7. März 2025 - 10:54

Ein kleines Blog-Zuckerl zwischendurch!

 

Ernst Ludwig Kirchner, Foxterrier im Klubsessel, 1905

 

 

Ich konnte kaum glauben, dass dieser kleine Holzschnitt "Foxterrier im Klubsessel" von Ernst Ludwig Kirchner ist und musste die Signatur mehrmals studieren! Kirchner hat sich mir als führender Programmatiker der Expressionisten, genauer der Künstlergemeinschaft "Brücke" eingeprägt, dessen Holzschnitte von spitzen kantigen Formen bestimmt sind. Dieses kleine druckgrafische Werk ist 1905 entstanden, als Kirchner 25 Jahre alt war und die "Brücke" gründete. Im Herbst 1911 zog er nach Berlin. Dort schneidet und malt er mit Vorliebe seine berühmt gewordenen modischen zackigen Frauen in den Straßen der Großstadt.

Kirchner zeigt auf einem modern wirkenden Sessel einen zusammengerollt liegenden Foxterrier. Ebenso wie das Bildformat ist die Sitzfläche des Klubsessels quadratisch. Er ist leicht perspektivisch in den Raum gedreht und hat ein angeschnittenes Untergestell. Wie in einen Ohrensessel kuschelt sich der weiße Vierbeiner zwischen die Armlehnen. Er scheint nicht nur müde, sondern ein bisschen verunsichert und schutzsuchend zu sein.

Der Schwarzweiß-Kontrast wird durch den Schwarzlinienschnitt und den schwarzen Umraum erzeugt. Auch der Sessel, der durch klare Linien besticht, bildet einen Gegensatz zum organisch geformten Hundekörper. Das sehen Sie natürlich selbst, aber so würde ich wohl meinen zehnjährigen Schülern erklären, wie eine interessante Komposition, ein wunderbares Kunstwerk entsteht.

Der kleine Foxterrier ruht übrigens in der Graphischen Sammlung der Kunstsammlungen Zwickau - Max-Pechstein-Museum.

Bild von hier.

 

Grafik
3. März 2025 - 10:18

Wo ist Leo, der schwarze Labrador?

 

Leo, 2023 © Kim Bohie

 

Die südkoreanische figurative Künstlerin Kim Bohie verbindet unterschiedliche koreanische sowie westliche Maltraditionen zu einem individuellen, sensiblen und zeitgenössischen  Stil.

Nachdem sie Stillleben und Menschen gemalt hatte, wurde die sie umgebende Natur ab den 1990er Jahren zum ihrem bestimmenden Thema. Anfang der 2000er Jahre richtete sie ihr Atelier auf der Insel Jeju-Do ein, die südlich der koreanischen Halbinsel liegt. Die dortige Landschaft wurde zu ihrem Hauptthema - die lokale Flora und ihr eigener Garten.

Auffallend ist, dass in ihren ruhigen und eleganten Gemälden nie Menschen zu sehen sind. Nur ihr geliebter Labrador Leo belebt die Momentaufnahmen der üppigen Plantagen mit ihrer fein gemalten Vegetation. Diese einzigartige Topografie und das subtropische Klima der Insel haben Kim Bohie Motive für verschiedene Werkserien geliefert.

 

Leo, 2023 © Kim Bohie

 

In ihren Serien geht es um die persönliche Verbindung zu einem Ort, wobei sie sich mit Ideen rund um Nähe - physisch und spirituell - auseinandersetzt. In den Pflanzenstudien vermittelt sie mit viel Feingefühl eine Ästhetik der Beobachtung, stellt sie Momente der einsamen Kontemplation dar.

 

"I have always been interested in my surroundings, and I always am full of adoration for every scene of nature I find around me. (…) My garden, especially, has become an alternative version of my own world, planting Washingtonia palms, Canary Island date palms, agave, hydrangea, rosemary and cactus, and my daily life within them becomes my paintings. The daily scenery that might be unnoticeable to others, things that other people may just pass by rather than an idealised perfect beauty of nature, is more magnetic to me."- (Kim Bohie, 2022, zit. n. hier)

 

„Ich habe mich schon immer für meine Umgebung interessiert und bin immer voller Bewunderung für jede Naturszene, die ich um mich herum finde, (...) Vorallem mein Garten ist zu einer alternativen Version meiner eigenen Welt geworden, in der ich Washingtonia-Palmen, kanarische Dattelpalmen, Agaven, Hortensien, Rosmarin und Kakteen gepflanzt habe, und mein tägliches Leben in ihnen wird zu meinen Bildern. Die alltägliche Szenerie, die für andere vielleicht unbemerkt bleibt, Dinge, an denen andere Menschen einfach vorbeigehen, sind für mich anziehender als eine idealisierte perfekte Schönheit der Natur.“ (übers. mit DeepL)

 

Leo, 2023 © Kim Bohie

Leo, 2023 © Kim Bohie

Towards (Leo), 2024 © Kim Bohie

 

Ihre Naturbegegnungen sind nicht dramatisch oder spektakulär, sondern intim und friedlich. Herzerwärmend und humorvoll ist ihre Herangehensweise in der Serie Leo, wo der schwarze Labrador glücklich und gelassen zwischen den Bäumen und Sträuchern ihres an das Atelier angeschlossenen Gartens liegt. Dabei hebt sie die verschiedenen Körperhaltungen des ruhenden Leo in den Nahansichten hervor und stellt die Natur mit dem breiten Spektrum des Grüns und der frohen Farben der Blüten in der Fernsicht dar.

 

Towards, 2022 © Kim Bohie

Towards, 2017 © Kim Bohie

Towards, 2021 © Kim Bohie

Towards, 2022 © Kim Bohie

Towards, 2022 © Kim Bohie

Towards, 20224 © Kim Bohie

 

Kim Bohie übernimmt die Komposition und Perspektive der westlichen Malerei und kombiniert sie mit östlichen Ansätzen der Lebendigkeit und Harmonie.

Vielleicht erinnern Sie die Kompositionen auch an die naiven Gemälde von Henri Rousseau. Die Ähnlichkeit ist allerdings nur oberflächlich: Rousseaus Gemälde entspringen seiner Fantasie (er fand Impulse in Büchern, dem Pariser Palmenhaus und Tiergarten) und er zeigt theatralische und manchmal gewalttätige Szenen, die er im wirklichen Leben nie erlebt hatte (Tierjagden, Kämpfe zwischen Tieren). Kim Bohie beschäftigt sich mit den heiteren und erhabenen Aspekten der natürlichen Welt, die sich vor ihrem Atelier auftun: mit einer Vielzahl tropischer Pflanzen, den nahegelegenen Promenaden, dem Himmel und dem Horizont zwischen den Palmen.

