11. Januar 2021 - 12:00

Das erste Posting im neuen Jahr verdanke ich der Arbeit des südkoreanischen Künstlers Yongchul Kim, dessen Werk mich derart begeistert, dass ich die Vorbereitungen und Recherchen für andere Beiträge unterbrochen habe, um Ihnen seine Bilder sofort zeigen zu können!

 

Wanderer, 2020 © Kim Yongchul

 

Auf den ersten Blick haben mich seine Bilder an die düstere Melancholie der zeitgenössischen rumänischen Maler denken lassen. Das betrifft  nicht so sehr die Bilder, die ich für den Blog ausgewählt habe und die in ihrem Wechsel von Licht und Schatten, Hell-Dunkel- bzw. Farbkontrast sehr dramatisch wirken, sondern jene, die weniger dynamisch, dafür umso lyrischer und atmosphärischer, von Wasser und Spiegelung bestimmt sind. Schauen Sie sich dafür bitte Yongchul Kims Homepage und seine Arbeiten auf der Seite der Galerie Thomas Fuchs (hier und hier an) - auch wenn keine Hunde dabei sind.

Auf den zweiten Blick halten die meist großformatigen Werke Momente eines sich ständig verändernden Zustandes fest: Verflüssigung, Verschmelzung, Verschattung: Die Figuren treten aus den Schatten und aus der Umgebung hervor oder werden von ihr verschlungen; die mit den Hunden verschmolzenen Menschen schälen sich aus den Hunden heraus.

 

Wanderer, 2020 © Kim Yongchul

Wanderer in der Dämmerung, 2019 © Kim Yongchul

Die Wanderer, 2019 © Kim Yongchul

 

Nur vordergründig scheint Yongchul Kims breiter, flüssiger, flüchtiger Pinselstrich expressiv zu sein, genauer betrachtet ist er exakt gesetzt. Er folgt den Muskelsträngen, die sich dann wie Hautfetzen ablösen und eine leere translucente Hülle, einen transparenten Körper hinterlassen.

Allerdings folgt er den Muskeln nicht anatomisch korrekt, sondern frei und spielerisch, da er nicht auf unser naturwissenschaftliches Körperbild oder die Materie referiert, sondern auf deren Vergänglichkeit hindeutet. Gleichzeitig ist das Spiel mit Innen und Außen, Essenz und Fassade/Haut auch eine Reflexion über die Malerei: Ein Mensch oder Tier wird erschaffen und zugleich als bloßer Farbauftrag entlarvt.

Yongchul Kims Malerei ist Selbst- und Welterkenntnis. Die Figuren stellen stellvertretend für den Künstler und uns die Fragen nach Existenz und Identität: Wer bin ich? Was macht mich aus? Wie beeinflussen mich die Außenwelt und Gesellschaft?

Dementsprechend ist ein Leitmotiv das des Wanderers - mehrere Bilder heißen "Wanderer" - der sich auf die Suche nach der Wirklichkeit, die abseits der subjektiven Wahrnehmung besteht, und nach der eigenen Identität macht.

Man kann die Figuren aber auch weniger als Wandernde als vielmehr als Flüchtende betrachten. Als solche thematisieren sie das Getriebensein, das Ausgesetztsein gegenüber Bedrohungen und Anfeindungen. Als Angekommene verhandeln die Figuren auf Yongchul Kims Gemälden Fragen der sozialen Ausgrenzung und der gesellschaftlichen Randständigkeit.

Die Frage, was es bedeutet ein Fremder zu sein, beschäftigt den Südkoreaner auch persönlich, seit er nach Deutschland gezogen ist.: Ein sehr privilegierter Fremder allerdings, möchte ich ergänzen, der bereits in seiner Heimat ein Malereistudium abgeschlossen hat, bevor er nach Stuttgart an die Akademie der bildenden Künste kam. Mehr als ein Fremder oder Ausgegrenzter ist er wohl ein Proponent einer modernen globalisierten Gesellschaft.

 

Hund, 2018 © Kim Yongchul

Hund, 2020 © Kim Yongchul

Hund, 2020 © Kim Yongchul

 

Für meine mitlesenden Hasen- und Häsinnenfreunde und -freundinnen.

 

Weißer Hase, 2019 © Kim Yongchul

Kaninchen, 2019 © Kim Yongchul

 

Das untere Bild der Krähe zeigt die Größe seiner Malerei: Sensibilität in der Farbgebung, Zartheit in der Gestalt/Gestaltung (Schnabel, Füße), Reichtum an Anknüpfungspunkten und Assoziationsräumen, mythisch, poetisch, tieftraurig.

Vogel, 2020 © Kim Yongchul

Auch das Motiv "Wasser" taucht immer wieder auf. Es spiegelt - verzerrt und abstrahiert - die Wirklichkeit wider und wird somit zu einer Barriere, hinter der die Figuren das eigentliche Ich ohne subjektive Einflüsse wahrnehmen können. (vgl. Galerie Thomas Fuchs)

 

Spiegelung, 2018 © Kim Yongchul

 

Yongchul Kim ( *1982 in Yeosu/Südkorea ) hat nach einem abgeschlossenen Malereistudium in Südkorea ab 2014 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart studiert, wo er 2020 sein Diplom gemacht hat. Er lebt und arbeitet in Stuttgart.

Welche Aufgabe die Hunde. in seinen Bildern der Flucht (nicht nur des physischen Verflüchtigens) haben, welche Absicht Kim mit ihnen verfolgt, bleibt mir verborgen. Ich würde Sie gerne danach fragen, allerdings ist meine Kommentarfunktion, wie Sie sicher schon bemerkt haben, seit Jahren nicht aktiv. Ich musste sie abschalten, da ich mit automatisch generiertem Spam zugemüllt wurde. Meinen inzwischen 10 Jahre alten Blog auf einen technisch und benutzerfreundlich aktuellen Stand zu bringen, ist ein großes Vorhaben für den Herbst 2021.

alle Bilder © Yongchul Kim, Fotos von Galerie Thomas Fuchs

 

Malerei
21. November 2020 - 10:42

Dog with Saddle, 2003 © Augustine Boyce Cummings

 

Die Arbeit des US-amerikanischen Künstlers Augustine Boyce Cummings wird vom Konzept des Gegensatzes definiert. Dabei geht es um inhaltliche Gegensätze ebenso wie um formale.

