14. April 2025 - 11:24

Ausstellungsanscht Pirelli HangarBicocca, 2021, Foto Agostino Asio

 

Wie schön ist die Stille und Ruhe, die die Arbeit "Breath" - Atmen - ausstrahlt. In Eintracht Beieinandersein. Mensch und Tier. Mensch und Hund. Vorbei ist der Spaß mit dem knienden Hitler (Him, 2002), dem erschlagenen Papst (La Nona Ora, 1999). Maurizio Cattelan kehrte 2021 mit der eindringlichen Ausstellung "Breath Ghosts Blind" in der Pirelli-Halle in Mailand zum Einfachen und Wesentlichen zurück!

"Breath Ghosts Blind" beschäftigt sich mit existenziellen Fragen, mit dem Kreislauf des Lebens von der Geburt bis zum Tod. Die Werke sind so perfekt platziert, dass die monumentale und feierliche Architektur des HangarBicocca Teil der Ausstellung wird. In einem Interview erklärt Cattelan, dass die Räume des Hangars für ihn wie eine riesige Kirche aussehen, weshalb er versucht habe, sie wie sakrale Räume zu behandeln. Tatsächlich war die Industriearchitektur in den Anfängen von der Form der Kirchen geprägt.

In einem düsteren und feierlichen Kontext bietet "Breath Ghosts Blind" den Besuchern eine emotionale Erfahrung über die bedeutungsvollsten Aspekte des menschlichen Lebens und vermittelt gegensätzliche Gefühle wie Trauer und Liebe.

Dem Blogthema entsprechend werde ich lediglich "Breath" näher vorstellen:

Die lebensgroße Skulptur besteht aus zwei Teilen - Mensch und Hund - aus weißem Carrara-Marmor. Die beiden liegen sich auf dem Boden gegenüber: Ein subtiles Zusammenspiel zweier Spezies, die sich auf gleicher Ebene begegnen.

 

Breath, 2021 © Maurizio Cattelan, Foto Agostino Asio

 

Der Mann, mit kurzen Hosen und einer Wollmütze bekleidet, schläft in fötaler Stellung gegenüber von einem dösenden Hund. Seine Gesichtszüge lassen darauf schließen, dass es sich um das Alter Ego des Künstlers handelt. Die Komposition schafft eine intime Szene, in der die Figuren ein Gefühl von Introspektion und Zerbrechlichkeit ausstrahlen, das durch den deutlichen Größenkontrast zwischen der Skulptur und dem riesigen, dunklen, offenen Raum des Hangars noch verstärkt wird. Darüber hinaus verleiht der Kontrast zwischen der Verwendung des prestigeträchtigen Marmors, der sowohl mit antiker Skulptur assoziiert wird als auch an Renaissancemeister wie Michelangelo oder Barockbildhauer wie Giovanni Lorenzo Bernini denken lässt, und der Darstellung einer alltäglichen Szene dem Werk eine sakrale Aura und verortet es in einem zeitlosen Raum. Das Material spricht aber auch von Kühle, die die Kälte des Vergehens beschwört.

Der Titel "Breath" verweist auf das Atmen, eine unmerkliche wie essenzielle Lebensfunktion, die die beiden Figuren ebenso wie den Kreislauf des Lebens teilen. Könnten die beiden atmen, wie der Titel andeutet, würden sich ihre Ausatmungen beim Atemzyklus im Raum vermischen, in ihre Lungen zurückkehren und sie vereinen.

Wieso Cattelan dem Mann für diesen Gleichklang einen Hund gegenüberstellt, erklärt er folgendermaßen:

 

"Animals are mirrors for the human being, in them, we understand ourselves. how many and what meanings and powers have animals invested in the history of humanity? many more than you could attribute to a single human being. I’ve always wondered what it meant to say that the dog is man’s best friend, I tried to understand it with breath." (Maurizio Cattelan zit. n. designboom)

"Tiere sind Spiegel für den Menschen, in ihnen verstehen wir uns selbst. (...)  Ich habe mich immer gefragt, was es bedeutet, wenn man sagt, dass der Hund der beste Freund des Menschen ist, ich habe versucht, es mit dem Atem zu verstehen." (übersetzt mit DeepL)

 

Ergänzend dazu an anderer Stelle die Kuratorin Roberta Tenconi:

 

"Der Hund ist das Haustier schlechthin, der treue Freund des Menschen, und in der düsteren Umgebung des Hangar Bicocca könnte er sogar wie ein Beschützer des Menschen wirken". (Roberta Tenconi zit. n. L'Officiel und übersetzt mit DeepL))

 

Im schlafenden oder unbewussten Zustand aber ist das Kräfteverhältnis zwischen Mensch und Tier ausgeglichen. Sie scheinen ihrer Umgebung ausgeliefert zu sein und ruhen doch in der Sicherheit des gegenseitigen Schutzes.

Hunde haben in vielen Kulturen auf der ganzen Welt eine symbolische Bedeutung. Sie sind nicht nur für ihre Treue und Freundschaft bekannt, sondern dienen in der Mythologie auch als Mittler zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten.

 

Breath, (Detail), 2021 © Maurizio Cattelan

 

Schlafen die beiden Figuren? Träumen sie?  Ruhen sie gelassen, fast achtlos, gegenüber dem, was das Leben bereithalten könnte?

Das Werk ist untypisch für Cattelan, denn es ist nicht von seiner üblichen Leichtigkeit und Ironie durchdrungen, sondern von einer tiefen Melancholie und Ernsthaftigkeit. Zusätzlich hat seine Inszenierung in der Bicocca eine starke sinnliche Wahrnehmungskomponente.

Der italienische Künstler hat schon oft Menschen oder Tiere dargestellt, aber dies ist sein erstes Werk, in dem sich beide begegnen.

Maurizio Cattelan erzählt und erfindet Geschichten. Sie machen sein Werk lebendig und sind Auslöser für eigene Geschichten, die von Betrachter zu Betrachterin verschieden sind. Seine Geschichten können vertraut sein, wie der präperierte Hund, der zusammengerollt neben dem Baum oder auf einem Polster liegt.

 

o.T., 1998, © Maurizio Cattelan, Foto Galerie Perrotin

Ausstellungsansicht Cosa Nostra, New York, Venus Over Manhattan, 2014

 

Sie können absurd sein, wie die Labradore, die, Wächtern gleich, ein Küken beschützen.



o.T., 2007 © Maurizio Cattelan, Foto Kunsthaus Bregenz

o.T., 2007 © Maurizio Cattelan, Foto Kunsthaus Bregenz

 

Auch in seinen zwei Werken "Love Saves Life" (1995) und "Love Lasts Forever" (1997) schafft er durch die Gestaltung der lebensecht präparierten Figuren und die inszenierten Darstellungen komische und provokante Situationen. Es sind Erzählungen von grenzenlosem Zusammenhalt in einer heterogenen Gruppe und ewiger Liebe. Gleichzeitig zeigen sie, wie durch Kreativität und Freundschaft jeder Kampf gewonnen werden kann.

