19. Oktober 2020 - 13:25

Ein Hund von vorne, darüber zwei Hände, beide wie freigestellte Objekte umgeben von einer unbestimmten monochromen schwarzen Fläche, dazu ein kryptischer Titel.

 

Mysterious Pair of Hands Hypnotiz a Dog, 2020 © Drago Persic
Mysterious Pair of Hands hypnotize a Dog, 2020, Öl auf Leinwand *
*Ich habe den Bildtitel analog zum "Katzenbild" unten gewählt,
da ich den Bildtitel im Internet nicht finden konnte

 

Drago Persic findet seine Motive entweder auf Fotos - found footage - oder er inszeniert und arrangiert Objekte und fotografiert sie. Dabei überlässt er nichts dem Zufall, sondern legt Lichtverhältnisse, Perspektive, Gruppierung etc. penibel fest.

Der ausgewählte Bildausschnitt bzw. die collageartig zusammengesetzte ausgeklügelte Komposition wird anschließend in eine vom Kontext völlig losgelöste Schwärze getaucht. Die Objekte werden isoliert, sodass nichts auf ihre ehemalige Funktion oder Geschichte hinweist.

Der Hund ist also weder Metapher (er steht nicht für z.B. menschliche Verhaltensweisen) noch ist er Hund im inhaltlichen Sinn, dass er uns in Zusammenhang mit den Händen etwas über sich selbst erzählte. Er ist nur als Form gegenwärtig. Des Kontextes beraubt, steht der Hund für die Darstellung der Stofflichkeit und natürlich für die handwerkliche Meisterschaft, Virtuosität und Präzision des Künstlers.

In absoluter Perfektion inszeniert und gestochen scharf hyperrealistisch gemalt, wirken seine Bilder sehr plastisch und haptisch.  Dabei arbeitet Drago Persic konsequent mit den Nichtfarben Schwarz und Weiß und den unzähligen feinsten Abstufungen, Verläufen, Schattierungen dazwischen.

Drago Persic beschreibt schon 2011 in einem Interview, dass Schwarz als eine unbunte Farbe nur durch den Absorptionsgrad gekennzeichnet werde und dass sich durch die Aufhellung mit weißen Pigmenten unterschiedliche warme und kalte Graunuancen - von violetten bis braunen Farbtönen - ergeben und es immer zu Überraschungen komme. (vgl. hier)

Und an anderer Stelle des Interviews:

Die Monochromie fasziniert mich. Das Schwarz und die Tiefe sind ein Nicht-Wissen und Nicht-Verstehen. Der Umgang mit den schwarzen Pigmenten ist so einzigartig diffizil. (…) Zugleich vereinfacht mir diese minimale Palette, allein durch den Fokus auf den Schatten, die Suche nach der Form.

 

Da Drago sehr am Film interessiert ist, wird seine höchst präzise ausgeführte Grisaillemalerei, sein extremes Hell und Dunkel, sein Licht und Schatten auch mit der düsteren Ästhetik des Film noir in Zusammenhang gebracht, dessen Wurzeln im deutschen expressionistischen Stummfilm der 1920er Jahre liegen. Obwohl er in seinen Werken keine Geschichten erzählen will, erzeugen die einzelnen Bildelemente im Zusammenspiel mit der dunklen Farbpalette und der rätselhaften Titelgebung bedrohliche und untergründige Assoziationsfelder bei den BetrachterInnen. Sie befördern die Narration, die sich wie bei einem Film-Still in einem konkreten Zeitpunkt verdichtet.

 

Mysterious Pair of Hands Hypnotiz a Siamese Cat, 2020 © Drago Persic
Mysterious Pair of Hands hypnotize a Siamese Cat, 2020, Öl auf Leinwand, 40 x 30 cm

 

Drago Persic (*1981 in Banja Luka/Bosnien und Herzegowina), wuchs in Vorarlberg auf und studierte von 2002 - 2007 Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Er lebt und arbeitet in Wien.

Noch bis zum 14. November 2020  ist seine Ausstellung "Mysterious Pair of Hands Hypnotize a Siamese Cat & Crashes" in der Galerie.Z in Hard zu sehen.

Beide Bilder © Drago Persic
 

Malerei
16. Oktober 2020 - 16:51

Frage: "Was ist eine Blondine in der Küche?" Antwort: "Artgerechte Haltung". Wahrscheinlich kannten Sie diesen frauenfeindlichen Witz bereits. Da ich mir jeden Unsinn merke, habe ich mich beim Betrachten von Katarina Janeckova Walshes Acrylbild "Dishwashing in Texas III" daran erinnert. Ihre Malerei scheint wie ein bildnerischer Kommentar dazu zu sein.

 

Dishwashing in Texas III, 2019 © Katarina Janeckova Walshe

 

In einem Interview wurde die slowakische Künstlerin gefragt, wie sie die Quarantäne der ersten Corona-Welle erlebt hat, die sie in Puerto Rico bei ihrem Mann verbrachte.

Schon vor der Zeit der Isolation hatte sie mehr Zeit zu Hause verbracht, da sie Mutter geworden war. Sie interessierte sich dafür, wie Menschen, speziell Paare, den Haushalt führen, welche Verabredungen sie treffen, mit welchen Stereotypen sie umgehen, ja was das Geheimnis eines glücklichen Haushalts sein könnte. Die Isolation veränderte die Beziehungsdynamik positiv, sodass sie schließlich ihren Mann beim Abwaschen malen konnte anstatt sich selbst.