Bei "Dog with Saddle" betrachtet ein gesattelter Hund ein kleine komplexe Maschine. Der realistisch gemalte Hund steht vor einem zarten floralen monochromen Hintergrund, der von einer Reihe stilisierter ornamentaler blauer Tauben gekrönt wird.

Der "Hound Dog" unten gleicht einem Jagdhund der Renaissance. Das Vogelhäuschen steht im Gegensatz zur spannungsreichen Atmosphäre zwischen dem Hund und dem betrachteten "Wirbelsturm" und erzeugt eine leidlich surreale Anmutung. Wird sich das bewegte Liniengewirr materialisieren?

 

Hound Dog, 2006 © Augustine Boyce Cummings

 

In "Forest Fire" haben ängstliche Hunde die Schwänze eingeklemmt, sie sind nur als Umriss und Binnenzeichnung vorhanden, transparent und dünnhäutig angesichts der Bedrohung: Im Hintergrund lodert der Waldbrand. Die Szene ist in eine Kreisform eingeschrieben und wird von zwei schwarzen Rechtecken (eines mit Stern) ergänzt.

Cummings selbst beschreibt seine Malerei als eine Kombination aus Hard-Edge-Abstraktion (der mir unbekannte Begriff stammt aus den amerikanischen 1960er Jahren und bezeichnet eine ungegenständliche, geometrische Malerei mit klare Kanten), traditioneller gegenständlicher Malerei, Graffiti, Cartoon-Elementen, Science-Fiction, Illustration, die alle durch einen etwas surrealistischen Filter gepresst werden. Verbindend ist die Widersprüchlichkeit, die allen Bildern innewohnt.

Er fügt disparate Dinge kompositorisch gekonnt auf der Leinwand zusammen, ohne die Gegensätze aufzulösen. Inhaltlich verwehren sich die Bilder gegen eine - eindeutige, vernünftige, konventionelle - Erzählung. Die Zwei- und Mehrdeutigkeit ist gewollt, der Betrachter soll assoziieren oder interpretieren.

 

Forest Fire © Augustine Boyce Cummings

 

Ängstlich, unsicher und verzweifelt blickt auch "Sheriff" aus seinen geröteten Augen. Was geht hier vor? Wer schießt die Pfeile ab? Die blaue lineare Zeichnung, sie steht im Kontrast zur Flächigkeit, erinnert leise an ein Ufo. Über allem schwebt das schwarze Rechteck.

 

Sheriff © Augustine Boyce Cummings

 

Abstraktion stößt auf Figuration, Formalismus auf Erzählung, Maschinen auf Hunde, Linien auf Flächen (um bei den hier gezeigten Beispielen zu bleiben). Dabei bedient sich Cummings einer individuellen Symbolsprache, bedient sich eines immer wiederkehrenden Instrumentariums (blaue Vögel, Ellipsen, Landschaften etc.).

Boyce Cummings, geboren und aufgewachsen in Denver, Colorado, zog 1992 nach Chicago, wo er ein Stipendium der School of the Art Institute of Chicago erhielt. 1996 zog er nach New York und studierte Malerei an der School of Visual Arts in New York, wo er 2002 seinen MFA erhielt. Mehr biografische Daten und ein Artist Statement finden Sie auf seiner Homepage.

alle Bilder © Augustine Boyce Cummings

 

Malerei
17. November 2020 - 13:37

Marcel Duchamp, Fountain, 1917, Foto: Alfred Stieglitz

 

Was hat Duchamps "Fountain" (1917) mit Hunden zu tun? Betrachten Sie die Signatur R. Mutt: Im Mutt steckt der Hund. Vom Englischen ins Deutsche übersetzt bedeutet Mutt unter anderem Straßenköter oder Promenadenmischung. Da ich das Wort Köter überhaupt nicht mag, übersetze ich quasi politisch korrekt zu "unbegleiteter Hunde-Mix". Mutt als englisches Wort zu betrachten ist deshalb möglich, da Duchamp sein Werk auch mit dem englischen Wort "fountain" betitelt hat (statt das französische Urinoir zu verwenden), um durch den Transfer in eine andere Sprache eine Verfremdung zum Kunstgegenstand zu erleichtern.

Laut Duchamp geht Mutt auf die populären Comicfiguren Mutt und Jeff zurück, das R steht für Richard, also rich art und nicht wie vermutet für Armut (R. Mutt: englisch R und deutsch Mutt ausgesprochen). Es gibt noch weitere Wortspielereien und Mehrdeutigkeiten um R. Mutt, die sie auf Wikipedia nachlesen können.

Ist das untere Werk eine Paraphrase oder Persiflage auf das berühmte Urinal?

 

Our Mutt Dog Bowl © Ourmutt

 

Wie auch immer die amerikanischen Künstler Tamara Johnson und Trey Burns ihre Übersetzung gemeint haben, es erfolgt eine Kommerzialisierung von Duchamps Werk sowie ein weiterer Funktionstransfer, allerdings auf sehr liebenswerte Art. Die Produktion erfolgt in Handarbeit unter Hinzufügung einer Seriennummer.

Aus dem ikonischen Readymade wird durch die Funktionalisierung zur Hundeschüssel ein einzigartiges Designobjekt. Aus R. Mutt wird Our Mutt, die Trinkschüssel für unseren Hund.

