30. November 2021 - 12:08

© Aleksey Myakishev

 

Und wieder ein Hund in der Nacht! Nach Rom und Georgien jetzt also Russland.

Das Foto bildet eine Ausnahme im monochromen Schwarz-Weiß des russischen Fotografen und Fotojournalisten Aleksey Myakishev: Es ist ein Farbfoto!

Ich habe mich durch Hunderte seiner Schwarz-Weiß-Fotos über Gebiete im nördlichen Russland geklickt. Assoziationen und Gefühle, die beim Betrachten kommen sind Kälte, Winter, Armut, weite Landschaft, dünne Besiedlung, Einsamkeit, aber auch eine gewisse Zeitlosigkeit. Die Fotos scheinen aus der Zeit gefallen: Nichts Modernes stört das Gleichgewicht zwischen Mensch und Umwelt. Myakishev will zeigen, dass das Leben im russischen Dorf in Harmonie zur Natur erfolgt.

Seine teilweise sehr umfangreichen und über einen langen Zeitraum entstandenen Serien sind wie epische Gedichte über die Regionen, Chroniken des bäuerlichen Lebens. In Vyatka fängt Aleksey Myakishev zwei Jahrzehnte (1993-2003) die einfachen Momente des Alltags ein. Aus jedem Foto spricht die Nähe und Verbundenheit zu den Menschen, erkennt man, dass die Sicht des Fotografen von Liebe für die Menschen durchdrungen ist. Die Langfristigkeit des Projekts bedingt es, dass der Fotograf mitfühlender Teil der Welt wird, die er visuell beschreibt.

 

Vyatka © Aleksey Myakishev

Vyatka © Aleksey Myakishev

© Aleksey Myakishev

© Aleksey Myakishev

 

Am Ufer eines Sees liegt das kleine Dorf Kolodozero, eingebettet zwischen Karelien und der Oblast Archangelsk im Nordwesten Russlands (eine Oblast ist eine Föderationseinheit ausgestattet mit einer administrativen Autonomie). Die Einwohner leben vom Holzfällen, Fischen, Jagen, der landwirtschaftlichen Selbstversorgung und dem Sammeln von Metallschrott, der vor Ort verkauft wird. "Das Leben in Kolodozero ist nichts für Zartbesaitete", schreibt Myakishev, doch auch, dass der Ort etwas Besonderes ist.

Was bedeutet es, Jahreszeiten zu spüren? Den Geruch von Schnee, Wasser und Gras wahrzunehmen; in Kolodozero atmet die Natur, es ist ein Ort, "an dem die Seele singt". Zu jeder Jahreszeit kehrt der Fortograf zurück. Die Fotoserie entstand zwischen 2011 und 2015.

 

Das Plätschern des Wassers, das Rascheln der Grashalme und der Wind bewegen mich so, dass ich das Gefühl der Freude in mir kaum unterdrücken kann. Und dann, in einem Wimpernschlag, wird mir klar, dass ich zu Hause bin, und ich fühle, dass ich verstehe, woher ich komme. (Aleksey Myakishev)

 

Aleksey Myakishev bewundert die Natur an diesen Orten im russischen Nordwesten. Ihre Stille, Schönheit und Erhabenheit inspirieren ihn.

 

Nach mehreren Jahren der Wanderschaft (...) habe ich verstanden, dass ich eine erstaunliche, unberührte Welt der rätselhaften russischen Seele berührt habe. (Aleksey Myakishev)

 

Koldozero © Aleksey Myakishev

Koldozero © Aleksey Myakishev

Koldozero © Aleksey Myakishev

 

Was auf seinen poetischen, stillen, schwermütigen, aber ausdrucksstarken Aufnahmen als Melancholie erscheint, beruht nicht auf einer Sehnsucht nach der UdSSR, sondern viel mehr auf dem Studium seiner Vorbilder, das der Autodidakt während der UdSSR in der Stadtbibliothek vorgenommen hat. Er erlernte die Fotografie durch das Durchforsten von Büchern über bildende Künstler wie Edgar Degas und Matisse, die er damals für erstaunlich fotografische Künstler hielt. Auch Sergei Lobowikow, ein russischer Fotograf des frühen 20. Jahrhunderts, hat ihn stark beeinflusst, aber auch Henri Cartier-Bresson und Robert Frank waren ihm bekannt. Von ihnen inspiriert entwickelte er einen Stil, der die Tradition des entscheidenden Augenblicks fortsetzte und sie mit einem tiefen Einfühlungsvermögen für seine Motive verband.

 

Kyrgyzstan © Aleksey Myakishev

Sakhalin © Aleksey Myakishev

Sakhalin © Aleksey Myakishev

Sakhalin © Aleksey Myakishev

Sakhalin © Aleksey Myakishev

Sakhalin © Aleksey Myakishev

 

Schon 1985 begann Aleksey mit dem für ihn erschwinglichen Schwarz-Weiß-Film zu arbeiten, der ihn die Magie der Fotografie spüren ließ: Die Magie, die sich in der Unvorhersehbarkeit des Ergebnisses auf Film niederschlägt, sowie die Magie beim Prozess des Entwickelns.

ihn interessante, inspirierende Region, dort improvisiert er, verlässt er sich auf sein Glück und seine Intuition. 30-40 Filme pro Aufenthalt entstehen, meditative Routine (entwickeln, scannen, drucken ...) folgt, das Material muss den Test der Zeit bestehen. Aus manchen Serien wird ein Buch, ein taktiles Ergebnis jahrelanger harter Arbeit.

Aleksey Myakishev (*1971 in Kirov/Vyatka/UdSSR) arbeitet seit 1991 als professioneller Fotojournalist. Im Jahr 1999 zog er nach Moskau und wurde freiberuflicher Fotograf. Seine Arbeiten wurden in Zeitschriften in Russland und Finnland veröffentlicht und hängen in zahlreichen Privatsammlungen. Er präsentiert seine Fotos in Einzelausstellungen in Russland und Europa.

Er gehört einer humanistischen Fotografie an, die sich dem Menschen in seinem täglichen Leben und Umfeld und mit all seinen Emotionen widmet, und ohne Inszenierung und Künstlichkeit auskommt. Die Themen sind mannigfaltig, aber die Frage bleibt: Was macht uns menschlich, was ist der gemeinsame Nenner der Menschlichkeit?

 

Solovki © Aleksey Myakishev

Solovki © Aleksey Myakishev

 

Das untere Bild muss ich Ihnen einfach zeigen! Es schaut aus, als wäre Erwin Wurm in Russlands Norden vorbeigekommen.

 

© Aleksey Myakishev

 

Quellen: leica, inframe, Photographic Encounters Friends of the Albert-Kahn Museum

alle Fotos © Aleksey Myakishev

 

Fotografie
25. November 2021 - 9:19

Drei Mädchen beugen sich zu einem Hund, der sie freudig begrüßt und an einer der jungen Frauen hochspringt. Ein Mädchen umfasst den Hund mit manieriert gedehnten Armen.