 

Love Saves Life, 1995 © Maurizio Cattelan, Foto Kunsthalle Bremen

 

Dabei nimmt er das Märchen "Die Bremer Stadtmusikanten" der Gebrüder Grimm auf, das bereits im Jahr 1819 in den "Kinder- und Hausmärchen" veröffentlicht worden ist: Vier alte Hoftiere (Esel, Hund, Katze und Hahn) werden von ihren Besitzern misshandelt, da sie nicht mehr arbeiten können. Um den Grausamkeiten zu entkommen, beschließen sie ihr gewohntes Heim zu verlassen und eine Reise ins Ungewisse zu wagen. Unter dem Motto "Etwas Besseres als der Tod findest du überall!" beginnt die Reise nach Bremen. Dort wollen die Tiere ein neues Leben als Stadtmusikanten beginnen. Während der Reise werden die Freundschaft und der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe immer stärker.

Cattelan arrangiert die Tierpräparate zu einer Pyramide, wobei er die einzelnen Tiere in ihrer typischen Haltung beim Schreien, Bellen, Miauen und Krähen zeigt. Er hält den Moment fest, in dem die Protagonisten kurz vor ihrem Glück stehen, der Übernahme einer sicheren Bleibe.

 

Love Lasts Forever, 1997 © Maurizio Cattelan, Foto Kunsthalle Bremen

 

In "Love Lasts Forever" werden aus den Tierpräparaten von "Love Saves Life" Tierskelette, wodurch das Skulpturen-Ensemble seinen wahren ironischen Unterton offenbart: Der Verfall der Tiere suggeriert die Unvermeidlichkeit des Todes und zeigt, dass auch Liebe keine Leben retten kann - wie es der Titel der ersten Skulptur verheißt.

Maurizio Cattelan (*1960 in Padua/Italien) hat keine formale Ausbildung und bezeichnet sich selbst eher als "Kunstarbeiter", denn als Künstler. Er wurde oft als Hofnarr der Kunstwelt bezeichnet, da er eine Vorliebe für das Respektlose, Provokante und das Absurde hat. Er setzt sich mit gesellschaftlich verankerten Normen und Hierarchien auseinander und fordert die Grenzen der zeitgenössischen Wertesysteme heraus. Seit Anfang der 1990er Jahre verwendet Cattelan Ironie, Humor und Makabres, um die Kunstwelt und Gesellschaft im Allgemeinen zu kritisieren. Dabei entfachen seine Werke hitzige öffentliche Debatten, die ein Gefühl der kollektiven Beteiligung fördern.

Er hat seine Arbeiten in Einzelausstellungen in den berühmtesten Museen der Welt gezeigt, fünfmal an der Biennale Venedig teilgenommen. Er lebt und arbeitet in New York und Mailand.

Quellen: Kunsthaus Bregenz, designboom, Marian Goodman Gallery, Pirelli HangarBicocca

alle Bilder © Maurizio Cattelan

 

Ausstellung, Installation, Skulptur
6. April 2025 - 15:31

Ich wurde schon vor etwa zehn Jahren auf René J Marquez und seine Hundeporträts aufmerksam, allerdings hatte ich so wenig über den Künstler in Erfahrung gebracht, dass ich mich damals gegen einen Blogbeitrag entschied. Wie überrascht war ich dann, als ich vor einigen Monaten im Zuge eines Vortrags von Jessica Ullrich während der von Lena Lieselotte Schuster kuratierten Ausstellung "start sniffing" wieder auf seinen Namen gestoßen bin. Allerdings in Zusammenhang mit seinem Zufluchtsort für Hunde.

Marquez beschäftigt sich in seiner künstlerischen Praxis sowohl mit Schreiben, Video und Videoinstallation als auch Malerei und Zeichnung. Der Kern seiner Arbeit ist jedoch aus "Free to Be Dog Haven" hervorgegangen, einem 2011 von ihm gegründeten Hundeasyl.

 

Ansicht des Tierheims © René J Marquez

 

"The sanctuary serves as a site of investigation where multispecies cohabitation and collaboration engage questions of postcolonial and intersectional identity, as well as ontology and epistemology in the context of inter-species and intra-human interaction." (zit Marquez hier)

"Das Tierheim dient als Ort der Untersuchung, an dem das Zusammenleben und die Zusammenarbeit verschiedener Spezies Fragen der postkolonialen und intersektionalen Identität sowie der Ontologie und Epistemologie im Kontext der Interaktion zwischen den Spezies und zwischen den Menschen aufwirft." (Marquez übersetzt mit DeepL)

 

An diesem Zitat merken Sie schon die theoretische Fülle seines Werks. Ich orientiere mich an seinen Texten, vereinfache allerdings sehr stark. Sie behandeln vor allem das Konzept seines Tierheims, die künstlerische Zusammenarbeit mit den Hunden sowie die Fragestellung, warum Hundeporträts in der Regel Sentimentalität zugeschrieben wird.

 

Plan des Tierheims © René J Marquez

 

Zuerst möchte ich Ihnen seinen Zufluchtsort für Hunde beschreiben und folge dabei seinen Texten "Free to Be Dogs: Freedom and Pet-hood" und "What we call "home": dog-human collaborative space".

 

Hunde des Tierasyls © René J Marquez

 

Nachdem Marquez einige Jahre lang in der Hunderettung tätig war, entwickelte er eine Vorliebe für Hunde, die zusätzliche Hilfe brauchen, um ihr Leben mit Menschen zu teilen. Er fühlte sich zu den ängstlichen und energiegeladenen Hunden hingezogen, die missverstanden wurden. In der Folge gründete er das Tierheim "Free to Be Dog Haven", das außerhalb von Philadelphia liegt. Es ist ein Tierheim für Hunde, die Schwierigkeiten haben, mit Menschen zusammenzuleben oder besser gesagt die Erwartungen des Menschen nicht erfüllen, weshalb sie von anderen Tierheimen nicht vermittelt werden. Um eine möglichst hohe Lebensqualität für seine Schützlinge zu erreichen, lernte er so viel wie möglich über Hundetraining, Verhaltensforschung und Neurowissenschaften. René J Marquez bietet verhaltensauffälligen Hunden ein Zuhause, indem er sie so weit wie möglich als Individuen anerkennt und ihnen ermöglicht, ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu leben.

Die Philosophie des Tierheims besteht also darin, die Individualität eines jeden Hundes anzunehmen und ihm die Freiheit zu geben, so zu sein, wie er ist - unter der Umgehung von Annahmen über "Mensch", "Hund" und Machtverhältnissen, die dem Wort "Haustier" innewohnen.