Dieses Beispiel zeigt, wie sehr ihr bildnerisches Werk an ihr Erleben angebunden ist. Janeckova Walshe erkundet ihre Beziehungen zu sich selbst und ihren mutmaßlichen PartnerInnen; zugleich laden ihre Bilder mit ihrer Symbolik die BetrachterInnen ein, Verbindungen zu ihrer eigenen Sexualität, Identität und Geschichte zu ziehen.

Katarina Janeckova Walshe malt Frauen in typisch weiblichen Räumen wie Küchen und Schlafzimmern sowie auf Balkonen; sie sind nackt, attraktiv und stark. Sie malt ihren/deren Alltag, wobei sie Frauendarstellungen in realen Umgebungen und Situationen mit psychologisch aufgeladener Fantasie zu provokanten Settings vermischt.

Das obere Bild mit Hund ist eher eine Ausnahme, malt Janeckova Walshe doch meistens Bären in ihre Bilder, die das Männliche repräsentieren (dazu hier). Die Hunde, die bei so manchem, auch sexuellem, Spektakel zugegen sind, beruhigen die Bilder und Situationen durch ihre bloße Anwesenheit.

 

Playful adults during the lunchbreak, 2020 © Katarina Janeckova Walshe

 

Ein anderer Aspekt ihrer Arbeit ist es, die Unterschiede zwischen Europa und den USA, Texas und New York, der Grenze von Texas und Mexiko zu beobachten und zu versuchen, sie miteinander zu versöhnen - wenn auch mit der nötigen Ironie.

The recent works are mostly stories based on my experiences of the life close to the border, fantasies and facts about why do Texans still wear cowboy boots and hats, why do they hunt and fish, how much it takes for me to be a part of it or if a Texan cowboy can ever find an understanding in the friendship with a New York graphic designer :-) (zit.von hier, 2017)

Der Cowboyhut der Texaner ist zumindest in diesem Bild abgenommen und hängt auf dem Garderobeständer, die Cowboystiefel darunter. Der Hund schmiegt sich an den Bären, von ihm geht keine Gefahr aus.

 

Harmless Obsessions, 2020 © Katarina Janeckova Walshe

 

Katarina Janeckova Walshe (*1988, Bratislava/Slowakei) lebt derzeit in Corpus Christi/Texas und New York City (USA). Janeckova Walshe, die 2013 ihr Studium an der Kunstakademie Bratislava abschloss, stellt seit 2010 aus.

Vom 27. November 2020 bis zum 30. Jänner 2021 ist Katarina Janeckova Walshes Ausstellung "Secrets of a Happy Household" in der Berliner Galerie Dittrich & Schlechtriem zu sehen.

alle Bilder © Katarina Janeckova Walshe

 

Malerei
7. Oktober 2020 - 17:29

aus der Serie

 

Hat der kleine Chihuahua etwas gehört oder gerochen, das ihn in der Nacht aufstehen ließ, um in die Dunkelheit zu sehen? Fest steht er da und mutig blickt er ins Ungewisse.

 

aus der Serie Nachts kommen die Füchse, Öl auf Leinwand, 30 x 20 cm, 2018 © C

 

Vielleicht hat er sich weiter vorgewagt, bis zum Vorhang, die Ohren auf Empfang gestellt. Große Augen machen auch die seltsamen Köpfe der grotesken Wandmalerei, die das Interieur aus dem Gewöhnlichen, Vertrauten herausheben, es mit Rätselhaftigkeit erfüllen. Sieht er vielleicht auf die blaue Couch, auf der sein Mensch liegt? Setzt er sich wachend, bewachend und beobachtend dazu?

(…) Wie ein Schatten wandert er durch den Bildraum, wandelt ganz selbstverständlich durch private Räume. Ein kleiner Schoßhund und doch scheint der Betrachter nie so ganz zu wissen, was er im Schilde führt,

schreibt die Künstlerin über den kleinen Hund.

 

aus der Serie

 

Hier hat er sich zusammengerollt, die Augen fragend offen. Findet er keinen Schlaf in der blauen Stunde? Ist er unruhig, überkommt ihn gar die Melancholie ob seiner Grundeinsamkeit? Weder Pfotenbett noch Knochendecke können ihm Geborgenheit geben, Unbeschwertheit und Spiel gehören wie der angeschnittene Fußball der Sphäre des Tages an.

 

aus der Serie Nachts kommen die Füchse, Öl auf Leinwand, 30 x 20 cm, 2018 © C

 

Ich zeige Ihnen nur die Bilder mit Hund, die in Caroline Salfingers Serie "Nachts kommen die Füchse" immer wieder als Motiv auftauchen. Ich habe zu den Bildern eine kleine Geschichte assoziiert. Mit ihrer Serie, die einer Erzählung des niederländischen Autors Cees Nooteboom entlehnt ist, zeigt die Künstlerin allerdings eine bildnerische Narration, die eine Welt erschafft, in der sich Episoden, Ereignisse und Beobachtungen lose aneinanderreihen.

