27. Dezember 2021 - 11:34

Chien n°1, 2008-2013 © Tina Mérandon

 

Es sind keine Pudel, Spaniel oder Möpse, die uns in der Serie "Les Chiens" (2008-2013) in dynamischen spannungsgeladenen Bewegungen entgegenlaufen und - springen. Die Fotografin wählte vor allem Pitbulls - als Kampfhunde beschrieben oder stigmatisiert -  und Schäferhunde, um Unbehagen und Angst im Betrachter auszulösen. Wo sich die Hunde befinden, ist unklar. Tina Merandon verwendet den schwarzen Hintergrund, um die Szene nicht auf einen Kontext festzulegen und für die BetrachterInnen Raum für einen Traum oder Albtraum zu geben. Die Hunde scheinen aus der Dunkelheit der Nacht zu kommen und ins hell erleuchtete Licht des Blitzes zu springen.

Greifen die Hunde an, um zu kämpfen, schlagen sie zurück, um sich zu wehren? Ihr Motiv ist nicht bekannt. Die Augen sind gerötet, die Münder aufgerissen, die Lefzen zurückgezogen, die Beiß- und Reißzahnreihen entblößt.

 

Chien n°2, 2008-2013 © Tina Mérandon

Chien n°3, 2008-2013 © Tina Mérandon

 

Die Aggression der Hunde provoziert unsere Reaktion, löst Emotion aus, weckt Ängste. Ihre Gewalttätigkeit öffnet eine Tür zu Urängsten und Albträumen, die in unserer Vorstellung lauern und nun zum Vorschein kommen: die irrationale, kindliche Angst vor dem Hundemonster ebenso wie die realistischere, alltägliche Angst vor gegenwärtiger menschlicher Gewalt. Wir sind das verängstigte Kind, der verängstigte Erwachsene, dessen unbewusste Erinnerung von der Gewalt unserer persönlichen und kollektiven Geschichte heimgesucht wird.

 

Chien n°4, 2008-2013 © Tina Mérandon

 

Violence, barbarie, radicalisation fasciste… Je ressentais depuis plusieurs années une ambiance très proche de l’entre-deux-guerres en Europe, autour de 1930. Une violence sourde ou déclarée, une situation explosive. Mes chiens expriment ce que je ressens. (zit. n. fisheymagazine)

 

"Gewalt, Barbarei, faschistische Radikalisierung ... Seit mehreren Jahren spürte ich eine Stimmung, die der Zwischenkriegszeit in Europa um 1930 sehr ähnlich war. Eine dumpfe oder offene Gewalt, eine explosive Situation. Meine Hunde drücken aus, was ich fühle", sagt Tina Merandon, als sie nach dem Ursprung ihrer Serie "Les Chiens" gefragt wird. (DeepL Translate)

 

Je voulais traduire cette peur, cette violence en images. Une manière de dépasser la narration, de se tourner vers la sensation, d’agir immédiatement sur le spectateur en le touchant par l’instinct, la force émotionnelle. (ebd.)

 

"Ich wollte diese Angst und diese Gewalt in Bilder umsetzen. Eine Art, über die Erzählung hinauszugehen, sich dem Gefühl zuzuwenden, unmittelbar auf den Betrachter einzuwirken und ihn über den Instinkt und die emotionale Kraft zu berühren", ergänzt sie. (DeepL Translate)

 

Chien n°6, 2008-2013 © Tina Mérandon

Chien n°7, 2008-2013 © Tina Mérandon

Chien n°8, 2008-2013 © Tina Mérandon

Chien n°9, 2008-2013 © Tina Mérandon

Chien n°11, 2008-2013 © Tina Mérandon

Chien n°12, 2008-2013 © Tina Mérandon

 

In all ihren Fotoserien (z.B. Boxer, Kämpfer/Ringer, Tänzerinnen) nimmt der sich bewegende menschliche oder tierische Körper und seine Empfindungen einen wichtigen Platz ein. Sie erforscht die Mechanismen menschlicher Interaktion: Dialoge und Konfrontationen stehen als Themen im Mittelpunkt. Was hat der Körper mit der individuellen und kollektiven Geschichte zu tun? Was sind die Bedingungen oder Umstände des Menschseins? Was ist die Natur des Menschen? Wie gestalten sich Machtverhältnisse auf politischer, sozialer oder privater Ebene?

Dabei arbeitet sie häufig in den nördlichen Vororten von Paris, im "93". Die Bevölkerung ist dort sehr jung und der Anteil der Einwanderer ist einer der höchsten in Frankreich. Im Oktober/November 2005 geriet das Département überdies aufgrund eskalierender, tagelanger Krawalle in die Schlagzeilen. Die explosive Gewalt der Serie "Les Chiens", die in Zusammenarbeit mit professionellen Hunde-Trainern entstand, kann auch als Metapher für die Aggressivität und Frustration der Vorstadtjugend gelesen werden.

 

Chien n°13, 2008-2013 © Tina Mérandon

 

In "Anima" (2014) und "Fratres" (2015-2016) ist es die Verbindung zwischen Kind/Mensch und Tier, die Komplizenschaft, die verschmelzende Seite ihrer Beziehung, die von der Fotografin erforscht wird. Sie zeigt Momente der Anmut, in denen der Körper des Kindes und der seines Tieres zu verschmelzen scheinen, als würden die beiden Körper zu einem einzigen werden und so die Grenze zwischen Menschlichkeit und Tierlichkeit brüchig machen.

 

Ce qui m’intéresse, c’est le mimétisme, l’osmose entre l’homme et l’animal, comment l’un imprègne l’autre, et réciproquement. Cela questionne l’identité de l’homme dans une société très virtuelle, très déconnectée, avec en même temps des résurgences tribales et primaires. (ebd.)

 

"Was mich interessiert, ist die Mimikry, die Osmose zwischen Mensch und Tier, wie das eine das andere durchdringt und umgekehrt. Es stellt die Identität des Menschen in einer sehr virtuellen, sehr unverbundenen Gesellschaft in Frage, mit gleichzeitig tribalen und primitiven Wiederbelebungen." (DeepL Translate)

 

Anima II n°6, 2014 © Tina Mérandon

Fratres n°14, 2015-2016 © Tina Merandon

 

Tina Merandon (*1963) lebt und arbeitet in Paris. Ihre Fotoserien werden regelmäßig national und international ausgestellt und sind Teil öffentlicher und privater Sammlungen.
 

alle Fotos © Tina Merandon

 

Fotografie
21. Dezember 2021 - 10:53

Die finnische Künstlerin Liisa Hietanen fertigt in der Serie "Villagers" seit 2012 Doppelgänger der Bewohner und Bewohnerinnen ihrer Heimatgemeinde Hämeenkyrö an. Sie strickt, häkelt und stickt, bis bei ihren Skulpturen aus Garn größtmögliche Ähnlichkeit erzielt ist - von der Nachbildung der Kleidung bis hin zu den tierischen Begleitern.

