Bevor ich einen Blogtext schreibe, versuche ich zumeist die Bilder zu ordnen. Doch obwohl in Zohar Fraimans Serie "Die Bösen dürfen nicht weinen" überall ein oder mehrere Wölfe oder Mischwesen von Wolf und Frau vorkommen und die Bilder sehr narrativen Charakter besitzen, erzählen sie keine chronologische Geschichte, folgen keiner logischen oder zwingenden Anordnung. Die Gemälde kreisen lediglich um Erwachsenwerden, Besessenheit und Sexualität.
Die Künstlerin kombiniert Wölfe, Mädchen, Bräute, in verschiedenen Kulissen, kargen und trostlosen Landschaften und Zusammenhängen. Sie sind Elemente einer Geschichte, die Kontinuität - aber nicht Linearität - erzeugen. Charaktere erscheinen oder verschwinden, je nachdem, welche Rolle sie in der nicht erzählten Geschichte spielen, eine Figur kann sich verändern, verwandeln, mutieren oder sich an eine neue Umgebung anpassen. Jedes Bild ist Teil einer größeren Serie, die assoziativ entsteht, die Erzählung selbst bleibt obskur und fragmentarisch.
Meistens treten die Wölfe als Mischwesen auf: Als junge Wolfsschulmädchen in Uniform, die noch ganz flauschiges Wolfsfell besitzen ("Virgins", 2016), als erwachsene Wolfsfrauen mit gut sichtbaren Reißzähnen ("Virgins II", 2017) oder als Gruppe von Wolfsfrauen um eine Wolfsbraut. Das Brautbild trägt den Titel: "Smells Like Kathleen Spirit", 2017. Handelt es sich dabei nur um eine Verballhornung von Nirvanas stilbildenden Song "Smells Like Teen Spirit"? Oder verweist Kathleen (also Katherina) noch auf etwas anderes? Ich habe bei Rembrandt eine heilige Katherina ("die kleine jüdische Braut") gefunden, vielleicht war sie Namenspatin.
Die junge Braut ist eine willensstarke Wolfshybridin, die die Kontrolle über die Welt übernimmt, zumindest die Kontrolle über die Männerwelt. Könnte das Skelett ein getöteter Wolfshybrid sein? Zohar Fraiman zeigt uns ein Spiel von Dominanz und Unterwerfung, bei dem die Figuren von einem Bild zum nächsten ihre sozialen und sexuellen Rollen wechseln. Es ist dieser ständige Rollenwechsel, der jede symbolische Interpretation in Zohar Fraimans Werk verhindert.
Etwa 2013 begann Zohar Fraiman mit einer Serie von Gemälden, die unter weißem Tuch verborgene Figuren zeigen. Sie beziehen sich auf einen rituellen Gegenstand im Judentum, den Tallit, einen Gebetsschal, den die Männer tragen.
Der Wolf steht In den Gemälden nicht für sich, sondern etwas anderes, z.B. symbolisiert er verbotene Sehnsüchte und unerfüllte Leidenschaften oder steht stellvertretend für die Legendengestalt Dibbuk des jüdischen Volksglaubens. Ein Dibbuk ist ein bösartiger Geist, die ruhelose Seele eines Verstorbenen. Er/Sie kann von einem Menschen Besitz ergreifen, durch ihn sprechen, handeln oder ihn eine andere krankhafte Persönlichkeit annehmen lassen.
Ihre filigran und zart gemalten Ölgemälde erzählen sehr konkrete und teils irritierende Geschichten, die die Themen Besessenheit und Tabu verhandeln. Der filigrane Malstil steht im Gegensatz zu den irritierenden Themen, wobei die klassische Ästhetik ihrer Bilder das Betrachten der expliziten Szenen erleichtert. Die Figuren sind in kargen Landschaften inszeniert, doch Figur und Landschaft finden nicht zueinander, letztere ist nur Kulisse für die rätselhafte Erzählung.
Zohar Fraiman malt nicht nur auf Leinwand, sondern auch auf selbstgezimmerten Holzkästen/Altären. Damit erweitert sie die Rezeptionsmöglichkeiten um einen partizipativen Moment. Der Betrachtende muss aktiv werden, um das Verborgene freizulegen.
So verbirgt sich beispielsweise in dem Gemälde "Aber die Dunkelheit hält alles an sich" (2016) hinter einer sternenklaren Nacht ein Wolf, der eine Banane isst, während auf der Außenseite von "Tree of Life" (2017) ein Wolf in Richtung eines Baumes läuft. Die Innenseite zeigt uns, dass er eine Banane vom Baum gepflückt hat, mit der er zu einer Frau läuft, die sich selbst befriedigt.
Hier bemerkt man nichts mehr von der geheimnisvollen Welt der Teufel, Bräute und verschleierten Figuren. Nichts ist mehr verborgen. Die Frau hat ihr Leben und ihr Vergnügen selbst in die Hand genommen. Die Entfaltung und Selbstbestimmtheit sind geglückt.
Von verträumt und subtil bis hin zu sinister und obskur und provokant reichen die Welten, die Zohar Fraiman kreiert und die zwischen Traum, Wahn und Realität changieren. Dass sie auch in der Welt des Humors zuhause ist, zeigt "Rich Plate", das sie bei der Ausstellung "Vanitas Fair" gezeigt hat.
Während sich Zohar Fraiman in den gezeigten Werken auf weibliche Aspekte von religiösen und sozialen Zeremonien konzentriert und ambivalente künstlerischen Positionen zu Religion, Tradition und Tabu verhandelt, untersucht sie in ihrem gegenwärtiges Werk in ihren collageartigen Gemälden den Einfluss der Digitalisierung auf gängige Geschlechterstereotypen.
Zohar Fraiman (*1987 in Jerusalem/Israel) wuchs in einer religiösen Familie in der Gemeinde Hachmonaiim auf. Sie begann ihr Studium der Malerei 2003 an der School of the Museum of Fine Arts in Boston, Massachusetts, USA. Von 2005 bis 2009 besuchte sie die Meisterklasse der privaten Jerusalem Studio School in Israel. Ab 2011 studierte sie an der Universität der Künste Berlin, wo sie von 2013 bis 2015 als Meisterschülerin bei Burkhard Held ihr Studium abschloss. Zohar Fraiman lebt und arbeitet in Berlin, Deutschland. Sie stellt regelmäßig in Gruppen- und Einzelausstellungen international aus.
Quellen: Galerie Russi Klenner Berlin, Galerie Priska Pasquer Köln, Lachenmann Art
alle Bilder © Zohar Fraiman
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