Damit der durch die Nacht des Bewusstseins irrende Geist nicht den Füchsen anheimfällt, passt der Hund in seiner mythologischen Rolle als Grenzgänger und Wächter auf. Er vermittelt zwischen den Welten und führt einen durch die Dunkelheit, sodass man sich nicht in ihr verliert und den eigenen Füchsen ausliefert. Dennoch wird sich nur derjenige, der seinen Hund gut behandelt, auch seine animalischen Bedürfnisse respektiert und ihn nicht mit brutaler Härte zu formen versucht, auf ihn verlassen können.

Lesen Sie hier Caroline Salfingers vollständigen Text zu "Nachts kommen die Füchse".

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aus der Serie Nachts kommen die Füchse, Öl auf Leinwand, 120 x 80 cm, 2018 ©

 

In "Follow me" verflicht die Künstlerin die Thematiken des Kontrollverlusts, der Bewusstseinserweiterung, der ins Unterbewusstsein verdrängten wüsten, animalischen Seite der menschlichen Psyche und des Todes mit Elementen der mesoamerikanischen Mythologie. Sie bezieht sich dabei auf die Arbeit "Untilled" des niederländischen Künstlers Pierre Huyghe, die er 2012 bei der dOCUMENTA (13) gezeigt hat.

Huyghe installierte in der Kasseler Karlsaue eine Anordnung pflanzlicher, mineralischer, tierischer und menschlicher Elemente. Inmitten einer üppigen Flora aus psychoaktiven Pflanzen stapelten sich auf dem schlammigen Boden Betonplatten und andere Baustoffe. Auch eine Betonskulptur fand sich auf dem von zwei Hunden durchstreiften Gelände.

Vielleicht können sie sich an Fotos des weißen Podencos mit dem rechten rosa Vorderbein erinnern, wahrscheinlich eines der meist fotografierten Motive dieser dOCUMENTA.

 

Follow me, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm, 2017

 

Durch den Konsum psychoaktiver Pflanzen wie der Salbeiart Salvia Divinorum oder dem Peyote-Kaktus glaubten die Azteken mit der Götterwelt in Verbindung treten zu können und auf der langen Reise durch die Unterwelt wurde man ihrer Vorstellung nach von einem Hund geführt. (…) Erst mit einem Hund an seiner Seite kam man in der Unterwelt weiter – nur wer dem Instinktiven vertraut, sich vom Animalischen leiten lässt, gelangt in die unteren Schichten des Bewusstseins. Dem Hund zu folgen und damit die Kontrolle abzugeben, hieße sich auf Verdrängtes einzulassen und nur wer sich diesem stellt, kann zur Ruhe kommen. (Caroline Salfinger hier)

 

In Salfingers Paraphrase wird aus dem Podenco ein Chihuahua. Das gefällt mir ganz besonders gut, dass dieser kleine unterschätzte Hund, der aber alle Wesensmerkmale seiner großen Artgenossen hat, zum Führer durch die Unterwelt wird. Wir müssen ihm nur folgen und vertrauen, wir müssen uns ihm nur anvertrauen, wenn wir sein Terrain betreten.

Auch zu diesem Werk können Sie das vollständige Konzept hier nachlesen.

 

© Caroline Salfinger

 

Caroline Salfinger (*1991 in Grieskirchen/Österreich) studierte zwischen 2010 und 2018 Bildende Kunst, Malerei und Grafik sowie Angewandte Kultur- und Kunstwissenschaften an der Kunstuniversität Linz. Sie lebt und arbeitet in Oberösterreich.

alle Bilder © Caroline Salfinger

 

Malerei, Zeichnung
6. Juli 2020 - 12:02

Karl Weschke, Feeding Dog, 1976-77 © The Estate of Karl Weschke

 

Ein Hund steht hinter einem Stück Fleisch, als würde er es bewachen. Es ist Dankoff, der Borsoi des Künstlers Karl Weschke, der in den 1960er und 1970er Jahren eine Reihe von Gemälden mit Pferden oder Hunden malte. Der Künstler selbst hat das Bild als "ein Hund in einer bestimmten Landschaft unter bestimmten Umständen" ('a dog in a particular landscape in a given circumstance' ) beschrieben. Der Hund hat eine symbolische Rolle für ihn übernommen und starke Erinnerungen an bestimmte Ereignisse in seiner Kindheit hervorgerufen. Er symbolisiert einen Kampf ums Überleben, wobei die karge Landschaft ein Gefühl der Abwehr und Isolation verstärkt.

Dankoff steht auf der Klippe beim Haus des Künstlers in Cape Cornwall, einem Ort, der in Weschkes Werk immer wieder auftaucht, z.B.in Feeding Dog von 1976-77.

 

Karl Weschke, Portrait of a Dog, 1975-78 © © The Estate of Karl Weschke 
 

1960 zog der gebürtige Deutsche, der nach der Kriegsgefangenschaft in Großbritannien blieb, in dieses kleine abgelegene Haus. Die umgebende Landschaft war rau und abweisend, öde Moore auf der einen Seite und die Weite des Atlantiks auf der anderen. Der Blick aus seinem Atelier schweifte über den trostlosen Landstrich mit seinen Farnkraut- oder Ginsterkulturen und über den Atlantik. Weschke liebte und respektierte das Meer, sowohl als Taucher als auch als Künstler, und malte es in vielen Stimmungen.

