15. Juli 2024 - 9:59

Dog Days Bite Back, 2023 © Oliver Ressler

 

Ein Aggression und Angst verkörpernder Hund steht vor einem brennenden Hintergrund. Wie kein anderes Bild kommentiert die Fotomontage mit dem Titel "Dog Days Bite Back" auf eindringliche und dramatische Weise die Klimakrise. Sie war ein Leitmotiv von Oliver Resslers Werkschau im Belvedere 21 im Rahmen der Klima Biennale Wien.

Der Titel des Fotos sowie der Ausstellung bezieht sich auf eine Aussage des UNO-Generalsekretärs António Guterres zum Sommer 2023 als heißestem seit Messbeginn:

 

"The dog days of summer are not just barking, they are biting."

 

In Filmen, Installationen, Arbeiten im Außenraum und dem Medium Ausstellung thematisiert Oliver Ressler seit etwa drei Jahrzehnten dringliche Aspekte von Ökonomie, Demokratie, Migration, Klimakrise, Widerstandsformen und gesellschaftlichen Alternativen, um strukturelle Ursachen, aber auch Widerstandsformen und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Seiner künstlerisch-aktivistischen Praxis liegt die Überzeugung zugrunde, dass gesellschaftliche Verhältnisse nicht gegeben, sondern vielmehr veränderbar sind. Gesellschaftliche Alternativen denkbar zu machen, ist dabei ein zentrales Motiv.

In seinen kämpferischen, engagierten dokumentarischen Arbeiten bezieht er als dezidiert positionierter Beobachter Stellung. Gleichzeitig reflektiert er dabei seine Rolle eines involvierten Teilnehmers und künstlerischen Forschers.

Oliver Resslers (*1970) Arbeiten wurden bereits in Tausenden Veranstaltungen sozialer und aktivistischer Bewegungen, Kunstinstitutionen und Filmfestivals gezeigt.

Bild © Oliver Ressler

 

Ausstellung, Fotografie
12. Juli 2024 - 9:09

Old Dog, 2019 © Franca Franz

 

Wer einen alten Hund hat, erkennt die Qualität dieses Bildes! Auf den ersten Blick spürt man die Stimmung des Hundes, seinen "mood": Er scheint zu überlegen und zu keinem Ergebnis zu kommen. Wo bin ich, was mach ich hier? Wer will etwas von mir?

Und hier kommen die zwei kleinen blauen Hügel am unteren Bildrand ins Spiel. Was sollen sie? Es sind die Knie der Künstlerin Franca Franz, mit denen sie uns ihre Perspektive zeigen möchte, den Blick, von dem aus sie den Hund skizziert oder fotografiert hat.

Das und andere Bilder begleiten (nicht illustrieren) die Gedichte von Michael Hüttenberger in der Ausstellungsbroschüre "Die Schafe sind gezählt". Leider liegt mir der Band nicht vor. Ich wurde von Sofie Morin darauf aufmerksam gemacht. Danke, liebe Sofie, für das Teilen des wunderbaren Gemäldes!

 

Ausstellungsbroschüre

 

Zurück zum Bild: Ob sich die kleine Szene außen oder innen abspielt, ist erst auf den zweiten Blick zu klären. Der Hund scheint draußen auf einer festen Decke zu liegen, die säulenartigen Bäume begrenzen einen Nachthimmel mit funkelnden Sternen, der Horizont halbiert Vorder- und Hintergrund. Der "old dog" strahlt aus innen heraus, nichts Rationales oder Naturwissenschaftliches bedingt oder rechtfertigt sein Leuchten.

Franca Franz wurde 1986 in Darmstadt geboren. Sie studierte Malerei an der Royal Academy of Fine Arts Antwerpen bei Bruno Van Dyck und Malerei/Druckgrafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Professor Annette Schröter. Franca Franz lebt und arbeitet in Leipzig.

Michael Hüttenberger, geboren 1955 in Offenbach, studierte Germanistik, Politik, Pädagogik und Soziologie in Frankfurt, promovierte zum Dr. phil. und war bis 2008 Schulleiter in Darmstadt. Seitdem arbeitet er als freier Autor und Journalist in Darmstadt und Stedesdorf/Ostfriesland, seit 2020 in Michelstadt.

Quelle: Echo

Bild © Franca Franz

 

Buch, Malerei
5. Juli 2024 - 20:15

Irina Bartels, Julia Belot, Eberhard Bitter, Piot Brehmer, Hagga Bühler, Julija Burdack, Ankalina Dahlem, Claudia Dermutz, Anja Flügel, Sieglinde Gros, Claudia Grünig, Prof. Ottmar Hörl, Susana Infurna Buscarino, Ewald Janz, Heike Jeschonnek, Andrea Legde, Petra Meyer, Sibylle Möndel, Kerstin Römhild, Welf Schiefer, Dorothea Schüle, Antje Vega, Elke Vogelsang, Elizabeth Weckes, Viola Welker, Sandra Wörner, Dagmar Wolf-Heger, Ulrike Zimmermann:

Das ist die umfangreiche Liste der ausstellenden deutschen und osteuropäischen Künstler und Künstlerinnen beim Kunstsommer Burg Wertheim, organisiert vom Galeristen Axel Schöber und unterstützt durch die Stadt Wertheim. Vom 7. Juli bis zum 18. August 2024 widmet sich das Neue Archiv ganz dem Hund: "DOGS – zwischen Instinkt und Zuneigung" beleuchtet die Bandbreite, die im Titel angesprochen wird, anhand von Druckgrafik, Fotografie, Malerei, Objekt, Skulptur und Zeichnung.

Um Ihnen einen kleinen Vorgeschmack zu geben, habe ich mir vier Künstlerinnen ausgesucht, die ich kurz vorstelle:

Sibylle Möndel (*1959 in Stuttgart/D) verbindet die Technik des Siebdrucks mit gestischer Malerei in stiller zurückhaltender Farbigkeit. Dazu bearbeitet die Künstlerin Fotografien oder Fotofragmente auf dem Computer, die dann in der Technik des Siebdrucks auf die Leinwand gedruckt werden. Aus dem einfachen flachen Druck eines Schäferhundes erzeugt Sibylle Möndel mit wenigen groben informellen horizontalen und vertikalen Pinselstrichen eine mehrschichtige Landschaft mit Tiefe. Der Hund scheint etwas zu betrachten, was für uns im Verborgenen liegt: Rätselhaftigkeit entsteht.

 

o.T., Siebdruck, Ölfarbe auf Leinwand © Sibylle Möndel

 

Julia Belot möchte nur das Gute und Schöne malen und das Liebenswerte ergründen. Alles Negative bleibt im Verborgenen. Ihrer Absicht wird sie durchaus gerecht. Um das Positive noch mehr hervorzuheben, setzt sie eine über die Natur hinaus gehende, in ihrer Intensität gesteigerte Farbigkeit ein. "Traumland" heißt eine ihrer Serien, und im Traumland ist es so schön und friedlich, wie es nur die kindliche Fantasie imaginieren kann und Mensch und Tier märchenhaft nebeneinander existieren.

 

Iza und zwei Wölfe, 2015 © Julia Belot

 

Elizabeth Weckes (*1968 in Willich/D) steuert Foxy bei! Er ist Teil einer Serie, die angeleinte Hunde beim Gassigehen zeigen. Unwichtiges wie Frauchen und Herrchen sind im Bild angeschnitten und bloß als ausschreitendes Beinpaar präsent.

 

Foxy, Red Handbag, 2024  © Elizabeth Weckes

 

Vielleicht sehen Sie im Neuen Archiv erstmals eine Hunderudel-Skulptur von Sieglinde Gros (*1963 in Darmstadt/D), deren Werk bisher auf die menschliche Figur und Figurengruppen ausgerichtet war. Die Bildhauerin arbeitet mit Kettensäge und Stemmeisen, lässt die Arbeitspuren und den Holzblock als Ausgangsmaterial sichtbar. Wie lust- und energievoll die Befreiung der "Meute" aus dem Holz vor sich geht! Diese Hunde zögern nicht!

