With what eyes? Mit welchen Augen schaut sie uns an? Mit welchen Augen blicken wir zurück?
Selten mache ich eine Ausnahme und zeige Ihnen andere Tiere als Hunde. Die Tierbilder des mexikanischen Malers Rodrigo Hernández sind derart sensibel, empathisch und still, dass ich sie ihnen nicht vorenthalten will. Für mich scheinen die Gemälde Teil eines vergangenen paradiesischen Zustands oder einer ersehnten Utopie zu sein. Wenn ich daran denke, wie Menschen mit Tieren, besonders auch mit Affen, die uns doch so ähnlich sind, umgehen, scheinen diese friedvollen Darstellungen Wunschträume zu sein.
Die Fledermäuse und Äffchen sind weich und sanft gemalt: Feine Härchen wie Flaum; dunkle und zarte Haut der Nasenlöcher und Ohren - glänzend und lebendig gemalt - setzt ihre feinen Sinne buchstäblich ins Licht. Die Bilder sind detailreich und unaufgeregt, aber zu perfekt und ätherisch, um realistisch zu sein. In der Darstellungsweise spiegelt sich die Haltung des Künstlers wider: Er bezieht Stellung für die Tiere, indem er das menschliche Subjekt in den Hintergrund rückt und auf den mexikanischen Philosophen David M. Peña-Guzmán Bezug nimmt, der fragt: Sind die Menschen die einzigen Träumer auf der Erde?
Hernández reflektiert die kognitiven und emotionalen Erfahrungen nichtmenschlicher Tiere, indem er literarische, philosophische und wissenschaftliche Perspektiven in sein Werk miteinbezieht, wobei die Gemälde nur Teil umfangreicherer Installationen und Ausstellungsdesigns sind. Er löst den Diskurs über das Träumen aus dem allgegenwärtigen Rahmen der menschlichen Erfahrung.
Wir sehen eine Serie schlafender Affen und Fledermäuse. Aber sind es auch träumende Tiere? Die schlummernden Geschöpfe geben keine weiteren Details zur Interpretation darüber, was sie erleben, werfen aber viele Fragen auf. In ihrer Stille liegt eine uns unbekannte Welt.
Das zarte Tier hängt kopfüber, hat seine Flügel eingezogen, scheint sich selbst mit ihnen zuzudecken. Die andere Fledermaus schläft mit ausgebreiteten Flügeln. Beide scheinen in sich gekehrt und ganz bei sich selbst zu sein. Beim Anblick dieser Bilder ist es kaum vorstellbar, wie diese kleinen Wesen oft von Menschen als Vampire dämonisiert werden.
Können wir mit Gewissheit sagen, dass Tiere im Schlaf träumen? Mit welchen Augen könnten wir die Träume nichtmenschlicher Tiere betrachten? Was würden wir sehen, wenn wir in die Träume eines nichtmenschlichen Lebewesens hineinschauen könnten? Was würde enthüllt werden? Und wie könnten wir diese Visionen zurückübersetzen? Ist unsere Vorstellung vom Träumen unweigerlich mit der Sprache verbunden?
Die Praxis von Rodrigo Hernández wird vom Impuls bestimmt, den Zwängen der physischen Sprache zu entkommen. Er verleiht einer Idee, einem Konzept oder einem Gemälde mehr Substanz als es das geschriebene oder gesprochene Wort hätte. Das Ergebnis dieser offensichtlichen Schwierigkeit, sich verbal auszudrücken, materialisiert sich in Hernández' Werk durch die Schaffung von stillen Bildern, die bleibende Momente des Zweifels und der Unsicherheit hervorrufen.
Er versucht in seiner bildnerischen Praxis nicht zu klären oder Sicherheit herzustellen, sondern die Linien der Kategorisierung zwischen nichtmenschlichen Tieren und menschlichen Tieren zu verwischen.
Ein kleiner Exkurs: Ich erinnere mich an einen Vortrag, den der amerikanische Tierrechtsanwalt Steven Wise vor über zwanzig Jahren in Wien gehalten hat.