Hier fand Weschke die Nähe zur Natur, die seine Arbeit zweifellos beeinflusst hat. Die selbst auferlegte Isolation von Cape Cornwall hat auch Weschkes Selbstidentifikation als künstlerischen Außenseiter und als Exilanten verstärkt.

Auch oben wird Dankoff gänzlich ohne Sentimentalität gemalt, die Darstellung des Borsoi ist das Ergebnis von Weschkes genauer Beobachtung des Hundes.

Weschkes Landschaften sind trostlose, elementare Orte: bedrohlich oder Angst einflößend, Lebewesen erscheinen marginalisiert und isoliert. Die einsame Präsenz von Figur, Tier oder Baum ist das wiederkehrende Motiv in seinem Werk und suggeriert eine Affinität zum Existenzialismus. Seine Landschaften, das Alltägliche und Mythische artikulieren große einfache Wahrheiten. Individuelles Erleben übersetzt er in Bilder von universeller Bedeutung.

 

Karl Weschke, Dog Dankoff, 1969 © Jonathan Clark & Co
 

Für einen Großteil seines Lebens dominieren Erdfarben seine Malereien, erst seine Reisen nach Ägypten in den 1990er Jahren befreiten Weschkes Sinn für Farbe. Auch Dankoff fügt sich farblich in die hügelige Umgebung ein, die ihn fast zu erdrücken scheint. Der schlanke Borsoi ist monumental, voluminös und mit expressiven Pinselstrichen gemalt.

Karl Weschke (*1925 in Taubenpreskeln/D, gest. 2005 in Cornwall/GB) hat ein bewegendes und bemerkenswertes Leben geführt.

Er wächst in zerrütteten Familienverhältnissen auf, lebt als Straßenkind, wird in die Hitlerjugend aufgenommen und tritt in die Luftwaffe ein. 1945-48 verbringt er in britischer Kriegsgefangenschaft. Er beginnt zu malen und Skulpturen herzustellen. 1949 war er ein Semester lang Kunststudent in St. Martin und beschloss dann, seinen eigenen autodidaktischen Weg zu gehen. Danach lebt er kurz in Spanien und Schweden, bevor er sich 1955 in der Grafschaft Cornwall niederlässt, zuerst in Zennor, ab 1960 in Cape Cornwall. Ab 1958 stellt er in Einzel- und Gruppenausstellungen aus. 1998 erscheint die erste Monographie über sein Werk. Ein Jahr vor seinem Tod findet in seiner Wahlheimat in der Tate St. Ives eine Retrospektive statt und eine breitere Öffentlichkeit wird auf sein Werk aufmerksam. In Deutschland ist er bis heute kaum bekannt.

 

Karl Weschke, Woman and Dog, 1971 ©  © Belgrave St Ives

Karl Weschke, Portrait of Dog Dankoff, c 1975 © Jonathan Clark & Co

 

Im Anschluss noch Links zu ausführlichen und lesenswerten Beschreibungen von Weschkes Leben und Werk:

Independent, The Telegraph, Ben Tufnell, Der Spiegel, johnathan clark fine art

 

Malerei, Zeichnung
25. Juni 2020 - 16:59

Im letzten Blogbeitrag hat Gigi Mills als eine wesentliche Inspirationsquelle Milton Avery genannt. Doch wer war Milton Avery? Vielleicht konnten Sie auch nichts mit diesem Namen anfangen, deswegen reiche ich eine ganz kurze Beschreibung seines umfangreichen Werks - natürlich anhand seiner wenigen Hundebilder - nach.

Der amerikanische Maler Milton Clarke Avery (1885-1965) war ein Virtuose in der malerischen Verwendung der Farbe, er konzentrierte sich auf die Beziehung zwischen den Farben, die ihm wichtiger war als Tiefenwirkung. Darin und in der Betonung der Flächigkeit stimmt sein Frühwerk mit den Expressionisten und den Fauves überein. Aufgrund seiner farbenfroher Landschaftsbilder wird Avery auch gerne als amerikanischer Matisse bezeichnet.

 

Milton Avery, Seated Woman With Dog, 1936

Milton Avery, Three Figures and a Dog

 

Sein reifer Stil ab den 1930er Jahren wird von Klarheit, Einfachheit und Sparsamkeit bestimmt, die Bilder sind aus einigen wenigen flächigen Bereichen in subtiler Farbigkeit komponiert. Obwohl sein Werk eindeutig gegenständlich ist - er braucht ein minimales Element der Darstellung - ist Averys Werk ist bahnbrechend für die amerikanische abstrakte Malerei. Oben und unten sehen Sie das gleiche Sujet - drei Menschen mit einem Hund - gleichzeitig sehen Sie, wie er dieses ohnehin schon sehr reduzierte Motiv weiter abstrahiert hat.

 

Milton Avery, Three Figures and a Dog, 1943

 

Avery war ein großer Künstler der kleinen Themen und Motive: Sein Wohnzimmer, der Central Park, Strände und Berge, seine Frau Sally, seine Tochter March, seine Freunde und natürlich Hunde. Seine Welt war häuslich und rural, frei von Stadt, Technologie, Arbeit und Tod. Sie war undramatisch, poetisch, idyllisch, von Harmonie und leiser Emotion durchzogen.

Unten treffen wir den kleinen Hund der ersten Bilder wieder, vielleicht liegt er sogar auf demselben grünen Sofa.