 

Adolf de Haer, Drei Mädchen mit Hund, um 1919 © Adolf de Haer
Adolf de Haer, Drei Mädchen mit Hund, um 1919

 

Das Bild vereint Merkmale des Kubismus und Expressionismus. Expressiv ist die Farbgestaltung, die durch den Komplementärkontrast (gelb-blau) bestimmt wird. Die gelbgrüne Hautfarbe der Mädchen ist lichtdurchflutet, ihr Haar glänzt blau. Kubistisch ist die Zerlegung der Körper und Kleidung in kristalline Dreiecksformen. Der Hintergrund geht in eine flächige rhythmische abstrakte Komposition über. Vieles ähnelt dabei dem Werk der Expressionisten Franz Marc und Ernst Ludwig Kirchner, den Kompositionen Lyonel Feinigers oder erinnert an den Futurismus.

 

Meine Erlebnisse und Visionen suchte ich in ein tektonisches Bildprinzip zu bannen. Mit den primitivsten (geometrischen) Formen baute ich meine Bilder. (Adolf de Haer zit.n.hier)

 

Adolf de Haer, Drei Mädchen mit Hund, Detail, um 1919 © Adolf de Haer
 

Adolf de Haers (*1892 in Düsseldorf/D, gest. 1944 bei Osnabrück/D) bedeutendste Werke datieren zwischen 1919 und 1921, in der Zeit entstanden auch seine großartigen kubistisch-expressiven Holzschnitte, Radierungen und Lithografien. In den nächsten zwei Jahrzehnten nimmt er eine Entwicklung von der Abstraktion zur Gegenständlichkeit. Nach Expressionismus und impressionistischen Tendenzen arbeitet er in einem immer schlichter werdenden Naturalismus der weiblichen Akte und Blumenstillleben. Dieses Spätwerk macht verständlich, warum er als Künstler der zweiten Reihe in Vergessenheit geriet.

Obwohl de Haer schon Mitte der zwanziger Jahre die kubistisch-expressionistische Abstraktion aufgegeben hatte, wird das frühe Werk Adolf de Haers 1937 aus dem Kunstmuseum Düsseldorf von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und als entartet eingestuft. Vielleicht erklärt sich auch dadurch seine späte Hinwendung zu einer sehr gefälligen, konventionellen Malerei: Der Schock der Verfemung von 1937 war möglicherweise zu stark.

Seine "Drei Mädchen mit Hund" sind vom 19. September 2021 bis 23. Januar 2022 im Sauerland-Museum in der Ausstellung "Im Westen viel Neues: Facetten des rheinisch-westfälischen Expressionismus" zu sehen.

Die Ausstellung rückt die vielfältigen Facetten des Expressionismus im Rheinland und in Westfalen in den Mittelpunkt und beleuchtet damit den Westen als ein wichtiges künstlerisches Zentrum neben Berlin und München. Eine neue Generation von Kunstschaffenden empfindet Formzertrümmerungen und leuchtende Farben als passende Ausdrucksmittel für die existentiellen Erfahrungen und Wirren der Zeit.

Unten sehen Sie das Ausstellungsplakat. Aus Sicht der Hundefreunde und -liebhaberinnen gänzlich misslungen, fehlt doch der Hund! Unklar ist nun, worauf die jungen Mädchen blicken, Aussage und Sinn des Werks sind unter der Typografie verloren gegangen.

 

Ausstellungsplakat
Plakat von hier
 

 

Ausstellung, Malerei
21. November 2021 - 11:28

© Tamuna Chkareuli

 

Diese Aufnahme der georgischen Fotografin Tamuna Chkareuli, die ich zufällig gefunden habe, passt perfekt im Anschluss an die Melancholie der "Acht Hunde" von Herbert Starek. Der einsame, an den Rand gesetzt Hund befindet sich allerdings nicht in Rom, sondern im nächtlichen Georgien.

Die Fotografie gehört zur Serie "Internally displaced memories", in der sich die Fotografin mit den Auswirkungen des Kaukasuskrieges beschäftigt. Wir sehen menschenleere Landschaften und Siedlungen, Straßen mit sich entfernenden Menschen, oft klein als Rückenfiguren. Und unseren einsamen markierenden Hund.

Während des russisch-georgischen Konflikts im Jahr 2008 flohen die Menschen nur mit der Kleidung, die sie trugen, aus Südossetien. Sie konnten keine Fotos aus ihrer Vergangenheit retten, ihnen wurde die Möglichkeit genommen, sich anhand von Familienfotos an ihre Heimat zu erinnern. Tamuna Chkareuli, die selbst ossetische Wurzeln hat, füllt mit ihren Aufnahmen, die Leerstellen in den Fotoalben und schafft damit neue Erinnerungen.

Tamuna Chkareuli lebt in Tiflis. Sie interessiert sich sehr für soziale Themen und konzentriert sich hauptsächlich auf die Darstellung unterdrückter, vernachlässigter oder traumatisierter Menschen.

In ihren Fotoserien lotet sie die Grenzen zwischen Zusammengehörigkeit und Einsamkeit aus und beschäftigt sich mit dem emotionalen Vakuum, das die fortschreitende Individualisierung mit sich bringt.

Tamuna Chkareuli studierte an der University of Westminster Dokumentarfotografie und Fotojournalismus. Sie arbeitet sowohl in London als auch in Tiflis als freiberufliche Fotojournalistin und entwickelt gleichzeitig ihre persönlichen Projekte. Hauptsächlich beschäftigt sie sich in ihren langfristigen journalistischen Arbeiten und Fotostorys mit der lebendigen und politisch aufgeladenen Atmosphäre des Südkaukasus.

 

Foto © Tamuna Chkareuli

Fotofrafie
17. November 2021 - 9:50

Im letzten Blogbeitrag habe ich auf ein flaches Paket unter dem Hochzeitstisch hingewiesen. Inzwischen ist es ausgepackt. Sein Inhalt: Ein druckgraphisches Werk des österreichischen Künstlers Herbert Starek (*1954).

"Je freier die Assoziationen, desto besser", beteuert Herbert Starek über die Rezeption seiner dadaistischen und surrealen Kartographien. Er gibt uns "kühnen Interpreten" damit einen Freibrief zum Finden unserer ganz individuellen Bezugs- und Koordinatensysteme, unserer persönlichen Interpretationen, die auf unseren Erlebnissen, Erfahrungen und unserem Wissen basieren. Vieles in seinem Werk bleibt kryptisch, mysteriös, manches können wir decodieren oder meinen dies jedenfalls.