Steven Wise tritt seit mehreren Jahrzehnten für die Zuerkennung des Stauts als Rechtssubjekte für Tiere nach dem von ihm so benannten Kriterium der "practical autonomy" ein. Dabei plädiert er dafür, Tieren, die einen Sinn des "Ich" besitzen, die intentional handeln und Wünsche haben, zwei elementare Grundrechte - den Anspruch auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit - zuzuerkennen. In seinem Buch "Drawing the Line: Science and the Case for Animal Rights" beschäftigt sich Wise mit der Frage, wo die Grenze zu ziehen sei, wenn erst einmal Affen Grundrechte eingeräumt würden. Was mir besonders in Erinnerung ist, ist seine Bemerkung: "Wir müssen die Linie mit dem Bleistift ziehen".
Noch René Descartes und Immanuel Kant betrachteten Tiere aufgrund ihres Mangels an Sprache, Vernunft und Vorstellungskraft als bloße Maschinen und stellten somit den Menschen über die Natur. Erst Charles Darwin, der fünf Jahre nach Kants Tod geboren wurde, postulierte, dass der Mensch von den Primaten abstammt und somit auch ein Tier ist. Darwin entfachte erneut wissenschaftliche und philosophische Debatten darüber, was es bedeutet, ein Mensch oder ein Nicht-Mensch zu sein. Wenn Menschen Tiere sind, bedeutet dies dann, dass nichtmenschliche Tiere auch andere "menschliche" Eigenschaften haben können und somit Anspruch auf einen moralischen Status haben? Sind sie in der Lage sich etwas vorzustellen und zu träumen?
Im Tierversuch laufen Ratten eine Strecke zu einer Futterquelle. Da sich die Gehirnaktivität im Wachzustand und im Schlaf perfekt widerspiegelt, schließen die Forscher daraus, dass die Ratten im Schlaf wiederholen, was sie gerade erlebt haben, sie also "Realitätssimulationen" durchführen. Oder, wie Peña-Guzmán es ausdrückt, die Ratten träumen davon, die Strecke zu laufen.
In dem Bemühen, eine Anthropomorphisierung der Erfahrung des nichtmenschlichen Tieres zu vermeiden, beschreiben die Forscher die Wiederholung der Wachaktivitäten der Ratten im Schlaf als eine Art Wiederholung und nicht als Traum. Einige Kritiker, darunter Peña-Guzmán, sind jedoch der Ansicht, dass die Feststellung kognitiver Ähnlichkeiten zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren und die Weigerung, einen Begriff zu verwenden, der diese Gemeinsamkeiten anerkennt, zu einer Form von Anthropodenialität führen kann, was einen weiteren Keil zwischen unsere moralische und ethische Beziehung zur nichtmenschlichen Tierwelt treibt. Der Begriff "anthropodenial" geht auf Frans de Waal zurück, der damit die Blindheit gegenüber den menschenähnlichen Eigenschaften von anderen Tieren oder der tierischen Eigenschaften im Menschen meint.
Jeder Tiertraum ist je nach Tierart unterschiedlich. Während die Träume von Primaten eher visuell sind und einem menschlichen Traum näherkommen, sind die Träume von Fledermäusen eher klangvoll und uns daher aus menschlicher Sicht fremd. Trotz umfangreicher wissenschaftlicher Forschungen über den Tierschlaf, bleibt eine epistemische Lücke bestehen. Auf diese Leerstelle fokussiert Hernández Werk.
Entspannt schmiegt der kleine Affe seinen rosa Bauch an den dicken Ast, der Kopf ruht auf seinen Armen, die Augen sind fest geschlossen. Erschöpft gibt er sich dem Schlaf hin. Seine Mimik und Schlafposition wirken sehr menschlich.
Eine orange behandschuhte Hand umschließt eine im Schlaf lächelnde Fledermaus. Ist die Berührung zärtlich und beschützend oder kraftvoll und gefährlich? Hernández zeigt nur einen Ausschnitt der Szene, die Umgebung und die Person bleiben im Verborgenen und der Vorstellung überlassen. Das Orange des Handschuhs leuchtet grell und wirkt kaum vertrauenswürdig. Will die Hand wärmen und umsorgen oder missbrauchen und verletzen?