Ihre Werke können in diesem Sinne als eine zeitgenössische Wiederaufnahme des koreanischen "JinKyoung Sansu" - der "wahrheitsgetreuen Landschaftsmalerei" - gesehen werden, in der die Natur kontinuierlich beobachtet wird. Diese Malerei des 18. Jahrhunderts versuchte bestimmte klassische oder in gewissem Sinne endgültige Orte, unter Berücksichtigung der ihnen innewohnenden Merkmale, darzustellen.

 

Towards, 2022 © Kim Bohie

 

Ihre oft weitwinkligen Kompositionen widersprechen der linearen Perspektive in der Malerei, die die europäische Kunst von der Renaissance bis zu den Impressionisten dominierte. Stattdessen orientieren sie sich an der Tradition der koreanischen Paravents, bekannt als "Sansu Byeongpung" (Faltwand mit einem Landschaftsgemälde). Sie sind Modelle für eine Art des Sehens, in der die Natur nicht in einen engen Rahmen gestellt wird, sondern sich vor dem Betrachter entfaltet. Durch ihren speziellen Einsatz der Farbe und der Komposition wirken die Panoramabilder trotzdem zeitgenössisch.

Kim Bohie arbeitet auf Papier und Leinwand, wobei sie Tusche und Acryl verwendet, um eine Reihe von Effekten zu erzielen.

 

The Terrace, 2019 © Kim Bohie

 

Unten noch eine Ausstellungsansicht von 2023, Towards, Gallery Baton, Seoul

 

Ausstellungsansicht Towards, Gallery Baton, Seoul, 2023

 

Kim Bohie (*1952 in Seoul/Südkorea) lebt und arbeitet in Jeju, Korea. Sie war von 1993 bis 2017 Professorin für koreanische Malerei an der Ewha Womans University und von 2008 bis 2010 Direktorin am Ewha Womans University Museum. Heute ist sie emeritierte Professorin an der gleichen Institution. Kims Werke wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Korea und international gezeigt.

Quellen: The Modern Institute, Galerie Baton

alle Bilder © Kim Bohie

 

Malerei
24. Februar 2025 - 10:45

Bruce, 2022 © Simone Kennedy Doig

 

Was für ein wunderschönes, melancholisches Bild von Bruce! Der große Hund steht am Rand eines Swimming-Pools, eine Frau ruht in Rückenlage auf dem Wasser hinter ihm. Die Körperformen der beiden ergänzen einander. Die menschliche Figur ist in zartes Blau getaucht, nur der Kopf befindet sich über dem Wasser.

Die Künstlerin, Simone Kennedy Doig, Tochter des Künstlers Peter Doig, verbrachte die ersten acht Jahre ihres Lebens in East London, bevor sie mit ihrer Familie nach Trinidad zog. Später kehrte sie nach London zurück und schloss ihr Studium an der Slade School of Fine Art ab.

2018 kehrte sie nach Trinidad zurück. 2020 entstanden dort, in den drei Monaten nach dem Tod ihrer Mutter und als der Lockdown begonnen hatte, die Schwimmbadbilder. Da sie das Anwesen nicht verlassen konnte, erlebte sie dort gemeinsam mit ihren Geschwistern diese einzigartige und besondere Zeit der Trauer. Sie fertigte Zeichnungen und Malereien ihrer Familie rund um das Haus und den Pool an. Dieser wurde zu einem Symbol für die Leere, die Abwesenheit der Mutter.

Vielleicht spürt man den Schmerz über das Sterben der Mutter auch in "Bruce", versinnbildlicht die Figur mit ihrer kalten bläulichen Hautfarbe den Tod und die Vergänglichkeit. Die formale Stilisierung erinnert mich entfernt an Gemälde des Jugendstils, der auch eine Vorliebe für Wasser als Imaginationsraum, Sehnsuchtsort und Todesschlund hatte.

 

Bruce, Detail, 2022 © Simone Kennedy Doig

Indigo House, 2020 © Simone Kennedy Doig

 

Wie groß die Swimmingpool-Bilder sind, sieht man an der Ausstellungsansicht der Galerie Baert zu "Waist Deep" von 2022.

 

Ausstellungsansicht Galerie Tanya Leighton, The Visitor, 2023

Bruce © artrabbit
... und hier ist Bruce! Foto von artrabbit

 

"Under the Golden Arches (City Road)" von 2018 zeigt ein typisches Bild von Simone Kennedy Doig: detailreiche, narrative Straßenansichten aus East London, wo viele Einwanderer aus Trinidad leben. Auch eine Spaziergängerin mit Hund ist dabei. Die Künstlerin verwendet gesättigte Farben und stellt ihre Figuren vereinfacht und skulptural dar. Auf den ersten Blick erkennen wir ein Durcheinander an fast lebensgroßen Figuren, die ins Bild treten oder frontal herausschauen. Auf den zweiten Blick wie wichtig der Künstlerin Augen und Blickrichtungen sind.

 

Under the Golden Arches (City Road), 2018 © Simone Kennedy Doig

 

Als permanent Reisende zwischen Trinidad und London verarbeitet Simone Kennedy Doig ihr Leben in Form einer tagebuchartigen künstlerischen Zusammenschau. Ausgangspunkt bilden Handy-Schnappschüsse, mit denen sie ihre Eindrücke und Beobachtungen festhält.

 

© Simone Kennedy Doig

 

Quellen: Galerie Tanya Leighton, Galerie Baert

alle Bilder © Simone Kennedy Doig

 

Malerei
17. Februar 2025 - 10:55

1925 prägte der junge Mannheimer Kunsthallen-Direktor Gustav F. Hartlaub mit seiner legendären Ausstellung den Begriff "Neue Sachlichkeit" und bezeichnete damit den kulturellen Aufbruch in Kunst, Architektur und Literatur, der als Reaktion auf die großen politischen und sozialen Umwälzungen der 1920er Jahre gelten kann. Zurzeit findet in Mannheim die Ausstellung "Die Neue Sachlichkeit - ein Jahrhundertjubiläum" statt, die Hartlaubs Leistung würdigt, aber auch um das Schaffen von Künstlerinnen ergänzt.

Dass in der Neuen Sachlichkeit auch Hunde immer wieder Thema waren, habe ich schon am Beispiel des Österreichers  Franz Sedlaczek gezeigt. Doch auch die deutschen Maler zeigten das Alltags- und Familienleben mit Hund. Den "Beweis" dafür lieferte mir Sofie Morin, die mich auf die Mannheimer Ausstellung aufmerksam machte und mir zwei Bilder von Fred Goldberg und Carlo Mense schickte.