 

Meute, 2024 © Sieglinde Gros

 

Die Vernissage findet am 7. Juli 2024 um 11:30 Uhr mit einer Einführung des Kurators Axel Schöber statt. Im Rahmenprogramm wird er selbst über Kunst und Künstliche Intelligenz referieren, Ottmar Hörl spricht über den Kunstmarkt, Dagmar Wolf-Heger über Wölfe im Schutzraum. Am letzten Tag der Ausstellung können die Besucher und Besucherinnen eine Künstlerin beim Schaffensprozess beobachten: Sandra Wörner wird vor dem Publikum zeichnen.

Die Öffnungszeiten und Termine des Rahmenprogramms können Sie hier nachlesen.

 

Ausstellung, Malerei, Skulptur
24. Juni 2024 - 9:56

Rostige Nägel, Metallteile, Zwirnspulen, Bürsten als Mähnen, Kämme als Geweih: Das sind neben Treibholz die Hauptbestandteile der liebenswerten Tierskulpturen der Britin Kirsty Elson.

 

Pudel © Kirsty Elson

 

Für Kirsty Elson ist ein Stück Treibholz oder ein Metallstück mehr als Schutt oder Abfall. Sie sieht in ein paar alten Nägeln die dünnen Beinchen eines schleichenden Fuchses; leere Garnspulen werden zu Rädern des Skatboards eines kecken Hundes, dessen rostige Metallohren im Windkanal flattern. Gegen den Fahrtwind wärmt ein Mantel aus einem grünen Stofffetzchen.

 

Hund auf Skateboard © Kirsty Elson

Hund © Kirsty Elson

Promenadenmischung © Kirsty Elson

 

Kirsty Elson sammelt am Strand von Cornwall nach Treibholz und  haucht den alten Teilen neues Leben ein, verwandelt sie auf erstaunliche Weise in skurrile, verspielte und humorvolle Tierskulpturen. Dabei geht sie nicht von der Idee zu einem Tier aus, sondern lässt sich vom gefundenen, einzigartigen Material anregen, die Formen, Farben und Texturen sind der Ausgangspunkt für ihre recycelten "Kleinode".

 

“The great thing about driftwood is that each piece is very different. I tend to let the materials lead me, rather than having an idea in my head and trying to find a piece to fit my idea. I let the materials do the work really.” (vgl. Playjunkie)

„Das Großartige an Treibholz ist, dass jedes Stück sehr unterschiedlich ist. Ich neige dazu, mich von den Materialien leiten zu lassen, anstatt eine Idee im Kopf zu haben und zu versuchen, ein Stück zu finden, das zu meiner Idee passt. Ich lasse die Materialien wirklich die Arbeit machen.“

 

 

Hund mit Ball © Kirsty Elson

Hund mit Pullover © Kirsty Elson

Dackel © Kirsty Elson

Dackel (Detail) © Kirsty Elson

Hundekopf © Kirsty Elson

Bär © Kirsty Elson

Pferd © Kirsty Elson

Elch © Kirsty Elson

Elefant © Kirsty Elson

Fuchs © Kirsty Elson

 

Kirsty studierte Illustration und Druckgrafik an der Cambridge School of Art. Nach der Geburt ihres ersten Kindes zog ihre Familie nach Cornwall, wo sie heute lebt und arbeitet. Sie begann mit der Gestaltung und Herstellung von Grußkarten aus winzigen Treibholzsplittern, dann konzentrierte sie sich auf die Gestaltung kleiner Strandhäuschen, Leuchttürme und idyllische Küstenszenen. Erst in letzter Zeit konzentriert sie sich ganz auf ihre Tierskulpturen.

alle Bilder © Kirsty Elson

 

Skulptur
17. Juni 2024 - 9:00

Der US-amerikanische Künstler Zak Kitnick vergrößert Bilder aus einem Satz von Hunde- und Katzenpostkarten und überträgt sie auf schwarze pulverbeschichtete Stahlregale. Dafür scannt er die Postkarten ein und vergrößert die Bilder jeder Katze oder jedes Hundes so, dass die Höhe auf eine drei Fuß große Platte passt. Er verwendete je nach Bedarf ein bis vier Regalplatten, um die unterschiedlichen Breiten der Tiere zu berücksichtigen.

 

Ausstellungsansicht Galerie Clearing, New York, 2016 © Zak Kitnick

Ausstellungsansicht Galerie Clearing, New York, 2016 © Zak Kitnick

 

Die Bilder erhalten durch diese Größenänderung eine eigentümliche Qualität: Hunde und Katzen werden fast gleich groß, Tigerkätzchen und Terrier schwellen auf die Größe von Deutschen Doggen an. Durch den Wechsel vom Postkartenformat zur 3x2 Fuß großen Stahlplatte wird sichtbar, dass jedes Tier aus Ben-Day-Punkten zusammengesetzt ist. Bei der Ben-Day-Dots-Drucktechnik entstehen aus kleinen farbig gedruckten Punkten Flächen einer anderen Farbe. Je nachdem, welchen Effekt man erzielen will, werden die Punkte nahe aneinander oder überlappend gedruckt.

 

Ausstellungsansicht Galerie Clearing, New York, 2016 © Zak Kitnick

C & D (Dogs) 1, 2, 3, 2016 © Zak Kitnick

C & D (Cats) 1, 2, 3, 2016 © Zak Kitnick

 

Kitnick braucht 45 Stahlregale für jede Spezies, die er in gleichmäßiger Folge entlang des Bodens der Galeriewände anordnet. Sie bilden eine fortlaufende Reihe von Tieren, die an die zeitliche Abfolge eines Filmstreifens erinnern, wobei der Betrachter die Dauer der Rezeption durch das Tempo des Abschreitens bestimmt. Durch den Weg und die Dauer des Abschreitens bzw. durch ihre Vergrößerung und Anordnung bekommen die Stahlregale einen Bezug zu Raum und Zeit. Ein Paar niedriger Schwingtüren markiert den Ein- und Ausgang in den nächsten Raum und führt eine physische Pause ein, bevor sich die die Sequenz visuell fortsetzt.

 

One is None, 2016 © Zak Kitnick

 

Die Vielfalt der Hunderassen bietet Kitnick die Möglichkeit, seine Interessen an Systemen der Taxonomie mit Strukturen der Bildproduktion und -ausstellung zu verbinden. Die den Postkarten inhärente visuelle Sprache als singuläres flaches Bild wird demontiert und in andere Kontexte und Medien übertragen. Durch die Vergrößerung beginnt sich das Tier als Subjekt aufzulösen, durch die serielle Anordnung kommen oben erwähnte Eindrücke von Raum und Zeit dazu.

 

Ausstellungsansicht Galerie Clearing, New York, 2016 © Zak Kitnick

Ausstellungsansicht Galerie Clearing, New York, 2016 © Zak Kitnick

 

Zak Kitnick hat diese Arbeit mit dem Titel C & D 2016 in der Galerie Clearing präsentiert. Zur Ausstellung erschien ein sehr lesenswerter Essay von Ed Halter, der umfassend auf die Beziehung des Werks zum Film eingeht und von der Galeriehomepage heruntergeladen werden kann.

Zak Kitnick (*1984 in Los Angeles, Kalifornien/USA) lebt und arbeitet in Brooklyn, New York. Er erhielt seinen BA vom Bard College und seinen MFA von der Milton Avery Graduate School of the Arts, New York. Viele Einzel- und Gruppenausstellungen in den USA und Europa.

alle Bilder © Zak Kitnick

 

Fotografie, Installation
10. Juni 2024 - 9:33

Was haben die Bilder der amerikanischen Künstlerin Sophie Larrimore gemeinsam? Richtig! Einen oder mehrere Pudel! Dabei ist sie keine Hundeliebhaberin. Sie malt Pudel, da sie an ihnen Form, Textur und Farbe erforschen kann. (vgl. It's Nice That)

 

August, 2017 © Sophie Larrimore

 

Ihre Entwicklung zur eigenen Bildsprache nahm fast fünfzehn Jahre in Anspruch, in denen die Perfektionistin die Gewohnheit, Bilder zu imitieren, ablegte. Vorher malte sie Hundeporträts unterschiedlichster Rassen und schaute sehr viele Vorlagen und Referenzen an, die sie einengten. Heute malt sie stilisierte, erfundene Pudel:

 

"Poodles are naturally anthropomorphic and that slightly human, slightly alien quality I find really beautiful." (zit n. Four&Sons)

"Pudel sind von Natur aus anthropomorph, und diese leicht menschliche, leicht außerirdische Qualität finde ich wirklich schön." (übersetzt mit DeepL)

 

In ihren Statements zeigt sich Larrimores Interesse an den formalen Aspekten der Malerei: Ihr Werk ist nicht inhaltlich bestimmt, sondern formal, es geht ihr in erster Linie um die Komposition.