Unten sehen Sie Benny, den "Mutt" des Designers. Sie können das Wasserschüsserl auch kaufen, leider ist es so teuer, dass es sich nicht als witziges Mitbringsel für den Vierbeiner eines kunstsinnigen Menschen eignet.

 

Our Mutt Dog Bowl with Benny © Ourmutt

 

Fotos der Our Mutt Dog Bowl © ourmutt.com

 

Skulptur
11. November 2020 - 9:54

Hund, 2019 © Claudia Fuchs, Foto Lichterloh Fotografie

 

Ein kleines auf seinem Hinterteil hockendes Tier streckt den Hals, um irgendetwas genau zu betrachten. Die Augen sind zu schmalen Schlitzen fast geschlossen, um klarer und fokussierter sehen zu können. Oder streckt es die Schnauze lang nach vorne, um etwas zu erschnüffeln? Die Farbgebung erinnert an ein Reptil, das sich in seiner Umgebung tarnt. Doch wir haben es mit einem Hund in unkonventioneller Farbgebung zu tun. Und dieser kleine ausdrucksstarke Hund aus rosa, hellblau, grün und braun glasiertem Ton, scheint zu lächeln. Er hat wahrlich keinen Grund sich zu tarnen oder zu verstecken.

Die Künstlerin, Claudia Fuchs, fertigt ausschließlich Tontiere an. Dabei kann es sich um autonome Kunstwerke handeln (darunter Eidechsen oder eine Schnecke, die frech die Zunge herausstreckt) oder um Gebrauchsgegenstände, die sie mit Tierplastiken kombiniert. Seit 2019 arbeitet sie regelmäßig künstlerisch im Atelier der Kreativen Werkstatt Lobetal.

Heuer hat sie mit dieser kleinen plastischen Arbeit "Hund" beim Bundeskunstpreis für Menschen mit Behinderung den ersten Platz belegt. Zum 22. Mal wurde dieser Preis, der wichtigste Preis seiner Art in Deutschland, in Radolfzell am Bodensee verliehen. Die Stadt Radolfzell bietet mit diesem Preis ein wichtiges Forum, das den Kunstschaffenden und deren künstlerischen Arbeiten eine größere Präsenz verschafft. Er richtet sich an Künstlerinnen und Künstler aus ganz Deutschland mit einem Schwerbehindertengrad geistiger, körperlicher oder psychischer Art von mindestens 80 Prozent und bietet einen einzigartigen Rahmen für deren Wertschätzung.

Für die Kunstschaffenden ist die Ausstellung ein Ziel, auf das viele hinarbeiten. Der künstlerische Prozess ist auch eine Form der Bewältigung ihrer besonderen Lebenssituation oder eine Möglichkeit bildhaft auszudrücken, was ihr Innerstes bewegt und was sie mit Worten nicht ausdrücken können. Wenn auch der Alltag mancher Künstler und Künstlerinnen eingeschränkt ist, so gilt dies nicht für ihren künstlerischen Blick auf die Welt.

Ausgewählt werden die Preisträger nach künstlerischen Kriterien: Das Hauptaugenmerk liegt auf persönlichem Ausdruck, künstlerischer Eigenständigkeit und Werkaussage. Bundesweit haben 300 Künstler ihre Arbeiten für den alle zwei Jahre vergebenen Kunstpreis eingereicht. Die dreiköpfige Jury rund um den Leiter der Heidelberger Sammlung Prinzhorn, Thomas Röske, hat aus diesen Einreichungen 100 Exemplare für die Ausstellung ausgewählt und aus diesen nochmals 15 Preisträger gekürt. Die 100 ausgewählte Arbeiten sind bis zum 8. November in der Villa Bosch in Radolfzell zu sehen.

 

Hund, 2019 © Claudia Fuchs, Foto Hoffnungstaler Stiftung Lobetal

 

Für mich bildet der kleine lächelnde Hund den Gegenpol zu Liu Ruowangs monumentaler Wolfs-Installation. Müsste ich eines der beiden Kunstwerke wählen: Ich würde mich jederzeit für "Hund" entscheiden.

Hund © Claudia Fuchs

 

Skulptur
5. November 2020 - 20:27

Ein einschüchterndes und bedrohliches Wolfsrudel (aus 110 Stahlgussteilen mit einem Gewicht von je 280 kg) drang während der letzten Monate in die Mitte von Florenz vor, dort schien es einen Krieger anzugreifen, der schwach und machtlos wirkte.

Erschaffen und in Szene gesetzt hat dieses eindrucksvolle, raumgreifende und mit Spannung aufgeladene Werk der chinesische Künstler Liu Ruowang.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Roberto Borghi

 

Ich habe in den letzten von Corona überschatteten Monaten oft an die Künstlerinnen und Künstler gedacht, die monatelang auf eine Ausstellung hinarbeiten, die dann durch die Schließung der Ausstellungsräume kaum jemand sieht. Mit diesem Problem ist Liu Ruowang nicht konfrontiert, da seine Installation im öffentlichen Raum steht und die Wölfe nicht nur mit der Architektur interagieren, sondern auch mit den BewohnerInnen kommunizieren. Damit erfüllen sie die explizite Absicht des Künstlers, die Kunst frei zugänglich in den Alltag zu bringen. Er will den EinwohnerInnen von Florenz, die vielleicht nicht in ein Museum gehen würden, seine Kunst nahebringen und sie allgemein für Kunst sensibilisieren.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Lauretta Dimmik (Ausschnitt)

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Lorenzelli Arte

 