Vor über 100 Jahren unterschied  Gustav F. Hartlaub zwei Flügel der Neuen Sachlichkeit: eine konservative, "rechte", an Renaissance, Klassizismus und den Nazarenern orientierte Malerei, und eine  "linke", veristisch-sozialkritische Richtung, als deren Hauptvertreter George Grosz und Otto Dix gelten. Sowohl Fred Goldberg als auch Carlo Mense zählen zu den Klassizisten.

Zu Fred Goldberg habe ich sehr wenig Information gefunden. Er wurde  1889  in  Berlin geboren und lebte dort als autodidaktischer Maler  und Graphiker. Als jüdischer Künstler flüchtete er vor den Nazis nach Shanghai und emigrierte nach dem 2. Weltkrieg in die USA, nach San Francisco. Er starb 1973.

 

Sonntagnachmittag, 1930 © Fred Goldberg

 

Sein Gemälde "Sonntagnachmittag" von 1930 zeigt ein nüchternes Spießer-Idyll, bei dem sich der messerscharfe Realismus der Darstellung bis ins kleinste Detail erstreckt: Die im Vordergrund angeschnittene Zeitung gab es wirklich; es ist die im Deutschen Verlag, Berlin, erschienene "Sonntagszeitung für Stadt und Land" mit dem Titel "Die Grüne Post", deren Ausgabe Nr. 25 tatsächlich den röhrenden Hirsch auf dem Titelblatt zeigte. Auch die Ausgehkleidung des älteren Ehepaars (Eheringe) ist mit abnehmbarem Stehkragen, Melone, Stockschirm, Damenhut und Kombineige gut getroffen. Die Frau liest, Mann und Hund schauen in die Ferne. Der Hund scheint angespannt und zum Sprung bereit. Angeordnet ist die Szene in Dreiecks- bzw. pyramidaler Komposition.

 

Familienbild, 1925 © Carlo Mense

 

Nach Jahren der bildnerischen Experimente und formaler Innovationen wendet sich Carol Mense in den zwanziger Jahren der Gegenständlichkeit zu. Bei seinem "Familienbild" von 1925 ist der Anklang an die Renaissance mit ihren Mariendarstellungen in Dreieckskomposition auffällig. Auch die Kleidung ist zeitlos und madonnenhaft. Formal setzt er auf fast schablonenhafte Vereinfachung. Die Dargestellten sind durch maskenhafte Stilisierung und emotionale Erstarrung gekennzeichnet. In dieser Familie ist jegliche Beziehung verloren gegangen -  alle vier haben eine unterschiedliche Blickrichtung. Die aufziehende Dunkelheit korrespondiert mit der Verlorenheit der Figuren.

Unten sehen sie ein Foto von Carlo Mense mit seinem Hund von 1928. Gut möglich, dass der jüngere Hund Modell für das Familienbild stand. Das Foto stammt von hier.

 

Carlo Mense mit Hund, 1928

 

Carlo Mense (*1886 in Rheine/D - †1965 in Königswinter) studierte von 1906 bis 1908 an der Kunstakademie Düsseldorf und schloss 1910 nach Studienaufenthalten in Berlin, Weimar und München seine Ausbildung ab. Ab 1912 begann eine rege Ausstellungstätigkeit, ab 1914 war er Soldat im Ersten Weltkrieg. 1920 zog er nach München, hielt sich aber oft in Italien auf. Von 1925 bis 1932 wirkte Carlo Mense als Professor an der Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau und leitete bis zur Schließung der Akademie mehrere Fachklassen.

Im Nationalsozialismus war er zunächst weiterhin erfolgreich tätig, galt aber ab 1937 als "entartet" und zahlreiche seiner Gemälde wurden aus öffentlichen Sammlungen entfernt und vernichtet. Als Soldat aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt, musste Mense 1944 aus dem Nichts eine neue Existenz aufbauen, da sein Kölner Atelier vollständig zerstört worden war. Er zog sich nach Bad Honnef am Rhein zurück, wo er ein eher durchschnittliches Spätwerk schuf.

Die Ausstellung "Die Neue Sachlichkeit" ist noch bis zum 9. März 2025 in der Kunsthalle Mannheim zu sehen.

 

Ausstellung, Malerei
11. Februar 2025 - 11:27

Der dritte Schwarze Künstler fast in Folge, den ich Ihnen vorstellen will, ist Amokao Boafo. Er ist mit Abstand der bekannteste. Ihm kommt das gesteigerte internationale Interesse an afrikanischer Kunst im Zuge von Repräsentationsdiskursen und Neuaufstellungen in Museen und Großkunstausstellungen entgegen.

Blauschwarze Haut oder asymmetrische Augen waren die Alleinstellungsmerkmale von Annan Affotey und Sesse Elangwe. Amokao Boafos Arbeiten kann man ab etwa 2017 auf Grund seiner Fingermaltechnik wiedererkennen, mit der er die Gesichter und Körper seiner Figuren modelliert und die zu einer unverwechselbaren Textur führt.

Amoako Boafo gilt als eine der wichtigsten Vertreter einer neuen Generation Schwarzer Kunstschaffender. Er thematisiert in seinen Arbeiten das gegenwärtige Bild von Schwarzem Selbstverständnis und Selbstwahrnehmung, indem er ausschließlich Personen der Black Community darstellt.

 

Black Skin White Mask, 2016 © Amoako Boafo

 

Er ist wohl auch derjenige, der auf der Klaviatur von Postkolonialismus, Identität und Queerness am erfolgreichsten spielt, seit er sich an der Wiener Kunstakademie, an der er ab 2014 studierte, auf seine Identität besann und sich intensiv mit schwarzer Literatur und Theorie befasste. Er winkt diesbezüglich nicht nur mit dem Zaunpfahl, sondern weist mit der Brechstange darauf hin. Im Selbstporträt "Black Skin, White Masks" (2016) hält er das gleichnamige Werk des Schwarzen Philosophen und Psychiaters Frantz Fanon in Händen, in dem dieser eine scharfe Kritik an Rassismus und kolonialer Unterdrückung übt. Gleichzeitig zeigt er sich im Moment des Innehaltens, der Reflexion und der Kontemplation sowie der Verletzlichkeit - alles Ausdrucksformen, die traditionelle Lesarten von Schwarzer Männlichkeit in Frage stellen.

Die mit den Fingern aufgetragenen Farbspuren sind damals noch flacher und weniger lustvoll verschlungen.

An seinem kometenhaften Aufstieg kann man sehr gut das Funktionieren des Kunstmarkts nachvollziehen. Dazu ausführliche Beiträge von Amira Ben Saoud und Michael Wurmitzer im Standard.