Die Auswahl ihrer Modelle erfolgt intuitiv. Die Person kann jemand sein, den sie in der Bibliothek oder in der Umkleidekabine des Fitnessstudios trifft oder jemand, der mit seinem Hund spazieren geht. Wichtig ist ihr das Darstellen ihr unbekannter Einwohner in Alltagssituationen.

Das Kennenlernen der Modelle und das Arbeiten in der Gemeinde ist neben dem künstlerischen Aspekt ein Hauptanliegen von Liisa. Gegenstand der Arbeiten ist die Begegnung und das langsame Kennenlernen eines Gegenübers. Die Arbeit in einer Gemeinschaft ist ein wesentlicher Teil von Hietanens Arbeit.

 

Raija, 2018 © Liisa Hietanen, Foto Marjaana Malkamäki

 

Was ist unter der Wollhaut, was verbirgt sich im Inneren des Strickwerks? Über ihre Arbeitsweise habe ich nichts Genaues herausgefunden, nur soviel: Die Figuren werden aus weichen Materialien wie Schaumstoff und Watte über einer Armierung geformt.

Zuerst fotografiert sie ihr Modell aus allen Blickwinkeln, Skizzen sind nicht nötig. Sie schweißt ein einfaches Gerüst und verwendet bei Bedarf Beton als Gewicht, damit die Figuren von allein stehen. Danach formt sie die Gestalt aus Schaumstoff und näht Stoff auf diese Füllung. Darauf werden die gestrickten und gehäkelten Teile genäht. Sie können sich sicher vorstellen, dass dies ein langwieriger Prozess ist.

Im Durchschnitt braucht sie drei Monate für eine Dorfbewohner-Skulptur, wenn zusätzliche Teile wie ein Hund dazukommen, dauert es noch länger.

Dieses langsame Entstehen der Skulptur geht parallel mit dem Kennenlernen des modellgebenden Menschen. Während des Prozesses trifft sie ihre Modelle mehrmals persönlich, da es ihr wichtig ist, die Menschen zu sehen, um sie zu modellieren, und nicht nur ihre fotografischen Vorlagen zur Verfügung zu haben.

Die zeitintensive handwerkliche Technik wirkt der gegenwärtigen Schnelllebigkeit entgegen. Auch das Einfühlen in ihr Gegenüber ist für die Textilkünstlerin ein relevanter Wert und steht im Gegensatz zu den schnellen seichten Begegnungen in den sozialen Medien.

 

Liisa Hietanen bei der Arbeit
Foto von hier

 

Jedes fertige Werk wird an einem öffentlichen Ort aufgestellt, der nahe am Alltagsleben der Einwohner ist. Das kann eine Bibliothek, ein Blumenladen oder ein Restaurant sein. Manche Strickskulpturen reisen sogar zu Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. Liisa möchte, dass ihre Arbeit sowohl für sie selbst als auch für die im Dorf lebenden Menschen eine Bedeutung hat.

 

Modell und Skulptur
Foto von sewandsouk

 

Liisa Hietanen (*1981 in Lohja/ Finnland) schloss 2007 ihren Bachelor of Design an der Lahti University of Applied Sciences und 2012 ihren Bachelor of Fine Arts an der Tampere University of Applied Sciences ab. 2009 begann sie mit Garn zu arbeiten, 2011 hatte sie ihre erste Einzelausstellung. Ihre Arbeiten wurden für eine Vielzahl von Gruppenausstellungen in finnischen Galerien und Museen ausgewählt und sind Bestandteil mehrerer öffentlicher Sammlungen. Sie lebt und arbeitet in Hämeenkyrö, Finnland.

Homepage der Künstlerin

 

Skulptur
13. Dezember 2021 - 11:16

Er konnte jeden Tag denselben Spaziergang machen und an demselben Stück Gras schnuppern, und es war, als wäre es das beste Stück Gras, das er je geschnuppert hatte. Jeder Tag war ein großer Tag für Benny.

 

Die Fotoserie "Benny Was A Good Boy" von Catherine Panebianco, die das letzte Jahr ihres altersschwachen Hundes zeigt, bewegt und trifft mich unvermittelt. Sie ist melancholisch und deutet Abschied, Vergehen und Vergänglichkeit bereits in jedem einzelnen Foto der Hommage an ihren besten Freund an. Sie  ist auch formal ausgezeichnet: die Hell-Dunkel-Kontraste, Diagonalen, Formkongruenzen ...

 

Benny Was A Good Boy 1 © Catherine Panebianco

 

Streicheln und das Erinnern vorwegnehmen.

 

Benny Was A Good Boy 2 © Catherine Panebianco

 

Ruhen und Spazieren.

 

Benny Was A Good Boy 3 © Catherine Panebianco

 

Schlafen; der Schlaf als kleiner Bruder des Todes; dazu Arthur Schopenhauer: "Jeder Tag ist ein kleines Leben: jedes Aufwachen und Aufstehen eine kleine Geburt, jeder frische Morgen eine kleine Jugend, jedes Ausruhen und Schlafen ein wenig Tod."

 

Benny Was A Good Boy 4 © Catherine Panebianco

 

Winter: Das Jahr geht zur Neige, neige (frz.) = Schnee, der Schnee schmilzt.

 

Benny Was A Good Boy 5 © Catherine Panebianco

 

Neugierig um die Ecke schielen, um die Ecke biegen.

 

Benny Was A Good Boy 6 © Catherine Panebianco

 

Gerade warst du noch da!

 

Benny Was A Good Boy 7 © Catherine Panebianco

 

Länger werdende Schatten künden vom Ende des Tages.

 

Benny Was A Good Boy 8 © Catherine Panebianco

 

Pfotenabdrücke sind Spuren des Vergangenen, die nassen Abdrücke trocknen und verschwinden.

 

Benny Was A Good Boy 9 © Catherine Panebianco

 

Ein Kreis aus Licht und eine Spur im Schnee.

 

Benny Was A Good Boy 10 © Catherine Panebianco

 

Bens in Gips gegossenen Pfotenabdruck berühren - seinen Tod vorwegnehmend/antizipierend.

 

Benny Was A Good Boy 11 © Catherine Panebianco

 

Ins Licht gehen! (Das Stoppschild ist prosaisch.)

 

Catherine Panebianco hat das letzte Lebensjahr ihres vierzehnjährigen Benny fotografisch begleitet. Sie ging jeden Tag zweimal mit ihm spazieren, zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter erlebten sie gemeinsam Abenteuer. Doch wie so oft bei Hunden lag die wahre Schönheit des Lebens mit Benny in den alltäglichen Momenten dazwischen, die Menschen manchmal zu genießen vergessen.