 

 

Logo © René J Marquez T-shirt design © René J Marquez

 

Marquez anerkennt die Subjektivität von Mensch und Hund bei der Konstruktion eines Raums, den er Zuhause nennt. Dabei versucht er, die Perspektiven der Hunde bei der ständigen Weiterentwicklung des gemeinsamen Raums zu berücksichtigen. Er fragt sich, wie ein Zuhause für einen Hund aussehen würde, wenn er oder sie die Möglichkeit hätte, es zu gestalten. Dabei maßt er sich nicht an, aus der Perspektive des Hundes zu entwerfen, wohl wissend, dass er nur aus einem menschlichen Blickwinkel entwerfen kann, der von der Forschung über Hundeverhalten, Hundegesundheit und der Geschichte der Hund-Mensch-Beziehung geprägt ist. Wichtig ist aber das Bewusstsein, dass die menschliche Perspektive nicht die zentrale ist, sondern lediglich eine durch Ressourcen privilegierte.

Das Tierheim beruht auf einem breiten Spektrum von Ideen: von Donna Haraways Begriff der "Gefährten" und "signifikanten Andersartigkeit" über die Definition eines Hundes durch den Biologen Raymond Coppinger bis hin zur Arbeit von Tierverhaltensforschern und Trainern wie Patricia McConnell und Karen Pryor. Immer wieder betont Marquez das Gemeinsame:

 

"Auch wenn wir Hunde nicht wirklich "kennen" können - nicht einmal die, die uns am nächsten stehen -, so können wir doch Möglichkeiten ergreifen, unsere Beziehungen zu ihnen neu zu gestalten, und zwar auf der Grundlage dessen, was wir gemeinsam sind, und nicht, was wir als Spezies sind." (Marquez hier, übersetzt mit DeepL)

 

Als Marquez das Tierheim eröffnete, sah er es noch von seiner Atelierarbeit getrennt, es entwickelte sich aber zu einer Erweiterung seiner Untersuchungen der Intersubjektivität von Mensch und Hund. "Free to Be Dog Haven" ist demnach ein Kunstprojekt, in dem Kunst und Leben zusammenfallen. Es ist ein gemeinsamer Lebensraum, dessen Design sich ständig weiterentwickelt, um sowohl Mensch als auch Hund gerecht zu werden und in dem das Zusammenleben, die Begegnung zwischen Künstler und Tier, auch Zusammenarbeit bedeutet. Es ein Modell für gemeinschaftliches Schaffen, aber auch eine bedeutungsvolle Erfahrung des gemeinschaftlichen Seins.

Dieses gemeinschaftliche kollaborative Sein entwickelt sich aus der Erkenntnis heraus, dass sich Identitäten in Beziehung zueinander entwickeln. Die Identitäten "Mensch" und "Tier" werden durch eine sich ständig weiterentwickelnde kollektive Identität ersetzt, die sich über vermeintliches Wissen hinwegsetzt und letztlich menschliche und nicht-menschliche Tierbeziehungen neu definiert.

Kunstgeschichtlich bindet er seinen Zufluchtsort folgendermaßen ein:

 

"... das Tierheim als Kunst, philosophisch abgeleitet und gestaltet, veranschaulicht einen Weg in der zeitgenössischen Kunst von Joseph Beuys´ Theorie der "sozialen Plastik" bis zur neueren "relationalen Ästhetik" von Nicholas Bourriaud." (Marquez, Animal Sanctuary as Art, übersetzt mit DeepL)

 

Wie kann Marquez als Künstler mit Hunden zusammenarbeiten, um ein Werk zu schaffen, das sowohl den Hunden als auch ihm gehört? Einerseits, wie oben ausgeführt, durch den gemeinsamer Raum in Form des Hundeheims, andererseits durch das Porträtieren der Hunde.

 

Puppies in sweaters, 2011 © René J Marquez

 

Dabei will er sie im Werk nicht als menschliche Stellvertreter oder als Attrribute zum menschlichen Leben begreifen, sondern sie als Individuen mit eigener Subjektivität und Handlungsfähigkeit.

 

Blotter, 2008 © René J Marquez

 

Der Biologe Ray Coppinger meint, dass die heutigen Haushunde keine "Hunde" mehr sind, weil sie durch die Manipulation des Menschen einfach zu "Haustieren" geworden sind. (zit. n. Marquez)

Dazu Marquez:

 

"If dogs are no longer dogs, humans are no longer humans. The encounter is or can become a “becoming with,” a new, shared identity that supersedes narrow speciesist definitions, a collaboration of species in the creation of new work." (ebd.)

"Wenn Hunde keine Hunde mehr sind, sind Menschen keine Menschen mehr. Die Begegnung ist oder kann zu einem "Mit-Werden" werden, zu einer neuen, gemeinsamen Identität, die enge speziesistische Definitionen überflüssig macht, zu einer Zusammenarbeit der Arten bei der Schaffung eines neuen Werks." (übers. m. DeepL)

 

Tina, 2005 © René J. Marquez

 

Wie kann Marquez die Hunde als fühlende Wesen darstellen und gleichzeitig der Falle der Sentimentalität entgehen? Warum wird in einem zeitgenössischen Kontext die Übernahme des Porträtgenres für die "Haustiermalerei" als rein sentimental angesehen? Erlaubt die heutige globale Remix-Kultur eine erneute Untersuchung des Konzepts der Sentimentalität und schafft sie sogar Raum für ihren Einfluss in der zeitgenössischen Kunst?

In seinem Text "Painting Portraits Today" untersucht Marquez die Stellung des (Menschen-) Porträts in der zeitgenössischen Kunst im Gegensatz zum Hundeporträt. Während Porträts auf Grund ihrer Sentimentalität möglicherweise verspottet oder abgewertet werden, verkörpern Hundeporträts Sentimentalität und stellen sie unverfroren zur Schau.

Marquez fragt, ob das menschliche Porträt kulturell abgeleitete Konstrukte, also Vernunft und westliche Werte der Aufklärung, anspricht, während das Haustierporträt zu etwas "Natürlichem" (Intuition, Gefühl) spricht. Und ob das Gefühl völlig illegitim bei der Begründung von Wissen ist?

Bei der Arbeit mit Tieren merkt er, dass er von ihnen Wissen, das unvermittelt ist, erfährt. Und eben dieses Ungreifbare und Unvermittelte führt zu einem tiefgreifenden Verständnis und sogar zum kritischen Überdenken und zur Neubewertung dessen, was wir zu "wissen" glauben, wie wir Wissen konstruieren.

Er findet sowohl in der Kunst als auch in der Arbeit mit Tieren Raum für das Nonverbale und Intuitive, die Voraussetzungen für eine kraftvolle Zusammenarbeit sowie eine Strategie zur Unterwanderung dominanter Diskurse sind.