 

Red Collar, 2021 © Amoako Boafo, Foto Paul Salveson

 

Zwei lächelnde schwarze Frauen, Freunde des Künstlers, blicken auf einen kleinen Hund, der von der Frau auf der linken Seite gehalten wird. Beim ersten Blick auf Amoako Boafos Porträt "Red Collar" aus dem Jahr 2021 wird der Betrachter unweigerlich von dem auffälligen bunten Kleid angezogen, das die Mitte des Bildes dominiert, trotzdem hat das Kunstwerk seinen Titel von dem kleinen roten Halsband des Hundes.

Boafo wollte das Kleid ursprünglich mit einem komplizierten Muster verzieren, das er mit seiner Papiertransfertechnik auf die Leinwand übertragen wollte. Da er aber Gesso - eine dünne, weiße Farbe - aufgetragen hatte, um eine glatte Oberfläche zu erhalten, war der Papiertransfer unmöglich. Deshalb entschied er sich für die malerische Gestaltung der Streifen. Die Fingermalerei ist der Haut und den Haaren seiner Figuren vorbehalten.

Der Hintergrund der Figuren ist in einem ähnlichen rosafarbenen Weiß wie der Bauch des Hundes. Unten befindet sich ein brauner Streifen, der vielleicht auf den Boden hinweist.

 

Hudson Burke and Benedita Furacao, 2018 © Amoako Boafo

 

Kennzeichnend für seinen malerischen Stil ist der starke Kontrast von flächigen und ornamentalen Bildelementen und der plastischen Darstellung der Körperteile der porträtierten Personen, die er mittels des Einsatzes von Fingermalerei statt eines Pinsels realisiert.

Im Bildaufbau, oft streng frontal ausgerichtet, sucht der Porträtierte den direkten Blickkontakt zum Betrachter und begegnet diesem als selbstbewusstes Individuum einer schwarzen Kultur. Boafos Arbeiten stellen einen direkten Bezug - jenseits von Klischees und Zuschreibungen - zur vielschichtigen Lebensrealität her. Die Zuneigung zum Terrier wird bestimmt und feinsinnig dargestellt.

 

Red And Green Apple Blanket, 2022 © Amoako Boafo

 

Ob mit gestreiftem Kleid, kariertem Sakko oder rosa Hemd: Die Porträtierten sind lässig, schön, stark. Und farblich in starken Kontrasten ausgeführt: leuchtend bunte oder weiße Bildgründe, darauf kräftig gemusterte Kleider, in denen aus einer vibrierenden Unzahl brauner Farbnuancen geknetet scheinende Gesichter, Arme, Beine stecken. Boafo inszeniert hier den Hintergrund collagenartig mit ornamentalen Details, die mittels eines Transferverfahrens auf die Leinwand übertragen werden.

Er ist in der Lage, kritische Feinheiten und nuancierte Emotionen auf eine Art und Weise einzufangen, die den Betrachter ergreift und fesselt, doch die Zärtlichkeit, mit der er seine Porträtierten wiedergibt, ist die auffälligste Eigenschaft seiner Arbeit. Wie Boafo es ausdrückt, geht es ihm in erster Linie um "die Darstellung, das Dokumentieren, das Zelebrieren und das Aufzeigen neuer Wege, sich dem Schwarzsein zu nähern". (vgl. hier)

Amoako Boafo (*1984 in Accra/Ghana) studierte ab 2007 am Ghanatta College of Art and Design in Accra und ab 2014 an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo er seinen Master of Fine Arts machte. Er wurde 2017 mit dem Preis der Jury des Walter Koschatzky Kunstpreises und 2019 mit dem STRABAG Artaward International ausgezeichnet. Die Österreichische Galerie Belvedere widmete ihm im Herbst 2024 eine umfassende Ausstellung. Der Künstler lebt und arbeitet in Accra und Wien.

Quellen: Galerie Mariane Ibrahim, Gallery1957, SAM Stories, Dazed, Denver Art Museum, Belvedere

alle Bilder © Amoako Boafo

 

Malerei
30. Januar 2025 - 10:26

Self Portrait with Zeus 2, 2020 © Deborah Brown

 

Drei blauviolette Farbtupfen, eine flüchtige Umrisslinie und fertig ist der Kopf von Zeus, dem kleinen Jack Russell Terrier von Deborah Brown. Auch nur grob mit dem Pinsel skizziert sie Gesicht und Hände bei ihrem Selbstporträt. Und trotzdem sehen wir in zwei lebendige Gesichter, die verunsichert und verloren wirken.

 

Self Portrait with Zeus and Canoe Painting, 2020 © Deborah Brown

 

Im März 2020, als New York von der Pandemie und dem Lockdown heimgesucht worden war und alles zum Stillstand kam, malte Deborah Brown diese kleinen Bilder von sich und Zeus in ihren Armen: aufrichtige Porträts ohne Raffinesse oder Manierismen, die die tiefe Isolation und Angst widerspiegeln, die die Menschen empfanden.

Diese Porträts standen am Beginn einer intensiven Auseinandersetzung mit Verlust und Einsamkeit, aus der viele Selbstbildnisse mit Zeus, Stillleben und Interieurs hervorgingen. Es war für Deborah Brown ein perfekter Zeitpunkt, um sich nach innen zu wenden und Selbstporträts zu malen. Nach den Porträts erweiterte sie den Blickwinkel auf die Gegenstände und Möbel in ihrer Umgebung.

Es entstanden die "Bathtub"-Bilder, fröhliche Doppelporträts von der Künstlerin und ihrem inzwischen verstorbenen Terrier, der sie gerne beim Baden begleitete.

Sie liegt in einer Klauenfußwanne, umgeben von üppigen grünen Pflanzen. Zeus stellt sich auf seine Hinterpfoten, hält sich am Badewannenrand an und blickt zu uns.

 

Bathtub Self Portrait with Zeus, 2020 © Deborah Brown

 

Oder er steht neben der Wanne oder liegt auf dem Teppich davor. Letzteres basiert auf Jacques-Louis Davids "Der Tod des Marat", in dem Marat nach seiner Ermordung durch Charlotte Corday in seinem Bad abgebildet ist. Allen vier Bildern gemeinsam ist die liebevolle zugewandte Beziehung der beiden.