Sie legte ihre Kamera beiseite und verwendete ihr Smartphone, um die intimen, besonderen Momente in ihrer Beziehung festzuhalten. Das Handy war unmittelbarer und verbindender und die Künstlerin schoss verschwommene, körnige Schwarz-Weiß-Fotos, die eine in sich geschlossene Stimmung erzeugten. Was als Chronik begann, wurde die fotografische Geschichte eines langen Abschieds Die Präsentation der Bilder als Diptychen unterstrich die Beziehung des Paares zusätzlich.

Für mich gibt es nichts Liebenswürdigeres als einen alten Hund - matte Augen, grauweiße Schnauzen, steifer Gang - nicht ansatzweise könnte da ein Welpe mithalten. Meine Hedy ist inzwischen elf Jahre alt und immer öfter quält mich der Gedanke, wie lange sie noch leben wird. Der Wunsch, jeden Tag zu etwas Besonderem werden zu lassen, keine gemeinsame Zeit zu verschwenden, wird dringlicher.

Man verliere niemanden ganz, da man die guten Erinnerungen an einen geliebten Menschen, an ein geliebtes Tier behält. Sie bleiben als Schnappschüsse in unserem Gedächtnis, meint die Fotografin. Widerspruch! sage ich, die schon zweimal den Tod eigener Hunde miterleben musste. Der Schmerz über den Verlust nimmt nicht ab, allerdings verblasst die Erinnerung - wir vergessen - was den Schmerz noch vermehrt. Fotografien helfen den Erinnerungen auf die Sprünge. Die Fotos unserer Hunde werden zu einer Erinnerung, nicht an das, was wir verloren haben, sondern an das, was wir hatten.

Dazu passt ein Lied, das ich seit ein paar Wochen fast täglich höre und das mich tröstet, obwohl ich dabei immer weinen muss. Ich denke dabei an Rocco, Lucy, Arrak, Georg und alle anderen betrauerten und unbetrauerten Hunde der Welt.

 

 

 

 

Da die meisten LeserInnen des Blogs vermutlich kein Kärntnerisch verstehen, kommt als kleine Hilfestellung meine Übersetzung von Fuzzman ins Umgangssprachliche:

laufen und lachen

du wirst laufen und lachen und huhu wirst du schreien / und tu mir was äsen (?), wirst du sagen / und die wiesen werden blühen und hoch hinauf wirst du steigen / dort wo nichts jemals zu klein ist was zählt

du wirst springen und jauchzen und du fröhlich wirst du sein / und dich freuen, dass es das alles gibt / wir werden singen und tanzen so wild und so weit / und du bist wieder mitten da drin

dir wird nie mehr was weh tun und nie mehr was fehlen / und du brauchst auch nie wieder einen schuh / es wird alles ganz leicht und es wird wieder schön / und ich wünsch deiner seele jetzt ruhe / deiner seele jetzt für immer ruhe

 

LP/CD Fuzzman: Vernunft, 2021

alle Fotos © Catherine Panebianco

 

Fotografie
6. Dezember 2021 - 12:48

Linda Brant untersucht in ihrer künstlerischen Arbeit (Fotografie, Skulptur, Kunst im öffentlichen Raum und interaktive Projekte) die Art und Weise wie Menschen nichtmenschliche Tiere nach ihrem Tod ehren oder nicht ehren. Während Haustiere häufig betrauert werden, sterben "Nutziere", Wildtiere und Labortiere praktisch unbemerkt und unbetrauert. Was macht eine Tierart der Trauer würdig, eine andere unwürdig? Welche Auswirkungen haben unsere Werte und Urteile über nichtmenschliche Tiere auf die Menschheit?

In ihrem Pet Cemetery Project dokumentiert Linda Brant Grabsteine auf Haustierfriedhöfen in ländlichen und vorstädtischen Gebieten Floridas und kombiniert sie mit Bildern ausgebeuteter Tiere. Die Bildpaare weisen auf Ungereimtheiten und Widersprüche in unseren Beziehungen zu unterschiedlichen Tieren hin.

 

Gracie © Linda Brant

 

Die Künstlerin kombiniert ein Foto des Grabes von Gracie mit einem Bild von zwei Gorillas im Zoo von San Diego; die Mutter untersucht ein i-Pad, das in das Gehege gefallen ist.

 

Pepper © Linda Brant

 

Sie kombiniert das Foto des Grabes von Pepper mit einem Bild eines Zirkuselefanten, der auf einem Ball balanciert.

 

 

Mourned and Unmourned, ein interaktives Kunstprojekt, fand am 25. April 2015 in Orlando/Florida statt. Einmal im Jahr kommt die Gemeinde von Orlando zusammen, um ihrer verstorbenen Hunde zu gedenken. Dabei werden Papierlaternen mit Fotos, Zeichnungen und Botschaften verziert und in der Abenddämmerung auf den See gesetzt. Linda Brants Projekt fand im Rahmen dieser Veranstaltung statt. Sie recycelte die Papierlaternen von früheren Gedenkfeiern und schuf 68 Collagen, die die betrauerten Hunde und ihre fortdauernde Präsenz in unserem Leben darstellen. Doch was ist mit den nicht betrauerten und unbekannten Hunden?  2014 wurden 1583 Hunde von den Orange County Animal Services eingeschläfert.  Die Öffentlichkeit war eingeladen, der Künstlerin beim Aufhängen von 1583 Hundemarken zu helfen, die jeweils mit dem Wort Unknown beschriftet waren. Die Marken für die namenlosen Hunde hingen über den Collagen für die betrauerten Hunde: An alle wurde gedacht.

Auch wenn es nichts mit Hunden zu tun hat, möchte ich ein weiteres Projekt von Linda Brant vorstellen: Auf dem Hartsdale Pet Cemetery in New York hat die Künstlerin eine besondere Gedenkstätte für Nutztiere errichtet. Das Projekt To Animals We Do Not Mourn begann 2015, als Brant das erste von zwei Kreativitätsstipendien der Culture and Animals Foundation erhielt, deren Aufgabe es ist, Künstler und Stipendiaten dabei zu unterstützen, unser Verständnis und unser Engagement für Tiere zu fördern.

Das Mahnmal ist den Tieren gewidmet, die wir normalerweise nicht betrauern, den namenlosen Rindern, Hühnern, Truthähnen, Schweinen und Schafen. Es ist sowohl ein Mahnmal, ein Kunstwerk als auch ein eindringliches Statement für die Notwendigkeit einer größeren Achtsamkeit beim Umgang mit diesen Individuen.

Das Denkmal besteht aus einer sanft geschwungenen, aufrechten Granittafel mit einem gegossenen Rinderschädel in der Mitte.

 

Frontalansicht des Mahnmals © Linda Brant

 

Ein von Hand facettierter Quarzkristall ist an der Stelle platziert, wo das Bolzenschussgerät beim Töten zwischen die Augen geschossen wird. Der Kristall fungiert als Symbol und verwandelt den Ort des Schmerzes in einen Aufruf zum Mitgefühl.