Und übersehen kann man diese monumentale Skulptureninstallation nicht, da sie zwei repräsentative Plätze einnimmt: Piazza Pitti und Piazza Santissima Annunziata. Die Wölfe stehen somit im Dialog mit zwei emblematischen Gebäuden der Renaissance, dem Filippo Brunelleschi zugeschriebenen Palazzo Pitti und seinem Ospedale degli Innocenti (Waisenhaus), bei dem er seine Auffassung von Raum, Proportionen und architektonischem Rhythmus zeigen konnte und das noch auf der Idee der Harmonie beruht. Diese Harmonie wird vorgeblich von den Wölfen gebrochen, deren Aggressivität, Zähigkeit und Stärke eine dramatische Spannung in die Ordnung der architektonischen Umgebung bringen.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Uffizien

 

Der Verlust der Harmonie zwischen Mensch/Kultur und Natur und deren Auswirkungen auf die Menschheit und den Planeten ist der Aspekt, der dem gesamten Werk von Liu Ruowang zugrunde liegt. Das Wolfsrudel steht als Warnung an die Menschheit; sie sind Agitatoren des Gewissens, die darauf abzielen, bei denen, die ihnen begegnen, eine tiefe Beunruhigung hervorzurufen und sie zur Erkenntnis und zum Umdenken zu bringen.

Der Wolf hat eine diverse symbolische und mythologische Bedeutung. Er wird sowohl als ein aggressiver und bedrohlicher "Räuber" (Rotkäppchen) als auch als ein wohlwollendes soziales Tier (Romulus und Remus) gesehen. Der Wolf, der auch in Mitteleuropa wieder Fuß fasst, lässt wohl niemanden kalt. Manche sehen in ihm ein Raubtier, das getötet werden muss (erst gestern habe ich gelesen, dass der Wolf in Deutschland in das niedersächsische Jagdgesetz aufgenommen wird), bei anderen hat er nahezu einen Heiligenschein.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Lorenzelli Arte

 

Liu Ruowang inszeniert die Wölfe nicht als "Räuber", die Installation reflektiert vielmehr über die räuberische Haltung und Aggressivität des Menschen gegenüber der Natur und Umwelt. Unsere heutige Zivilisation wird vom wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt und dessen Exzessen beherrscht, gerät nicht nur in Konflikt mit der Natur, sondern beherrscht und zerstört sie.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto Lorenzelli Arte

 

Auch ganz real sind der Wolf und andere Wildtiere bis in die Florentiner Boboli-Gärten vorgedrungen, ist das Wilde in die Zivilisation zurückgekehrt.

Die "Lupi in arrivo" allerdings haben nicht nur Florenz erobert, sie waren auch 2015 auf der Biennale in Venedig. In Deutschland kamen die Wölfe 2016 bis in die Eingangshalle der internationalen Kunstausstellung NordArt (Foto unten), von dort starteten sie ihre Europa- und Amerikatournee.

 

Die Wölfe kommen © Liu Ruowang, Foto NordArt, 2016

 

Liu Ruowang (*1977, Shaanxi Provinz/China) gehört zu den wichtigen zeitgenössischen Künstlern Chinas. Er hat an der China Central Academy of Fine Arts studiert, stellt weltweit aus, erhält zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Seine Werke - Skulpturen und Gemälde - sind im chinesischen kulturellen und historischen Kontext verwurzelt, er schöpft aber auch aus unserem gegenwärtigen Dasein und der westlichen Kultur. Immer geht für ihn die Geschichte des Menschen mit der Geschichte seiner Beziehung zur Natur einher.

Quellen: Lorenzelli Arte, Uffizien

 

Installation, Skulptur
26. Oktober 2020 - 9:20

Friendship, 2008, oil on canvas, 100 x 100 cm © Simon Cantemir Hausì

 

Manchmal entdecke ich zufällig einen Künstler, bei dem ich weiß: Über den will ich sofort schreiben und alle anderen Ideen für Beiträge aufschieben. Simon Cantemir Hausì ist so einer. Seine melancholischen und feinfühligen Bilder, die er 2008 und 2009 gemalt hat, haben mich sofort für ihn eingenommen. Wenngleich noch immer figurativ, ist sein Werk inzwischen expressiver, gestischer und farbiger, aber nicht weniger interessant geworden.

Seit etwa 15 Jahren steht die rumänische Malerei im Fokus der europäischen Malerei. Ich habe bereits zweimal über Adrian Ghenie geschrieben, einen Künstler, der mich als erster rumänischer Maler begeistert hat. Simon Cantemir Hausì gehört einer jüngeren Generation an, die mit der Abteilung für Malerei an der Universität für Kunst und Design in Cluj-Napoca verbunden ist und deren virtuose Künstler unter der Bezeichnung "Cluj School of Painting" firmieren.

Auch nach der kommunistischen Herrschaft wurden die Studierenden in Cluj nach den strengen figurativen Anforderungen des sozialistischen Realismus unterrichtet. Die "Clujer Schule" entwickelte einen eigenen, unverwechselbaren Stil, zu dem der relativ freie Umgang mit der Farbe, die Betonung surrealer Elemente und ein düstereres Erscheinungsbild (im wörtlichen und metaphorischen Sinn als Repräsentant einer verschwommenen Unbestimmtheit) gehörten.

Die Generation rumänischer KünstlerInnen, die zwischen Kommunismus, Zerfall und Kapitalismus aufgewachsen ist, dokumentiert diese Spannungen unausweichlich in ihrer kulturellen Produktion.

Simon Cantemir Hausì wuchs mit einem regimekritischen Schriftsteller als Vater auf, der während der Ceaușescu-Ära ständig überwacht, verhört und eingeschüchtert wurde. In Hausìs Werk fließen diese Schatten der Vergangenheit, diese Unsicherheit und Bedrohung atmosphärisch ein.

 

Friendship, 2008, oil on canvas, 100 x 100 cm © Simon Cantemir Hausì

 

"Friendship", 2008: "Freundschaft" heißt dieses Bild, und auf den ersten Blick wird klar, dass hier die Freundschaft zwischen allen dreien gemeint ist und nicht nur die zwischen den Buben. Der Hund wird beschützend umfangen, die Körper schmiegen sich aneinander und bilden eine Dreiecksform. Auch der Hund steht mit geradem Rücken, scheint sich klein zu machen und in die Form einzufügen.