 

Aspen, 2006 © René J Marquez

 

Während Hunde ihren menschlichen Begleitern schon lange "zugehört" und sie verstanden haben, hat der Mensch erst vor kurzem damit begonnen, dies in vergleichbarer Weise zu erwidern, was zur Anerkennung historisch unterdrückter Subjektivitäten, dem Verleihen einer Stimme, dem Bereitstellen eines Modells für gemeinschaftliches Sein führt.

 

Sophia, 2000 © René J Marquez

 

Doch nicht nur von den Tieren kommt neues "Wissen", sondern auch vom postkolonialen Erbe. Als Künstler einer kolonisierten Überzeugung - aus einem nicht-modernistischen Erbe - stört er sich an den Angriffen der Moderne auf die Sentimentalität, da eine "kreolisierte", globalisierte Kultur notwendigerweise die romantischen und idealisierten Vorstellungen zulassen muss.

 

Studio, 2003 © René J Marquez

 

Mit Anerkennung der "kreolisierten" (also durchmischten und in Folge neuen) Kultur stellt Marquez das westliche intellektuelle Denken infrage, das Sentimentalität als verdächtige Nicht-Struktur zur Ordnung des Wissens betrachtet und erkundet die Möglichkeit der Sentimentalität als transformative und radikale Kraft in der zeitgenössischen künstlerischen Praxis. Wenn es also kein "Problem" mit der Sentimentalität gibt, ist auch nichts falsch daran, Hundeporträts zu malen.

Diese Hundeporträts sehen aber aus wie konventionelle, traditionelle Hundeporträts! Was ist an ihnen anders? Für Marquez liegt der Unterschied nicht in den Objekten, sondern in den Subjekten, sowohl in den menschlichen als auch in den nicht-menschlichen. Beide werden durch die Einheit ersetzt, zu der sie werden. In der Malerei von Hunden muss der Rückgriff auf das konventionelle Verständnis dessen, was das eine oder das andere ausmacht, dem weichen, was sie gemeinsam als Subjekt werden.

Er betrachtet Hundebilder nicht nur als gültiges Thema und Vehikel für den zeitgenössischen Kunstdiskurs, sondern auch als potenziell transgressiv und in der Tat subversiv. Seine Herangehensweise an Hundeporträts ist dezidiert postkolonial, da sie aktiv nach einem Verständnis der Welt sucht, das sich von den auferlegten Werten der Moderne löst.

Ich bin beim Recherchieren und Schreiben zwischen den Begriffen Postkolonialismus, Posthumanismus, Intersektionalität, Hybridität und den Theoretikern Derrida, Haraway, Deleuze, Guattari verloren gegangen und habe nur eine vage Ahnung davon bekommen, was Marquez meint. Nicht mehr als eine flüchtige Annäherung soll dieser Blogbeitrag sein.

René J Marquez (* in Manila/Philippinen) wuchs in den USA auf, wo er unter anderem Malerei und Asien Studies studiert hat. Er lebt im Großraum Philadelphia/Pennsylvania, wo er als Dozent und Interimsvorsitzender der Abteilung für Kunst an der Universität von Delaware in Newark fungiert.

Wie ich seinem Instagram-Account entnehme, hat Marquez 2024 das Tierheim aus gesundheitlichen Gründen als gemeinnützigen Verein geschlossen. Er betreut die Tiere allerdings weiterhin.
 

alle Bilder © René J Marquez

 

2. April 2025 - 11:35

Nach über zehn Jahren wird es in meinem Schauraum in der Dapontegasse 7 wieder eine Ausstellung geben. Meine Freundin Christiane Grüner stellt ihre Hunde-Keramiken sowie Zeichnungen aus. Sollten Sie aus Wien oder Umgebung sein, würde mich sehr freuen, wenn Sie kommen würden.

 

Ausstellungsplakat immergrüner keramiken

 

 

24. März 2025 - 11:47

"My work is about a constant longing for things long past or yet to come.(…) It could be paradise, perhaps Arcadia, maybe home, or even just yesterday." (Alexander Ruben Müller zit. n. Instagram lkifgallery)

 

The Place That Cannot Be, 2024 © Ruben Alexander Müller

 

Das Bild oben trägt den Titel "The Place That Cannot Be", gleichzeitig ist es der Name einer Ausstellung mit elf Werken, die der deutsche Künstler Ruben Alexander Müller zurzeit in der LKIF Galerie Seoul zeigt. Sie stellen einen paradiesischen Sehnsuchtsort dar, in dem die Figuren in einfache, alltägliche Tätigkeiten vertieft sind: Ein Mann streichelt eine Kuh, kleine Lämmer und große Schafe werden beschützend gehalten, Granatäpfel stolz präsentiert, Rosen blühen, Obst wird geerntet und Wäsche von der Leine genommen.

 

Tuch, 2022 © Ruben Alexander Müller

 

Ich zeige Ihnen ein paar Bilder ohne Hund, damit Sie eine Vorstellung vonn der Serie erhalten. Mehr Beispiele sehen Sie hier.

 

Beach, Summer, Paradise, 2023 © Ruben Alexander Müller

Work, 2024 © Ruben Alexander Müller

 

Menschen sind oft nur als Ausschnitt gemalt, die Handlung des Streichelns, Beschützens, Haltens, der Achtsamkeit stehen im Vordergrund. Die Betrachtenden können ihre Erfahrungen und Erinnerungen auf die Figuren projizieren und reflektieren und sich mit Gesten der Fürsorge, der Wärme verbinden.

Ruben Alexander Müllers Szenen sind mit antiken und christlichen Symbolen aufgeladen (Lamm, Granatapfel, Rose). Er will zwischen seinem persönlichen profanen Erleben und einer kulturell verankerten Ikonographie eine Verbindung schaffen. Dabei gelingt es ihm zwischen diesen beiden Polen einen Raum zu schaffen, der neue, persönliche Interpretationen zulässt.

Ich verbinde mit seinen Bildern nicht primär Nostalgie, sondern die Utopie einer veganen Welt, in der Tiere keine Lebensmittel, sondern Gefährten sind.

 

Wächter im Grünen, 2022 © Ruben Alexander Müller

 

Dieser Hund heißt Diego!

 

Diego, Detaill, 2018 © Ruben Alexander Müller

 

Jetzt wissen Sie auch, warum!

 

Diego, 2018 © Ruben Alexander Müller

Erika und Leyla, 2023 © Ruben Alexander Müller

Hounds Of Love, 2024 © Ruben Alexander Müller

Leyla, 2023 © Ruben Alexander Müller

 

Sogar Müllers meisterliche Naturstudien verströmen eine Atmosphäre von stiller Wehmut und Sehnsucht: Sehnsucht nach Geborgenheit, Schutz, vielleicht sogar menschlicher Zuwendung.