 

Detailansicht des Mahnmals © Linda Brant

 

Das Denkmal wurde am 26. Oktober 2018 auf dem Hartsdale Pet Cemetery aufgestellt. Am 18. Mai 2019 enthüllen Mia MacDonald (Culture and Animals Foundation), Linda Brant und Ed Martin (Haertsdale Pet Cemetary) das Mahnmal. Es befindet sich in der Mitte des Friedhofs in der Nähe des War Dog Memorials, das 1923 aufgestellt wurde. Der 1896 gegründete Haustierfriedhof Hartsdale ist als "The Peaceable Kingdom" bekannt, weil dort alle Tierarten willkommen sind. Er ist der älteste bekannte Haustierfriedhof in den Vereinigten Staaten und steht auf der Liste des National Register of Historic Places.

 

Enthüllung des Mahnmals

Detailansicht des Mahnmals © Linda Brant

 

Jeder Besucher, der die Botschaft des Mahnmals unterstützt, kann einen Stein an seinem Sockel hinterlassen. Die Steine werden gesammelt und bilden die Grundlage für ein neues Mahnmal für die Unbetrauerten. 

Linda Brant lebt und arbeitet als bildende Künstlerin und klinische Psychologin in Orlando/Florida/USA. Sie unterhält eine Privatpraxis und lehrt am Ringling College of Art and Design und an der Saybrook University.

 

30. November 2021 - 13:08

© Aleksey Myakishev

 

Und wieder ein Hund in der Nacht! Nach Rom und Georgien jetzt also Russland.

Das Foto bildet eine Ausnahme im monochromen Schwarz-Weiß des russischen Fotografen und Fotojournalisten Aleksey Myakishev: Es ist ein Farbfoto!

Ich habe mich durch Hunderte seiner Schwarz-Weiß-Fotos über Gebiete im nördlichen Russland geklickt. Assoziationen und Gefühle, die beim Betrachten kommen sind Kälte, Winter, Armut, weite Landschaft, dünne Besiedlung, Einsamkeit, aber auch eine gewisse Zeitlosigkeit. Die Fotos scheinen aus der Zeit gefallen: Nichts Modernes stört das Gleichgewicht zwischen Mensch und Umwelt. Myakishev will zeigen, dass das Leben im russischen Dorf in Harmonie zur Natur erfolgt.

Seine teilweise sehr umfangreichen und über einen langen Zeitraum entstandenen Serien sind wie epische Gedichte über die Regionen, Chroniken des bäuerlichen Lebens. In Vyatka fängt Aleksey Myakishev zwei Jahrzehnte (1993-2003) die einfachen Momente des Alltags ein. Aus jedem Foto spricht die Nähe und Verbundenheit zu den Menschen, erkennt man, dass die Sicht des Fotografen von Liebe für die Menschen durchdrungen ist. Die Langfristigkeit des Projekts bedingt es, dass der Fotograf mitfühlender Teil der Welt wird, die er visuell beschreibt.

 

Vyatka © Aleksey Myakishev

Vyatka © Aleksey Myakishev

© Aleksey Myakishev

© Aleksey Myakishev

 

Am Ufer eines Sees liegt das kleine Dorf Kolodozero, eingebettet zwischen Karelien und der Oblast Archangelsk im Nordwesten Russlands (eine Oblast ist eine Föderationseinheit ausgestattet mit einer administrativen Autonomie). Die Einwohner leben vom Holzfällen, Fischen, Jagen, der landwirtschaftlichen Selbstversorgung und dem Sammeln von Metallschrott, der vor Ort verkauft wird. "Das Leben in Kolodozero ist nichts für Zartbesaitete", schreibt Myakishev, doch auch, dass der Ort etwas Besonderes ist.

Was bedeutet es, Jahreszeiten zu spüren? Den Geruch von Schnee, Wasser und Gras wahrzunehmen; in Kolodozero atmet die Natur, es ist ein Ort, "an dem die Seele singt". Zu jeder Jahreszeit kehrt der Fortograf zurück. Die Fotoserie entstand zwischen 2011 und 2015.

 

Das Plätschern des Wassers, das Rascheln der Grashalme und der Wind bewegen mich so, dass ich das Gefühl der Freude in mir kaum unterdrücken kann. Und dann, in einem Wimpernschlag, wird mir klar, dass ich zu Hause bin, und ich fühle, dass ich verstehe, woher ich komme. (Aleksey Myakishev)

 

Aleksey Myakishev bewundert die Natur an diesen Orten im russischen Nordwesten. Ihre Stille, Schönheit und Erhabenheit inspirieren ihn.

 

Nach mehreren Jahren der Wanderschaft (...) habe ich verstanden, dass ich eine erstaunliche, unberührte Welt der rätselhaften russischen Seele berührt habe. (Aleksey Myakishev)

 

Koldozero © Aleksey Myakishev

Koldozero © Aleksey Myakishev

Koldozero © Aleksey Myakishev

 

Was auf seinen poetischen, stillen, schwermütigen, aber ausdrucksstarken Aufnahmen als Melancholie erscheint, beruht nicht auf einer Sehnsucht nach der UdSSR, sondern viel mehr auf dem Studium seiner Vorbilder, das der Autodidakt während der UdSSR in der Stadtbibliothek vorgenommen hat. Er erlernte die Fotografie durch das Durchforsten von Büchern über bildende Künstler wie Edgar Degas und Matisse, die er damals für erstaunlich fotografische Künstler hielt. Auch Sergei Lobowikow, ein russischer Fotograf des frühen 20. Jahrhunderts, hat ihn stark beeinflusst, aber auch Henri Cartier-Bresson und Robert Frank waren ihm bekannt. Von ihnen inspiriert entwickelte er einen Stil, der die Tradition des entscheidenden Augenblicks fortsetzte und sie mit einem tiefen Einfühlungsvermögen für seine Motive verband.

 

Kyrgyzstan © Aleksey Myakishev

Sakhalin © Aleksey Myakishev

Sakhalin © Aleksey Myakishev

Sakhalin © Aleksey Myakishev

Sakhalin © Aleksey Myakishev

Sakhalin © Aleksey Myakishev

 

Schon 1985 begann Aleksey mit dem für ihn erschwinglichen Schwarz-Weiß-Film zu arbeiten, der ihn die Magie der Fotografie spüren ließ: Die Magie, die sich in der Unvorhersehbarkeit des Ergebnisses auf Film niederschlägt, sowie die Magie beim Prozess des Entwickelns.

ihn interessante, inspirierende Region, dort improvisiert er, verlässt er sich auf sein Glück und seine Intuition. 30-40 Filme pro Aufenthalt entstehen, meditative Routine (entwickeln, scannen, drucken ...) folgt, das Material muss den Test der Zeit bestehen. Aus manchen Serien wird ein Buch, ein taktiles Ergebnis jahrelanger harter Arbeit.

