Bill Traylor, Untitled (Figures, Construction),
Montgomery Museum of Fine Arts, Montgomery, Alabama, Photo by Lyle Peterzell
Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass die Überschrift des Blogbeitrags neben dem Namen des Künstlers nicht viel verrät. Ich möchte, dass Sie die Arbeiten vollkommen unbeeinflusst betrachten. Woran erinnern sie? Wie wirken sie? Was wird darin erzählt?
Bill Traylor, Untitled (Man Carrying Dog on Object),
High Museum of Art, Atlanta, Georgia, Photo by Mike Jensen
Der afroamerikanische autodidaktische Zeichner und Maler, der diese Arbeiten am Ende der 1930er und Anfang der 1940er Jahre anfertigte, war zu diesem Zeitpunkt schon über 80 Jahre alt.
In seinen einfachen, aber sehr berührenden Zeichnungen kommen vor allem Menschen und Tiere vor. Dabei kombiniert er figürlich-narrative Elemente mit abstrakten Teilen. Die Arbeiten sind sehr flächig, wobei leere und gestaltete Flächen wechseln, der Raum wird nicht perspektivisch behandelt. Die Farbe ist intensiv (Preußischblau, Rot, Gelb), allerdings werden in einem Bild nur wenige Farben verwendet.
Neben Kühen und Ziegen zeichnet er auch viele Hunde, die er oft als gewalttätige und unheimliche fremde Kreaturen darstellt. Sie haben offene Münder und fletschen die Zähne, manchmal kämpfen sie untereinander oder mit Katzen.
Bill Traylor, Untitled (Figure Construction with Waving Man),
High Museum of Art, Atlanta, Georgia, Photo by Mike Jensen
Doch wer war dieser Bill Traylor, der zum Kanon der US-amerikanischen Künstler des 20. Jahrhunderts zählt (und von dem ich noch nie etwas gehört hatte)?
Sein Geburtsdatum ist nicht eindeutig bekannt. Vermutlich wurde er zwischen 1853 und 1856 als Sklave auf der Baumwoll-Plantage von George Hartwell Traylor bei Benton, Alabama geboren. Von Geburt an trug er dessen Familiennamen Traylor. Er war etwa neun Jahre alt, als der amerikanische Bürgerkrieg 1865 endete. Seine Familie und er wohnten auch nach der Befreiung weiterhin auf der Plantage, allerdings hatten sie nun Land gepachtet. 1891 heiratete er und zog mit seiner Frau neun Kinder groß. Nach dem Tod seiner Frau und dem Auszug auch des jüngsten seiner Kinder verließ er um 1930, nach mehr als achtzig Jahren, sein vertrautes Lebensumfeld und zog ins etwa 40 Meilen entfernte Montgomery.
Dort lebte er in der Monroe Street, in der hauptsächlich schwarze Mittelschicht wohnte. Er begann auf alten Kartonresten das zu zeichnen, was er auf der Straße beobachtete: Menschen, Tiere, Alltagsgegenstände, aber auch das, woran er sich erinnerte. Dabei abstrahierte Traylor, ohne dass die Geschichten an Lebendigkeit verloren. Seine Arbeiten wirken gleichzeitig modern und archaisch. Zwischen 1937 und 1942 entstanden über 1200 Zeichnungen.
Bill Traylor, Untitled (Figure Construction with Waving Man),
High Museum of Art, Atlanta, Georgia, Photo by Mike Jensen
1939 entdeckte ihn der junge Maler Charles Shannon (1914–1996) bei einem Streifzug durch die Straßen. Shannon, der sich sehr für die Kunst des schwarzen Amerikas interessierte, gehörte zur sogenannten New South, einer Gruppe kulturinteressierter junger Leute aus der weißen gebildeten Mittel- und Oberschicht von Montgomery, wo zu dieser Zeit noch strikte Rassentrennung herrschte. Im Februar 1940 veranstaltete die Gruppe in ihrem Klublokal eine Ausstellung unter dem Titel "Bill Traylor. People's Artist" mit einhundert Zeichnungen. Zu dieser Zeit war in Alabama Lynchjustiz vor allem gegen Schwarze noch an der Tagesordnung und der Ku-Klux-Klan hatte Einfluss bis in die Spitzen der Gesellschaft. Die lokale Presse berichtete wohlwollend, die Zeitschrift "New South" widmete Traylor eine Titelstory.