Alle drehen uns den Rücken zu. Verbergen die Kinder etwas, weil Kinder gerne Geheimnisse haben? Was wollen sie nicht preisgeben? Eine ängstliche und erstarrte Atmosphäre liegt über dem Bild, eine Atmosphäre der Ungewissheit und Unruhe. Die unheilvolle Erwartung wird durch die Rückenansicht verstärkt, die Protagonisten scheinen beobachtet oder überwacht zu werden. Und was ist bedeutet das das Licht neben dem Gesicht des linken Burschen?

 

Political Hallucination, 2008-09, oil on three wood panels, 84 x 114 cm © Simon

 

"Political Hallucination", 2008-2009: Als würden die gesichtslosen Kinder aus Hausìs Vergangenheit zu uns herausschauen, mutet dieses Bild an. Die Gesichter geben nichts preis und gehen gleichzeitig über den Einzelnen hinaus; ich musste an die Bilder Gideon Rubins denken, der seinen Dargestellten ebenfalls die Individualität verwehrt. Nur der Hund blickt fragend und gleichzeitig wissend aus dem Bild. Tiere und Kinder bilden wie selbstverständlich, quasi "naturgemäß", eine vertrauensvolle und verschworene Gemeinschaft.

 

vom Blog, 2008 © Simon Cantemir Hausì

 

Auch hier ein vertrautes Team. Der Hund ist ein loyaler Begleiter seines Menschen, er ist unkorrumpierbar! Was er wohl sieht?

 

Study for Memory from My Childhood, 2008 © Simon Cantemir Hausì

Memory from My Childhood, 2009, oil on canvas, 100 x 150 cm © Simon Cantemir Hau

 

"Study for a Memory with a Russian Borzoi", 2008 und "Memory from My Childhood", 2009: Wie ein nachgedunkeltes Gemälde aus dem 19. Jahrhundert sieht das Bild mit dem Borsoi aus. Erst auf den zweiten Blick erkennt man rechts eine gestreckte Hand, die in einer geheimnisvollen Geste Richtung Hund greift. Auf der anderen Seite steht in der Dunkelheit fast verborgen ein gebeugter Mann. Während die Studie zum russischen Borsoi recht gleichmäßig ausgeleuchtet ist, ist dieses Gemälde dunkel, widersetzt sich der Sichtbarmachung und Enthüllung.

 

bthumm © Simon Cantemir Hausì

 

Wieso denke ich bei diesem Bild eher an einen Massai in der Serengeti als an einen Jäger in Siebenbürgen? Das Bild ist weniger durch pastosen Farbauftrag als durch wilden Pinselduktus und Kratzer gekennzeichnet.

 

Sunday Hunting, 2009, oil on canvas, 150 x 100 cm © Simon Cantemir Hausì

 

"Sunday Hunting", 2009: Eine Winterlandschaft in monochromen Braun- und Grautönen. Eine Gruppe Jäger. Zwei wenden sich von der Gruppe ab: der Jäger links, der Hund rechts.

 

vom Blog, 2008 © Simon Cantemir Hausì

 

Nicht immer ist es monochrom oder dunkel. Aber auch die Helligkeit ist geheimnisumwittert, lässt das Bild surreal erscheinen. Lichtdurchflutete Areale erheben sich in pastosen Schichten aus Gelb, Grün und Blau. Die Gestalten wirken wie umfangen vom Licht einer anderen Welt, die Landschaft wie ein fremder toxischer Planet. Doch darüber scheint ein grauer Schleier zu liegen, der alle in Bewegungslosigkeit verharren lässt. Welcher Bedrohung blickt die Gruppe entgegen. Handelt es sich um Kinder oder ist die Figur in der zweiten Reihe unnatürlich groß? Und warum leuchtet eine Kappe weiß?

 

Study of Modern Home Atmosphere, 2009, oil on canvas, 200 x 100cm © Simon Cantem

 

Wenn Ihnen Simon Cantemir Hausì ebenso gut gefällt wie mir, empfehle ich Ihnen die Homepage der Galerie Barbara Thumm. Dort stellt der rumänische Künstler seit 2011 aus.

Ein paar Bilder ohne Titel habe ich von Hausìs Blog.

Simon Cantemir Hausì (*1976 in Baia Mare/Rumänien) lebt und arbeitet in Cluj.

alle Bilder © Simon Cantemir Hausì

 

Malerei
19. Oktober 2020 - 12:25

Ein Hund von vorne, darüber zwei Hände, beide wie freigestellte Objekte umgeben von einer unbestimmten monochromen schwarzen Fläche, dazu ein kryptischer Titel.

 

Mysterious Pair of Hands Hypnotiz a Dog, 2020 © Drago Persic
Mysterious Pair of Hands hypnotize a Dog, 2020, Öl auf Leinwand *
*Ich habe den Bildtitel analog zum "Katzenbild" unten gewählt,
da ich den Bildtitel im Internet nicht finden konnte

 

Drago Persic findet seine Motive entweder auf Fotos - found footage - oder er inszeniert und arrangiert Objekte und fotografiert sie. Dabei überlässt er nichts dem Zufall, sondern legt Lichtverhältnisse, Perspektive, Gruppierung etc. penibel fest.

Der ausgewählte Bildausschnitt bzw. die collageartig zusammengesetzte ausgeklügelte Komposition wird anschließend in eine vom Kontext völlig losgelöste Schwärze getaucht. Die Objekte werden isoliert, sodass nichts auf ihre ehemalige Funktion oder Geschichte hinweist.