Aleksey Myakishev (*1971 in Kirov/Vyatka/UdSSR) arbeitet seit 1991 als professioneller Fotojournalist. Im Jahr 1999 zog er nach Moskau und wurde freiberuflicher Fotograf. Seine Arbeiten wurden in Zeitschriften in Russland und Finnland veröffentlicht und hängen in zahlreichen Privatsammlungen. Er präsentiert seine Fotos in Einzelausstellungen in Russland und Europa.

Er gehört einer humanistischen Fotografie an, die sich dem Menschen in seinem täglichen Leben und Umfeld und mit all seinen Emotionen widmet, und ohne Inszenierung und Künstlichkeit auskommt. Die Themen sind mannigfaltig, aber die Frage bleibt: Was macht uns menschlich, was ist der gemeinsame Nenner der Menschlichkeit?

 

Solovki © Aleksey Myakishev

Solovki © Aleksey Myakishev

 

Das untere Bild muss ich Ihnen einfach zeigen! Es schaut aus, als wäre Erwin Wurm in Russlands Norden vorbeigekommen.

 

© Aleksey Myakishev

 

Quellen: leica, inframe, Photographic Encounters Friends of the Albert-Kahn Museum

alle Fotos © Aleksey Myakishev

 

Fotografie
25. November 2021 - 10:19

Drei Mädchen beugen sich zu einem Hund, der sie freudig begrüßt und an einer der jungen Frauen hochspringt. Ein Mädchen umfasst den Hund mit manieriert gedehnten Armen.

 

Adolf de Haer, Drei Mädchen mit Hund, um 1919 © Adolf de Haer
Adolf de Haer, Drei Mädchen mit Hund, um 1919

 

Das Bild vereint Merkmale des Kubismus und Expressionismus. Expressiv ist die Farbgestaltung, die durch den Komplementärkontrast (gelb-blau) bestimmt wird. Die gelbgrüne Hautfarbe der Mädchen ist lichtdurchflutet, ihr Haar glänzt blau. Kubistisch ist die Zerlegung der Körper und Kleidung in kristalline Dreiecksformen. Der Hintergrund geht in eine flächige rhythmische abstrakte Komposition über. Vieles ähnelt dabei dem Werk der Expressionisten Franz Marc und Ernst Ludwig Kirchner, den Kompositionen Lyonel Feinigers oder erinnert an den Futurismus.

 

Meine Erlebnisse und Visionen suchte ich in ein tektonisches Bildprinzip zu bannen. Mit den primitivsten (geometrischen) Formen baute ich meine Bilder. (Adolf de Haer zit.n.hier)

 

Adolf de Haer, Drei Mädchen mit Hund, Detail, um 1919 © Adolf de Haer
 

Adolf de Haers (*1892 in Düsseldorf/D, gest. 1944 bei Osnabrück/D) bedeutendste Werke datieren zwischen 1919 und 1921, in der Zeit entstanden auch seine großartigen kubistisch-expressiven Holzschnitte, Radierungen und Lithografien. In den nächsten zwei Jahrzehnten nimmt er eine Entwicklung von der Abstraktion zur Gegenständlichkeit. Nach Expressionismus und impressionistischen Tendenzen arbeitet er in einem immer schlichter werdenden Naturalismus der weiblichen Akte und Blumenstillleben. Dieses Spätwerk macht verständlich, warum er als Künstler der zweiten Reihe in Vergessenheit geriet.

Obwohl de Haer schon Mitte der zwanziger Jahre die kubistisch-expressionistische Abstraktion aufgegeben hatte, wird das frühe Werk Adolf de Haers 1937 aus dem Kunstmuseum Düsseldorf von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und als entartet eingestuft. Vielleicht erklärt sich auch dadurch seine späte Hinwendung zu einer sehr gefälligen, konventionellen Malerei: Der Schock der Verfemung von 1937 war möglicherweise zu stark.

Seine "Drei Mädchen mit Hund" sind vom 19. September 2021 bis 23. Januar 2022 im Sauerland-Museum in der Ausstellung "Im Westen viel Neues: Facetten des rheinisch-westfälischen Expressionismus" zu sehen.

Die Ausstellung rückt die vielfältigen Facetten des Expressionismus im Rheinland und in Westfalen in den Mittelpunkt und beleuchtet damit den Westen als ein wichtiges künstlerisches Zentrum neben Berlin und München. Eine neue Generation von Kunstschaffenden empfindet Formzertrümmerungen und leuchtende Farben als passende Ausdrucksmittel für die existentiellen Erfahrungen und Wirren der Zeit.

Unten sehen Sie das Ausstellungsplakat. Aus Sicht der Hundefreunde und -liebhaberinnen gänzlich misslungen, fehlt doch der Hund! Unklar ist nun, worauf die jungen Mädchen blicken, Aussage und Sinn des Werks sind unter der Typografie verloren gegangen.

 

Ausstellungsplakat
Plakat von hier
 

 

Ausstellung, Malerei
21. November 2021 - 12:28

© Tamuna Chkareuli

 

Diese Aufnahme der georgischen Fotografin Tamuna Chkareuli, die ich zufällig gefunden habe, passt perfekt im Anschluss an die Melancholie der "Acht Hunde" von Herbert Starek. Der einsame, an den Rand gesetzt Hund befindet sich allerdings nicht in Rom, sondern im nächtlichen Georgien.

Die Fotografie gehört zur Serie "Internally displaced memories", in der sich die Fotografin mit den Auswirkungen des Kaukasuskrieges beschäftigt. Wir sehen menschenleere Landschaften und Siedlungen, Straßen mit sich entfernenden Menschen, oft klein als Rückenfiguren. Und unseren einsamen markierenden Hund.

Während des russisch-georgischen Konflikts im Jahr 2008 flohen die Menschen nur mit der Kleidung, die sie trugen, aus Südossetien. Sie konnten keine Fotos aus ihrer Vergangenheit retten, ihnen wurde die Möglichkeit genommen, sich anhand von Familienfotos an ihre Heimat zu erinnern. Tamuna Chkareuli, die selbst ossetische Wurzeln hat, füllt mit ihren Aufnahmen, die Leerstellen in den Fotoalben und schafft damit neue Erinnerungen.

Tamuna Chkareuli lebt in Tiflis. Sie interessiert sich sehr für soziale Themen und konzentriert sich hauptsächlich auf die Darstellung unterdrückter, vernachlässigter oder traumatisierter Menschen.

In ihren Fotoserien lotet sie die Grenzen zwischen Zusammengehörigkeit und Einsamkeit aus und beschäftigt sich mit dem emotionalen Vakuum, das die fortschreitende Individualisierung mit sich bringt.