 

Bau, 2017 © Ruben Alexander Müller

 

Ruben Müller (*1990 in Mönchengladbach/D) lebt und arbeitet in Dresden, wo er auch sein Diplom an der Hochschule für Bildende Künste gemacht hat.

alle Bilder © Ruben Alexander Müller

 

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Grafik, Malerei
17. März 2025 - 11:13

Mit glücklichem und aufforderndem Blick wendet sich eine vornehme Dame mit kapriziös-herber Schönheit dem Betrachter zu. Dem kleinen Terrier scheint dies nicht zu gefallen, möchte er doch die Aufmerksamkeit seines Frauchens. Er tippt mit seiner Pfote auf ihre Hüfte und fordert sie zum Spiel auf.

 

Dame mit Hund (Tilla Durieux), 1905 © Eugen Spiro, Foto Leopold Museum
Dame mit Hund (Tilla Durieux), 1905 © Eugen Spiro, Foto Leopold Museum

 

Das Gemälde stammt von Eugen Spiro, die Dargestellte ist seine Ehefrau Tilla Durieux, mit der er von 1903-1905 verheiratet war.  Es ganz im Stile der Münchner Secession gemalt, die zur Verbreitung der internationalen modernen Kunst beitrug und den Weg für den gerade entstehenden Jugendstil freimachte. Über alle stilistischen Unterschiede der Secessionsmitglieder hinaus zielte die Münchner Secession dabei auf die Verwirklichung des Ideals der künstlerischen Freiheit ab.

Eugen Spiro (*1874 in Breslau/P, gest. 1972 in New York City/USA) ist heute nahezu in Vergessenheit geraten. Anfang der dreißiger Jahre begann der Aufstieg des Nationalsozialismus erste Schatten auf Spiros Leben zu werfen. Obwohl 1933 in den Vorstand der Berliner Secession wiedergewählt, legte Spiro alle Ämter nieder, um möglichen antisemitischen Attacken keine Angriffsfläche zu bieten. Im Oktober 1935 entschloss sich Spiro zur Emigration nach Paris. Der deutsche Einmarsch 1940 zwang das Ehepaar Spiro zur erneuten Flucht. Über Biarritz, Marseille, Lissabon emigrierte es in die USA. Auf Wikipedia findet sich ein sehr ausführlicher Beitrag über Leben und Werk von Eugen Spiro.

Tilla Durieux (*1880 in Wien/A, gest. 1971in Berlin/D) war eine gefeierte Theater- und Filmschauspielerin, politische Aktivistin, künstlerische Visionärin und eine der meistporträtierten Frauen ihrer Zeit. Max Slevogt, Lovis Corinth, Max Beckmann aber auch Auguste Renoir und Franz von Stuck haben sie gemalt.

Der Grund für die Fülle an Porträts liegt nicht nur an ihrer Bekanntheit als Schauspielerin, sondern nicht zuletzt an ihrem zweiten Ehemann Paul Cassirer, der damals zu den bedeutendsten Kunsthändlern Europas zählte. Cassirer ermutigte die von ihm vertretenen Künstler immer wieder zu Porträts seiner Frau.

 

Dame mit Hund (Tilla Durieux), Detail, 1905 © Eugen Spiro, Foto Leopold Museum
Dame mit Hund (Tilla Durieux), Detail, 1905 © Eugen Spiro, Foto Leopold Museum

 

Quellen: Leopold Museum, Museum Kunst der verlorenen Generation

 

Malerei
10. März 2025 - 12:33

Altbau, 2022 © Josip Novosel

 

Josip Novosel widmet die Bilderserie "The Good Boi" dem Mann mit Hund, genauer: dem homosexuellen Mann mit Hund, wie er ihm in Berlin begegnet. Die dargestellten Männer sind erfunden, es handelt sich also nicht um Freunde oder Bekannte, doch sie könnten genau so Schönebergs Straßen bevölkern. Was sind Mann und Hund füreinander, fragt sich der Künstler in seinen Bildern.

Es sind Männer, die für sich einen Hund als nichteheliches Gegenüber anschafften, mit ihm ihr Leben teilen. Hunde, sagt Novosel, seien die idealen Begleiter homosexueller Männer, die auf Ehe für alle oder für andere heteronormative Framings keine Lust verspüren, sondern lieber ein Leben ohne Beziehung, also engere Partnerschaft, führen.

Jedes Bild stellt die Zuneigung zwischen Mensch und Tier in einer geschlossenen Alltagsszene dar. Sein Augenmerk liegt auf dem Hund als Beziehungstier, als Begleiter und Spiegelwesen des Menschen. Die zentralen Protagonisten in Josip Novosels Malerei sind die bedingungslos liebenden Hunde: neben den Männern sitzend, gehorchend, hechelnd, rennend.

Novosel taucht diese kleinen Szenen in ein gesättigtes goldenes Licht - Orange- und Gelbtöne dominieren -, das aber auch harte, dunkle, unheimliche Schatten wirft.

Ein Mann döst in einem sattwarmen, sonnengelb durchfluteten Zimmer, einen kleinen grauen Hund auf dem Schoß. Ein anderer sitzt, seinen Hund streichelnd, gemütlich vor dem Kamin. Wie auf einem Sonnenstrahl liegend umarmt der nächste seinen Dalmatiner. Ruhe und Behaglichkeit, Fürsorge und Aufmerksamkeit werden großflächig und schnörkellos dargestellt.

 

Redwine, 2023 © Josip Novosel

Portrait of a man with a Dalmatian dog, 2023 © Josip Novosel

 

In einer rasanten, fast cartoonhaften Ästhetik rennt der Jogger vor dem Tannenwald. Sein Hund dreht sich zu ihm um und scheint ihn anzufeuern. Josip Novosel spielt auch immer wieder mit Stereotypen der Männlichkeit: Sein Läufer hat Schnauzbart und markant haarige Beine!

 

Morning run pace the gaze, 2022 © Josip Novosel

 

Unten sehen wir einen Durchschnittsbürger im Trenchcoat mit seinem Hund vor dem vornehmen Hauseingang. Er scheint "Sitz" zu sagen und mit der Hand zu deuten. Die Mann-Hund-Beziehung kann auch immer eine mit Befehlsgewalt sein.

 

Portrait of a man with a dog, 2022 © Josip Novosel

 

Josip Novosels Männertypen sind allesamt im nicht mehr jugendlichen Alter, eher zwischen 30 und 50, also erwachsene Menschen, die allmählich an Ruhe, Ordnung und Sesshaftwerdung denken, zu der auch Autos, schicke Altbauwohnungen und eben Hunde gehören.