Bill Traylor, Untitled (Two Men, Dog, and Owl), um 1939-1942, Louis-Dreyfus Family Collection
Shannon unterstützte Traylor mit Geld und Materialien und holte die unter der Woche entstandenen Arbeiten regelmäßig am Wochenende ab. Traylor soll, so später Zeitzeugen, geglaubt haben, er arbeite für Shannon. 1941 fuhr Shannon ohne Traylors Wissen mit einem Konvolut seiner Bilder nach New York City, um sie dort Freunden aus der Kunstszene zu zeigen. Es war die Zeit, in der intellektuelle Weiße die Kultur des schwarzen Amerikas für sich entdeckten.
Am Beginn der 1940er Jahre zeigte die Fieldston School of the Ethical Culture Schools in Riverdale, New Jersey, die Ausstellung "Bill Traylor, American Primitive (Work of an Old Negro)" und im Juni 1946 erschien in der in den USA weit verbreiteten Zeitschrift "Collier’s" eine große Reportage über Bill Traylor.
Bill Traylor, Untitled (Figures, Constructions),
Montgomery Museum of Fine Arts, Montgomery, Alabama, Photo by Lyle Peterzell
Der über Achtzigjährige war inzwischen schwer krank, verfiel körperlich zunehmend und konnte kaum noch malen und zeichnen. Nachdem er eine Zeit lang abwechselnd bei seinen Kinder gelebt hatte, kehrte er nach Montgomery zurück und starb dort 1949.
Bill Traylor, Untitled (Radio), um 1942
Bill Traylor, Untitled (Exciting Event- Man on Chair, Man with Rifle,
Dog Chasing Girl, Yellow Bird, and Other Figures), Louis-Dreyfus Family Collection
In den 1970er Jahren katalogisierte und betitelte Shannon mit seiner Frau rund 1500 Zeichnungen Traylors aus den Jahren 1939–1942. Ab nun wurde sein Werk in zahlreichen Gruppen- und Einzelausstellungen ausgestellt. Traylors Erben strengten gegen die Shannons einen Prozess um das rechtmäßige Eigentum an den Zeichnungen - sie erzielten inzwischen hohe Preise - an, der 1993 in einem Vergleich endete. Darin erkannten die Erben den maßgeblichen Anteil Shannons an Traylors spätem Ruhm an.
Bill Traylor, Untitled (Legs Construction with Blue Man),
Smithsonian American Art Museum
Bill Traylor, Untitled (Yellow and Blue House with Figures and Dog), um 1939-1940,
Smithsonian American Art Museum
Bill Traylor, Untitled (Construction with Yawping Woman), um 1939-1942
Smithsonian American Art Museum
Bill Traylor, Untitled (Dog and Cat Fight)
Bill Traylor, Untitled (Dog Fight with Writing),
Smithsonian American Art Museum
Bill Traylor, Untitled (Two Dogs Fighting),
High Museum of Art, Atlanta, Georgia, Photo by Mike Jensen
Bill Traylor, Untitled
Bill Traylor, Untitled (Brown Dog)
In einer Besprechung zu einer 2013 im American Folk Art Museum stattfindenden Ausstellung bemerkt Alana Shilling-Janov, dass in der Rezeption noch immer zu sehr auf Traylors formale Aspekte eingegangen wird, sich die Rezeption zwischen Zuschreibungen von rätselhaft und mystisch versteckt und damit ihre realistische Erzählung unterdrückt. Shannon wählte in den 1970er Jahren Titel wie "Construction" und "Exiting Event" für Traylors Werke, die wenig semantischen Wert haben und konstruierte damit gleichsam eine Sichtweise auf dessen Werk, das zur Verschleierung des Inhalts beitrug.
Heute gilt Bill Traylor als einer der populärsten und bekanntesten afroamerikanischen bildenden Künstler, zahlreiche Bücher und eine Dissertation über ihn sind erschienen. Nicht verwunderlich also, dass das Smithsonian American Art Museum (SAAM) für 2018 die Retrospektive “Between Worlds: The Art of Bill Traylor” geplant hat. Die Ausstellung wird erstmals die stilistische Entwicklung Traylors sorgfältig beurteilen und seine Szenen als laufende Erzählungen und nicht als isolierte Ereignisse interpretieren.
Quellen: Smithsonian American Art Museum, Culture Type, American Folk Art Museum, The Brooklyn Rail, Wikipedia, The Anthony Petullo Collection of self-taught & outsider art