 

Symphonie Nr. 101 in D-Dur für vier Hunde, 2016 © Herbert Starek
Symphonie Nr. 101 in D-Dur für vier Hunde, 2016 aus der Serie "Schleierhafte Karten"
 

Die großflächigen Karten erwecken zunächst den Eindruck korrekter topografischer Abbildungen. Auch bei "Symphonie Nr. 101 in D-Dur für vier Hunde" aus der Serie "Schleierhafte Karten" kann der suchende Blick wie bei klassischen Landkarten Wälder, Dörfer, Gebirge sowie Himmelsrichtungen ausmachen. Doch Vorsicht: Norden ist im Süden und umgekehrt. Diese Karte gibt wohl keine Orientierung. Doch darum geht es dem Künstler: Karten als untaugliche Mittel zu entlarven, uns in der Welt zu orientieren. Nur vordergründig suggerieren sie Ordnung und Hilfe beim Zurechtfinden in einer komplexen unwirtlichen Welt. Denn: Die Karten sind fiktiv.

Ich versuche mich in Kühnheit und interpretatorischer Verwegenheit. Google ist als schnelles Werkzeug zur Hand, um den einzelnen Bild- und Textelementen nachzuspüren: Sternenkarte wird verworfen und das Werk als Seekarte identifiziert. Geben die kleinen Pfeile Strömungsrichtungen des Wassers vor? Ist eine Partitur in die Karte verwoben und stehen die vier Hunde für die vier Sätze der Symphonie? Ein Hund macht einen Spielbogen, einer bellt, einer heult und einer wacht. Oder interpretieren die Hunde die Inselnamen? Steht der wachsame Dobermann für den - martialischen - Mars?

Tybee ist eine Insel vor der Küste Georgias, unweit von Savannah entfernt. Die meisten Historiker glauben, dass sich der Name "Tybee" von dem Wort der Euchee-Indigenen für Salz ableitet, das eine der vielen natürlichen Ressourcen war, die auf Tybee gefunden wurden. Und findet sich auf Stareks Tybee nicht ein kleines Tipi? Die Mars-Insel liegt vor der Knox-Küste des ostantarktischen Wilkeslands, sie wurde 1956 von einer sowjetischen Antarktisexpedition kartiert. Die Cookinseln sind ein unabhängiger Inselstaat in "freier Assoziierung mit Neuseeland" und eine Inselgruppe im südlichen Pazifik. Die Cookinseln sind der erste Staat, in dem Frauen zur Wahl gingen.

Womit ich bei der insellosen "rückwärts laufenden", also palindromischen Anna wäre …

Doch bringt mich das wirklich weiter? Reicht es nicht das Tintenblau, die Komposition und ästhetische Sensibilität zu bewundern? Die Alterungsspuren zu genießen, die den computergenerierten Karten hinzugefügt wurden und den Arbeiten von unglaublicher drucktechnischer Präzision einen paradoxen Reiz geben und Echtheit vorspiegeln?

 

Symphonie Nr. 101 in D-Dur für vier Hunde (Detail), 2016 © Herbert Starek
Detail aus Symphonie Nr. 101 in D-Dur für vier Hunde
 

In der Gestalt des in Lugano lebenden fiktiven Privatgelehrten Amadeus Cavori entsendet Starek diesen seit 2002 auf zahlreiche Reisen.

 

Acht Hunde, 2019 © Herbert Starek
Acht Hunde, 2019 aus der Serie "Blinde Worte"
 

Vom Künstler weiß ich, dass das Werk "Acht Hunde" der Serie "Blinde Worte" "unter Verwendung eines Fimstills aus dem Film "L'Eclisse" von Michelangelo Antonioni mit der wunderschönen Monica Vitti und dem wunderschönen Alain Delon" entstanden ist.

Zwei einsame ziellose Menschen beginnen im Rom der 60er Jahre eine Beziehung. Doch ihr Gefühl des Verlorenseins ist stärker als die Liebe. Sie verabreden sich, doch keiner von beiden erscheint zum vereinbarten Zeitpunkt. Der Film endet mit einer mehrere Minuten langen Abfolge von Einstellungen, die den menschenleeren Ort ihrer Verabredung zeigen, während die Dunkelheit des Filmtitels (L’eclisse = dt. Finsternis) hereinbricht.

Ohne den Film zu kennen, liegt die Vermutung nahe, dass wir diesen einsamen, menschenleeren Ort betrachten, der nur von Hunden belebt wird. Aber: Wandern ist verboten! Tybee kommt als König vor. Google bringt nur einen Treffer in "Flavii Josephi des Hochberühmten Jüdischen Geschichtsschreibers Historien und Bücher", aber für mich keine weiterführede Erkenntnis. Eine Sackgasse. Spontan  fallen mir einige Filme italienischer Regisseure ein, die Hunde ins Zentrum der Erzählung stellen: Von Vittorio De Sicas "Umberto D" bis zu "Dogman" von Matteo Garrone.

Wieder beschränke ich mich lieber auf die Ästhetik und die Poesie und Stille, die das Werk ausstrahlt, die Hunde scheinen fast zu schweben, einer fast unsichtbar in der Dunkelheit. Herbert Starek kombiniert in seinen penibel und präzise konstruierte Karten Wort und Bild, die uns wiederum zu Gedankenkonstruktionen innerhalb eines Werks, aber auch zwischen den Werken (Tybee bzw. König Tybee!) verführen sollen. Je nachdem, wie wir die Leerstellen zwischen Text und Bild füllen, ergeben sich unzählige neue Konstellationen, je nachdem, ob wir bei unseren Bildassoziationen politische, philosophische oder poetische Verknüpfungen vornehmen.

Quellen: NöART, artbits.

 

alle Bilder © Herbert Starek

Grafik
12. November 2021 - 12:20

Die letzten Monate standen ganz im Zeichen der Vor- und Nachbereitung meiner Hochzeit, da ich nach achtzehn Jahren (un)wilder Ehe meinen Lebenspartner geheiratet habe. Nach mehrmonatiger Pause nehme ich nun die Arbeit an meinem Blog wieder auf.

 

Das frisch getraute Ehepaar, Foto: freynoi

Hedy, Foto: freynoi

 

Ich versuche diesem privaten Ereignis auch Hund-und-Kunst-Aspekte abzuringen:

 

Die Hochzeitstorte, Foto: freynoi

 

Sind die Huskys auf der Torte nicht absolut gelungen? Wahres Zuckerkunsthandwerk!

 

Petra und Marion, Foto: freynoi

 

Hier sehen Sie Marion Löcker vom Tierrechtsverein Robin Hood, wie ich ihr gerade eine Hundekeramik überreiche. Christiane Grüner hat die Hundehütte mit ruhendem Husky darauf gestaltet. Sie kann wie eine Dose mit Deckel geöffnet werden, darin befand sich ein Geldgeschenk für Marions Grönlandhundeprojekt.