 

Night Bathtub, 2020 © Deborah Brown

Bathtub Self Portrait with Zeus 1, 2020 © Deborah Brown

Bathtub Self Portrait, 2022 © Deborah Brown

 

Die Interieurs haben, bedingt durch die gesammelten persönlichen Schätze, einen altmodischen Charakter. Die Möbel und Gegenstände befinden sich schon lange im Familienbesitz. Der Pfauen-Paravent begleitet die Künstlerin seit ihrer Kindheit, er ist Teil ihrer visuellen Geschichte, ein Gegenstand, der ihren Geschmack geprägt hat. Erinnerung, Zeit, Kunstgeschichte und persönliche Erzählung treffen in ihren intimen Darstellungen des häuslichen Alltags aufeinander.

Die vielen Dinge, die die Interieurs ausmachen, enthüllen das Leben der Künstlerin, erlauben uns einen Zugang zu ihren Gedanken und Gefühlen. Brown sagt in einem Interview: “We surround ourselves with things that reflect us”.

Die durch die Gemälde geschaffene Umgebung ist sowohl persönlich als auch universell, da sie den Betrachter daran erinnert, dass auch er während der Pandemie in seiner inneren und äußeren Welt allein ist.

 

Peacock Screen, 2020 © Deborah Brown

 

Sie verwandelt die alltäglichen Momente ihres Lebens zu Hause in Reflexionen über häusliche Räume, Weiblichkeit und Dekoration, dabei betrachtet sie die Malerei eher als eine Art Psychoanalyse, denn als Fetischisierung ihrer Umgebung.

 

"By delving into the particulars of my environment, I hope to uncover truths that relate to the experiences of others. Domestic subject matter is a means to this end." (zit. n. Two Coats of Paint)

"Indem ich mich mit den Besonderheiten meiner Umgebung auseinandersetze, hoffe ich, Wahrheiten aufzudecken, die sich auf die Erfahrungen anderer beziehen. Die häusliche Materie ist ein Mittel zu diesem Zweck." (übersetzt mit DeepL)

 

Melancholia, 2020 © Deborah Brown

 

In ihren Gemälden harmonieren Spontaneität und Kontrolle. Im Laufe der Jahrzehnte hat sie die intellektuelle Kontrolle absichtlich zugunsten der Intuition verringert. Die Gemälde wurden auch immer größer, trotzdem arbeitet sie nach wie vor nach der Vorstellung, nie nach Fotos. Ihr Glaube an das Medium Malerei als Mittel zur Artikulation ihrer Gefühle und Ideen ist ungebrochen.

Deborah Browns Arbeit steht im Dialog mit der dekorativen französischen Malerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wie Raoul Dufy, Henri Matisse und Pierre Bonnard. Von Winslow Homer sind ihre Gemälde mit den Kanus inspiriert.

Unter Tags und in der Nacht rudert die Künstlerin über das ruhige Gewässer oder bewältigt Stromschnellen. Immer mit dabei Zeus, der uns den Rücken kehrt oder anblickt. Unser Blick ist der eines Eindringlings, der die Zweisamkeit stört.

 

Night Rower IV, 2020 © Deborah Brown

Death Maiden 1, 2019 © Deborah Brown

Rapids, 2020 © Deborah Brown

 

Deborah Browns suggestive erzählerische Szenen entfalten sich oft vor üppigen grünblauen, sonnengetränkten und lichtdurchfluteten Außenansichten.

 

Home Alone, 2020 © Deboreh Brown

 

Unten sehen Sie Statuen antiker Götter und Göttinnen (Poseidon, Alpheus, Demeter), die durch die Wirkung der Farbe und der lockeren Pinselführung lebendig werden.

 

Poseidon, 2022 © Deborah Brown

Alpheus, 2022 © Deborah Brown

Demeter, 2022 © Deborah Brown

 

Die Serie "Quiet City" - ein Teil der fortlaufenden "Shadow"-Serie - fängt die täglichen Spaziergänge der Künstlerin mit ihrem Hund Trout durch das Industriegebiet East Williamsburg in Brooklyn ein, wo sich ihr Atelier befindet. In Österreich durften die Hundehalter trotz Lockdowns mit ihren Lieblingen spazieren gehen. Vermutlich war es in New York nicht anders, denn wir bekommen einen Eindruck davon, wie Brooklyn aussah, als es noch abgeriegelt war und Einschränkungen herrschten. Die menschenleere Gegend erzeugt ein eigenartiges Gefühl der Abwesenheit: Unsere Flaneure könnten auch die letzten Bewohner auf der Erde sein. Trotzdem entsteht ein Gefühl von Wärme und Hoffnung, da die Welt intakt und alles in goldenes Licht getaucht ist.

 

Roberta's, 2021 © Deborah Brown

Loading Dock, 2021 © Deborah Brown

 

Der Mensch, der die Leine hält, ist nur durch seinen Schatten zu sehen. Der Hund ist entweder gemalt oder ebenfalls als Schatten dargestellt. Die Schatten erstrecken sich weit in die Ferne, erzeugen seltsame Verzerrungen und eindrucksvolle Muster und deuten die Zeitspanne kurz nach dem Sonnenaufgang oder kurz vor dem Sonnenuntergang an.

Ich habe das bewegende Selbstporträt mit Zeus, das ich an den Anfang des Blogs gestellt habe, als frei von Manierismen beschrieben. Das fiel mir vor allem im Gegensatz zu den Schattenbildern ein, die - wenn auch realistisch - durch die langen Schatten und Komplementärkontraste etwas Künstliches bekommen.

 

Wires, 2021 © Deborah Brown

 

Auf jedem Bild sind alle Strukturen und Merkmale zu sehen, die für den städtischen Raum typisch sind: Straßenschilder, Telefonmasten, Ampeln, Zäune, Gitter. Dazu gesellen sich Graffiti, die die einstöckigen Lagerhäuser bedecken.

 

Quite City, 2021 © Deborah Brown

Cement Truck Tracks, 2021 © Deborah Brown

 

Deborah Brown hat unzählige Schattenbilder gemalt, die Auswahl fiel mir sehr schwer. Mein Lieblingsbild ist das untere "Friend or Foe". In dem Winterbild spürt man die Kälte, noch bevor man Trouts Atem sieht. Die lebhaften Pinselstriche auf den Lastwägen und Lagerhäusern flackern während der "Goldenen Stunde" und verleihen der Komposition eine dynamische Energie.

 

Friend or Foe, 2021 © Deborah Brown

 

Deborah Brown (*1955 in Kalifornien/USA) lebt und arbeitet seit 1982 in Brooklyn, New York. Sie erwarb einen BA an der Yale University und einen MFA an der Indiana University und unterrichtete an verschiedenen Universitäten. Ihre Werke befinden sich weltweit in Museen und Privatsammlungen.