 

Milton Avery, The Green Settee, 1943

Milton Avery, Girl and Dog, 1942-43 © Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Smi

Malerei
22. Juni 2020 - 15:30

Yellow Hat, Dog, Mule and Clown © Gigi Mills

 

Mensch und Pferd lassen den Kopf hängen, auch der Hund mit seinem kecken Hütchen kann die Melancholie der Szene nicht mildern.

Von jedem unnötigen Ballast und Detail befreit und auf das absolut Wesentliche reduziert, stehen Mensch und Tier mit all ihrer Anmut oder Unbeholfenheit dem Betrachter gegenüber und konfrontieren ihn mit einer existenziellen Einsamkeit. Gigi Mills Arbeiten spiegeln eine emotionale Komplexität wider und bestechen gleichzeitig durch ihre außerordentlicher Schönheit.

 

Walking to the Sea © Gigi Mills

Bird Dog and Fisching Pole © Gigi Mills

Calling The Hounds/ Red Sweater © Gigi Mills

Following the Wind © Gigi Mills

 

Auf den ersten Blick wirken ihre Arbeiten durch die großen, zumeist in gedämpften Farben gehaltenen Flächen ohne Tiefenwirkung. Die Landschaften sind oft nur durch einen Horizont bestimmt. Die Innenansichten werden durch ein karges Raumgerüst bestimmt, sie erinnern an Bühnenbilder oder perspektivlose imaginäre Räume, in denen die Interieurs auffallend zur Schau gestellt werden und die Figuren - wie Silhouetten - anonym bleiben.

Gigi Mills wuchs in einer Zirkusfamilie auf und studierte als Erwachsene Theater und Tanz. Erst später kam sie als Autodidaktin zur bildenden Kunst. Sie ist von Malern des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, zum Beispiel Matisse, beeinflusst und zitiert Milton Avery als eine wichtige Inspirationsquelle.

 

Still Life with Blue Avocado © Gigi Mills

Studio Dog with Girl and Chair © Gigi Mills

The Cook and The Bird Dog © Gigi Mills

The Music Room with Studio Chair and Terrier © Gigi Mills

Girl at the Piano © Gigi Mills

The Designer's Dog © Gigi Mills

 

Sie perfektioniert die Reduktion der Formen auf eine vereinfachte Eleganz, auf ihre Essenz. Der flüchtige Moment des Alltäglichen, Gewöhnlichen, hier das Wäscheaufhängen in Begleitung des Hundes, wird aus der schnelllebigen Existenz herausgelöst und festgehalten, er wird sowohl intensiv persönlich als auch zeitlos.

 

Laundry With a Long-Legged Dog © Gigi Mills

Green Sea and Girl © Gigi Mills

Walking the Track/ The Barn Dog © Gigi Mills

 

Manchmal kratzt Gigi Mills an der Oberfläche der Ölfarbe, um ein wenig von der Geschichte eines Werkes zu enthüllen. Gut zu sehen beim Halsband und den Zitzen des Hundes.

 

Walking the Track/ The Barn Dog (Detail) © Gigi Mills

The Dog who wore a Bell © Gigi Mills

Brown Feild © Gigi Mills

 

Gigi Mills (*Ohio/USA) lebt in Santa Fe/New Mexico/USA und wird von den Galerien GF Contemporary and Gallery Orange vertreten.

 

alle Bilder © Gigi Mills

Malerei
12. Juni 2020 - 10:40

© Lola Dupre

 

Zehn Augen und zehn Ohren, die wie ein Kamm abstehen und aus dem "Hund" sowohl etwas Surreales als auch Prähistorisches machen! Lange Nasen, verdreifachte Vorder- und Hinterbeine, in Dreiecke eingeschriebene Körper: In ihren von der Ästhetik der Collagekunst des Dadaismus und Surrealismus beeinflussten Collagen erweitert Lola Dupre die konventionelle Sichtweise auf Mensch, Tier und Architektur, streckt und verbiegt sie fast alles, was ihr unterkommt. Hier im Blog stelle ich nur ihre traumhaften, eleganten, humorvollen und grotesken Hundeverzerrungen vor.

Wenn es schön ist, jemandem in die Augen zu sehen, ist es dann nicht noch viel schöner ihm in fünf Augenpaare zu sehen? Steckt nicht auch Schönheit im Außergewöhnlichen oder Exzentrischen? Lola Dupres Arbeiten stellen etablierte Normen und Schönheitsideale infrage und spielen mit Anziehung und Abstoßung. Sie will Reaktionen provozieren, egal ab Amüsement oder Schrecken, und einen Dialog anstoßen.

Hier sehen Sie, wie "Ben" erschaffen wurde: mit Hilfe von Papier, Schere und Klebstoff.

 

© Lola Dupre

 

Obwohl das Werk auf den ersten Blick digital manipuliert zu sein scheint, ist Dupres Ausschneiden und Einfügen analog, setzt sie Tausende von Papierschnipseln zusammen, um neuen Wesen Leben einzuhauchen, um aus etwas Vertrautem etwas Subversives zu machen.

Lola Dupre verwendet bis zu 20 Drucke desselben Bildes als Ausgangsmaterial, zerschneidet und klebt die unzähligen Papierschnipsel neu zusammen, wobei sie Gliedmaßen vervielfacht oder Torsi und Gesichter zu unnatürlichen Proportionen verlängert. Ihre Methode ist die der Wiederholung, Überlagerung, Verdoppelung und Vervielfachung.