 

"Much of my interest is in the shapes created, the color relationships, the surface, the edges, the tension between flat and illusionistic space." (zit. n. New American Paintings)

"Ein Großteil meines Interesses gilt den geschaffenen Formen, den Farbbeziehungen, der Oberfläche, den Rändern, der Spannung zwischen flachem und illusionistischem Raum." (übersetzt mit DeepL)

 

Der Pudel ist demzufolge wie eine Blaupause, eine basale Idee, auf der sie ihr Können kühn und fantasievoll entfalten kann.

 

Puddle, 2017 © Sophie Larrimore

 

Sophie Larrimores seltsamen und spielerischen Gemälde scheinen keinen Freiraum zu besitzen, alles ist ins Bild hineingepresst, hineingezwängt. Von den Rändern her kommen Finger, Hände, Arme, Brüste, Zehen und Füße ins Bild.

Die Künstlerin konzentriert sich in ihrer Bildsprache auf einen faszinierenden Wechsel zwischen Figuration und Abstraktion, die Komposition wechselt zwischen Aufriss und Grundriss, d.h. manches ist von vorne zu sehen, auf anderes sieht man von oben herab. Die Hundekörper laden den Betrachter dazu ein, immer wieder hinzuschauen und sich zu fragen, was die Pudel eigentlich tun und wie ihre Körper überhaupt funktionieren.

"White Rope" (unten) zeigt die wohlgeformte Gestalt eines vorwitzigen Hundes, der mit dem Hintern nach oben auf einem roten Handtuch am Pool posiert. Sein Körper erscheint eigentümlich verdreht. Die Hände schieben sich zwischen mehrere Bildebenen.

 

White Rope, 2017 © Sophie Larrimore

Untitled, 2017 © Sophie Larrimore

 

Immer wieder wird ihr Werk als fauvistisch beschrieben, da die Fauvisten die Farbe nutzten, um die Malerei über das traditionelle Modell der Lokalfarbe hinaus voranzutreiben. Richtigerweise sieht sich Sophie Larrimore mit den Fauvisten nur insofern verwandt, als auch sie die Farbe als Ausdrucksfarbe verwendet, um einen tieferen emotionalen Zustand zu suggerieren.

 

"The challenge now is working with a lot of colour without making it arbitrary. I see my work in dialog with those painters in that I too am concerned with making a painting in which colour and form are just as important as subject."
(zit.n. Four&Sons)

"Die Herausforderung besteht nun darin, mit viel Farbe zu arbeiten, ohne sie willkürlich einzusetzen. Ich sehe meine Arbeit im Dialog mit diesen Malern, denn auch mir geht es darum, ein Gemälde zu schaffen, in dem Farbe und Form ebenso wichtig sind wie das Thema." (übersetzt mit DeepL)

 

Ich finde den Vergleich mit den Fauvisten (den "Wilden") weit hergeholt. Lediglich die Lokalfarbe durch  Ausdrucksfarbe zu ersetzen, die Farbe von der Natur befreien, quasi farbenfroh zu malen, macht die Malerei noch nicht "wild". Larrimores Malweise ist nicht expressiv, sondern  - au contraire - verhalten und exakt!

Auch der Pointilismus muss immer wieder herhalten, um ihr Werk zu beschreiben. Ihre Punkte sind aber nicht die kleinsten Elemente einer Theorie, in der sich die Farbe erst im Auge mischt, sondern ein Mittel, um die lockig-flauschige Beschaffenheit des Hundefells darzustellen. Die Punkte sind ebenso Struktur, wie die Wellen auf der blauen Fläche. Nicht überall, wo Punkte drauf sind, ist Pointilismus drin!

Wenn schon die Kunstgeschichte bemüht werden soll, dann erinnern mich ihre sanft geschwungenen Formen der Frauen und Pudel formal eher an Fernand Léger und seinen "Tubismus". Die Figuren sind aus einfachen, gerundeten Formen und Rohren (franz. "tubes") zusammengesetzt. Sophie Larrimore nimmt diesen und andere Einflüsse auf und bringt sie mit ihrem eigenen Stil in Einklang, der einen hohen Wiedererkennungswert besitzt.

 

Untitled, 2017 © Sophie Larrimore

 

"Evening" (unten) entzieht sich jedem erkennbaren Raumgefühl, indem es gleichzeitig eine Vogelperspektive (atemberaubenden blau-grünen Strom) und eine Frontalansicht (drei Pudel, flach wie gestaffelte Schablonen) bietet. Die Tiefe ihrer Werke wird durch die geschickte Überlappung von Formen vermittelt. Links oben bricht der Mond durch die Hecke.

 

Evening, 2017 © Sophie Larrimore

 

In "Pastel Towel" sehen wir eine Frau, die einen Pudel streichelt und gleichzeitig von seiner Pfote berührt wird. Nackte Frauen treten in Larrimores Werk häufig in einen visuellen Dialog mit Hunden. Für Sophie Larrimore ist dies eine natürliche Paarung, die trotzdem eine faszinierende Zweideutigkeit und Spannung erzeugt. (vgl. Four&Sons)

 

Pastel Towel, 2017© Sophie Larrimore

 

Ihre Gemälde werden zunehmend komplexer, ornamentaler und erzählerischer. Der Witz der früheren Arbeiten wird zugunsten einer Ernsthaftigkeit aufgegeben und bei näherer Betrachtung zeigt sich eine subtile Beunruhigung. Schwermütige skulpturale Frauendarstellungen in versteinerter Manier werden mit Pudeln, Vögeln, Felsen, Pflanzen und Wasserläufen ergänzt. Viele der Bäume sind blattlos oder gefällt. Diese Ausstattung nimmt die ganze Bildfläche ein und wiederholt sich auf jeder Leinwand in immer neuer Zusammensetzung, wobei es keine Hierarchie zwischen Motiv und Grund  gibt. Die Bildoberfläche erscheint durch den Einsatz von Wiederholungen und Ornamenten verflacht.

Diese Figuren, ob in Gruppen angeordnet oder als einzelne Elemente isoliert, zeichnen sich durch eine bewusste Ökonomie der Gestaltung aus und erinnern an die visuelle Einfachheit von Hieroglyphen oder flachen Reliefs. Weiters lassen die Kompositionen an den Reichtum von Mosaiken und Wandteppichen denken sowie - durch den Verzicht auf Linearperspektive und Hinwendung zur Bedeutungsperspektive - an die Bildsprache der Vorrenaissance. (vgl. Venus Over Manhattan)

 

Bordering Magic, 2021 © Sophie Larrimore

Horizontally Speaking, 2021 © Sophie Larrimore

Alternate Side, 2021 © Sophie Larrimore

 

Die Werke lassen sich nicht in eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Ort einordnen: Die Umgebung erinnert an ursprüngliche und unberührte Landschaft, während die grelle Farbpalette und die zweideutigen Formen auf ein postatomares Terrain hindeuten. Zusammengenommen deuten diese Elemente auf einen sich abzeichnenden apokalyptischen Hintergrund hin und suggerieren eine Welt, die sich mit dem beunruhigenden Gespenst eines tiefgreifenden Wandels auseinandersetzt (vgl. Venus Over Manhattan). Diese Interpretation ist wohl dem Zeitgeist geschuldet, die überall die Thematisierung der Klimakrise sieht.