Der Hund ist also weder Metapher (er steht nicht für z.B. menschliche Verhaltensweisen) noch ist er Hund im inhaltlichen Sinn, dass er uns in Zusammenhang mit den Händen etwas über sich selbst erzählte. Er ist nur als Form gegenwärtig. Des Kontextes beraubt, steht der Hund für die Darstellung der Stofflichkeit und natürlich für die handwerkliche Meisterschaft, Virtuosität und Präzision des Künstlers.

In absoluter Perfektion inszeniert und gestochen scharf hyperrealistisch gemalt, wirken seine Bilder sehr plastisch und haptisch.  Dabei arbeitet Drago Persic konsequent mit den Nichtfarben Schwarz und Weiß und den unzähligen feinsten Abstufungen, Verläufen, Schattierungen dazwischen.

Drago Persic beschreibt schon 2011 in einem Interview, dass Schwarz als eine unbunte Farbe nur durch den Absorptionsgrad gekennzeichnet werde und dass sich durch die Aufhellung mit weißen Pigmenten unterschiedliche warme und kalte Graunuancen - von violetten bis braunen Farbtönen - ergeben und es immer zu Überraschungen komme. (vgl. hier)

Und an anderer Stelle des Interviews:

Die Monochromie fasziniert mich. Das Schwarz und die Tiefe sind ein Nicht-Wissen und Nicht-Verstehen. Der Umgang mit den schwarzen Pigmenten ist so einzigartig diffizil. (…) Zugleich vereinfacht mir diese minimale Palette, allein durch den Fokus auf den Schatten, die Suche nach der Form.

 

Da Drago sehr am Film interessiert ist, wird seine höchst präzise ausgeführte Grisaillemalerei, sein extremes Hell und Dunkel, sein Licht und Schatten auch mit der düsteren Ästhetik des Film noir in Zusammenhang gebracht, dessen Wurzeln im deutschen expressionistischen Stummfilm der 1920er Jahre liegen. Obwohl er in seinen Werken keine Geschichten erzählen will, erzeugen die einzelnen Bildelemente im Zusammenspiel mit der dunklen Farbpalette und der rätselhaften Titelgebung bedrohliche und untergründige Assoziationsfelder bei den BetrachterInnen. Sie befördern die Narration, die sich wie bei einem Film-Still in einem konkreten Zeitpunkt verdichtet.

 

Mysterious Pair of Hands Hypnotiz a Siamese Cat, 2020 © Drago Persic
Mysterious Pair of Hands hypnotize a Siamese Cat, 2020, Öl auf Leinwand, 40 x 30 cm

 

Drago Persic (*1981 in Banja Luka/Bosnien und Herzegowina), wuchs in Vorarlberg auf und studierte von 2002 - 2007 Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Er lebt und arbeitet in Wien.

Noch bis zum 14. November 2020  ist seine Ausstellung "Mysterious Pair of Hands Hypnotize a Siamese Cat & Crashes" in der Galerie.Z in Hard zu sehen.

Beide Bilder © Drago Persic
 

Malerei
16. Oktober 2020 - 15:51

Frage: "Was ist eine Blondine in der Küche?" Antwort: "Artgerechte Haltung". Wahrscheinlich kannten Sie diesen frauenfeindlichen Witz bereits. Da ich mir jeden Unsinn merke, habe ich mich beim Betrachten von Katarina Janeckova Walshes Acrylbild "Dishwashing in Texas III" daran erinnert. Ihre Malerei scheint wie ein bildnerischer Kommentar dazu zu sein.

 

Dishwashing in Texas III, 2019 © Katarina Janeckova Walshe

 

In einem Interview wurde die slowakische Künstlerin gefragt, wie sie die Quarantäne der ersten Corona-Welle erlebt hat, die sie in Puerto Rico bei ihrem Mann verbrachte.

Schon vor der Zeit der Isolation hatte sie mehr Zeit zu Hause verbracht, da sie Mutter geworden war. Sie interessierte sich dafür, wie Menschen, speziell Paare, den Haushalt führen, welche Verabredungen sie treffen, mit welchen Stereotypen sie umgehen, ja was das Geheimnis eines glücklichen Haushalts sein könnte. Die Isolation veränderte die Beziehungsdynamik positiv, sodass sie schließlich ihren Mann beim Abwaschen malen konnte anstatt sich selbst.

Dieses Beispiel zeigt, wie sehr ihr bildnerisches Werk an ihr Erleben angebunden ist. Janeckova Walshe erkundet ihre Beziehungen zu sich selbst und ihren mutmaßlichen PartnerInnen; zugleich laden ihre Bilder mit ihrer Symbolik die BetrachterInnen ein, Verbindungen zu ihrer eigenen Sexualität, Identität und Geschichte zu ziehen.

Katarina Janeckova Walshe malt Frauen in typisch weiblichen Räumen wie Küchen und Schlafzimmern sowie auf Balkonen; sie sind nackt, attraktiv und stark. Sie malt ihren/deren Alltag, wobei sie Frauendarstellungen in realen Umgebungen und Situationen mit psychologisch aufgeladener Fantasie zu provokanten Settings vermischt.

Das obere Bild mit Hund ist eher eine Ausnahme, malt Janeckova Walshe doch meistens Bären in ihre Bilder, die das Männliche repräsentieren (dazu hier). Die Hunde, die bei so manchem, auch sexuellem, Spektakel zugegen sind, beruhigen die Bilder und Situationen durch ihre bloße Anwesenheit.

 

Playful adults during the lunchbreak, 2020 © Katarina Janeckova Walshe

 

Ein anderer Aspekt ihrer Arbeit ist es, die Unterschiede zwischen Europa und den USA, Texas und New York, der Grenze von Texas und Mexiko zu beobachten und zu versuchen, sie miteinander zu versöhnen - wenn auch mit der nötigen Ironie.