Schwule wollen nicht schwul sein, sondern sie wollen so spießig sein und kitschig sein wie der Durchschnittsbürger. Sie sehnen sich nach einem trauten Heim, in dem sie mit einem ehrlichen und treuen Freund unauffällig ein eheähnliches Verhältnis eingehen können.(vgl. Rosa von Praunheim zit. n. Maurin Dietrich hier)

Wie Josip Novosel in einem Interview sagt, beschäftigt er sich in seiner künstlerischen Praxis oft mit Sehnsüchten, aber auch Angst. Kommt in "The Good Boi" die Sehnsucht nach dem trauten Heim, nach der "Unconditional Love", die Angst vor der Einsamkeit, vor dem Alter zum Ausdruck? (vgl. gallerytalk.net)

Ganz deutlich strahlt die Sehnsucht nach einem Zuhause aus seinen Bildern: der Hund, der mit ins Haus möchte, der Hund der von draußen ins Fenster schaut, Hund und Mann, die sich behaglich am Kamin ausstrecken.

Doch was wartet nach dem Rückzug ins Private? Was heißt es, älter zu werden und jenseits heteronormativer Familienmodelle zu leben? Ist der Hund unten der Verbündete im Kampf gegen die zerstörerische Kraft der Einsamkeit, an den sich der Mann fast verzweifelt klammert, während schon ein dunkler Schatten auf sein Gesicht fällt?

 

Portrait of a man with a dog, 2022 © Josip Novosel

Portrait of a man with a dog, 2023 © Josip Novosel

Territory, 2023 © Josip Novosel

aus der Serie Good Boi © Josip Novosel

 

Die gleißenden Scheinwerfer des Cabrios verdecken beinahe Fahrer und Hund, die auf weitere Eindrücke während der Fahrt warten.

 

Portrait of a man with a dog, 2023 © Josip Novosel

 

Bedingungslos ist die Liebe des freudig erwartungsvollen Mops', in dessen Augen sich die Silhouette seines zurückkehrenden Herrchens spiegelt.

Die Sehnsucht nach einer einfachen, einer bedingungslosen Liebe ist universell, trotzdem stellt Josip Novosel keine komplexen Beziehungen dar, keine WG, keine Familie mit Hund. Auch keine Hunde in Partnerschaften, die Liebesobjekte der sogenannten "Triangulierung" sind: Der Hund wird als drittes Element in die Interaktion zwischen zwei Individuen eingeführt wird, um Spannungen zu reduzieren oder Konflikte zu bewältigen. Man redet zu zweit über ein innig geherztes Haustierwesen, meint aber in allem sich und den beziehungsweise die anderen immer mit (vgl. taz)

 

Unconditional love, 2023 © Josip Novosel

 

Der Hund erfüllt bei Josip Novosel mehrere Aufgaben: "Mit ihm lässt sich als schwuler Mann ausdrücken, dass man Verantwortung übernehmen kann, trotzdem man keine Familie und Kind hat. Dass man ein sozial konformer Mensch ist, obwohl einsam." (zit. n. queer.de)

Unten sehen Sie eine Ausstellungsansicht in der Galerie Noah Klink, Berlin von 2023.

 

Ausstellungsansicht The Good Boi, 2023, Galerie Noah Klink, Berlin © Josip Novos

 

Josip Novosel (*1988 in Zagreb/Kroatien) studierte von 2009 bis 2014 an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Er lebt und arbeitet zwischen Tegernsee/D, Planina Gornja/HR.

Quellen: taz, monopol, Frieze, gallerytalk.net, Galerie Noah Klink

alle Bilder © Josip Novosel

 

Malerei
7. März 2025 - 11:54

Ein kleines Blog-Zuckerl zwischendurch!

 

Ernst Ludwig Kirchner, Foxterrier im Klubsessel, 1905

 

 

Ich konnte kaum glauben, dass dieser kleine Holzschnitt "Foxterrier im Klubsessel" von Ernst Ludwig Kirchner ist und musste die Signatur mehrmals studieren! Kirchner hat sich mir als führender Programmatiker der Expressionisten, genauer der Künstlergemeinschaft "Brücke" eingeprägt, dessen Holzschnitte von spitzen kantigen Formen bestimmt sind. Dieses kleine druckgrafische Werk ist 1905 entstanden, als Kirchner 25 Jahre alt war und die "Brücke" gründete. Im Herbst 1911 zog er nach Berlin. Dort schneidet und malt er mit Vorliebe seine berühmt gewordenen modischen zackigen Frauen in den Straßen der Großstadt.

Kirchner zeigt auf einem modern wirkenden Sessel einen zusammengerollt liegenden Foxterrier. Ebenso wie das Bildformat ist die Sitzfläche des Klubsessels quadratisch. Er ist leicht perspektivisch in den Raum gedreht und hat ein angeschnittenes Untergestell. Wie in einen Ohrensessel kuschelt sich der weiße Vierbeiner zwischen die Armlehnen. Er scheint nicht nur müde, sondern ein bisschen verunsichert und schutzsuchend zu sein.

Der Schwarzweiß-Kontrast wird durch den Schwarzlinienschnitt und den schwarzen Umraum erzeugt. Auch der Sessel, der durch klare Linien besticht, bildet einen Gegensatz zum organisch geformten Hundekörper. Das sehen Sie natürlich selbst, aber so würde ich wohl meinen zehnjährigen Schülern erklären, wie eine interessante Komposition, ein wunderbares Kunstwerk entsteht.

Der kleine Foxterrier ruht übrigens in der Graphischen Sammlung der Kunstsammlungen Zwickau - Max-Pechstein-Museum.

Bild von hier.

 

Grafik
3. März 2025 - 11:18

Wo ist Leo, der schwarze Labrador?

 

Leo, 2023 © Kim Bohie

 

Die südkoreanische figurative Künstlerin Kim Bohie verbindet unterschiedliche koreanische sowie westliche Maltraditionen zu einem individuellen, sensiblen und zeitgenössischen  Stil.

Nachdem sie Stillleben und Menschen gemalt hatte, wurde die sie umgebende Natur ab den 1990er Jahren zum ihrem bestimmenden Thema. Anfang der 2000er Jahre richtete sie ihr Atelier auf der Insel Jeju-Do ein, die südlich der koreanischen Halbinsel liegt. Die dortige Landschaft wurde zu ihrem Hauptthema - die lokale Flora und ihr eigener Garten.

Auffallend ist, dass in ihren ruhigen und eleganten Gemälden nie Menschen zu sehen sind. Nur ihr geliebter Labrador Leo belebt die Momentaufnahmen der üppigen Plantagen mit ihrer fein gemalten Vegetation. Diese einzigartige Topografie und das subtropische Klima der Insel haben Kim Bohie Motive für verschiedene Werkserien geliefert.

 

Leo, 2023 © Kim Bohie

 

In ihren Serien geht es um die persönliche Verbindung zu einem Ort, wobei sie sich mit Ideen rund um Nähe - physisch und spirituell - auseinandersetzt. In den Pflanzenstudien vermittelt sie mit viel Feingefühl eine Ästhetik der Beobachtung, stellt sie Momente der einsamen Kontemplation dar.