Ab den 2020er Jahren schmücken aufwändige Rahmen die Gemälde. In Anlehnung an die Maler der Vorrenaissance, die ihre Andachtsbilder mit aufwendigen Rahmen schmückten, um deren Heiligkeit zu unterstreichen, setzt Larrimore ihre Gemälde in massive, handgefertigte Rahmen, die an den unverwechselbaren Stil der Tramp Art erinnern. Die Tramp Art ist eine Methode der Holzbearbeitung, die in Amerika in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden ist und bei der in billiges, verfügbares Holz (aus Zigarren- und Versandkisten) geschnitzt wird. Die Herstellung erfolgte durch einfache Werkzeuge. (vgl. Wikipedia)

 

Perennial Crush, 2021 © Sophie Larrimore

Magic Touch Too Much, 2021 © Sophie Larrimore

How Will I Know, 2021 © Sophie Larrimore

4 Heads, 2023 © Sophie Larrimore

3 Trees, 2023 © Sophie Larrimore

Car Camping, 2023 © Sophie Larrimore

 

Sophie Larrimore beginnt zwar mit einem Konzept für ein fertiges Werk, trotzdem entwickelt sich das Gemälde im Prozess der Entstehung selbst. Jeder hinzukommende Teil eines Gemäldes wird im Verhältnis zum Ganzen betrachtet, und alle Elemente müssen zusammenpassen, damit das Werk gelingt.

 

“The mark of a good painting is one which changes and reveals itself the longer you look.” (zit.n. Four&Sons)

"Ein gutes Bild zeichnet sich dadurch aus, dass es sich verändert und sich offenbart, je länger man es betrachtet."
(übersetzt mit DeepL)

 

Ihre Arbeiten erfordern vom Betrachter einen doppelten, wenn nicht dreifachen Blick, um alle Feinheiten und Details zu erkennen, wobei ihm die Künstlerin die Interpretation der Symbole und Metaphern überlässt.

 

Nothing Without the Crack, 2023 © Sophie Larrimore

 

Sophie Larrimore (*1980 in Annapolis, Maryland/USA) erhielt 2004 einen B.F.A-Abschluss in Malerei und Druckgrafik von der Cooper Union for the Advancement of Science and Art, New York. Larrimores Arbeiten waren Gegenstand mehrerer Einzel- und Gruppenausstellungen in NY. Larrimore lebt und arbeitet in Brooklyn, New York.

Quellen: Four&Sons, Kate Werble Gallery, Venus Over Manhattan, It's Nice That

alle Bilder © Sophie Larrimore

 

Malerei
27. Mai 2024 - 9:48

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

 

Das  Werk der amerikanischen Künstlerin Elisabeth Jaeger, die vor allem poetische Skulpturen und Keramikobjekte zu Installationen zusammenführt, konzentriert sich auf figurative Darstellungen und ihre komplexen Beziehungen. Sie geht dabei oft von einer persönlichen Erfahrung, etwas bewusst Erlebtem oder der Beobachtung einer Situation aus. Auf zwei ihrer Installationen, "6:30" von 2014 und "Prey" (Beute) von 2023 möchte ich näher eingehen, weil Hunde darin vorkommen.

Die menschliche Figur hat die Künstlerin schon immer interessiert, weil sie in der Lage ist, Gesten zu zeigen, Bewegung anzudeuten und dadurch Kommunikation anzuregen und Emotionen auszulösen. Da sie allerdings in besonderem Maße von künstlerischen Qualitäten wie etwa der Materialität ablenkt, beginnt Jaeger mit anderen Formen zu arbeiten: Hunde, Vögel, Fische und Gefäße, um nur einige zu nennen.

Wesentlich für die Figuration, für die Körper im Raum ist auch deren Beziehung zur Umgebung, die sich in Gesten oder Blicken äußert. Dies gilt auch für die Arbeiten mit Tieren: Die Vögel, Hunde, Ratten blicken alle nach außen und implizieren eine Welt um sie herum. Wenn der Betrachter ihren Blicken begegnet, entsteht für einen Moment eine gemeinsame Welt, eine gleichzeitig reale und imaginäre Welt.

Unten sehen Sie Installationsansichten zu "6:30" aus der Galerie Hanley in New York.

 

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

 

"6:30": Morgengrauen oder Abenddämmerung? Eine Installation im Grenzbereich zwischen Anfang oder Ende des Tages. Spärliche Einrichtungsgegenstände aus geschweißtem Metall, darunter ein Kinderbett mit Resten von Tierhaar, Regale, leere Sessel und ein Waschbecken befleckt von einer verdunsteten Flüssigkeit, bilden ein häusliches Tableau, das auf eine flüchtige Erzählung anspielt. Ein Rudel weißer Windhunde aus Keramik und Hydrocal steht Wache, ihre Leinen schleifen über den Boden und weisen auf die abwesende menschliche Existenz hin.

Die Hunde sehen den Betrachter an, ja fixieren ihn, sodass es unmöglich ist, ihre Blicke nicht zu erwidern. Ihr wissender Blick lässt unsere eigenen tragischen Dramen vorausahnen, bevor wir in der Lage sind, das Geschehene zu erkennen und zu artikulieren. Das Gefühl der Verletzlichkeit, das sich wie ein roter Faden durch Jaegers Wek zieht, macht sich breit. Was ist in diesem Raum passiert? Was ist schiefgegangen? Ein starkes und mysteriöses Gefühl der Beunruhigung und subtilen Unheimlichkeit entsteht, das trotz der scheinbaren Vertrautheit mit der Figürlichkeit der Objekte Jaegers Werk inhärent ist.

 

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

Six Thirty, Ausstellungsansicht Hanley Gallery New York © Elizabeth Jaeger,  Fot

Dog, 2014  © Elizabeth Jaeger, Foto Adam Reich

Dog, 2014  © Elizabeth Jaeger, Foto Adam Reich

Dog, 2014  © Elizabeth Jaeger, Foto Adam Reich

Louie (Dog9), 2014 © Elisabeth Jaeger, Foto Adam Reich

 

Hunde blicken uns mit beredter Präsenz an! Zugleich ist ihre emphatische Schönheit und Würde offensichtlich. Als hätten sie die Fähigkeit zum Ausharren und ein ihnen innewohnendes Wissen, das über ihre Stille hinausgeht.

 

Dog 1, 2014  © Elizabeth Jaeger, Foto Adam Reich

 

Wie bei "6:30" geht es auch bei "Prey" um die Erfahrung des Schauens und Angeschautwerdens. In einer besiedelten Umgebung zu leben, bedeutet, dass man gesehen wird, während man andere ansieht und dass man intime Momente mit Fremden austauscht. In "Prey" haben die Menschen den Tieren Platz gemacht, die sich gegenseitig und uns beobachten.

Wenn unser Blick oft ein Machtverhältnis impliziert - der Mensch blickt das Tier an -, dann verschieben Jaegers Objekte die erwarteten Hierarchien zwischen Beobachter und Beobachteten. Und während ein menschenzentrierter Blick von der Vorstellung einer einzigen Welt ausgeht, die von einer Hierarchie von Lebewesen bewohnt wird, könnten wir stattdessen die Perspektiven anderer Lebensformen in Betracht ziehen.

Normalerweise haben wir das Gefühl, dass Tiere und Insekten in unserer Welt leben. Elizabeth Jaeger gibt uns zu verstehen, dass es nicht "unsere" Welt ist, sondern dass wir in ihrer Welt leben, dass wir in eine "natürliche", wenn auch fremde Umgebung eindringen, die alleine - ohne den Menschen - funktioniert und die Verbundenheit aller Lebewesen in den Mittelpunkt stellt.

 

Prey © Elisabeth Jaeger, Ausstellungsansicht Galerie Mennour, Paris 2023

 

Wir sehen eine unbewegliche, aber sehr lebendige Szene: Schnecken krabbeln auf den Wänden und hinterlassen eine Schleimspur, Hunde sind entweder schlafend oder wachsam, schwarze Vögel hocken an den Wänden, Ratten beobachten die Szene aus sicherer Entfernung. Wenn wir ihren Blicken folgen, können wir kleine Dramen zwischen Raubtier und Beute beobachten. Schilf wächst aus einem Sumpf heraus.