 

Deborah Brown mit Hund

 

Quellen: Galerie Gavlak, Creative Boom, Galerie Anna Zorina, Two Coats of Paint

alle Bilder © Deborah Brown

 

 

Malerei
22. Januar 2025 - 10:39

Der figurative Maler Sesse Elangwe schafft Gemälde, die sein kulturelles und soziopolitisches Umfeld widerspiegeln und Themen wie Identität, Community und persönliches Wachstum ansprechen.

Mit einer Ästhetik des Realismus und Einflüssen von Pop-Art und Surrealismus dokumentiert er in seinen Porträts einige der Bedingungen, unter denen die afroamerikanische Gemeinschaft lebt.

Aber nicht nur: Er stellt sie auch in einfachen alltäglichen Situationen dar, die zwar unbedeutend erscheinen, aber dazu beitragen, die Abbildung Schwarzer zu erweitern und sie in den Kanon der Kunstgeschichte einzuschreiben. (Dort kamen sie bisher vor allem in ihrer Funktion für Weiße, also z.B. als Diener, vor). Sesse Elangwe erweitert ihre Darstellung um den Aspekt der Liebe zu Hunden. Das untere Bild trägt diesen Aspekt sogar im Titel: "A Different Kind of Love".

 

A Different Kind of Love, 2022 © Sesse Elangwe

o.T, 2022 © Sesse Elangwe

 

Ein wiederkehrendes Element sind die unterschiedlich großen Augen seiner Porträtierten. Dazu habe ich einige Interpretationen gelesen, die ich nur kurz andeute: Sie wecken Neugierde, symbolisieren Erleuchtung/Erwachen, führen zu einem existenziellen Ort zwischen dem Hier und Jetzt, zeugen von einem scharfen, kritischen Blick, ermutigen seine Betrachter, sich selbst herausfordernde Fragen zu stellen, sich ihrer angeborenen Weisheit bewusster zu werden usw., usw. Ungeachtet dessen handelt es sich wohl primär um ein stilistisches Merkmal, das ihn aus der Vielzahl der afrikastämmigen Künstler hervorheben soll.

Die tiefschwarze Haut seiner Protagonisten steht in starkem Kontrast zu den anderen leuchtenden Farben, die er für Hintergründe, aber auch Haare und Kopfbedeckungen wählt.

Was in "The Announcement" (unten) angekündigt wird, lässt den Hund kalt.

 

The Announcement, 2022 © Sesse Elangwe

 

Sesse Elangwe (*1994 in Ngaoundéré/Kamerun) schloss an der Universität von Buea in Kamerun sein Studium der Politikwissenschaften mit einem Bachelor of Science ab. 2021 zog er in die USA. Er lebt und arbeitet derzeit in San Antonio, Texas.

Quellen: Galerie Mitochondria, Bwo, 193gallery

alle Bilder © Sesse Elangwe

 

Malerei
16. Januar 2025 - 9:56

Paul and Norma playing game Model, 2021 © Annan Affotey

 

Nach einer wochenlangen Veröffentlichungspause zeige ich Ihnen eine Auswahl von Gemälden von Annan Affotey, einem Internet-Zufallsfund, der mich so begeisterte, dass ich sogar die Trauerarbeit über den Tod meiner geliebten Hedy unterbreche!

Grundsätzlich erforscht er in seinen Porträts die schwarze Identität. Er malt ausschließlich Frauen und Männer mit dunkler Hautfarbe und roten, seelenvollen Augen. Sie stammen vor allem aus seinem Freundeskreis und seiner Familie, aber er lässt sich auch von ausdrucksstarken Personen inspirieren, denen er in den sozialen Medien begegnet.

Seine Bilder werden sowohl vom Aufwachsen unter starken Frauen in Ghana als auch der kulturellen Vielfalt, die er in Europa und den Vereinigten Staaten erlebt hat, beeinflusst.

 

Paul and Norma, 2021 © Annan Affotey

 

Und er liebt Hunde! Leider starb der Hund, den er als Kind hatte, bereits nach zwei Jahren.

In Ghana werden Hunde im Freien gehalten und man sieht sie häufig auf der Straße herumstreunen, sie werden eher als funktionale Wachhunde, denn als Gefährten gesehen. Umso mehr faszinierte den Künstler ihre Haltung in Amerika, wo sie wie ein Teil der Familie behandelt werden.

Das wiederkehrende Motiv des Hundes in seiner Kunst geht demnach über die persönliche Leidenschaft für die Tiere hinaus und ist gleichzeitig ein kultureller Kommentar zur unterschiedlichen Sichtweise des Umgangs mit Hunden in Ghana und Amerika bzw. Europa. Annan Affotey stellt den Hund als besten Freund des Menschen dar. Er malt gegen die traditionelle ghanaische Sichtweise auf Hunde an, hinterfragt und erweitert sie, indem er deren Wert hervorhebt, der über den der reinen Beschützer hinausgeht und sie zu geschätzten Familienmitgliedern macht.

 

Quiet Time with Norma © Annan Affotey

Play Time with Norma, 2023 © Annan Affotey

 

Während eines Aufenthalts in Los Angeles im Rahmen der "La Brea Studio Artists Residency" malte er prächtige großformatige Porträts von Menschen mit Hunden, die "Companion Series". Die Arbeiten spiegelten auch das akute Bedürfnis der Gesellschaft während der Pandemie nach Liebe und Verbundenheit wider. Niederschlag fand die Serie in der Ausstellung "A Little Companionship" in The Cabin LA, die u.a. "Quiet Time with Norma" und das dazugehörige Werk "Play Time with Norma" präsentiert hatte, die sie oberhalb sehen.

 

Paul’s morning coffee, 2021 © Annan Affotey

 

Was macht sein Werk, von den Hunden abgesehen, einzigartig? Affotey spricht von vier Schlüsselelementen, die allen Arbeiten gemeinsam sind: die Textur, die roten Augen, der Hautton und die leeren Stellen.

 

Ekow and Guinness, 2021 © Annan Affotey

 

Nachdem er die Bleistiftskizzen auf der Leinwand fertiggestellt hat, trägt er Modellierpaste auf das vorgezeichnete Gesicht als Textur auf. Dann verwendet er oft einen Kamm, mit dem er seine charakteristischen Wellen und Grate erzeugt. Die Modellierpaste erzeugt eine reichhaltige, fühlbare Oberfläche. Erst dann trägt er Farbe auf.