 

Das Geschenk, Foto: freynoi

Eine Hundekeramik (Detail), Foto: freynoi

 

Im großen Packerl unter dem Tisch befindet sich ein Bild, darüber im nächsten Blogbeitrag mehr!

 

Noch verpackt, Foto: freynoi

 

alle Fotos © freynoi

 

Sonstiges, Skulptur
27. Juni 2021 - 9:54

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Sein Interesse an der Abkehr der Menschheit von der Natur begleitet den neuseeländischen Künstler Hayden Fowler seit seiner Kindheit. Der Wunsch, die Auswirkungen dieser Entfremdung zu erforschen, hat ihn für sein Studium und seine künstlerische Praxis motiviert. Hayden Fowler begann sein Studium der Biologie, Ökologie und Verhaltensforschung in seiner neuseeländischen Heimat, bevor er nach Sydney zur University of New South Wales Art & Design ging. In den folgenden sechs Jahren absolvierte er ein Studium der bildenden Kunst und begann, sich in der Kunstszene von Sydney zu etablieren. Er nutzt dabei seinen wissenschaftlichen Hintergrund für die Entwicklung seiner künstlerischen Projekte.

2018 absolvierte Hayden Fowler einen einjährigen Aufenthalt im Künstlerhaus Bethanien in Berlin, das sich der Förderung der zeitgenössischen bildenden Kunst widmet.

In seinen komplexen Installationen greift Fowler Ideen aus Biologie, Verhaltens- und Zukunftsforschung auf und schafft Versuchsanordnungen, die von Verlust, Hoffnung und der komplizierten, immer neu zu hinterfragenden Beziehung zwischen Mensch und Natur erzählen. Besonders geht er der Frage nach den kulturellen, spirituellen emotionalen und psychischen Auswirkungen des Artensterbens nach und erforscht, wie Umweltzerstörung ein Ausdruck des Verlusts unserer Beziehung zur Natur ist. Er setzt die Zerstörung der Umwelt mit der Degradierung der Kultur und der Denaturierung der Menschheit in Beziehung. Seine Arbeit und Forschung thematisiert die historischen Einflüsse, die dazu geführt haben ebenso, wie sie einen fiktiven Ausblick auf die Zukunft wagt.

Seine Praxis konzentriert sich auf die Schaffung detaillierter Sets und Dioramen, die Szenen von unberührten futuristischen Innenräumen bis hin zu postapokalyptischen Landschaften darstellen. In diesen aufwändigen Sets choreografiert er menschliche und tierische Subjekte. Methodisch verknüpft er innerhalb dieser fiktiven Räume verschiedene Medien, von Fotografie über Video bis hin zu Performance und Skulptur.

Zurzeit ist er mit einer Arbeit bei der Ausstellung "Ruhr Ding: Klima" vertreten. Ziel ist es, den durch theoretische, wissenschaftliche und journalistische Debatten geprägten Klimadiskurs, um künstlerische Sichtweisen zu ergänzen und zu erweitern. Auf dem Gelände der stillgelegten Zeche General Blumenthal in Recklinghausen legt Fowler eine künstliche Landschaft an. In einer geodätischen Kuppel - einem Gewölbe aus einer Vielzahl aneinandergefügter Dreiecke - sollen Pflanzenarten, die in der durch Schwerindustrie gezeichneten Region bereits ausgestorben sind, zu neuem Leben erwachen.

National und international bekannt wurde Hayden 2007 mit der Arbeit "Call of the Wild" bei der er sich ein Paar ausgestorbener Huia-Vögel über die gesamte Fläche seines Rückens tätowieren ließ. Bereits bei dieser Arbeit verschmolz seine Sorge über das zunehmende Aussterben von Pflanzen und Tieren mit seinem Bewusstsein für die Kraft der Performance-Kunst.

"Together Again" (2017) ist eine Virtual-Reality-Landschaftsinstallation und Live-Performance, die erstmals bei Performance Contemporary im Rahmen von Sydney Contemporary 2017, Carriageworks, Sydney, gezeigt wurde.

Die Beziehung zwischen Fowler und einem australischen Dingo wird nicht in seinem natürlichen Habitat, sondern im Kunstkontext gezeigt und erforscht.

 

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Der Dingo (Canis lupus dingo) ist ein Haushund, der schon vor Jahrtausenden verwilderte und heute in vielen Teilen seines Verbreitungsgebietes, vor allem in Australien, vom Menschen völlig unabhängig lebt. Er ist eine einzigartige Spezies mit einer bedeutenden Geschichte und einem bedeutenden Platz innerhalb des australischen Imaginären.

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Der Dingo und der Künstler besetzen während der vierstündigen Performance gemeinsam einen großen Käfig. Eine Virtual-Reality-Brille lässt Fowler in eine idyllische australische Landschaft eintauchen, während die Bewegungen des Dingos, der mit einem VR-Tracker ausgestattet ist, in die VR-Installation übertragen werden. So können Tier und Mensch in dieser digitalen Neuinterpretation der "Wildnis" "koexistieren".

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Der Titel "Together Again“ täuscht über die Trennung zwischen der virtuellen Welt (eine generisch schöne australische Outback-Landschaft) und der physischen Realität des Raums der Ausstellung und der Performance hinweg. Während der Dingo, der einen VR-Tracker trägt, und der Mensch, der eine VR-Brille trägt, den Käfig physisch durchstreifen, werden ihre Bewegungen direkt in der virtuellen Welt abgebildet.

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

The project has developed out of my ongoing concern with the accelerating process of extinction and the relationship between environmental loss and the depletion of human culture and qualitative experience. In particular, the project explores desires for reunion with nature, in the face of the looming impossibilities of this in a near-future world. Research in the development of the project explores indigenous world views, animism, biophilia and the ‘indigenous mind’ (a trait argued to be innate to all humans, instinctively desiring a communal relationship with the rest of nature) as counters to dominant Western thinking.(Hayden Fowler, 2017)

"Das Projekt hat sich aus meiner anhaltenden Beschäftigung mit dem sich beschleunigenden Prozess des Aussterbens und der Beziehung zwischen dem Verlust der Umwelt und der Verarmung der menschlichen Kultur und qualitativen Erfahrung entwickelt. Insbesondere erforscht das Projekt die Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung mit der Natur angesichts der sich abzeichnenden Unmöglichkeit einer solchen in einer Welt der nahen Zukunft. Die Forschung während der Entwicklung des Projekts erkundet indigene Weltanschauungen, Animismus, Biophilie und den 'indigenen Geist' (eine Eigenschaft, von der behauptet wird, dass sie allen Menschen angeboren ist, die instinktiv eine gemeinschaftliche Beziehung mit dem Rest der Natur anstreben) als Gegenpol zum dominanten westlichen Denken." (Hayden Fowler, 2017)

 

(Die Biophilie ist nach Erich Fromm die leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen. Edward O. Wilson definiert die Biophilie als "the innate tendency to focus on life and lifelike processes" (vgl. Wikipedia). Seine Idee wird auch zum Ausgangspunkt umweltethischer Überlegungen wie der Conservation Ethic, nach der das Leben und die Artenvielfalt bewahrt und geschützt werden sollte. Ich nehme an, dass sich Hayden Fowler darauf bezieht.