 

"I have always been interested in my surroundings, and I always am full of adoration for every scene of nature I find around me. (…) My garden, especially, has become an alternative version of my own world, planting Washingtonia palms, Canary Island date palms, agave, hydrangea, rosemary and cactus, and my daily life within them becomes my paintings. The daily scenery that might be unnoticeable to others, things that other people may just pass by rather than an idealised perfect beauty of nature, is more magnetic to me."- (Kim Bohie, 2022, zit. n. hier)

 

„Ich habe mich schon immer für meine Umgebung interessiert und bin immer voller Bewunderung für jede Naturszene, die ich um mich herum finde, (...) Vorallem mein Garten ist zu einer alternativen Version meiner eigenen Welt geworden, in der ich Washingtonia-Palmen, kanarische Dattelpalmen, Agaven, Hortensien, Rosmarin und Kakteen gepflanzt habe, und mein tägliches Leben in ihnen wird zu meinen Bildern. Die alltägliche Szenerie, die für andere vielleicht unbemerkt bleibt, Dinge, an denen andere Menschen einfach vorbeigehen, sind für mich anziehender als eine idealisierte perfekte Schönheit der Natur.“ (übers. mit DeepL)

 

Leo, 2023 © Kim Bohie

Leo, 2023 © Kim Bohie

Towards (Leo), 2024 © Kim Bohie

 

Ihre Naturbegegnungen sind nicht dramatisch oder spektakulär, sondern intim und friedlich. Herzerwärmend und humorvoll ist ihre Herangehensweise in der Serie Leo, wo der schwarze Labrador glücklich und gelassen zwischen den Bäumen und Sträuchern ihres an das Atelier angeschlossenen Gartens liegt. Dabei hebt sie die verschiedenen Körperhaltungen des ruhenden Leo in den Nahansichten hervor und stellt die Natur mit dem breiten Spektrum des Grüns und der frohen Farben der Blüten in der Fernsicht dar.

 

Towards, 2022 © Kim Bohie

Towards, 2017 © Kim Bohie

Towards, 2021 © Kim Bohie

Towards, 2022 © Kim Bohie

Towards, 2022 © Kim Bohie

Towards, 20224 © Kim Bohie

 

Kim Bohie übernimmt die Komposition und Perspektive der westlichen Malerei und kombiniert sie mit östlichen Ansätzen der Lebendigkeit und Harmonie.

Vielleicht erinnern Sie die Kompositionen auch an die naiven Gemälde von Henri Rousseau. Die Ähnlichkeit ist allerdings nur oberflächlich: Rousseaus Gemälde entspringen seiner Fantasie (er fand Impulse in Büchern, dem Pariser Palmenhaus und Tiergarten) und er zeigt theatralische und manchmal gewalttätige Szenen, die er im wirklichen Leben nie erlebt hatte (Tierjagden, Kämpfe zwischen Tieren). Kim Bohie beschäftigt sich mit den heiteren und erhabenen Aspekten der natürlichen Welt, die sich vor ihrem Atelier auftun: mit einer Vielzahl tropischer Pflanzen, den nahegelegenen Promenaden, dem Himmel und dem Horizont zwischen den Palmen.

Ihre Werke können in diesem Sinne als eine zeitgenössische Wiederaufnahme des koreanischen "JinKyoung Sansu" - der "wahrheitsgetreuen Landschaftsmalerei" - gesehen werden, in der die Natur kontinuierlich beobachtet wird. Diese Malerei des 18. Jahrhunderts versuchte bestimmte klassische oder in gewissem Sinne endgültige Orte, unter Berücksichtigung der ihnen innewohnenden Merkmale, darzustellen.

 

Towards, 2022 © Kim Bohie

 

Ihre oft weitwinkligen Kompositionen widersprechen der linearen Perspektive in der Malerei, die die europäische Kunst von der Renaissance bis zu den Impressionisten dominierte. Stattdessen orientieren sie sich an der Tradition der koreanischen Paravents, bekannt als "Sansu Byeongpung" (Faltwand mit einem Landschaftsgemälde). Sie sind Modelle für eine Art des Sehens, in der die Natur nicht in einen engen Rahmen gestellt wird, sondern sich vor dem Betrachter entfaltet. Durch ihren speziellen Einsatz der Farbe und der Komposition wirken die Panoramabilder trotzdem zeitgenössisch.

Kim Bohie arbeitet auf Papier und Leinwand, wobei sie Tusche und Acryl verwendet, um eine Reihe von Effekten zu erzielen.

 

The Terrace, 2019 © Kim Bohie

 

Unten noch eine Ausstellungsansicht von 2023, Towards, Gallery Baton, Seoul

 

Ausstellungsansicht Towards, Gallery Baton, Seoul, 2023

 

Kim Bohie (*1952 in Seoul/Südkorea) lebt und arbeitet in Jeju, Korea. Sie war von 1993 bis 2017 Professorin für koreanische Malerei an der Ewha Womans University und von 2008 bis 2010 Direktorin am Ewha Womans University Museum. Heute ist sie emeritierte Professorin an der gleichen Institution. Kims Werke wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Korea und international gezeigt.

Quellen: The Modern Institute, Galerie Baton

alle Bilder © Kim Bohie

 

Malerei
24. Februar 2025 - 11:45

Bruce, 2022 © Simone Kennedy Doig

 

Was für ein wunderschönes, melancholisches Bild von Bruce! Der große Hund steht am Rand eines Swimming-Pools, eine Frau ruht in Rückenlage auf dem Wasser hinter ihm. Die Körperformen der beiden ergänzen einander. Die menschliche Figur ist in zartes Blau getaucht, nur der Kopf befindet sich über dem Wasser.

Die Künstlerin, Simone Kennedy Doig, Tochter des Künstlers Peter Doig, verbrachte die ersten acht Jahre ihres Lebens in East London, bevor sie mit ihrer Familie nach Trinidad zog. Später kehrte sie nach London zurück und schloss ihr Studium an der Slade School of Fine Art ab.

2018 kehrte sie nach Trinidad zurück. 2020 entstanden dort, in den drei Monaten nach dem Tod ihrer Mutter und als der Lockdown begonnen hatte, die Schwimmbadbilder. Da sie das Anwesen nicht verlassen konnte, erlebte sie dort gemeinsam mit ihren Geschwistern diese einzigartige und besondere Zeit der Trauer. Sie fertigte Zeichnungen und Malereien ihrer Familie rund um das Haus und den Pool an. Dieser wurde zu einem Symbol für die Leere, die Abwesenheit der Mutter.

Vielleicht spürt man den Schmerz über das Sterben der Mutter auch in "Bruce", versinnbildlicht die Figur mit ihrer kalten bläulichen Hautfarbe den Tod und die Vergänglichkeit. Die formale Stilisierung erinnert mich entfernt an Gemälde des Jugendstils, der auch eine Vorliebe für Wasser als Imaginationsraum, Sehnsuchtsort und Todesschlund hatte.