Diese Methode hat er, wie er selbst sagt, mit Blick auf Sehbehinderte entwickelt, da sie die Leinwand in eine Art "Braille-Schrift" verwandelt. Die ausgeprägten und vielfältigen Texturen laden Sehbehinderte dazu ein, die Kunst auf eine ganz persönliche Weise zu erleben und mit ihr in Verbindung zu treten. So wird die Schönheit seiner Werke allen zugänglich gemacht und eine Kluft überbrückt, die Kunst für manche unerreichbar erscheinen lässt. In diesem Sinn kann man seine Kunst zweifellos als "barrierefrei" bezeichnen. (vgl. artshelp)

 

Paul and Margie, 2023 © Annan Affotey

 

Annan Affotey beginnt jedes Werk mit den markanten roten Augen, die sowohl seine persönliche Identität als auch seinen kulturellen Hintergrund widerspiegeln. Rote Augen sind in Ghana, möglicherweise als Folge schädlicher Umweltfaktoren, weit verbreitet.

 

"When I moved to the US from Ghana, I was often questioned why my eyes were red and whether it meant I hadn't slept or was doing drugs, neither of which was true. And it became a symbol for misinterpreted identities."  (Affotey zit. n. yellowzine)

„Als ich aus Ghana in die USA zog, wurde ich oft gefragt, warum meine Augen rot seien und ob das bedeute, dass ich nicht geschlafen oder Drogen genommen habe, was beides nicht stimmte. Und so wurde es zum Symbol für falsch interpretierte Identitäten“. (übersetzt mit DeepL)

 

Auf Grund dieser Erfahrung sind die roten Augen in seinen Porträts mehr als eine stilistische Wahl; sie sind eine Anspielung auf seine Herkunft und ein Kommentar zu den unterschiedlichen Arten, wie Menschen in verschiedenen Kulturen gesehen und verstanden werden.

 

Paul and Margie, 2023 © Annan Affotey

 

Der Künstler möchte die Schönheit schwarzer Menschen zeigen! Oft malt er den Teint seiner Porträtierten absichtlich dunkler, da ein dunkler Teint eine Quelle des Stolzes sein sollte. Um den ausgeprägten kobaltblauen und schwarzen Hautton zu erreichen, mischt er Holzkohle mit Acrylfarben.

 

© Annan Affotey

 

Ist Ihnen schon aufgefallen, dass er manche skizzierte Stellen - insbesondere Hände, Arme oder Teile der Kleidung - unbemalt lässt? Die Leerstellen geben seinen Werken den Anschein, unvollendet zu sein sind und sind gleichzeitig ein Hinweis für die Betrachter, dass es sich um ein Kunstwerk handelt und über das reine Abbilden einer Person hinausgeht. In erster Linie dienen sie natürlich dazu, stilistische Wiedererkennbarkeit zu erreichen.

Manchmal setzt er die Figuren vor monochrome Hintergründe mit sichtbaren Pinselstrichen oder er kleidet sie in leuchtende Gewänder und gemusterte Accessoires. Dabei arbeitet er vor allem auf großen Leinwänden, um Raum für die die reiche Textur und die Details zu erhalten.

 

Red Headband, 2021 © Annan Affotey

Green Woods, 2021 © Annan Affotey

Tilts, 2021 © Annan Affotey

 

Die seelenvollen und fesselnden Porträts zeigen emotionale Tiefe und erzählen eine Geschichte von Großzügigkeit und Freundlichkeit: Eine Geschichte, die sich in den roten Augen der Personen, die er malt und deren Leben er berührt hat, widerspiegelt.

 

© Annan Affotey

 

Annan Affotey (*1985 in Accra/Ghana) schloss das Ghanatta College of Art and Design ab, trat der Revolution Art Organization bei und stellte seine Werke in mehreren Gruppen- und Einzelausstellungen in Accra aus. Im Jahr 2013 war Annan an der Gründung der African Young Artist Organization (AYAO) beteiligt, einer Organisation, die sich der Förderung der afrikanischen Jugend in der Kunst durch Programme und Ausstellungen widmet. Annan lebte von 2014-2019 in Wisconsin und übersiedelte 2019 nach Großbritannien.

Weitere Werke finden Sie hier: Galerie Ronchini, gallery157, Galerie De Buck, Instagram

alle Bilder © Annan Affotey

 

Malerei
2. Dezember 2024 - 10:23

Anh Duong ist nicht nur eine Porträtistin der Reichen und Schönen (z.B. von Vincent Gallo, Susan Sarandon, Anjelica Huston), sie erforscht auch Fragen des Selbst und der Identität: Ihre Selbstbildnisse sind intim, auch in Hinblick auf ihren (nackten) Körper, weder eitel noch glamourös, eher realistisch und bekenntnishaft.

Das tägliche Malen an sich selbst ergibt ein visuelles Tagebuch: psychologisch intensiv und persönlich aufschlussreich.

 

“When I paint myself, I use a true mirror. So it’s a reflection of the reflection, so it’s actually the real me”  (Anh Duong zit. n. Galerie Gmurzynska)

„Wenn ich mich selbst male, benutze ich einen echten Spiegel. Es ist also eine Reflexion der Reflexion, also mein wahres Ich“ (übersetzt mit DeepL)

 

"A lot of unsafe places to be" von 2008 zeigt die Künstlerin mit einem Hund.

 

A lot of unsafe places to be , 2008 © Anh Duong

 

Vier Augen stehen im kompositorischen Zentrum und treffen den Blick des Betrachters. Mit großen, leeren Augen schauen Frau und Hund, wobei der Hund noch Traurigkeit und Schwermut in seinem Blick hat. Die Blicke beunruhigen und verwirren, verwickeln uns in ein voyeuristisches Spiel: Auch wir fühlen uns durchbohrt und entblößt, so nackt wie das Bild, das wir betrachten.

Duong beschreibt ihre Selbstporträts als biografisch und sehr persönlich:

 

"they’re a record, a narrative of a particular moment in my life, but the details of that narrative always remain hidden from the people who look at it". (zit n. GalleriesNow)

"sie sind eine Aufzeichnung, eine Erzählung eines bestimmten Moments in meinem Leben, aber die Details dieser Erzählung bleiben den Betrachtern immer verborgen". (übersetzt mit DeepL)

 

Bei diesem Doppelporträt gibt die Künstlerin allerdings die Erzählung, das Mysterium preis.