The recent works are mostly stories based on my experiences of the life close to the border, fantasies and facts about why do Texans still wear cowboy boots and hats, why do they hunt and fish, how much it takes for me to be a part of it or if a Texan cowboy can ever find an understanding in the friendship with a New York graphic designer :-) (zit.von hier, 2017)

Der Cowboyhut der Texaner ist zumindest in diesem Bild abgenommen und hängt auf dem Garderobeständer, die Cowboystiefel darunter. Der Hund schmiegt sich an den Bären, von ihm geht keine Gefahr aus.

 

Harmless Obsessions, 2020 © Katarina Janeckova Walshe

 

Katarina Janeckova Walshe (*1988, Bratislava/Slowakei) lebt derzeit in Corpus Christi/Texas und New York City (USA). Janeckova Walshe, die 2013 ihr Studium an der Kunstakademie Bratislava abschloss, stellt seit 2010 aus.

Vom 27. November 2020 bis zum 30. Jänner 2021 ist Katarina Janeckova Walshes Ausstellung "Secrets of a Happy Household" in der Berliner Galerie Dittrich & Schlechtriem zu sehen.

alle Bilder © Katarina Janeckova Walshe

 

Malerei
7. Oktober 2020 - 16:29

aus der Serie

 

Hat der kleine Chihuahua etwas gehört oder gerochen, das ihn in der Nacht aufstehen ließ, um in die Dunkelheit zu sehen? Fest steht er da und mutig blickt er ins Ungewisse.

 

aus der Serie Nachts kommen die Füchse, Öl auf Leinwand, 30 x 20 cm, 2018 © C

 

Vielleicht hat er sich weiter vorgewagt, bis zum Vorhang, die Ohren auf Empfang gestellt. Große Augen machen auch die seltsamen Köpfe der grotesken Wandmalerei, die das Interieur aus dem Gewöhnlichen, Vertrauten herausheben, es mit Rätselhaftigkeit erfüllen. Sieht er vielleicht auf die blaue Couch, auf der sein Mensch liegt? Setzt er sich wachend, bewachend und beobachtend dazu?

(…) Wie ein Schatten wandert er durch den Bildraum, wandelt ganz selbstverständlich durch private Räume. Ein kleiner Schoßhund und doch scheint der Betrachter nie so ganz zu wissen, was er im Schilde führt,

schreibt die Künstlerin über den kleinen Hund.

 

aus der Serie

 

Hier hat er sich zusammengerollt, die Augen fragend offen. Findet er keinen Schlaf in der blauen Stunde? Ist er unruhig, überkommt ihn gar die Melancholie ob seiner Grundeinsamkeit? Weder Pfotenbett noch Knochendecke können ihm Geborgenheit geben, Unbeschwertheit und Spiel gehören wie der angeschnittene Fußball der Sphäre des Tages an.

 

aus der Serie Nachts kommen die Füchse, Öl auf Leinwand, 30 x 20 cm, 2018 © C

 

Ich zeige Ihnen nur die Bilder mit Hund, die in Caroline Salfingers Serie "Nachts kommen die Füchse" immer wieder als Motiv auftauchen. Ich habe zu den Bildern eine kleine Geschichte assoziiert. Mit ihrer Serie, die einer Erzählung des niederländischen Autors Cees Nooteboom entlehnt ist, zeigt die Künstlerin allerdings eine bildnerische Narration, die eine Welt erschafft, in der sich Episoden, Ereignisse und Beobachtungen lose aneinanderreihen.

Damit der durch die Nacht des Bewusstseins irrende Geist nicht den Füchsen anheimfällt, passt der Hund in seiner mythologischen Rolle als Grenzgänger und Wächter auf. Er vermittelt zwischen den Welten und führt einen durch die Dunkelheit, sodass man sich nicht in ihr verliert und den eigenen Füchsen ausliefert. Dennoch wird sich nur derjenige, der seinen Hund gut behandelt, auch seine animalischen Bedürfnisse respektiert und ihn nicht mit brutaler Härte zu formen versucht, auf ihn verlassen können.

Lesen Sie hier Caroline Salfingers vollständigen Text zu "Nachts kommen die Füchse".

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aus der Serie Nachts kommen die Füchse, Öl auf Leinwand, 120 x 80 cm, 2018 ©

 

In "Follow me" verflicht die Künstlerin die Thematiken des Kontrollverlusts, der Bewusstseinserweiterung, der ins Unterbewusstsein verdrängten wüsten, animalischen Seite der menschlichen Psyche und des Todes mit Elementen der mesoamerikanischen Mythologie. Sie bezieht sich dabei auf die Arbeit "Untilled" des niederländischen Künstlers Pierre Huyghe, die er 2012 bei der dOCUMENTA (13) gezeigt hat.

Huyghe installierte in der Kasseler Karlsaue eine Anordnung pflanzlicher, mineralischer, tierischer und menschlicher Elemente. Inmitten einer üppigen Flora aus psychoaktiven Pflanzen stapelten sich auf dem schlammigen Boden Betonplatten und andere Baustoffe. Auch eine Betonskulptur fand sich auf dem von zwei Hunden durchstreiften Gelände.

Vielleicht können sie sich an Fotos des weißen Podencos mit dem rechten rosa Vorderbein erinnern, wahrscheinlich eines der meist fotografierten Motive dieser dOCUMENTA.

 

Follow me, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm, 2017

 

Durch den Konsum psychoaktiver Pflanzen wie der Salbeiart Salvia Divinorum oder dem Peyote-Kaktus glaubten die Azteken mit der Götterwelt in Verbindung treten zu können und auf der langen Reise durch die Unterwelt wurde man ihrer Vorstellung nach von einem Hund geführt. (…) Erst mit einem Hund an seiner Seite kam man in der Unterwelt weiter – nur wer dem Instinktiven vertraut, sich vom Animalischen leiten lässt, gelangt in die unteren Schichten des Bewusstseins. Dem Hund zu folgen und damit die Kontrolle abzugeben, hieße sich auf Verdrängtes einzulassen und nur wer sich diesem stellt, kann zur Ruhe kommen. (Caroline Salfinger hier)

 

In Salfingers Paraphrase wird aus dem Podenco ein Chihuahua. Das gefällt mir ganz besonders gut, dass dieser kleine unterschätzte Hund, der aber alle Wesensmerkmale seiner großen Artgenossen hat, zum Führer durch die Unterwelt wird. Wir müssen ihm nur folgen und vertrauen, wir müssen uns ihm nur anvertrauen, wenn wir sein Terrain betreten.