Manchmal hat die Künstlerin eine genaue Vorstellung davon, wie die Collage aussehen soll, dann verfolgt sie akribisch ihren Plan; manchmal spielt sie mit den Ausschnitten herum und lässt die Arbeit sich quasi selbst aufbauen. Bis zu zwei Monate Arbeitszeit nehmen ihre aufwändigsten Collagen in Anspruch.

 

© Lola Dupre

© Lola Dupre

© Lola Dupre

 

Neue dreieckige Konturen und Formen ersetzen die übliche Darstellung des Körpers und unterlaufen auf eine humorvolle Art und Weise unsere traditionelle Wahrnehmung.
 

© Lola Dupre

© Lola Dupre

© Lola Dupre

© Lola Dupre

© Lola Dupre

© Lola Dupre

 

Sie bricht auch eine Lanze für das Individuelle, Fehlerhafte, Schrullige. Acht Beine mögen ungewöhnlich sein, aber haben wir nicht alle Macken und körperliche Unzulänglichkeiten?

 

© Lola Dupre

© Lola Dupre

© Lola Dupre

© Lola Dupre

© Lola Dupre

 

alle Bilder © Lola Dupre

 

Collage
21. Februar 2020 - 13:50

Hier sehen Sie Blossfeldts Hund.

 

Blossfeldt's Dog © Alice Wellinger

 

Doch wer war Blossfeldt? Laut Wikipedia war Karl Blossfeldt (1865-1932) ein deutscher Fotograf, der besonders durch streng-formale Pflanzenfotografien bekannt wurde. Er gilt fotokünstlerisch als Vertreter der Neuen Sachlichkeit.

Er sah seine Fotografien aber nicht als eigenständige künstlerische Leistung an, sondern als Vorlage und Unterrichtsmaterial für den Zeichenunterricht.

 

Karl Blossfeldt, Acanthus mollis, 1928

Karl Blossfeldt, Cucurbita, 1928

 

Die österreichische Illustratorin und Künstlerin Alice Wellinger verwendet seine Fotografien als Impuls für ihr Bild "Blossfeldt's Dog".

 

Blossfeldt's Dog © Alice Wellinger

 

Es  zeigt einen kubistisch zerlegten Hintergrund, aus dem Pflanzen im Stil von Karl Blossfeldt wachsen. Im Hintergrund strahlt die Morgenröte. Der Windhund verharrt verzweifelt in dieser zur Monumentalität aufgeblasenen und psychedelisch anmutenden Pflanzenwelt. Die Natur kommt hier sehr unnatürlich, fremd und verunsichernd daher. Schauen Sie nur das Auge des Hundes an! "Wo bin ich nur hineingeraten?", scheint er zu denken. Gut gewählt ist die sensible Rasse des Windhunds; kaum vorzustellen, dass sich ein Bernhardiner von dieser wundersamen Umgebung irritieren ließe.

Karl Blossfeldt wollte mit seinen "Pflanzenurkunden", wie er im Vorwort zu seinem Buch "Wundergarten der Natur" schreibt, dazu beitragen, die Verbindung mit der Natur wiederherzustellen. Diese Absicht konterkariert Alice Wellinger. Mir gefällt dieses Bild ganz besonders, weil es nur durch die Vergrößerung der Pflanzen und durch deren überbordende Ornamentik eine wunderbar bizarre und surreale Komponente bekommt.

Auf ihrer Instagram-Seite finden sich unzählige Arbeiten, wobei sie ihre kommerziellen Illustrationen nicht von ihren persönlichen Projekten trennt. Es finden sich viele verfremdete Gesichter, Körper, Körperteile, Pflanzen, Anklänge an Magritte, Kahlo, Rousseau, literarische und künstlerische Querverweise. Die narrativen, figurativen Arbeiten sind hintersinnig, ironisch, surreal, nüchtern oder poetisch und lassen breiten Raum für Assoziation und Interpretation.

Inspiriert wird die Künstlerin vom Alltag, von Kindheitserinnerungen, vergangenen Erfahrungen und Albträumen. Sie ist eine genaue Beobachterin von menschlichem und tierischem Verhalten, von Gefühlen und emotionalen Kämpfen, die sie in kleine Geschichten verpackt. Sie mag es, wenn die Leute etwas zum Nachdenken haben.

Alice Wellinger (*1962 in Lustenau/Österreich) war lange als Grafikdesignerin für Werbeagenturen tätig, bevor sie begann Kinderbücher zu schreiben und zu illustrieren. Heute arbeitet sie vor allem als freie Illustratorin für den Editorial-Bereich von Magazinen und an freien künstlerischen Projekten in unterschiedlichen Techniken (vor allem Acryl, aber auch Collagen und Buntstift auf schwarzem Tonpapier). Alice Wellingers Arbeiten wurden mehrfach international ausgezeichnet, ausgestellt und in Annuals publiziert.

Die Fotos von Karl Blossfeldt stammen von commons.wikimedia

Blossfeldt's Dog © Alice Wellinger

 

Fotografie, Grafik, Malerei
15. Februar 2020 - 15:06

Wie ein tollpatschiger Welpe mit noch überdimensionierten Beinen und Pfoten schaut mich der orange-rosa-beigefarbene Hund fragend und ein bisschen traurig an.

