturelle Klima Mailands belebte. Schon zu Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit erlangte die Künstlerin mit einer Einladung zur Documenta IX (1992) und zur Biennale von Venedig (1993) wichtige Anerkennung.

Quellen: neben dem offiziellen Biennale-Führer vor allem The Bag. Biennale Art Guide 2019, S 81ff

Ein paar einleitende Worte zu meinem Besuch auf der Biennale können Sie bei meinem Blog-Beitrag zu Jimmie Durham lesen.

 

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