Tamuna Chkareuli studierte an der University of Westminster Dokumentarfotografie und Fotojournalismus. Sie arbeitet sowohl in London als auch in Tiflis als freiberufliche Fotojournalistin und entwickelt gleichzeitig ihre persönlichen Projekte. Hauptsächlich beschäftigt sie sich in ihren langfristigen journalistischen Arbeiten und Fotostorys mit der lebendigen und politisch aufgeladenen Atmosphäre des Südkaukasus.

 

Foto © Tamuna Chkareuli

Fotofrafie
17. November 2021 - 10:50

Im letzten Blogbeitrag habe ich auf ein flaches Paket unter dem Hochzeitstisch hingewiesen. Inzwischen ist es ausgepackt. Sein Inhalt: Ein druckgraphisches Werk des österreichischen Künstlers Herbert Starek (*1954).

"Je freier die Assoziationen, desto besser", beteuert Herbert Starek über die Rezeption seiner dadaistischen und surrealen Kartographien. Er gibt uns "kühnen Interpreten" damit einen Freibrief zum Finden unserer ganz individuellen Bezugs- und Koordinatensysteme, unserer persönlichen Interpretationen, die auf unseren Erlebnissen, Erfahrungen und unserem Wissen basieren. Vieles in seinem Werk bleibt kryptisch, mysteriös, manches können wir decodieren oder meinen dies jedenfalls.

 

Symphonie Nr. 101 in D-Dur für vier Hunde, 2016 © Herbert Starek
Symphonie Nr. 101 in D-Dur für vier Hunde, 2016 aus der Serie "Schleierhafte Karten"
 

Die großflächigen Karten erwecken zunächst den Eindruck korrekter topografischer Abbildungen. Auch bei "Symphonie Nr. 101 in D-Dur für vier Hunde" aus der Serie "Schleierhafte Karten" kann der suchende Blick wie bei klassischen Landkarten Wälder, Dörfer, Gebirge sowie Himmelsrichtungen ausmachen. Doch Vorsicht: Norden ist im Süden und umgekehrt. Diese Karte gibt wohl keine Orientierung. Doch darum geht es dem Künstler: Karten als untaugliche Mittel zu entlarven, uns in der Welt zu orientieren. Nur vordergründig suggerieren sie Ordnung und Hilfe beim Zurechtfinden in einer komplexen unwirtlichen Welt. Denn: Die Karten sind fiktiv.

Ich versuche mich in Kühnheit und interpretatorischer Verwegenheit. Google ist als schnelles Werkzeug zur Hand, um den einzelnen Bild- und Textelementen nachzuspüren: Sternenkarte wird verworfen und das Werk als Seekarte identifiziert. Geben die kleinen Pfeile Strömungsrichtungen des Wassers vor? Ist eine Partitur in die Karte verwoben und stehen die vier Hunde für die vier Sätze der Symphonie? Ein Hund macht einen Spielbogen, einer bellt, einer heult und einer wacht. Oder interpretieren die Hunde die Inselnamen? Steht der wachsame Dobermann für den - martialischen - Mars?

Tybee ist eine Insel vor der Küste Georgias, unweit von Savannah entfernt. Die meisten Historiker glauben, dass sich der Name "Tybee" von dem Wort der Euchee-Indigenen für Salz ableitet, das eine der vielen natürlichen Ressourcen war, die auf Tybee gefunden wurden. Und findet sich auf Stareks Tybee nicht ein kleines Tipi? Die Mars-Insel liegt vor der Knox-Küste des ostantarktischen Wilkeslands, sie wurde 1956 von einer sowjetischen Antarktisexpedition kartiert. Die Cookinseln sind ein unabhängiger Inselstaat in "freier Assoziierung mit Neuseeland" und eine Inselgruppe im südlichen Pazifik. Die Cookinseln sind der erste Staat, in dem Frauen zur Wahl gingen.

Womit ich bei der insellosen "rückwärts laufenden", also palindromischen Anna wäre …

Doch bringt mich das wirklich weiter? Reicht es nicht das Tintenblau, die Komposition und ästhetische Sensibilität zu bewundern? Die Alterungsspuren zu genießen, die den computergenerierten Karten hinzugefügt wurden und den Arbeiten von unglaublicher drucktechnischer Präzision einen paradoxen Reiz geben und Echtheit vorspiegeln?

 

Symphonie Nr. 101 in D-Dur für vier Hunde (Detail), 2016 © Herbert Starek
Detail aus Symphonie Nr. 101 in D-Dur für vier Hunde
 

In der Gestalt des in Lugano lebenden fiktiven Privatgelehrten Amadeus Cavori entsendet Starek diesen seit 2002 auf zahlreiche Reisen.

 

Acht Hunde, 2019 © Herbert Starek
Acht Hunde, 2019 aus der Serie "Blinde Worte"
 

Vom Künstler weiß ich, dass das Werk "Acht Hunde" der Serie "Blinde Worte" "unter Verwendung eines Fimstills aus dem Film "L'Eclisse" von Michelangelo Antonioni mit der wunderschönen Monica Vitti und dem wunderschönen Alain Delon" entstanden ist.

Zwei einsame ziellose Menschen beginnen im Rom der 60er Jahre eine Beziehung. Doch ihr Gefühl des Verlorenseins ist stärker als die Liebe. Sie verabreden sich, doch keiner von beiden erscheint zum vereinbarten Zeitpunkt. Der Film endet mit einer mehrere Minuten langen Abfolge von Einstellungen, die den menschenleeren Ort ihrer Verabredung zeigen, während die Dunkelheit des Filmtitels (L’eclisse = dt. Finsternis) hereinbricht.

Ohne den Film zu kennen, liegt die Vermutung nahe, dass wir diesen einsamen, menschenleeren Ort betrachten, der nur von Hunden belebt wird. Aber: Wandern ist verboten! Tybee kommt als König vor. Google bringt nur einen Treffer in "Flavii Josephi des Hochberühmten Jüdischen Geschichtsschreibers Historien und Bücher", aber für mich keine weiterführede Erkenntnis. Eine Sackgasse. Spontan  fallen mir einige Filme italienischer Regisseure ein, die Hunde ins Zentrum der Erzählung stellen: Von Vittorio De Sicas "Umberto D" bis zu "Dogman" von Matteo Garrone.

Wieder beschränke ich mich lieber auf die Ästhetik und die Poesie und Stille, die das Werk ausstrahlt, die Hunde scheinen fast zu schweben, einer fast unsichtbar in der Dunkelheit. Herbert Starek kombiniert in seinen penibel und präzise konstruierte Karten Wort und Bild, die uns wiederum zu Gedankenkonstruktionen innerhalb eines Werks, aber auch zwischen den Werken (Tybee bzw. König Tybee!) verführen sollen. Je nachdem, wie wir die Leerstellen zwischen Text und Bild füllen, ergeben sich unzählige neue Konstellationen, je nachdem, ob wir bei unseren Bildassoziationen politische, philosophische oder poetische Verknüpfungen vornehmen.