Über seine Motivation zu "Together Again" sagt der Künstler, dass sich die Welt mit einem drohenden Tod des Alten konfrontiert sehe, sowohl in der menschlichen Kultur als auch in der Umwelt, wo die verzögerten Effekte der Moderne und die Beschleunigung der technologischen Industrialisierung zum Tragen kämen. Wir befänden uns an einem kritischen Kipppunkt der Auslöschung und des Verlustes unserer uralten Beziehungen und unserer physischen Erfahrung der Natur und insbesondere der Wildnis.

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

Together again, 2017 © Hayden Fowler

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Fowlers Projekt wurde im März 2018 in der Zeitschrift Artlink vorgestellt. Im Editorial der Ausgabe stellt die Chefredakteurin Eve Sullivan einen Zusammenhang der Arbeit zu Barbara Creeds „Stray: Human-Animal Ethics in the Anthropocene“ her. Creed, die für ihren Beitrag zur Filmwissenschaft und zum feministischen Denken im Allgemeinen bekannt ist, hat in den letzten Jahren hat ihre Aufmerksamkeit auf das Leben nicht-menschlicher Tiere gerichtet und auf die vielfältigen Möglichkeiten, wie Menschen mit ihren nicht-menschlichen Verwandten umgehen, sie unterdrücken und von ihnen lernen können. Sie fordert gegenseitigen Respekt und Empathie, die darauf basieren, mit und nicht nur auf Tiere zu schauen.

In diesem Sinn kann man Fowlers Arbeit als künstlerische Übersetzung ihrer "Streuner-Ethik" - die Co-Abhängigkeit zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren in Zeiten der Bedrohung und Verlassenheit - bezeichnen.

Wahrscheinlich ist Ihnen auch sofort Joseph Beuys und der Kojote eingefallen. Da heuer Beuys 100. Geburtstag wäre, ist sein Werk auch in vielen Ausstellungen gegenwärtig. Auch Susan Ballard geht bei ihrer Beschreibung von Fowlers Performence kurz auf Beuys ein. Ich folge den Ausführungen ihres Aufsatzes "Heading for trouble: Non-human futures in recent art".

Inmitten des Lärms und des Verkehrs einer Kunstmesse gibt es in diesem abgeschlossenen Raum bei Sydney Contemporary eine einzige, weich gepolsterte Plattform, auf der sich Mensch und Dingo gemeinsam aufhalten. Trotz und vielleicht gerade wegen der räumlichen Beschränkungen stehen der Künstler und das Tier eindeutig in einer Beziehung der Intimität. Joseph Beuys' kämpferisches Einsperren von Mensch und Kojote in einem Galerieraum für die Aktion "I Like America and America Likes Me" (1974) wird hier durch eine Beziehung des scheinbaren gegenseitigen Nutzens ersetzt, die durch sanfte Berührung und langsame Bewegung definiert ist. Der Käfig erscheint trostlos, aber die virtuelle Welt ist erfüllt von Farbe, Licht und der scheinbaren Pracht der Natur, die durch Dingoaugen imaginiert wird. Doch auch die Grenzen dieser Welt sind offensichtlich; nachdem immer wieder dieselben drei Kakadus vorbeifliegen, flacht das visionäre Erlebnis ab. Fowler befindet sich innerhalb dieses Endspiels der Natur, die durch die flachen Ebenen der Wiederholung als ausgedünnte, künstlich destillierte Erfahrung abgebildet wird. Der reduzierten Erfahrung wird der restaurative Trost der Mensch-Dingo-Beziehung mit artübergreifender Kommunikation entgegengesetzt, der den Weg nach vorne weist.

 

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

 

 

Diese Arbeit wurde im Garage Museum in Moskau mit einer russischen Landschaft und einem europäischen Wolf wiederholt. Die Zuschauer konnten das VR-Erlebnis über einen Monitor verfolgen, der Fowlers Live-Ansicht übertrug.

 

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

 

Auch mit  "Captive born" (2020) zeigt der Künstler eine poetische, ritualbasierte Performance, die die Zukunft neu imaginiert und modelliert und versucht historische und systemische Machtstrukturen aufzudecken und aufzubrechen. Bereits der Titel zeigt die Herrschaft des Menschen über das Tier, in Gefangenschaft geboren und zumeist gestorben.
 

 

Captive born, 2020 © Hayden Fowler

 

Ein australischer Dingo - als Exponent einer immer noch erinnerten Wildnis - ist in einem antiquierten Zoo-Gehege eingesperrt. Das Gehege verweist auf die jüngere Geschichte menschlicher Herrschaft und Expansion, symbolisiert durch botanische und zoologische Sammlungen, die verblasste Überbleibsel der Aufklärung sind. Isoliert in seinem konkreten Lebensraum, kommuniziert der Blick des Tieres einen Widerstand gegen die Unterwerfung.

 

Hayden Fowler (*1973 in Te Awamutu/ Neuseeland) lebt in Berlin und Sydney.

 

20. Juni 2021 - 9:43

Kennen Sie Google Poetics? Ich musste danach googeln. Google Poetics entsteht, wenn Suchanfragen von google automatisch ergänzt werden. Der Algorithmus erschafft sozusagen Poesie.

Der Titel der Serie  "Sit Silently" der lettischen Fotografin Katrina Kepule geht auf die Internet-Suche zu "sitzen" zurück und ist die kürzeste Ergänzung, die mit "sitzen" assoziiert wird: "Sit silently /sit silently doing nothing / we sit silently and watch the world / we sit silently and watch".

Katrina Kepule beschreibt sich selbst als introvertierten Menschen, der zu Fernweh neigt und viel Zeit sitzend, beobachtend und analysierend verbringt. In ihr klang die Phrase "Sit Silently“ nach und sie machte sie zur Grundlage ihres Foto-Projekts, das zwischen 2013 und 2015 entstand.

 

Sit Silently © Katrina Kepule

 

Die Foto-Serie stellt die Stille als einen positiven Zustand der Kontemplation, der introvertierten Ruhe und der der unprätentiösen Feier des Lebens dar. Aber die Stille hat auch negative Konnotationen, wenn das Schweigen als Manifestation einer Resignation auftaucht, die durch innere Konflikte ausgelöst wird, wie sie für die Menschen im ländlichen postsowjetischen Lettland häufig sind.