 

Prey © Elisabeth Jaeger, Ausstellungsansicht Galerie Mennour, Paris 2023

Prey © Elisabeth Jaeger, Ausstellungsansicht Galerie Mennour, Paris 2023

Prey © Elisabeth Jaeger, Ausstellungsansicht Galerie Mennour, Paris 2023

Prey © Elisabeth Jaeger, Ausstellungsansicht Galerie Mennour, Paris 2023

 

Exkurs: "Im Zuge des animal turn ist ein interdisziplinäres Interesse daran geweckt worden, sich konkreter mit der philosophischen Frage auseinanderzusetzen, wie die Begriffe "Mensch", "Person" und "Tier" miteinander zusammenhängen und ob eine Erweiterung des Personenbegriffs in die Sphäre des Tierlichen hineingreifen kann" (Ina Karkani in Tierstudien 25, S 83). So untersucht z.B. der zeitgenössische italienische Philosoph Giorgio Agamben in "The Open" die Art und Weise, in der der "Mensch" entweder als eine besondere und überlegene Art von Tier oder als eine Art von Wesen, das sich wesentlich vom Tier unterscheidet, betrachtet wurde.

Wie er ausführt, "bewegen sich die Fliege, die Libelle und die Biene, die wir an einem sonnigen Tag neben uns fliegen sehen, nicht in derselben Welt wie die, in der wir sie beobachten, noch teilen sie mit uns - oder miteinander - dieselbe Zeit und denselben Raum". (vgl. Giorgio Agamben, zit. n. Marie Catelano, Press Release Galerie Mennour, übersetzt mit DeepL)

 

(...) “the fly, the dragonfly, and the bee that we observe flying next to us on a sunny day do not move in the same world as the one in which we observe them, nor do they share with us—or with each other—the same time and same space.”

 

So ist es auch im Sumpf von Jaegers Installation, wo eine Vielzahl von Welten artenübergreifend nebeneinander existieren. Die dualen Umgebungen, aus denen sich "Prey" zusammensetzt, ermöglichen es, uns eine Welt vorzustellen, in der wir nicht mehr im Mittelpunkt stehen, sondern vielmehr in einer Ökologie von Lebewesen eingebunden sind, die uns beobachten.

Wir sehen Dinge, aber wir spüren, dass etwas anderes passiert, zu dem wir keinen Zugang haben. Es ist beunruhigend und auf eine vage Weise bedrohlich. Eine Möglichkeit Zugang zur fremden Welt zu erlangen, ist die Empathie, ein Gefühl, das über die Grenzen der Sprache hinausgeht. Unsere Einfühlung wird dergestalt integraler Bestandteil des Werks selbst.

 

Prey © Elisabeth Jaeger, Ausstellungsansicht Galerie Mennour, Paris 2023

 

Ihre intimen Kontemplationsräume, die diffuse Emotionalität erzeugen, sind mit Objekten bewohnt bzw. bevölkert, deren Fragilität durch dunkle Materialität und die Härte und Strenge des Materials gebrochen wird. Amorphe Formen sowie Formen aus Flora und Fauna werden mit geometrischen Stahlkonstruktionen kombiniert, es entsteht eine Ambivalenz zwischen vertrauter Form und abstrakter Brechung.

Ihre Materialien sind einfach, aber haptisch: Ton, Keramik, Gips, Stahl, Seide und Glas zeigen und bewahren den "Abdruck", der Künstlerhand. Sie sind Mittel, um ein neues visuelles Vokabular zu schaffen, das seltsam vertraut und doch magisch aufgeladen erscheint.

Hier sehen sie Hedy mit der von Jessica Ullrich herausgegebenen Fachzeitschrift "Tierstudien". Die interdisziplinären Tierstudien widmen sich im Kontext der neu entstandenen Animal Studies dem Verhältnis von Mensch und Tier, indem sie vor allem, aber nicht nur aus kultur- und geisteswissenschaftlicher Perspektive kulturell und historisch bedingte Vorstellungen, Bilder und Repräsentationen von Tieren, aber auch aktuelle Praktiken und Theorien der Tier-Mensch-Beziehung untersucht.

 

Hedy mit Tierstudien, Foto Petra Hartl

Hedy mit Tierstudien, Foto Petra Hartl

 

Einen schönen Gedanken der Künstlerin möchte ich ans Ende stellen. Auf die Frage nach ihren Einflüssen, nennt sie neben der Künstlerin Louise Bourgeois einen abstrakten Begriff:

 

"The word “simultaneous” and the sense of how large and diverse and multifaceted the world is. Whether it's by physical (or social media-haha) travel, meeting another person with no shared spoken language but a deep mutual affinity, finding another artist’s work from a completely different time and/or place and really feeling like you understand it, or sharing an inexplicable meaningful moment with an animal - these give me hope of the possibility of real communication and love, and with that the possibility of peace." (zit. n. Sonam Khetan)

"Das Wort "simultan" und das Gefühl, wie groß, vielfältig und facettenreich die Welt ist. Ob man nun physisch (oder über soziale Medien - haha) reist, eine andere Person trifft, die keine gemeinsame Sprache spricht, aber eine tiefe gegenseitige Verbundenheit empfindet, das Werk eines anderen Künstlers aus einer völlig anderen Zeit und/oder an einem anderen Ort entdeckt und wirklich das Gefühl hat, es zu verstehen, oder einen unerklärlich bedeutungsvollen Moment mit einem Tier teilt - all das gibt mir Hoffnung auf die Möglichkeit echter Kommunikation und Liebe und damit auf die Möglichkeit von Frieden." (übersetzt mit DeepL)

 

Lost dog, 2021 © Elisabeth Jaeger
Foto von Klemm's

 

Elizabeth Jaeger (*1988 in San Francisco, USA) besuchte das Lewis and Clark College in Portland, Oregon, die School of the Art Institute of Chicago und die École Nationale Supérieur des Arts in Nancy. Sie lebt und arbeitet in New York. Ihr Werk reicht von der Bildhauerei über die Herstellung von Büchern und Kleidung bis zur Seidenmalerei. Elizabeth Jaeger hat ihre Arbeiten in Galerien und Zeitschriften in den gesamten Vereinigten Staaten ausgestellt und veröffentlicht. Gemeinsam mit Sam Finn hat sie den Verlag Peradam gegründet, der handgefertigte Künstlerbücher herstellt.

 

Quellen: Galerie Mennour Paris, Galerie Klemm's Berlin, Sonam Khetan, Berlin Art Link, Jack Hanley Gallery New York, Elisabeth Jaeger Instagram

alle Bilder (außer Hedy) © Elisabeth Jaeger

 

Installation, Skulptur
20. Mai 2024 - 9:45

Bread and a Dog © Natsuko Kuwahara

 

Fotos von einem Hund, der unter, hinter, neben dem Frühstückstisch sitzt und sich nach Futter sehnt, das nicht für ihn bestimmt ist: So ein Fotobuch kann nur von einem Japaner kommen, war mein erster Gedanke! Dann habe ich entdeckt, dass es sich um eine Japanerin handelt. Einerlei. Natsuko Kuwahara beobachtet die kleinen Dinge des Alltags und erfreut sich an ihnen. Eine räumlich begrenzte Begebenheit wird immer wieder neu in Szene gesetzt: unaufgeregt, lapidar und ruhig.

Erst auf den zweiten Blick habe ich bemerkt, dass das Buch auch die brotbasierten, kohlehydratreichen Frühstücksrezepte enthält sowie Tipps und Tricks zur Fotografie von Lebensmitteln.

 

Bread and a Dog © Natsuko Kuwahara

 

Natsuko Kuwahara hat ein Fotobuch mit einem Kochbuch kombiniert!

 

Bread and a Dog © Natsuko Kuwahara

Bread and a Dog © Natsuko Kuwahara

 

Vier Jahre lang hat sie ihre Hündin Kipple zur Frühstückszeit fotografiert und die Fotos in soziale Medien hochgeladen. Die Bilder des Hundes, dessen Blick Neugierde, Sehnsucht und Hunger nach den verlockenden Frühstücksvariationen widerspiegelt, stieß auf so große Resonanz, dass die Food-Stylistin aus ihrem Projekt ein Buch mit 100 Fotos gestaltete: "Bread and a Dog".