Quellen: NöART, artbits.

 

alle Bilder © Herbert Starek

Grafik
12. November 2021 - 13:20

Die letzten Monate standen ganz im Zeichen der Vor- und Nachbereitung meiner Hochzeit, da ich nach achtzehn Jahren (un)wilder Ehe meinen Lebenspartner geheiratet habe. Nach mehrmonatiger Pause nehme ich nun die Arbeit an meinem Blog wieder auf.

 

Das frisch getraute Ehepaar, Foto: freynoi

Hedy, Foto: freynoi

 

Ich versuche diesem privaten Ereignis auch Hund-und-Kunst-Aspekte abzuringen:

 

Die Hochzeitstorte, Foto: freynoi

 

Sind die Huskys auf der Torte nicht absolut gelungen? Wahres Zuckerkunsthandwerk!

 

Petra und Marion, Foto: freynoi

 

Hier sehen Sie Marion Löcker vom Tierrechtsverein Robin Hood, wie ich ihr gerade eine Hundekeramik überreiche. Christiane Grüner hat die Hundehütte mit ruhendem Husky darauf gestaltet. Sie kann wie eine Dose mit Deckel geöffnet werden, darin befand sich ein Geldgeschenk für Marions Grönlandhundeprojekt.

 

Das Geschenk, Foto: freynoi

Eine Hundekeramik (Detail), Foto: freynoi

 

Im großen Packerl unter dem Tisch befindet sich ein Bild, darüber im nächsten Blogbeitrag mehr!

 

Noch verpackt, Foto: freynoi

 

alle Fotos © freynoi

 

Sonstiges, Skulptur
27. Juni 2021 - 10:54

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Sein Interesse an der Abkehr der Menschheit von der Natur begleitet den neuseeländischen Künstler Hayden Fowler seit seiner Kindheit. Der Wunsch, die Auswirkungen dieser Entfremdung zu erforschen, hat ihn für sein Studium und seine künstlerische Praxis motiviert. Hayden Fowler begann sein Studium der Biologie, Ökologie und Verhaltensforschung in seiner neuseeländischen Heimat, bevor er nach Sydney zur University of New South Wales Art & Design ging. In den folgenden sechs Jahren absolvierte er ein Studium der bildenden Kunst und begann, sich in der Kunstszene von Sydney zu etablieren. Er nutzt dabei seinen wissenschaftlichen Hintergrund für die Entwicklung seiner künstlerischen Projekte.

2018 absolvierte Hayden Fowler einen einjährigen Aufenthalt im Künstlerhaus Bethanien in Berlin, das sich der Förderung der zeitgenössischen bildenden Kunst widmet.

In seinen komplexen Installationen greift Fowler Ideen aus Biologie, Verhaltens- und Zukunftsforschung auf und schafft Versuchsanordnungen, die von Verlust, Hoffnung und der komplizierten, immer neu zu hinterfragenden Beziehung zwischen Mensch und Natur erzählen. Besonders geht er der Frage nach den kulturellen, spirituellen emotionalen und psychischen Auswirkungen des Artensterbens nach und erforscht, wie Umweltzerstörung ein Ausdruck des Verlusts unserer Beziehung zur Natur ist. Er setzt die Zerstörung der Umwelt mit der Degradierung der Kultur und der Denaturierung der Menschheit in Beziehung. Seine Arbeit und Forschung thematisiert die historischen Einflüsse, die dazu geführt haben ebenso, wie sie einen fiktiven Ausblick auf die Zukunft wagt.

Seine Praxis konzentriert sich auf die Schaffung detaillierter Sets und Dioramen, die Szenen von unberührten futuristischen Innenräumen bis hin zu postapokalyptischen Landschaften darstellen. In diesen aufwändigen Sets choreografiert er menschliche und tierische Subjekte. Methodisch verknüpft er innerhalb dieser fiktiven Räume verschiedene Medien, von Fotografie über Video bis hin zu Performance und Skulptur.

Zurzeit ist er mit einer Arbeit bei der Ausstellung "Ruhr Ding: Klima" vertreten. Ziel ist es, den durch theoretische, wissenschaftliche und journalistische Debatten geprägten Klimadiskurs, um künstlerische Sichtweisen zu ergänzen und zu erweitern. Auf dem Gelände der stillgelegten Zeche General Blumenthal in Recklinghausen legt Fowler eine künstliche Landschaft an. In einer geodätischen Kuppel - einem Gewölbe aus einer Vielzahl aneinandergefügter Dreiecke - sollen Pflanzenarten, die in der durch Schwerindustrie gezeichneten Region bereits ausgestorben sind, zu neuem Leben erwachen.

National und international bekannt wurde Hayden 2007 mit der Arbeit "Call of the Wild" bei der er sich ein Paar ausgestorbener Huia-Vögel über die gesamte Fläche seines Rückens tätowieren ließ. Bereits bei dieser Arbeit verschmolz seine Sorge über das zunehmende Aussterben von Pflanzen und Tieren mit seinem Bewusstsein für die Kraft der Performance-Kunst.

"Together Again" (2017) ist eine Virtual-Reality-Landschaftsinstallation und Live-Performance, die erstmals bei Performance Contemporary im Rahmen von Sydney Contemporary 2017, Carriageworks, Sydney, gezeigt wurde.

Die Beziehung zwischen Fowler und einem australischen Dingo wird nicht in seinem natürlichen Habitat, sondern im Kunstkontext gezeigt und erforscht.

 

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Der Dingo (Canis lupus dingo) ist ein Haushund, der schon vor Jahrtausenden verwilderte und heute in vielen Teilen seines Verbreitungsgebietes, vor allem in Australien, vom Menschen völlig unabhängig lebt. Er ist eine einzigartige Spezies mit einer bedeutenden Geschichte und einem bedeutenden Platz innerhalb des australischen Imaginären.

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Der Dingo und der Künstler besetzen während der vierstündigen Performance gemeinsam einen großen Käfig. Eine Virtual-Reality-Brille lässt Fowler in eine idyllische australische Landschaft eintauchen, während die Bewegungen des Dingos, der mit einem VR-Tracker ausgestattet ist, in die VR-Installation übertragen werden. So können Tier und Mensch in dieser digitalen Neuinterpretation der "Wildnis" "koexistieren".

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Der Titel "Together Again“ täuscht über die Trennung zwischen der virtuellen Welt (eine generisch schöne australische Outback-Landschaft) und der physischen Realität des Raums der Ausstellung und der Performance hinweg. Während der Dingo, der einen VR-Tracker trägt, und der Mensch, der eine VR-Brille trägt, den Käfig physisch durchstreifen, werden ihre Bewegungen direkt in der virtuellen Welt abgebildet.