 

Sit Silently © Katrina Kepule

 

Während Tamás Hajdu im letzten Blogbeitrag das kleinstädtische Leben in Rumänien fotografisch dokumentiert, untersucht Kepule die alltäglichen Riten der Subkulturen im zeitgenössischen Lettland rund um Riga. Auch sie fängt Orte ein, wo europäische und sowjetische Einflüsse nebeneinander existieren, Orte, in denen sich in den Innen- und Außenräumen die alte und neue Zeit ergänzen.

Die Fotografin begibt sich mit einem konzeptionellen Blick auf eine Suche nach ihrer lettischen Identität in der Peripherie mit ihren langsamen Routinen und Momenten, mit ihren spezifischen Werten und Bedeutungen jenseits der urbanen Strukturen.

Kepule wählt die Dokumentarfotografie, um das Gewöhnliche in Form einer geheimnisvollen fiktiven Fotoerzählung zu vermitteln. (Ich habe lediglich die wesentlichen Teile der Geschichte - die Hunde - rausgepickt).

 

Sit Silently © Katrina Kepule

 

Sie beschreibt ihre Methode als "subjektive Dokumentation" - eine intuitive Arbeitsweise, die Subjektivität und Relativität in die Dokumentarfotografie einbringt. Mit ihrer intuitiven bzw. naiven Herangehensweise kommt sie zu Ergebnissen, die zu filmisch und poetisch wirken, als dass sie rein abbildend wirken.

Kepule sieht sich auch nicht nur von lokalen lettischen Dokumentaristen und den Magnum-Fotografen beeinflusst, sondern nennt auch Filmemacher wie Wim Wenders, David Lynch, Lars von Trier und Andrey Tarkovsky als Inspirationsquellen.

 

Sit Silently © Katrina Kepule

Sit Silently © Katrina Kepule

 

Oben sehen Sie mein absolutes Lieblingsfoto von Katrina Kepule: Es fällt mir schwer, diesen Hund als Hund zu betrachten und nicht als Mensch, so menschlich ist seine Pose und sein Ausdruck. Ist er ein sehnsuchtsvoller Romantiker, der den Mond betrachtet? Ist er ein kontrollierender Biedermeier, der seine "Mitmenschen" beobachtet?

 

Sit Silently © Katrina Kepule

 

Katrina Kepule (*1981 in Lettland) hat den Bachelor of Arts in Audio- und visueller Kultur und Theorie an der Lettischen Kulturakademie in Riga erworben und viele professionelle Fotografie- und Meisterkurse absolviert. Weiters arbeitete sie als Fotoreporterin in der Kanzlei des lettischen Parlaments.

 

alle Fotos © Katrina Kepule

Fotografie
13. Juni 2021 - 9:05

Half, 2012 © Tamás Hajdu

 

Dieses Foto ist Programm. Es enthält alles, was den rumänischen künstlerischen Foto-Dokumentarist und Veterinär Tamás Hajdu ausmacht: Es erzählt eine Geschichte (von alt-neu, arm-reich, Kommunismus-Kapitalismus, Umwelt-Tier), ist vermutlich ein Schnappschuss, wirkt aber wohlkomponiert und hat in Verbindung mit dem Titel "half" eine gehörige Portion Humor. Nur ein Teil der Bewohner der Siedlung konnte die Kosten für eine Renovierung aufbringen, weshalb die Fassade nur halb fertiggestellt wurde.

Hajdu möchte, dass die Betrachter einen humorvollen "Aha"-Moment erleben und die Botschaft entschlüsseln, die in seinen Fotos versteckt ist. Jedes von ihnen kann aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden und jeder Blickwinkel erzählt seine eigene Geschichte. "Half" gehört zu einer Serie in der Tamás Hajdu den Alltag in seiner Heimatstadt fotografiert hat.

Seine Fotos zeigen die humorvoll-absurden, ironischen, aber auch tragischen Lebensumstände und Begebenheiten in seiner Nachbarschaft, den Parks, Garagen, Friedhöfen und Flohmärkten.

 

o.T., 2017 © Tamás Hajdu

 

Auf den ersten Blick mag die Serie wie eine lose Sammlung von Schnappschüssen erscheinen. Bei längerer Betrachtung wird jedoch klar, dass Hajdus Projekt neben dem Einfangen des "entscheidenden Moments" und einer starken Komposition auch verborgene Wahrheiten über das Alltagsleben in Baia Mare und anderen Teilen des ländlichen und kleinstädtischen Osteuropas offenbart.

Es erzählt inhaltlich von absurden Gegensätzen: von alten Gewohnheiten und einer Laissez-faire-Haltung, die zu Verfall und Verwahrlosung führt, aber auch von Aufbrüchen zu Neuem und der Bereitschaft zur Veränderung.

Baia Mare - und hunderte andere Kleinstädte, die über ganz Rumänien und darüber hinaus verstreut sind - haben sich in diesem eigenartigen Netz aus Vergangenheit und Zukunft verheddert. Die Einheimischen stehen immer noch zu ihren Traditionen und halten an den alten Gepflogenheiten fest. Gleichzeitig jedoch unterliegt ihr Alltag und ihre Nachbarschaft großen Umwälzungen.

Manchmal scheint Optimismus aufkommen: Die Wände sind in lebhaften Farben gestrichen, die Graffiti-Botschaften sind immer originell und humorvoll und die sehr alten Autos werden auf geheimnisvolle Weise wiederbelebt.

 

o.T., 2017 © Tamás Hajdu

o.T., 2015 © Tamás Hajdu

o.T., 2017 © Tamás Hajdu

 

Das allgemeine Gefühl der Stille, das die isolierten Hunde in seinen Bildern umgibt, kommt auch von dem sorgfältig gewählten Hintergrund. Die Farben vervollständigen seine Bilder entweder durch ihre spezifische Botschaft oder dadurch, dass sie bewusst ein Gefühl der Aktualität hervorrufen.

 

o.T. © Tamás Hajdu

o.T., 2018 © Tamás Hajdu

o.T. © Tamás Hajdu

o.T., 2013 © Tamás Hajdu

o.T., 2018 © Tamás Hajdu

o.T., 2012 © Tamás Hajdu

o.T. © Tamás Hajdu

The postman rings just once, 2010 © Tamás Hajdu

o.T., 2018 © Tamás Hajdu

 

Er stellt den Alltag in einer ausgewogenen Mischung aus intelligentem Humor, Realitätssinn, Mitgefühl und Traurigkeit dar. Tamás nennt sich selbst Fine Art Documentarist. Er dokumentiert, achtet aber auch auf Details, Komposition, Licht und Hintergrund. Derart erreicht er reizvolle Gegenüberstellungen und visuell auffällige Kompositionen mit formaler Strenge, die ihn davor bewahrt ins Romantisierende, Triviale, Kitschig-Sentimentale abzugleiten.