Die Künstlerin, die ihren geliebten Hund als "zurückhaltend und langsam im Tempo, manchmal halsstarrig, aber ruhig und friedlich“ beschreibt, hat den Hunde-Mix adoptiert. Dass die Menschen etwas über den Charme und die Liebenswürdigkeit von adoptierten Tierheimhunden erfahren, war ein weiteres Motiv der ehemaligen Konditorin. In Japan werden vor allem reinrassige Hunde gekauft.

 

Bread and a Dog © Natsuko Kuwahara

Bread and a Dog © Natsuko Kuwahara

 

Wie der Titel vermuten lässt, ist es das köstlich riechende Brot, das Kipple am meisten reizt, sie ist auch ein großer Fan von Schinken und Käse. Gerne würde sie beim Vertilgen des Frühstücks helfen!

Neben bezaubernden Aufnahmen von der "hilfsbereiten" Kipple, die auf perfekt stilisierte Teller mit Bagels, Erdbeeren, French Toast oder übrig gebliebenen Currys starrt, bietet das Buch Rezepte und Tipps für die Zubereitung köstlicher Frühstücke wie etwa Pfannkuchen mit schwarzem Sesam, Bananen-Kokos-Muffins oder Zimttoast.

 

Bread and a Dog © Natsuko Kuwahara

Bread and a Dog © Natsuko Kuwahara

 

Für mich ist selbstverständlich nicht das Essen und dessen stilvolle Präsentation die Hauptingredienz dieses Buches, sondern Kipple, die kohlenhydratliebende Hündin.

 

Kipple mit ihrem neuen Spielzeug

Bread and a Dog mit Hedy, Foto Petra Hartl

Bread and a Dog mit Hedy, Foto Petra Hartl

 

"Dieses Frühstück will ich haben!"

 

Bread and a Dog mit Hedy, Foto Petra Hartl

Bread and a Dog, Cover

Natsuko Kuwahara, Bread and a Dog, 2015, Phaidon Press, engl., ISBN: 978-0714870489
 

"Bread and a Dog" gehört zu den Büchern, die mir meine Freundin Anke Dilé Wissing geschenkt hat, da ich ein Vorwort zu ihrem bald erscheinenden Buch über Holzdrucke geschrieben habe. Davon in ein paar Wochen mehr!

alle Bilder © Natsuko Kuwahara

 

7. Mai 2024 - 14:11

La cargaison, 2023 © Antoine Roegiers

 

Der belgische Künstler Antoine Roegiers ist ein großer Geschichtenerzähler! Seit 2018 arbeitet er an einem Projekt der "visuellen Erzählung", das aus mehreren Serien von figurativen Gemälden besteht, die eine fortlaufende Geschichte erzählen.

 

“My canvases are a space open to the imagination and to interpretation of all possibilities. I want to explore a world that doesn’t exist and bring it to life with my brush and my pigments dipped in oil, to make it plausible with dreamscapes that form a visual narrative. It’s an ongoing dream, the paintings are interlinked and follow on from each other to form a coherent whole, as I see it: an open narrative thread, chronologically changeable and endless.” (zit.n.GalleriesNow)

"Meine Leinwände sind ein Raum, der offen ist für die Fantasie und für die Interpretation aller Möglichkeiten. Ich möchte eine Welt erforschen, die es nicht gibt, und sie mit meinem Pinsel und meinen in Öl getauchten Pigmenten zum Leben erwecken, um sie mit Traumlandschaften, die eine visuelle Erzählung bilden, plausibel zu machen. Es ist ein fortlaufender Traum, die Bilder sind miteinander verbunden und folgen aufeinander, um ein kohärentes Ganzes zu bilden, wie ich es sehe: ein offener Erzählstrang, chronologisch veränderbar und endlos." (übersetzt mit DeepL)

 

Les masques, 2023 © Antoine Roegiers

 

Roegiers Werke sind von der Malerei der flämischen und niederländischen alten Meister, wie den apokalyptischen Visionen von Hieronymus Bosch oder den moralisierenden Gemälden von Brueghel dem Älteren hinsichtlich Komposition und der Darstellung von Landschaft und Figuren beeinflusst. Er entdeckte die nordeuropäischen Maltraditionen als Student an der Pariser École des Beaux Arts. Fasziniert von deren eigener Vision von Erzählung, Inszenierung und Perspektive bringt Antoine Roegiers in seinen Tableaus ebenso verschiedene Welten hervor, wobei Humor, Ernsthaftigkeit und Poesie dicht beieinander liegen.

Roegiers detail- und symbolreiche Gemälde mit ihrer Fülle an Handlungssträngen entführen die Betrachtenden in seltsame und kuriose unverortete Gegenden, die zeitlos wirken, aber unbestreitbar zeitgenössisch sind.

Sie verweisen auf unsere aktuelle Klimakrise, die das Ergebnis unseres rücksichtslosen Genusses und der Naturausbeutung ist. Er zeigt die Zerstörung unserer natürlichen Welt, ein magistrales Inferno, das sich über die Felder und Wälder ausbreitet und alle Bewohner vertreibt. Die Welt ist im Umbruch, die Natur erobert sich zurück, was ihr gehört.

 

“The story is the pretext to paint a climate, the wind, the storm, the light, the clouds, flames, heat, light and the air.”
(zit.n. Keteleer Gallery)

"Die Geschichte ist der Vorwand, um ein Klima zu malen, den Wind, den Sturm, das Licht, die Wolken, die Flammen, die Hitze, das Licht und die Luft". (übersetzt mit DeepL)

 

Seine beharrliche Hingabe an die Technik ist ein Beweis für seine tiefe Verbundenheit mit dem malerischen Medium und schafft eine wunderbare und einzigartige Wiederbelebung der Magie, die den Werken seiner geliebten niederländischen Vorgänger der Spätgotik und Renaissance innewohnt.

 

"Aujourd’hui, au delà du vertige que me provoque l’acte de peindre, je crois que mon obsession est de donner vie à un monde inventé." (zit.n. yellow over purple)

„Heute glaube ich, dass meine Obsession, abgesehen von dem Schwindelgefühl, das der Akt des Malens in mir auslöst, darin besteht, einer erfundenen Welt Leben einzuhauchen.“ (übersetzt mit DeepL)

 

L'attente, 2023 © Antoine Roegiers

 

In seiner letzten Serie "La Brûlure de l'Éveil" tauchen die Betrachtenden in eine fantastische, lebhaft imaginierte, fast apokalyptische Atmosphäre ein. Gigantische Flammen lodern und setzen den Himmel über trostlosen Landschaften in Brand und erzeugen ein Gefühl der Instabilität und Spannung. Hunde schwimmen im Wasser, das wie flüssige Lava aussieht. Ein Hund schleicht dem apokalyptischen Reiter mit seinem verletzten Pferd und dem Maskenkarren hinterher. Die Skelette sammeln von Menschen zurückgelassenen Masken ein. Um diese wetteifern ein Hunderudel und die raffinierten, vorwitzigen Krähen. Während der Waldbrand lodert, jagen die Hunde den Raben hinterher, in bereits verkohlten Landschaften lauern sie auf die gefiederten Gegenspieler. Antoine Roegiers unterläuft die Codes der traditionellen Jagdszenen, da die Objekte der Jagd kunstvolle Masken sind. Nur der belgische Schäfer hetzt noch bestimmungsgemäß dem Wild hinterher.

Die Masken, die der Mensch geschaffen hat, sie symbolisieren die Welt des Scheins, sind gefallen. Die Rücksichtslosigkeit gehört der Vergangenheit an. Wir können unsere Augen nicht mehr vor den Folgen unseres Handelns verschließen. Die Probleme von morgen sind da.