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

The project has developed out of my ongoing concern with the accelerating process of extinction and the relationship between environmental loss and the depletion of human culture and qualitative experience. In particular, the project explores desires for reunion with nature, in the face of the looming impossibilities of this in a near-future world. Research in the development of the project explores indigenous world views, animism, biophilia and the ‘indigenous mind’ (a trait argued to be innate to all humans, instinctively desiring a communal relationship with the rest of nature) as counters to dominant Western thinking.(Hayden Fowler, 2017)

"Das Projekt hat sich aus meiner anhaltenden Beschäftigung mit dem sich beschleunigenden Prozess des Aussterbens und der Beziehung zwischen dem Verlust der Umwelt und der Verarmung der menschlichen Kultur und qualitativen Erfahrung entwickelt. Insbesondere erforscht das Projekt die Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung mit der Natur angesichts der sich abzeichnenden Unmöglichkeit einer solchen in einer Welt der nahen Zukunft. Die Forschung während der Entwicklung des Projekts erkundet indigene Weltanschauungen, Animismus, Biophilie und den 'indigenen Geist' (eine Eigenschaft, von der behauptet wird, dass sie allen Menschen angeboren ist, die instinktiv eine gemeinschaftliche Beziehung mit dem Rest der Natur anstreben) als Gegenpol zum dominanten westlichen Denken." (Hayden Fowler, 2017)

 

(Die Biophilie ist nach Erich Fromm die leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen. Edward O. Wilson definiert die Biophilie als "the innate tendency to focus on life and lifelike processes" (vgl. Wikipedia). Seine Idee wird auch zum Ausgangspunkt umweltethischer Überlegungen wie der Conservation Ethic, nach der das Leben und die Artenvielfalt bewahrt und geschützt werden sollte. Ich nehme an, dass sich Hayden Fowler darauf bezieht.

Über seine Motivation zu "Together Again" sagt der Künstler, dass sich die Welt mit einem drohenden Tod des Alten konfrontiert sehe, sowohl in der menschlichen Kultur als auch in der Umwelt, wo die verzögerten Effekte der Moderne und die Beschleunigung der technologischen Industrialisierung zum Tragen kämen. Wir befänden uns an einem kritischen Kipppunkt der Auslöschung und des Verlustes unserer uralten Beziehungen und unserer physischen Erfahrung der Natur und insbesondere der Wildnis.

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

Together again, 2017 © Hayden Fowler

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

Fowlers Projekt wurde im März 2018 in der Zeitschrift Artlink vorgestellt. Im Editorial der Ausgabe stellt die Chefredakteurin Eve Sullivan einen Zusammenhang der Arbeit zu Barbara Creeds „Stray: Human-Animal Ethics in the Anthropocene“ her. Creed, die für ihren Beitrag zur Filmwissenschaft und zum feministischen Denken im Allgemeinen bekannt ist, hat in den letzten Jahren hat ihre Aufmerksamkeit auf das Leben nicht-menschlicher Tiere gerichtet und auf die vielfältigen Möglichkeiten, wie Menschen mit ihren nicht-menschlichen Verwandten umgehen, sie unterdrücken und von ihnen lernen können. Sie fordert gegenseitigen Respekt und Empathie, die darauf basieren, mit und nicht nur auf Tiere zu schauen.

In diesem Sinn kann man Fowlers Arbeit als künstlerische Übersetzung ihrer "Streuner-Ethik" - die Co-Abhängigkeit zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren in Zeiten der Bedrohung und Verlassenheit - bezeichnen.

Wahrscheinlich ist Ihnen auch sofort Joseph Beuys und der Kojote eingefallen. Da heuer Beuys 100. Geburtstag wäre, ist sein Werk auch in vielen Ausstellungen gegenwärtig. Auch Susan Ballard geht bei ihrer Beschreibung von Fowlers Performence kurz auf Beuys ein. Ich folge den Ausführungen ihres Aufsatzes "Heading for trouble: Non-human futures in recent art".

Inmitten des Lärms und des Verkehrs einer Kunstmesse gibt es in diesem abgeschlossenen Raum bei Sydney Contemporary eine einzige, weich gepolsterte Plattform, auf der sich Mensch und Dingo gemeinsam aufhalten. Trotz und vielleicht gerade wegen der räumlichen Beschränkungen stehen der Künstler und das Tier eindeutig in einer Beziehung der Intimität. Joseph Beuys' kämpferisches Einsperren von Mensch und Kojote in einem Galerieraum für die Aktion "I Like America and America Likes Me" (1974) wird hier durch eine Beziehung des scheinbaren gegenseitigen Nutzens ersetzt, die durch sanfte Berührung und langsame Bewegung definiert ist. Der Käfig erscheint trostlos, aber die virtuelle Welt ist erfüllt von Farbe, Licht und der scheinbaren Pracht der Natur, die durch Dingoaugen imaginiert wird. Doch auch die Grenzen dieser Welt sind offensichtlich; nachdem immer wieder dieselben drei Kakadus vorbeifliegen, flacht das visionäre Erlebnis ab. Fowler befindet sich innerhalb dieses Endspiels der Natur, die durch die flachen Ebenen der Wiederholung als ausgedünnte, künstlich destillierte Erfahrung abgebildet wird. Der reduzierten Erfahrung wird der restaurative Trost der Mensch-Dingo-Beziehung mit artübergreifender Kommunikation entgegengesetzt, der den Weg nach vorne weist.

 

 

Together again, 2017 © Hayden Fowler

Together again, 2017 © Hayden Fowler

 

 

 

Diese Arbeit wurde im Garage Museum in Moskau mit einer russischen Landschaft und einem europäischen Wolf wiederholt. Die Zuschauer konnten das VR-Erlebnis über einen Monitor verfolgen, der Fowlers Live-Ansicht übertrug.

 

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

Together again, 2019 © Hayden Fowler

 

Auch mit  "Captive born" (2020) zeigt der Künstler eine poetische, ritualbasierte Performance, die die Zukunft neu imaginiert und modelliert und versucht historische und systemische Machtstrukturen aufzudecken und aufzubrechen. Bereits der Titel zeigt die Herrschaft des Menschen über das Tier, in Gefangenschaft geboren und zumeist gestorben.
 

 

Captive born, 2020 © Hayden Fowler

 

Ein australischer Dingo - als Exponent einer immer noch erinnerten Wildnis - ist in einem antiquierten Zoo-Gehege eingesperrt. Das Gehege verweist auf die jüngere Geschichte menschlicher Herrschaft und Expansion, symbolisiert durch botanische und zoologische Sammlungen, die verblasste Überbleibsel der Aufklärung sind. Isoliert in seinem konkreten Lebensraum, kommuniziert der Blick des Tieres einen Widerstand gegen die Unterwerfung.

 

Hayden Fowler (*1973 in Te Awamutu/ Neuseeland) lebt in Berlin und Sydney.