 

o.T., 2018 © Tamás Hajdu

 

Die Städte und Dörfer sind in graue Melancholie getaucht, aber sie haben auch ihre heiteren Momente, die Tamás mit bewundernswerter Leichtigkeit, Verschrobenheit und Humor einfängt.

 

o.T. © Tamás Hajdu

 

Oft untergräbt ein humorvolles Foto das Thema oder das Medium selbst und lässt das Bild wie einen Trick für billige Lacher wirken. Aber es kann eine enorme Wirkung haben, wenn die Komposition, der Moment und die Umgebung genau richtig zusammenpassen und der Fotograf klug genug ist, um zu wissen, wann und wie er den Auslöser drücken muss.

 

o.T., 2018 © Tamás Hajdu

 

Tamás Hajdu ist ein subtiler und nachdenklicher Geschichtenerzähler über das urbane und rurale Leben im ehemaligen Ostblock, das heutzutage - im andauernden Übergang vom Kommunismus zum Kapitalismus - immer noch desorientiert aussieht. Für Hajdu entwickelt sich dieser Übergang - sowohl visuell als auch sozioökonomisch - in eine chaotische Richtung.

Die Schwarz-Weiß-Fotografien gehören zur Serie The Patient files: At the Vet

 

o.T. © Tamás Hajdu

Beastie Boy © Tamás Hajdu

Call of Duty © Tamás Hajdu

OG © Tamás Hajdu

o.T. © Tamás Hajdu

Incognito © Tamás Hajdu

 

Das Bild der osteuropäischen Hinterhöfe und Garagen ist meist unordentlich. Das sind die Orte, wo streunende Hunde leise wie Geister (unten "Ghost" ) im nebligen Morgen spazieren gehen.

 

Ghost © Tamás Hajdu

o.T., 2016 © Tamás Hajdu

Jump © Tamás Hajdu

o.T., 2018 © Tamás Hajdu

o.T., 2016 © Tamás Hajdu

o.T., 2017 © Tamás Hajdu

o.T., 2011 © Tamás Hajdu

 

Tamás Hajdu kommt aus einer künstlerischen Familie und entdeckt 2005 die Fotografie für sich, die er ernsthaft, aber ohne formale Ausbildung betreibt. Als Tierarzt, der in einem diagnostischen Labor arbeitet, geht er auf die Beziehung zwischen den Menschen und den Tieren der Stadt ein. Mit Liebe und Leidenschaft  fotografiert er die zufälligen Begegnungen mit streunenden Hunden. Humor spiegelt sich in den Bildern selbst und sogar in ihren Bildtiteln wider.

Aufgrund des rumänischen sozialen und wirtschaftlichen Kontextes sieht man viele Streuner auf den Straßen und Gassen zwischen den Wohnhäusern. Effiziente staatliche Tierheime oder Kastrationsprojekte gibt es kaum. Orientierungslos laufen die Hunde wie Geister durch den schmutzigen Schnee.

Auf seinem Blog finden Sie unzählige Fotos des rumänischen kleinstädtischen Alltags (und auf Instagram den Alltag seines Dackels). Ich habe mich auf Fotos mit Hunden beschränkt, wobei mir die Auswahl sehr schwer gefallen ist. Einen kleinen Schwerpunkt habe ich auf die streunenden Hunde im Winter gelegt, die mich besonders bewegen.

Wurde der "einsame Baum" von C. D. Friedrich für die Nachfahren der Romantiker zum Topos, so ist es für mich der verlassene einsame Straßenhund, der mir in der zeitgenössischen Fotografie immer wieder begegnet.

“I share my heart with you”, möchte ich jedem einzelnen zurufen.

 

o.T., 2016 © Tamás Hajdu

I share my heart with you, 2016 © Tamás Hajdu

o.T., 2020 © Tamás Hajdu

 

Hajdu Tamás (*1976 in Simleu Silvaniei/Rumänien) stellt national und international aus. Seine Arbeiten werden in einer Reihe von Fotomagazinen und Publikationen vorgestellt, darunter Punctum, Practical Photography, Vice, Lenscratch, Feature Shoot, The Independent, La Repubblica und The Guardian.

Alle Fotos © Tamás Hajdu

 

Fotografie
6. Juni 2021 - 8:28

Aus unerfindlichen Gründen habe ich auf Facebook eine Gruppe "Masculinity in male portraits" vorgeschlagen bekommen, wo dieses interessante Porträt "Hans und George" vom australischen Künstler Robert Hannaford gepostet wurde.

 

Hans und George © Robert Hannaford

 

Interessant deshalb, weil der Hund von hinten zu sehen ist, was ich wirklich ungewöhnlich finde. Zweifellos wäre es dem geübten Porträtisten möglich gewesen, den Hund auch von vorne zu erfassen.

Schauen Sie den Hund auf dem unteren Gemälde "Bill" an: Dieser Blick! Welch weichen, melancholischen, sensiblen, gar sprechenden Ausdruck er hat; ganz im Gegensatz zu seinem Halter, einem Jackaroo mit eher martialischer Miene und harten Zügen. Sie werden mir sicher zustimmen, dass die Darstellung des Hundes den Cowboy in den Schatten stellt.

Peter Jacobsen beschreibt auf The Varnished Culture Hannafords Arbeitsprozess:

 

“Whereas many work from photographs, he demands that you sit. And sit. And sit. He props you on a little stage he constructs (he’s a far better painter than carpenter), sticks his easel beside you, spreads out a drop sheet, kicks off his shoes, stands back five yards, stares at you intently – and charges. Literally. He makes a brushstroke, just one, and retreats…And this goes on and on for days.” (zit. n. The Weekend Australian Magazine, June 2016)

"Während viele nach Fotos arbeiten, verlangt er, dass man sitzt. Und sitzen. Und sitzen. Er stellt Sie auf eine kleine Bühne, die er selbst gebaut hat (er ist ein viel besserer Maler als Schreiner), stellt seine Staffelei neben Sie, breitet ein Bettlaken aus, zieht seine Schuhe aus, tritt fünf Meter zurück, starrt Sie aufmerksam an - und stürmt los. Buchstäblich. Er macht einen Pinselstrich, nur einen, und zieht sich zurück... Und das geht tagelang so weiter."

 

Wenn ich davon ausgehe, dass die Rückenansicht des Hundes nicht darin begründet ist, dass er von vorne nicht ruhig sitzen und sitzen und sitzen wollte, hat sie vielleicht einen formalen, in der Komposition liegenden Grund: Der Rücken des Hundes bildet eine formidable Parallele zum Bein von Hans. Und Bills Hund hat vor dem Hocker keinen Platz.

Beide Porträtierten sehen uns direkt und frontal an. Sie sind nicht in ihrer Beziehung zum Tier dargestellt, es gibt weder Blickkontakt noch Berührung. Die Hunde sind bloß weitere Elemente, die den Dargestellten näher charakterisieren, ebenso wie Hans´ Stock und Schiebermütze oder Bills Zigarette und Cowboyhut.