 

aus der Serie Old Baggy Root, 2018/19 © Megan Rooney

 

Doch je länger ich in das Gesicht mit den ausdrucksstarken Augen sehe, desto zweifelnder und verzweifelter wird sein wässriger Blick.

Der Hund unten sieht aus als käme er gerade ins Bild, den Betrachter bemerkend und anblickend, noch bevor sein durchscheinender Körper ganz getrocknet ist.

 

aus der Serie Old Baggy Root, 2018/19 © Megan Rooney

 

Beide Bilder - ohne nennenswerte Vorzeichnung spontan und verfließend ausgeführt - stammen von der kanadischen Künstlerin Megan Rooney. Immer wiederkehrend ist das Motiv des menschlichen und tierischen Kopfes und Körpers, in den alle individuellen Erfahrungen unwiderruflich eingeschrieben sind.

Erzeugen die vorherrschende Palette von blassen, warmen Farbtönen sowie die schwebenden Motive eine spielerische Leichtigkeit (vgl. Felix Kucher) oder überwiegt das Gefühl der Verletzlichkeit und Versehrtheit der Körper dieser eigentümlichen menschlichen und tierischen Individuen? (vgl. Presseinfo Ausstellung Düsseldorf)

 

Old Baggy Root, 2018/19 © Megan Rooney

Old Baggy Root, 2018/19 © Megan Rooney

 

Auch ihre großformatigen Wandmalereien sind durch eine schnelle rhythmische Herangehensweise gekennzeichnet. Dabei verfolgt die Künstlerin oft keinen genauen Plan, sondern geht ohne Vorzeichnung oder Modell vor, beim Malrozess das volle Risiko eingehend. Megan Rooney sagt selbst, dass der Akt der Malerei etwas sei, das Energie freisetzt und es ein Glück sei, malen zu können.

Die aufstrebende Künstlerin arbeitet medienübergreifend mit Malerei, Installation, Performance, Tanz und Sprache. In ihrer künstlerischen Praxis bewältigt sie die gesamte Bandbreite von kleinformatiger intimer figurativer Malerei bis hin zu monumentaler abstrakter Malerei. Sie geht meist auf den zu gestaltenden Ausstellungsort ein und verknüpft die einzelnen Malereien und Objekte zu raumgreifenden Gesamtinszenierungen.

Zurzeit werden mehrere Porträts im Kunsthaus Kollitsch (Klagenfurt/A) sowie großformatige ungegenständliche Arbeiten im Ausstellungsraum Salts (Birsfelden/CH) gezeigt, im Juli 2020 wird eine Einzelpräsentationen im Salzburger Kunstverein (A) zu sehen sein, für die Megan Rooney als Artist-in-Residence den Großen Saal sowie die Ringgalerie gestaltet.

Megan Rooney (*1985, Kapstadt/Südafrika) hat an der University of Toronto und am Goldsmith College in London studiert. Sie lebt und arbeitet seit über zehn Jahren in London.

alle Bilder © Megan Rooney

 

Ausstellung, Installation, Malerei
6. Februar 2020 - 11:13

Neben David Titlow möchte ich Ihnen noch einen Taylor Wessing Photographic Portrait - Preisgewinner vorstellen, der meine Aufmerksamkeit erregt hat, und zwar Pat Martin, den Gewinner von 2019. Zwei Porträts seiner Serie "Goldie (Mother)" - Gail and Beaux sowie Mom (our last one) - wurden ausgezeichnet.

Als ich dieses Foto nur ganz kurz betrachtet habe, nur so lange, um die Entscheidung zu treffen, dass es etwas für den Blog wäre, lag seine Spannung im Kontrast zwischen der schwergewichtigen Frau und dem winzigen Hund. Wahrscheinlich sehe nicht nur ich mich in unserer medial aufgeladenen und reizüberfluteten Zeit permanent mit Fernsehserien wie "The Biggest Loser" oder "No Body is perfect" konfrontiert, in denen dicke Menschen unterschwellig vorgeführt werden. In einem Sekundenbruchteil wollte ich die Frau beim Thema Übergewicht einordnen und als undisziplinierte Angehörige einer bildungsfernen und ökonomisch schwachen Schicht abwerten.

Doch es gelang mir nicht. Wieso verweigern sich diese zwei prämierten Fotografien der despektierlichen Betrachtung und voyeuristischen Aneignung? Wieso erstarb mein Schmunzeln sofort?

Und wieso berührt mich dieses Bild?

 

Pat Martin, Gail and Beaux, 2018 © Pat Martin

 

Beide Porträts zeigen die Mutter des Fotografen. In einem Porträt blickt sie streng und hart in die Kamera und umfasst einen kleinen Chihuahua, dessen Gesicht sich auch auf ihrem T-Shirt befindet. Das andere zeigt sie in Nahaufnahme, wobei ihr Kopf fast das Format ausfüllt und ihr gefärbtes rotbraunes Haar ihre schweren Gesichtszüge einrahmt. Die gesprenkelte Haut gleicht einer Landschaft gelebter Erfahrung, ihr abgewandter Blick ist nachdenklich und verschlossen. Es trägt den Titel Mom (our last one) und wurde nur zwei Monate vor ihrem Tod aufgenommen.