 

Bruce, Detail, 2022 © Simone Kennedy Doig

Indigo House, 2020 © Simone Kennedy Doig

 

Wie groß die Swimmingpool-Bilder sind, sieht man an der Ausstellungsansicht der Galerie Baert zu "Waist Deep" von 2022.

 

Ausstellungsansicht Galerie Tanya Leighton, The Visitor, 2023

Bruce © artrabbit
... und hier ist Bruce! Foto von artrabbit

 

"Under the Golden Arches (City Road)" von 2018 zeigt ein typisches Bild von Simone Kennedy Doig: detailreiche, narrative Straßenansichten aus East London, wo viele Einwanderer aus Trinidad leben. Auch eine Spaziergängerin mit Hund ist dabei. Die Künstlerin verwendet gesättigte Farben und stellt ihre Figuren vereinfacht und skulptural dar. Auf den ersten Blick erkennen wir ein Durcheinander an fast lebensgroßen Figuren, die ins Bild treten oder frontal herausschauen. Auf den zweiten Blick wie wichtig der Künstlerin Augen und Blickrichtungen sind.

 

Under the Golden Arches (City Road), 2018 © Simone Kennedy Doig

 

Als permanent Reisende zwischen Trinidad und London verarbeitet Simone Kennedy Doig ihr Leben in Form einer tagebuchartigen künstlerischen Zusammenschau. Ausgangspunkt bilden Handy-Schnappschüsse, mit denen sie ihre Eindrücke und Beobachtungen festhält.

 

© Simone Kennedy Doig

 

Quellen: Galerie Tanya Leighton, Galerie Baert

alle Bilder © Simone Kennedy Doig

 

Malerei
17. Februar 2025 - 11:55

1925 prägte der junge Mannheimer Kunsthallen-Direktor Gustav F. Hartlaub mit seiner legendären Ausstellung den Begriff "Neue Sachlichkeit" und bezeichnete damit den kulturellen Aufbruch in Kunst, Architektur und Literatur, der als Reaktion auf die großen politischen und sozialen Umwälzungen der 1920er Jahre gelten kann. Zurzeit findet in Mannheim die Ausstellung "Die Neue Sachlichkeit - ein Jahrhundertjubiläum" statt, die Hartlaubs Leistung würdigt, aber auch um das Schaffen von Künstlerinnen ergänzt.

Dass in der Neuen Sachlichkeit auch Hunde immer wieder Thema waren, habe ich schon am Beispiel des Österreichers  Franz Sedlaczek gezeigt. Doch auch die deutschen Maler zeigten das Alltags- und Familienleben mit Hund. Den "Beweis" dafür lieferte mir Sofie Morin, die mich auf die Mannheimer Ausstellung aufmerksam machte und mir zwei Bilder von Fred Goldberg und Carlo Mense schickte.

Vor über 100 Jahren unterschied  Gustav F. Hartlaub zwei Flügel der Neuen Sachlichkeit: eine konservative, "rechte", an Renaissance, Klassizismus und den Nazarenern orientierte Malerei, und eine  "linke", veristisch-sozialkritische Richtung, als deren Hauptvertreter George Grosz und Otto Dix gelten. Sowohl Fred Goldberg als auch Carlo Mense zählen zu den Klassizisten.

Zu Fred Goldberg habe ich sehr wenig Information gefunden. Er wurde  1889  in  Berlin geboren und lebte dort als autodidaktischer Maler  und Graphiker. Als jüdischer Künstler flüchtete er vor den Nazis nach Shanghai und emigrierte nach dem 2. Weltkrieg in die USA, nach San Francisco. Er starb 1973.

 

Sonntagnachmittag, 1930 © Fred Goldberg

 

Sein Gemälde "Sonntagnachmittag" von 1930 zeigt ein nüchternes Spießer-Idyll, bei dem sich der messerscharfe Realismus der Darstellung bis ins kleinste Detail erstreckt: Die im Vordergrund angeschnittene Zeitung gab es wirklich; es ist die im Deutschen Verlag, Berlin, erschienene "Sonntagszeitung für Stadt und Land" mit dem Titel "Die Grüne Post", deren Ausgabe Nr. 25 tatsächlich den röhrenden Hirsch auf dem Titelblatt zeigte. Auch die Ausgehkleidung des älteren Ehepaars (Eheringe) ist mit abnehmbarem Stehkragen, Melone, Stockschirm, Damenhut und Kombineige gut getroffen. Die Frau liest, Mann und Hund schauen in die Ferne. Der Hund scheint angespannt und zum Sprung bereit. Angeordnet ist die Szene in Dreiecks- bzw. pyramidaler Komposition.

 

Familienbild, 1925 © Carlo Mense

 

Nach Jahren der bildnerischen Experimente und formaler Innovationen wendet sich Carol Mense in den zwanziger Jahren der Gegenständlichkeit zu. Bei seinem "Familienbild" von 1925 ist der Anklang an die Renaissance mit ihren Mariendarstellungen in Dreieckskomposition auffällig. Auch die Kleidung ist zeitlos und madonnenhaft. Formal setzt er auf fast schablonenhafte Vereinfachung. Die Dargestellten sind durch maskenhafte Stilisierung und emotionale Erstarrung gekennzeichnet. In dieser Familie ist jegliche Beziehung verloren gegangen -  alle vier haben eine unterschiedliche Blickrichtung. Die aufziehende Dunkelheit korrespondiert mit der Verlorenheit der Figuren.

Unten sehen sie ein Foto von Carlo Mense mit seinem Hund von 1928. Gut möglich, dass der jüngere Hund Modell für das Familienbild stand. Das Foto stammt von hier.

 

Carlo Mense mit Hund, 1928

 

Carlo Mense (*1886 in Rheine/D - †1965 in Königswinter) studierte von 1906 bis 1908 an der Kunstakademie Düsseldorf und schloss 1910 nach Studienaufenthalten in Berlin, Weimar und München seine Ausbildung ab. Ab 1912 begann eine rege Ausstellungstätigkeit, ab 1914 war er Soldat im Ersten Weltkrieg. 1920 zog er nach München, hielt sich aber oft in Italien auf. Von 1925 bis 1932 wirkte Carlo Mense als Professor an der Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau und leitete bis zur Schließung der Akademie mehrere Fachklassen.

Im Nationalsozialismus war er zunächst weiterhin erfolgreich tätig, galt aber ab 1937 als "entartet" und zahlreiche seiner Gemälde wurden aus öffentlichen Sammlungen entfernt und vernichtet. Als Soldat aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt, musste Mense 1944 aus dem Nichts eine neue Existenz aufbauen, da sein Kölner Atelier vollständig zerstört worden war. Er zog sich nach Bad Honnef am Rhein zurück, wo er ein eher durchschnittliches Spätwerk schuf.

Die Ausstellung "Die Neue Sachlichkeit" ist noch bis zum 9. März 2025 in der Kunsthalle Mannheim zu sehen.

 

Ausstellung, Malerei