In "Substitute for Love" bezieht sich Rodrigo Hernández auf die Harlow-Experimente der 1950er Jahre zur Erforschung der menschlichen Liebe und Zuneigung durch eine Reihe grausamer Affenversuche. Der Psychologe Harry Harlow trennte Baby-Makaken von ihren Eltern und bot ihnen verschiedene Attrappen als Mutterersatz an. Die Jungtiere suchten die Nähe einer weich gepolsterten "Mutter" und verließen diese nur zur Nahrungsaufnahme. Die früh isolierten Affen zeigten teils schwere Verhaltensstörungen und waren selbst nicht in der Lage, Nachwuchs zu versorgen.
Hernández‘ Ölgemälde ist eine direkte Referenz auf eines der während der Experimente aufgenommenen Fotos, auf dem ein kleiner verzweifelter Makake zu sehen ist, der die Stoffpuppe umarmt. Die Ergebnisse dieses zutiefst berührenden Experiments sagen viel über Mutterschaft, Liebe, und Bindung aus, noch mehr zeigen sie die fehlende Moral beim Missbrauchen von Tieren für die Wissenschaft.
Foto von hier
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Auf dem Boden ruht ein in Bronze gegossener hohler Affenkopf und an den umliegenden Wänden hängen die kleinen Ölgemälde der schlafenden Tiere. Die Skulptur trägt den Titel: "I would not think to touch the sky with two arms", eine Zeile, die von Sappho entlehnt ist. Die feinen Gesichtszüge sind sehr menschlich, weshalb die Assoziation zu Constantin Brancusis "Schlafende Muse" leichtfällt.
"Flux of Things (Human & Monkey)" ist eine große, handgehämmerte silberne Metallarbeit, die aus acht einzelnen Paneelen aufgebaut ist. Das Werk basiert auf einer einfachen Strichzeichnung und zeigt einen Affen, der sich an eine menschliche Figur schmiegt. Dieser seltene Moment der Verbundenheit zwischen zwei unterschiedlichen Spezies drückt Empathie, Gemeinsamkeit und Hoffnung aus.
Ein Affe umarmt eine Taube. Das, was uns unwahrscheinlich erscheint, dass eine zur schnellen Flucht fähige Taube sich umarmen lässt, hat Hernandez in Mexiko selbst beobachtet. Er hat diese kurze intime Berührung in einem gehämmerten Messingrelief festgehalten. Der Kontrast zwischen der Festigkeit des Messingblechs und der Zärtlichkeit des Moments, die auf ihm eingeschrieben ist, verleiht der Szene eine ganz besondere poetische und sensible Qualität. Die Arbeit ist Teil einer Installation aus zwölf Reliefs - "Nothing is Solid. Nothing can be held in my hand for long" - die ephemere Gesten der Zuneigung, Berührungen und Umarmungen darstellen.
Für uns Hundehalter scheint es evident, dass unsere Hunde träumen, wir brauchen keinen Beweis! Es gibt kaum etwas Spannenderes, als sie dabei zu beobachten: Zuckende Beine, Schwänze, die sich bewegen, grunzende Laute – wahrscheinlich werden zumeist Rehe und Hasen verfolgt! Auch wenn die Hunde in Wirklichkeit an der Leine waren und den Rehen nur nachschauten.
Die Menschheit allerdings wird niemals erfahren, was die schlafenden Hunde, Affen und Fledermäuse träumen, was in ihren Köpfen vorgeht. Die unbekannte Gedankenwelt ist vielleicht deren letztes Refugium.
Als Betrachtende sind wir aufgefordert den Werken von Rodrigo Hernández mit unserer subjektiven sinnlichen Erfahrung - mit Spüren, Fühlen, Wahrnehmen - gegenüberzutreten und sie nicht mit Rationalität zu betrachten.
Die gezeigten Arbeiten waren Teil seiner letzten Ausstellungen in der Galerie Chert Lüdde in Berlin und im CCA Wattis Institute in San Francisco. Seine Installationen - er fügt Wände und architektonische Elemente in den Ausstellungsraum - sollen dem Besuchen bewusst machen, wie er den Raum einnimmt, insofern sind seine räumlichen Konfigurationen Übungen in Perspektive und Wahrnehmung.
Rodrigo Hernández (*1983 in Mexico City/Mexiko) studierte an der Jan Van Eyck Akademie in Maastricht und an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe.
Quellen: Homepage Rodrigo Hernández, Galerie Chert Lüdde, Galerie Madragoa, Gallerytalk, Essay von Diego Villalobos
alle Bilder © Rodrigo Hernández