 

rechts - Pat Martin, Mom (our last one), 2018 © Pat Martin
links: Gail and Beaux, rechts: Mom (our last one),
beide aus der Serie Goldie (Mother), 2018

 

Schonungslos ehrlich stellt Pat Martin seine Mutter dar. Eine tiefe leise Traurigkeit, aber auch Leere zeigt sich in ihrem Gesicht (und straft das lustige T-Shirt Lügen). Gails Blick macht ihre Unempfänglichkeit gegenüber unserer Meinung deutlich, er verhindert, dass wir lachen oder uns überlegen fühlen.

Pat Martin (*1992/Los Angeles, USA) hat von 2015 bis 2018 hunderte Porträts seiner Mutter Gail aufgenommen und zwar in deren relativ ruhigen Lebenszeit, nachdem sie ihre Drogensucht überwunden, aber schon mit schweren Atembeschwerden zu kämpfen hatte.

Dem Sohn wurde der sich abzeichnende unwiederbringliche Verlust der Mutter bewusst und er begann mit Porträts, in denen er ihr nicht nur formal, sondern auch emotional immer näher kam. Er betrachtete sie, um etwas über ihr, aber auch sein bewegtes Leben zu erfahren. Sie zu fotografieren wurde für ihn zu einer Art in einen Spiegel zu schauen und unbekannte Spuren zu finden. Doch auch unter seinem tiefen - liebevollen - sezierenden Blick blieb sie seltsam schwer fassbar.

Neben dem fotografischen Eindringen und Einfühlen in ihr Selbst, war die Arbeit an der Serie gleichzeitig eine Möglichkeit ein leeres Familienalbum zu füllen. Pat Martin hatte nur wenige Fotos von sich: seine Geburt, die ersten Geburtstage. Es gab kein Bild seiner Mutter, kein fotografisches Dokument ihrer Existenz. Sie zu fotografieren, kam einem Sammeln von Erinnerungen gleich.

In einem langen Interview, das Pat Martin mit Sean O´Hagan führte, erfährt man die Familiengeschichte, die hinter der Goldie (Mother)-Serie steht. Er lässt uns an seinem Schicksal teilnehmen, das eng mit der Geschichte seiner Mutter verknüpft ist. Ich fasse seine Ausführungen ganz kurz zusammen. Sie helfen vielleicht zu verstehen, wieso sich der Fotograf so exzessiv am Motiv seiner Mutter abarbeiten musste:

Der Vater verließ die Familie als Pat Martin drei Jahre alt war (hier enden auch die fotografischen Erinnerungen). Seine Mutter war süchtig und psychisch krank, unterlag Stimmungsschwankungen, war oft fort (auf Drogenentzug). Das einzig Beständige für den Sohn war die immer wiederkehrende Abwesenheit seiner Mutter, aber auch die nachlässige Betreuung durch deren wechselnde Freunde und sein Gefühl des Unbehagens in deren Gegenwart, das ihn in seiner frühen Kindheit mit einem Gefühl der Angst und des Verlassenseins leben ließ. Später wurde die Mutter auch zu einem funktionierenden Elternteil, der mit Pat die Erfahrungen einer ökonomisch schwachen Existenz teilte. Nach einer Delogierung wurde er von der Familie seines besten Freundes aufgenommen. Er erinnert sich daran als eine Zeit des Glücks und der Stabilität.

Erst als Pat Martin erfuhr, dass seine Mutter an einer bipolaren Erkrankung litt und selbst Missbrauchsopfer ihres Vaters war, verringerte sich seine Wut auf sie. Das Fotografieren wurde zum therapeutischen Akt, zur Möglichkeit seine komplexe und widersprüchliche Beziehung zu ihr durchzuarbeiten. Das Gefühl der Kälte sollte durch warme Erinnerungen ersetzt werden.

Doch können Fotos die Geschichte umschreiben? Pat Martin sagt selbst:

 

"That stuff – my mother’s sadness, her addiction –

it is so much a part of me still." (zit. n. The Guardian)

 

Ich selbst finde es erschütternd und traurig zu sehen, wie groß seine Anstrengungen sind, doch noch so etwas wie schöne Erinnerungen zu erzeugen. Und wie schwierig es für ihn ist, endgültig anzuerkennen, dass die Kindheit freudlos und unsicher war und er vielleicht doch nicht die Mutterliebe erfahren hat, derer er wert gewesen wäre.

 

Pat Martin vor seinen prämierten Fotos, Foto Jorge Herrera

 

Ich bin mir darüber im Klaren, dass dieser Blogbeitrag das Thema Hund weitestgehend verlässt. Als ich das Foto von Gail und Beaux zum ersten Mal sah, wusste ich allerdings noch nicht, wohin mich die Auseinandersetzung mit ihm führen würde. Seine Geschichte hat mich bewegt, vielleicht konnten Sie ihr auch etwas abgewinnen.

Das Wichtigste kommt aber zum Schluss: Letztendlich habe ich doch noch einen Artikel gefunden, in dem über das weitere Schicksal des kleinen Hundes Beaux berichtet wird. Er lebt nun mit Pat Martin.

 

"He's a four-year-old chihuahua, and is now my little pup." (zit.n. Insider)

 

Bilder von Gail und Beaux © Pat Martin

 

Fotografie