 

“This painting is about a relationship. How close can you be to someone else? How much distance do you need? I was very close to that dog—it was my ex husband’s—and I was trying to make a portrait of my relationship with him through the dog. It’s about our struggle to connect. I’m kind of a prude in life—I never did any naked shoots during my modeling career—but when I’m naked on the canvas I don’t feel like it’s me, so I’m not self conscious. Because I’m nude in the painting, suddenly it seems like the dog is also nude, although of course dogs always are. The painting creates nudity.“ (zit.n. Interview)

"In diesem Gemälde geht es um eine Beziehung. Wie nah kann man einem anderen Menschen sein? Wie viel Abstand braucht man? Ich stand diesem Hund sehr nahe - er gehörte meinem Ex-Mann - und ich habe versucht, durch den Hund ein Porträt meiner Beziehung zu ihm zu malen. Es geht um unseren Kampf um eine Beziehung. Ich bin im Leben ziemlich prüde - ich habe während meiner Modelkarriere nie nackt fotografiert - aber wenn ich nackt auf der Leinwand zu sehen bin, habe ich nicht das Gefühl, dass ich es bin, also bin ich mir meiner selbst nicht bewusst. Weil ich auf dem Bild nackt bin, scheint es plötzlich so, als sei der Hund auch nackt, obwohl Hunde das natürlich immer sind. Das Bild schafft Nacktheit." (übersetzt mit DeepL)

 

Die weißen Hautstellen, sonst vom Bikini bedeckt, und die eleganten Schuhe verstärken noch den Eindruck der Nacktheit. Sehr präzise ist die Beobachtung, dass sogar die Hündin nackt (und verletzlich) erscheint, da sie den Blick auf ihren Bauch und Becken freigibt. Die Beziehung der beiden erscheint innig und sich gegenseitig beschützend.

Anh Duong (*1960 in Bordeaux, Frankreich) ist die Tochter eines vietnamesischen Vaters und einer spanischen Mutter. Sie studierte Architektur an der École des Beaux-Arts in Paris und Tanz an der Franchetti Academy of Classical dance. 1988 zog sie von Paris nach New York, wo sie zu malen begann. Duongs reüssierte als Model, Schauspielerin und Muse. Sie inspirierte Künstler wie Julian Schnabel und arbeitete mit Designern wie Donna Karan und John Galliano zusammen. Bald stellte sie selbst aus und wurde zu ihrer eigenen Muse.

Anh Duong lebt derzeit zwischen New York und Paris.

Ausführliche Darstllungen ihres künstlerischen Werdegang finden Sie auf ihrer Homepage und der Homepage der Galerie Gmurzynska.

Quellen: Anh Duong, Galerie Gmurzynska, Interview, Galerie Sonnabend, GalleriesNow

Bild © Anh Duong

 

Malerei
25. November 2024 - 11:21

Marlene Fröhlich, Studio Supplement, 2024 © Marlene Fröhlich

 

Sehen Sie oben ein historisches Foto eines homosexuellen Paares mit Kinderersatz? Mitnichten! Es handelt sich um ein KI-generiertes Bild, das die Fotografin und Künstlerin Marlene Fröhlich aufwendig analog ausgearbeitet hat.

 

Ausstellungsansicht, Marlene Fröhlich, Studio Supplement, 2024, Foto Petra Hart

 

Ihre Absicht ist es, historische Leerstellen zu füllen. Trotz der unermüdlichen Arbeit von queeren und feministischen Historiker*innen, Archivar*innen und Aktivist*innen haben es nur wenige feministische und queere Bilder in das kollektive visuelle Gedächtnis geschafft. Es gibt also kaum historische Bilder z.B. homosexueller Paare. Marlene Fröhlich erfindet die fehlende diversere Vergangenheit mit Hilfe einer bildgebenden Künstlichen Intelligenz (KI): Eine Vergangenheit, die zwischenmenschliche Beziehungen zeigt, die nicht einer heteronormativen Vorstellung von Freundschaft und Liebe entsprechen; eine Vergangenheit voll von Menschen und Situationen, die unterdrückt und unsichtbar gemacht wurden – und es immer noch werden.

Präsentiert hat sie ihre Ergebnisse in der Ausstellung "In aller Freundschaft" im Dommuseum, das jährlich eine andere inhaltlich bestimmte Ausstellung bestückt. Die meisten Exponate sind zeitgenössisch, viele werden eigens für die Ausstellung angefertigt.

Marlene Fröhlich ordnet die vielen kleinen Schwarz-Weiß-Fotos ihrer partizipativen Installation an der Wand, sodass sie wirken als seien sie einem Familienalbum entnommen.

 

Ausstellungsdisplay, Studio Supplement, 2024, Foto Petra Hartl

 

Die Arbeit selbst ist einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen, da die Besucher*innen partizipieren können: In einem an der Wand montierten Briefkasten können Wünsche für Bilder von Freundschaft hinterlassen werden, die in der Geschichte und Gegenwart fehlen; ausgewählte Beispiele werden dann von der Künstlerin anstelle von anderen in die Installation integriert.

Wie wurde wohl der Wunsch zu diesem Foto formuliert? (Die Arbeit wurde mehr schlecht als recht von mir in der Ausstellung fotografiert).

 

Marlene Fröhlich, Studio Supplement, 2024,1, Foto Petra Hartl

Marlene Fröhlich, Studio Supplement, 2024,2, Foto Petra Hartl

 

Als "Studio Supplement" lädt die Künstlerin die Öffentlichkeit ein, Wünsche auch über Instagram einzuschicken. Anschließend konfrontiert Fröhlich die zutiefst voreingenommene und englischsprachige KI mit spezifischen Anfragen und übersetzt so die eingesendeten Texte in Bilder. "A cyanotype of an interracial couple of two trans masculine people kissing on a couch, 1940". "„A polaroid lesbian couple taking a self-portrait, 1970". Das Ziel ist es, eine möglichst genaue Darstellung dessen, was gewesen sein könnte, zu generieren. Dabei wählt Fröhlich für jede Zeitspanne unterschiedliche fotografische Methoden: von kleinen fotografischen Visitenkarten (Cartes de visite) zu großformatigen Polaroids.

"A tintype of a man in a ball gown, 1860", also ein Mann im Ballkleid, ist eine zu schwierige Aufgabe für die KI. Das erzeugte Bild zeigt einen Mann mit einem Ball in den Händen.

Die Künstlerin entwickelt jedes KI-generierte Foto als Unikat in verschiedenen Verfahren und Formaten auf abgelaufenen und auslaufenden Vintage-Materialien.

Marlene Fröhlich arbeitet selbstständig als Fotografin und studiert transdisziplinäre Kunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Ihre künstlerische Praxis umfasst eine Vielzahl von Materialien und Formaten, darunter Keramik, analoge Fotografie, KI und Konzeptkunst. Mit einem intersektional feministischen und queeren Blick erforscht Fröhlich, was hätte sein können, rückt das Unsichtbare in den Fokus und schafft spielerische, aber zugleich sensible Erzählungen.

Die Ausstellung "In aller Freundschaft" ist noch bis zum 24. August 2015 im  Dom Museum Wien zu sehen.

Quellen: Die Angewandte, Studio Supplement/Marlene Fröhlich, Text Alina Strmljan
 

Ausstellung, Fotografie