 

Le grand duc, 2024 © Antoine Roegiers

Le masque á la grimace, 2024 © Antoine Roegiers

L'exil, 2023 © Antoine Roegiers

L'un perd, l'autre gagne, 2024 © Antoine Roegiers

La course effrénée, 2023 © Antoine Roegiers

Le rire moqueur, 2024 © Antoine Roegiers

Le vol, 2023 © Antoine Roegiers

La fuite, 2023 © Antoine Roegiers

Par surprise, 2023 © Antoine Roegiers

Le chien qui chie, 2023 © Antoine Roegiers

La meute, 2022 © Antoine Roegiers

Le masque rose, 2024 © Antoine Roegiers

La poursuite, 2023 © Antoine Roegiers

Entre deux feux, 2024 © Antoine Roegiers

 

“In these paintings, I mix themes from real life, ideas from the old masters, while trying to be free and open about how my painting develops. I rarely sit down with a fixed idea of the outcome; when I paint, it’s intuitive, I’m often surprised by the direction the painting takes. In the most recent paintings in this exhibition, a fire has engulfed the world, but I don’t know what is beyond that smoke. Like the characters in the paintings, I wait to see what the world will look like after this terrible and destructive change.” (zit.n.artnet)

"In diesen Gemälden mische ich Themen aus dem realen Leben und Ideen der alten Meister, während ich versuche, frei und offen zu sein, wie sich meine Malerei entwickelt. Ich setze mich selten mit einer festen Vorstellung vom Ergebnis hin; wenn ich male, geschieht das intuitiv, und ich bin oft überrascht von der Richtung, die das Bild nimmt. In den jüngsten Bildern dieser Ausstellung hat ein Feuer die Welt verschlungen, aber ich weiß nicht, was sich hinter dem Rauch verbirgt. Wie die Figuren in den Gemälden warte ich darauf, wie die Welt nach dieser schrecklichen und zerstörerischen Veränderung aussehen wird." (übersetzt mit DeepL)

 

Chien et masque, 2023 © Antoine Roegiers

 

Antoine Roegiers (*1980 in Braine-l'Alleud, Belgien) arbeitet in den Bereichen Zeichnung, Malerei und Videokunst. Er schloss sein Studium an der École Nationale des Beaux Arts de Paris im Jahr 2007 ab. Roegiers lebt und arbeitet in Paris. Er verwandelt seine Gemälde auch in Videoanimationen, die einen wundersamen Einblick in das geheime Leben seiner phantastischen Figuren gewähren.

Quellen: Galerie Templon u.a.

alle Bilder © Antoine Roegiers

 

Malerei
30. April 2024 - 12:42

With what eyes? Mit welchen Augen schaut sie uns an? Mit welchen Augen blicken wir zurück?

 

you burn me, 2023 © Rodrigo Hernandez

 

Selten mache ich eine Ausnahme und zeige Ihnen andere Tiere als Hunde. Die Tierbilder des mexikanischen Malers Rodrigo Hernández sind derart sensibel, empathisch und still, dass ich sie ihnen nicht vorenthalten will. Für mich scheinen die Gemälde Teil eines vergangenen paradiesischen Zustands oder einer ersehnten Utopie zu sein. Wenn ich daran denke, wie Menschen mit Tieren, besonders auch mit Affen, die uns doch so ähnlich sind, umgehen, scheinen diese friedvollen Darstellungen Wunschträume zu sein.

Die Fledermäuse und Äffchen sind weich und sanft gemalt: Feine Härchen wie Flaum; dunkle und zarte Haut der Nasenlöcher und Ohren - glänzend und lebendig gemalt - setzt ihre feinen Sinne buchstäblich ins Licht. Die Bilder sind detailreich und unaufgeregt, aber zu perfekt und ätherisch, um realistisch zu sein. In der Darstellungsweise spiegelt sich die Haltung des Künstlers wider: Er bezieht Stellung für die Tiere, indem er das menschliche Subjekt in den Hintergrund rückt und auf den mexikanischen Philosophen David M. Peña-Guzmán Bezug nimmt, der fragt: Sind die Menschen die einzigen Träumer auf der Erde?

Hernández reflektiert die kognitiven und emotionalen Erfahrungen nichtmenschlicher Tiere, indem er literarische, philosophische und wissenschaftliche Perspektiven in sein Werk miteinbezieht, wobei die Gemälde nur Teil umfangreicherer Installationen und Ausstellungsdesigns sind. Er löst den Diskurs über das Träumen aus dem allgegenwärtigen Rahmen der menschlichen Erfahrung.

Wir sehen eine Serie schlafender Affen und Fledermäuse. Aber sind es auch träumende Tiere? Die schlummernden Geschöpfe geben keine weiteren Details zur Interpretation darüber, was sie erleben, werfen aber viele Fragen auf. In ihrer Stille liegt eine uns unbekannte Welt.

 

stars around this beautiful moon (1) 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Das zarte Tier hängt kopfüber, hat seine Flügel eingezogen, scheint sich selbst mit ihnen zuzudecken. Die andere Fledermaus schläft mit ausgebreiteten Flügeln. Beide scheinen in sich gekehrt und ganz bei sich selbst zu sein. Beim Anblick dieser Bilder ist es kaum vorstellbar, wie diese kleinen Wesen oft von Menschen als Vampire dämonisiert werden.

 

stars around this beautiful moon (5) 2023 © Rodrigio Hernandez, Foto Marjorie Br

 

Können wir mit Gewissheit sagen, dass Tiere im Schlaf träumen? Mit welchen Augen könnten wir die Träume nichtmenschlicher Tiere betrachten? Was würden wir sehen, wenn wir in die Träume eines nichtmenschlichen Lebewesens hineinschauen könnten? Was würde enthüllt werden? Und wie könnten wir diese Visionen zurückübersetzen? Ist unsere Vorstellung vom Träumen unweigerlich mit der Sprache verbunden?

Die Praxis von Rodrigo Hernández wird vom Impuls bestimmt, den Zwängen der physischen Sprache zu entkommen. Er verleiht einer Idee, einem Konzept oder einem Gemälde mehr Substanz als es das geschriebene oder gesprochene Wort hätte. Das Ergebnis dieser offensichtlichen Schwierigkeit, sich verbal auszudrücken, materialisiert sich in Hernández' Werk durch die Schaffung von stillen Bildern, die bleibende Momente des Zweifels und der Unsicherheit hervorrufen.

Er versucht in seiner bildnerischen Praxis nicht zu klären oder Sicherheit herzustellen, sondern die Linien der Kategorisierung zwischen nichtmenschlichen Tieren und menschlichen Tieren zu verwischen.

 

stars around this beautiful moon (2) 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Ein kleiner Exkurs: Ich erinnere mich an einen Vortrag, den der amerikanische Tierrechtsanwalt Steven Wise vor über zwanzig Jahren in Wien gehalten hat.

Steven Wise tritt seit mehreren Jahrzehnten für die Zuerkennung des Stauts als Rechtssubjekte für Tiere nach dem von ihm so benannten Kriterium der "practical autonomy" ein. Dabei plädiert er dafür, Tieren, die einen Sinn des "Ich" besitzen, die intentional handeln und Wünsche haben, zwei elementare Grundrechte - den Anspruch auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit - zuzuerkennen. In seinem Buch "Drawing the Line: Science and the Case for Animal Rights" beschäftigt sich Wise mit der Frage, wo die Grenze zu ziehen sei, wenn erst einmal Affen Grundrechte eingeräumt würden. Was mir besonders in Erinnerung ist, ist seine Bemerkung: "Wir müssen die Linie mit dem Bleistift ziehen".

Noch René Descartes und Immanuel Kant betrachteten Tiere aufgrund ihres Mangels an Sprache, Vernunft und Vorstellungskraft als bloße Maschinen und stellten somit den Menschen über die Natur. Erst Charles Darwin, der fünf Jahre nach Kants Tod geboren wurde, postulierte, dass der Mensch von den Primaten abstammt und somit auch ein Tier ist. Darwin entfachte erneut wissenschaftliche und philosophische Debatten darüber, was es bedeutet, ein Mensch oder ein Nicht-Mensch zu sein. Wenn Menschen Tiere sind, bedeutet dies dann, dass nichtmenschliche Tiere auch andere "menschliche" Eigenschaften haben können und somit Anspruch auf einen moralischen Status haben? Sind sie in der Lage sich etwas vorzustellen und zu träumen?