Mir gefällt das intensive und ergreifende Porträt des alten Hans, der in all seiner Unvollkommenheit, mit eingefallenen Wangen und Mund, dargestellt wird. Das satte Grün des Pullovers und das Blau der Hose unterbrechen die Monochromie der braunen Ödnis und verleihen seinem Träger etwas Modernes und Zeitgenössisches.

 

Bill © Robert Hannaford

 

Robert Hannaford malt Stillleben, Landschaften, aber vor allem Porträts und Selbstporträts. Letztere erinnern mich von der Bildauffassung und dem Blickwinkel stark an Lucian Freud. Die Porträts sind einer naturalistischen Tradition verpflichtet, er stellt bewusst die Repräsentation über die Abstraktion. Dabei arbeitet er nach dem Modell und nicht nach Fotos, mit dem Ziel das Wesen seiner Subjekte einzufangen. Für ihn ist der Prozess des Porträtierens eine Erforschung das Charakters, der über die Fotografie hinausgeht. Durch das Modellstehen über einen langen Zeitraum hinweg erhält der Künstler Einblick in verschiedene Emotionen der Porträtierten, die im Gemälde spürbar werden.

Als einer der bedeutendsten Porträtkünstler Australiens, hat er bereits Hunderte von Porträts gemalt. Dabei genießt er einerseits die Disziplin, die ihm ein Auftrag auferlegt, ist aber andererseits auch offen für die Ideen seiner AuftraggeberInnen, hinsichtlich darauf, wie sie dargestellt werden möchten. Deren Ideen führen ihn oft zu neuen Sichtweisen und Kompositionen.

Robert Hannaford (*1944 in Riverton/Australien) wuchs im ländlichen Südaustralien auf, arbeitete als politischer Karikaturist beim 'Adelaide Advertiser', ab Ende der 1960er Jahre wendet er sich als Autodidakt ganz der Malerei und Skulptur zu. Nach Jahren in Melbourne, Adelaide und Sydney lebt und arbeitet er heute mit seiner Frau, der Künstlerin Alison Mitchell, wieder in der Nähe von Riverton.

alle Bilder © Robert Hannaford

 

Malerei
1. Juni 2021 - 9:42

Hunde sind ein nur selten dargestelltes Motiv des chilenischen Künstlers Fernando Alday. Doch die wenigen Arbeiten, die ich gefunden habe, strahlen eine Anmut und ruhige Präsenz aus, als wüssten die Tiere um die Bedeutung, die ihnen der Künstler gibt.

Alday achtet sorgfältig auf Proportionen und Komposition, aber vor allem auf die Farbe. Beachten Sie den grünen Schmetterling, dem der Hund mit seiner grünen Schnauze folgt! Sensibilität, Einfallsreichtum und chromatische Virtuosität sind Eigenschaften, die den Werken gemeinsam sind.

 

Perro, 2019 © Fernando Alday

Perro, 2018 © Fernando Alday

Perro, 2018 © Fernando Alday

 

Die Sensibilität und Leidenschaft für Papier, die den chilenischen Künstler Fernanda Alday auszeichnet, reicht bis in die Kindheit zurück. Als Sohn eines Antiquitätenhändlers hat er Zugang zu Manuskripten und mittelalterlichen Tinten. Früh interessiert er sich für Kalligrafie und für alte Bücher, die er nach Farben ordnet und in deren Textur und Inhalt er sich vertieft, früh lässt er sich als Suchender auf Papier, Farbe und Textur ein. Inzwischen arbeitet er auch mit alten Dokumenten und Büchern, die er auf Flohmärkten findet.

Mit dem Verwenden alter Papiere versucht er das Vergehen der Zeit darzustellen und das Ephemere des Lebenszyklus zu vermitteln.

 

"I start with an almost archaeological research on colour and texture. In my work I use old paper as my primary object, along with medieval ink. I am interested in the fact that these materials expose the passage of time, but in the sense that they make you feel that the present is within the circle of life". (zit.n.hier)

"Ich beginne mit einer fast archäologischen Forschung über Farbe und Textur. In meiner Arbeit verwende ich altes Papier als primäres Objekt, zusammen mit mittelalterlicher Tinte. Ich interessiere mich dafür, dass diese Materialien den Lauf der Zeit sichtbar machen, aber auch dafür, dass sie das Gefühl vermitteln, dass die Gegenwart im Kreislauf des Lebens liegt".

 

Alday wählt als erstes das Material aus, das er verwenden möchte. Das Material selbst kann bereits das Thema der Arbeit vorgeben. Er klebt es als Oberfläche auf die Leinwand, auf der er weiter zeichnet und collagiert. Seine eleganten, poetischen und stillen Mischtechniken aus Collage und Malerei strahlen Balance und Harmonie aus. Alte vergängliche Materialien werden in neuem Kontext wiederbelebt. Er entreißt das organische Papier - Briefe Manuskripte - dem Zerfall. Alte Bedeutungszusammenhange tauchen als Hundekopf oder Hundekörper wieder auf, wobei er geschickt schichtet, überlagert, malt und kritzelt. Vergangene private und kleine Geschichten werden derart Teil einer neuen Kunstgeschichte.

 

Perro, 2018 © Fernando Alday

Perros, 2018 © Fernando Alday

Llibre, 2019 © Fernando Alday

Llibre, 2018 © Fernando Alday

 

 

Papier, aber auch alte Bucheinbände werden ihrer Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit entzogen, verändert, wiederbelebt. Stilisierte Figuren tauchen auf: ein Hund, ein Maultier, ein Stier, ein Stuhl, eine Landschaft. In vielen Werken gibt es Anspielungen auf die Kunstgeschichte, Elemente primitiver Kunst, Affinitäten zur präkolumbianischen Ikonographie, aber auch zu Klee und Goya. Der Künstler nimmt sowohl das Klassische als auch das Moderne auf und macht es sich zu eigen. Manche Werke erinnern an die Patina alter Mauern mit Schichten an Übermalungen und abgerissenen Plakaten.

Fernando Alday (*1959 in Santiago de Chile/Chile) hat in Chile Grafikdesign studiert, übersiedelte in die USA und begann autodidaktisch mit der Malerei. In seinen Anfängen malte er abstrakte oder symbolische, präkolumbianisch inspirierte Bilder. Erst später begann er sich für die Figuration zu interessieren. Er lebt seit über 20 Jahren in Barcelona, stellt international aus und nimmt an europäischen Kunstmessen teil.

Kennengelernt habe ich Aldays Werk durch einen Hinweis von Anke Dilé Wissing, die mir seine Instagram-Seite empfahl. Vielen Dank, liebe Anke und Grüße an Puck!

Quellen: Villa del Arte Galleries

alle Bilder © Fernando Alday

 

Collage, Malerei