Auch zu diesem Werk können Sie das vollständige Konzept hier nachlesen.

 

© Caroline Salfinger

 

Caroline Salfinger (*1991 in Grieskirchen/Österreich) studierte zwischen 2010 und 2018 Bildende Kunst, Malerei und Grafik sowie Angewandte Kultur- und Kunstwissenschaften an der Kunstuniversität Linz. Sie lebt und arbeitet in Oberösterreich.

alle Bilder © Caroline Salfinger

 

Malerei, Zeichnung
6. Juli 2020 - 11:02

Karl Weschke, Feeding Dog, 1976-77 © The Estate of Karl Weschke

 

Ein Hund steht hinter einem Stück Fleisch, als würde er es bewachen. Es ist Dankoff, der Borsoi des Künstlers Karl Weschke, der in den 1960er und 1970er Jahren eine Reihe von Gemälden mit Pferden oder Hunden malte. Der Künstler selbst hat das Bild als "ein Hund in einer bestimmten Landschaft unter bestimmten Umständen" ('a dog in a particular landscape in a given circumstance' ) beschrieben. Der Hund hat eine symbolische Rolle für ihn übernommen und starke Erinnerungen an bestimmte Ereignisse in seiner Kindheit hervorgerufen. Er symbolisiert einen Kampf ums Überleben, wobei die karge Landschaft ein Gefühl der Abwehr und Isolation verstärkt.

Dankoff steht auf der Klippe beim Haus des Künstlers in Cape Cornwall, einem Ort, der in Weschkes Werk immer wieder auftaucht, z.B.in Feeding Dog von 1976-77.

 

Karl Weschke, Portrait of a Dog, 1975-78 © © The Estate of Karl Weschke 
 

1960 zog der gebürtige Deutsche, der nach der Kriegsgefangenschaft in Großbritannien blieb, in dieses kleine abgelegene Haus. Die umgebende Landschaft war rau und abweisend, öde Moore auf der einen Seite und die Weite des Atlantiks auf der anderen. Der Blick aus seinem Atelier schweifte über den trostlosen Landstrich mit seinen Farnkraut- oder Ginsterkulturen und über den Atlantik. Weschke liebte und respektierte das Meer, sowohl als Taucher als auch als Künstler, und malte es in vielen Stimmungen.

Hier fand Weschke die Nähe zur Natur, die seine Arbeit zweifellos beeinflusst hat. Die selbst auferlegte Isolation von Cape Cornwall hat auch Weschkes Selbstidentifikation als künstlerischen Außenseiter und als Exilanten verstärkt.

Auch oben wird Dankoff gänzlich ohne Sentimentalität gemalt, die Darstellung des Borsoi ist das Ergebnis von Weschkes genauer Beobachtung des Hundes.

Weschkes Landschaften sind trostlose, elementare Orte: bedrohlich oder Angst einflößend, Lebewesen erscheinen marginalisiert und isoliert. Die einsame Präsenz von Figur, Tier oder Baum ist das wiederkehrende Motiv in seinem Werk und suggeriert eine Affinität zum Existenzialismus. Seine Landschaften, das Alltägliche und Mythische artikulieren große einfache Wahrheiten. Individuelles Erleben übersetzt er in Bilder von universeller Bedeutung.

 

Karl Weschke, Dog Dankoff, 1969 © Jonathan Clark & Co
 

Für einen Großteil seines Lebens dominieren Erdfarben seine Malereien, erst seine Reisen nach Ägypten in den 1990er Jahren befreiten Weschkes Sinn für Farbe. Auch Dankoff fügt sich farblich in die hügelige Umgebung ein, die ihn fast zu erdrücken scheint. Der schlanke Borsoi ist monumental, voluminös und mit expressiven Pinselstrichen gemalt.

Karl Weschke (*1925 in Taubenpreskeln/D, gest. 2005 in Cornwall/GB) hat ein bewegendes und bemerkenswertes Leben geführt.

Er wächst in zerrütteten Familienverhältnissen auf, lebt als Straßenkind, wird in die Hitlerjugend aufgenommen und tritt in die Luftwaffe ein. 1945-48 verbringt er in britischer Kriegsgefangenschaft. Er beginnt zu malen und Skulpturen herzustellen. 1949 war er ein Semester lang Kunststudent in St. Martin und beschloss dann, seinen eigenen autodidaktischen Weg zu gehen. Danach lebt er kurz in Spanien und Schweden, bevor er sich 1955 in der Grafschaft Cornwall niederlässt, zuerst in Zennor, ab 1960 in Cape Cornwall. Ab 1958 stellt er in Einzel- und Gruppenausstellungen aus. 1998 erscheint die erste Monographie über sein Werk. Ein Jahr vor seinem Tod findet in seiner Wahlheimat in der Tate St. Ives eine Retrospektive statt und eine breitere Öffentlichkeit wird auf sein Werk aufmerksam. In Deutschland ist er bis heute kaum bekannt.

 

Karl Weschke, Woman and Dog, 1971 ©  © Belgrave St Ives

Karl Weschke, Portrait of Dog Dankoff, c 1975 © Jonathan Clark & Co

 

Im Anschluss noch Links zu ausführlichen und lesenswerten Beschreibungen von Weschkes Leben und Werk:

Independent, The Telegraph, Ben Tufnell, Der Spiegel, johnathan clark fine art

 

Malerei, Zeichnung