Im Tierversuch laufen Ratten eine Strecke zu einer Futterquelle. Da sich die Gehirnaktivität im Wachzustand und im Schlaf perfekt widerspiegelt, schließen die Forscher daraus, dass die Ratten im Schlaf wiederholen, was sie gerade erlebt haben, sie also "Realitätssimulationen" durchführen. Oder, wie Peña-Guzmán es ausdrückt, die Ratten träumen davon, die Strecke zu laufen.

In dem Bemühen, eine Anthropomorphisierung der Erfahrung des nichtmenschlichen Tieres zu vermeiden, beschreiben die Forscher die Wiederholung der Wachaktivitäten der Ratten im Schlaf als eine Art Wiederholung und nicht als Traum. Einige Kritiker, darunter Peña-Guzmán, sind jedoch der Ansicht, dass die Feststellung kognitiver Ähnlichkeiten zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren und die Weigerung, einen Begriff zu verwenden, der diese Gemeinsamkeiten anerkennt, zu einer Form von Anthropodenialität führen kann, was einen weiteren Keil zwischen unsere moralische und ethische Beziehung zur nichtmenschlichen Tierwelt treibt. Der Begriff "anthropodenial" geht auf Frans de Waal zurück, der damit die Blindheit gegenüber den menschenähnlichen Eigenschaften von anderen Tieren oder der tierischen Eigenschaften im Menschen meint.

Jeder Tiertraum ist je nach Tierart unterschiedlich. Während die Träume von Primaten eher visuell sind und einem menschlichen Traum näherkommen, sind die Träume von Fledermäusen eher klangvoll und uns daher aus menschlicher Sicht fremd. Trotz umfangreicher wissenschaftlicher Forschungen über den Tierschlaf, bleibt eine epistemische Lücke bestehen. Auf diese Leerstelle fokussiert Hernández Werk.

 

stars around this beautiful moon (3) 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Entspannt schmiegt der kleine Affe seinen rosa Bauch an den dicken Ast, der Kopf ruht auf seinen Armen, die Augen sind fest geschlossen. Erschöpft gibt er sich dem Schlaf hin. Seine Mimik und Schlafposition wirken sehr menschlich.

 

stars around this beautiful moon (4) 2023 © Rodrigi Hernandez, Foto Marjorie Bru

 

Eine orange behandschuhte Hand umschließt eine im Schlaf lächelnde Fledermaus. Ist die Berührung zärtlich und beschützend oder kraftvoll und gefährlich? Hernández zeigt nur einen Ausschnitt der Szene, die Umgebung und die Person bleiben im Verborgenen und der Vorstellung überlassen. Das Orange des Handschuhs leuchtet grell und wirkt kaum vertrauenswürdig. Will die Hand wärmen und umsorgen oder missbrauchen und verletzen?

 

bat dream, 2023 © Rodrigo Hernandez

substitute for love, 2023 © Rodrigo Hernandez

 

In "Substitute for Love" bezieht sich Rodrigo Hernández auf die Harlow-Experimente der 1950er Jahre zur Erforschung der menschlichen Liebe und Zuneigung durch eine Reihe grausamer Affenversuche. Der Psychologe Harry Harlow trennte Baby-Makaken von ihren Eltern und bot ihnen verschiedene Attrappen als Mutterersatz an. Die Jungtiere suchten die Nähe einer weich gepolsterten "Mutter" und verließen diese nur zur Nahrungsaufnahme. Die früh isolierten Affen zeigten teils schwere Verhaltensstörungen und waren selbst nicht in der Lage, Nachwuchs zu versorgen.

Hernández‘ Ölgemälde ist eine direkte Referenz auf eines der während der Experimente aufgenommenen Fotos, auf dem ein kleiner verzweifelter Makake zu sehen ist, der die Stoffpuppe umarmt. Die Ergebnisse dieses zutiefst berührenden Experiments sagen viel über Mutterschaft, Liebe, und Bindung aus, noch mehr zeigen sie die fehlende Moral beim Missbrauchen von Tieren für die Wissenschaft.

 

Harlow-Experiment
Foto von hier

Draht- und Stoffmutter Surrogate
Foto Wikipedia

I would not think to touch the sky with two arms, 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto

 

Auf dem Boden ruht ein in Bronze gegossener hohler Affenkopf und an den umliegenden Wänden hängen die kleinen Ölgemälde der schlafenden Tiere. Die Skulptur trägt den Titel: "I would not think to touch the sky with two arms", eine Zeile, die von Sappho entlehnt ist. Die feinen Gesichtszüge sind sehr menschlich, weshalb die Assoziation zu Constantin Brancusis "Schlafende Muse" leichtfällt.

 

Installationsansicht, stars around this beautiful moon, ChertLüdde, Berlin, 202

Installationsansicht, stars around this beautiful moon, ChertLüdde, Berlin, 202

 

"Flux of Things (Human & Monkey)" ist eine große, handgehämmerte silberne Metallarbeit, die aus acht einzelnen Paneelen aufgebaut ist. Das Werk basiert auf einer einfachen Strichzeichnung und zeigt einen Affen, der sich an eine menschliche Figur schmiegt. Dieser seltene Moment der Verbundenheit zwischen zwei unterschiedlichen Spezies drückt Empathie, Gemeinsamkeit und Hoffnung aus.

 

Flux of Things (Human and Monkey), 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Majorie Brunet

Flux of Things (Human ] Monkey), Detail, 2023 © Rodrigo Hernandez, Foto Majorie

With what eyes no 6, 2023 © Rodrigo Hernandez

With what eyes no9, 2023 © Rodrigo Hernandez

Monkey's dream, 2023 © Rodrigo Hernandez

 

Ein Affe umarmt eine Taube. Das, was uns unwahrscheinlich erscheint, dass eine zur schnellen Flucht fähige Taube sich umarmen lässt, hat Hernandez in Mexiko selbst beobachtet. Er hat diese kurze intime Berührung in einem gehämmerten Messingrelief festgehalten. Der Kontrast zwischen der Festigkeit des Messingblechs und der Zärtlichkeit des Moments, die auf ihm eingeschrieben ist, verleiht der Szene eine ganz besondere poetische und sensible Qualität. Die Arbeit ist Teil einer Installation aus zwölf Reliefs - "Nothing is Solid. Nothing can be held in my hand for long" - die ephemere Gesten der Zuneigung, Berührungen und Umarmungen darstellen.

 

Nothing Is Solid © Rodrigo Hernandez

 

Für uns Hundehalter scheint es evident, dass unsere Hunde träumen, wir brauchen keinen Beweis! Es gibt kaum etwas Spannenderes, als sie dabei zu beobachten: Zuckende Beine, Schwänze, die sich bewegen, grunzende Laute – wahrscheinlich werden zumeist Rehe und Hasen verfolgt! Auch wenn die Hunde in Wirklichkeit an der Leine waren und den Rehen nur nachschauten.

Die Menschheit allerdings wird niemals erfahren, was die schlafenden Hunde, Affen und Fledermäuse träumen, was in ihren Köpfen vorgeht. Die unbekannte Gedankenwelt ist vielleicht deren letztes Refugium.

Als Betrachtende sind wir aufgefordert den Werken von Rodrigo Hernández mit unserer subjektiven sinnlichen Erfahrung - mit Spüren, Fühlen, Wahrnehmen - gegenüberzutreten und sie nicht mit Rationalität zu betrachten.

Die gezeigten Arbeiten waren Teil seiner letzten Ausstellungen in der Galerie Chert Lüdde in Berlin und im CCA Wattis Institute in San Francisco. Seine Installationen - er fügt Wände und architektonische Elemente in den Ausstellungsraum - sollen dem Besuchen bewusst machen, wie er den Raum einnimmt, insofern sind seine räumlichen Konfigurationen Übungen in Perspektive und Wahrnehmung.

Rodrigo Hernández (*1983 in Mexico City/Mexiko) studierte an der Jan Van Eyck Akademie in Maastricht und an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe.

Quellen: Homepage Rodrigo Hernández, Galerie Chert Lüdde, Galerie Madragoa, Gallerytalk, Essay von Diego Villalobos

alle Bilder © Rodrigo Hernández