Was Sie oben sehen, ist keine Bühnenansicht nach einem Justin-Bieber-Konzert, sondern Teil einer Ausstellung von Charlemagne Palestine, die 2015 in Wien stattfand. Ich bin voriges Jahr nicht dazugekommen darüber zu schreiben, habe mich aber im Zusammenhang mit den gemalten Stofftieren von Peter Jones daran erinnert. Deswegen hier ganz unaktuell ein paar Installationsansichten. Die Hunde müssen Sie selber suchen!
Palestine Charlemagne ist einer, der den Verlust von Stofftieren der Kindheit nicht nur beklagt, sondern diese Erfahrung künstlerisch umsetzt. Seine Mutter hat ihm vor der Bar-Mizwa sämtliche Stofftiere - seine plüschigen Freunde und Begleiter - weggenommen, nicht ahnend, dass für ihn damit eine Obsession beginnen sollte, die das Stofftier zu einem Zentrum seines künstlerischen Schaffens machte.
Porträt Charlemagne Palestine, 2012, Foto: Agnès Gania
Die meisten Plüschtiere, die Charlemagne Palestine in seine Arbeiten integriert, stammen aus Secondhand-Läden oder - wie der Künstler sagt - aus "Waisenhäusern". Ihre Tragik liegt darin, dass sie für Kinder als "Übergangsobjekte" zuerst gekauft wurden, um dann unvermittelt wieder enrsorgt zu werden. Die derart Verstoßenen - es sind "Wesen mit Ausdruck" und "mit Traurigkeit" - sollen durch Vergöttlichung zu "divine toys" von ihrem Schicksal als Kindheitsobjekte erlöst werden.
Palestine Charlemagne schreibt den divine toys lebendige Qualitäten zu, setzt sie mit schamanischen Totems oder göttlichen Figuren gleich. Einerseits überträgt er damit animistische Weltanschauungen und dazugehörige Praktiken auf die Konsumkultur (das Stofftier ist popkultureller Trash), andererseits integriert er primitivistische Elemente in seine urbane amerikanisch-jüdische Herkunft. Diese mythische Objektbeziehung weist sakrale Züge auf, die als soziales Phänomen mit den Begriffen Totemismus und Fetischismus beschrieben werden kann.
In der Ausstellung, die 2015 in der gläsernen Kunsthalle Wien am Karlsplatz stattfand, waren Charlemagnes Videoarbeiten, Installationen, Partituren, ein Bösendorfer-Flügel, vor allem aber seine Plüschtier-Skulpturen zu sehen, die aus einer Ansammlungen von schamanistisch aufgeladenen Plüsch- und Stofftieren in allen Farben, Größen, Formen bestanden. Von der Decke hingen kleine Fallschirme für Stofftiere.
Seit den 1970er Jahren arrangiert Charlemagne Palestine Plüschtiere auf seinem Flügel. Bei seinen Klavier-Performances sitzen und liegen sie wie auf einem Altar.
Ausstellungsansicht Charlemagne Palestine. GesammttkkunnsttMeshuggahhLaandtttt,
Kunsthalle Wien 2015, Foto: Maximilian Pramataro
Ebenso wie die die Arrangements auf dem Klavier, erinnern auch die Peluche Walls an sakrale Altäre, die den tierischen Gottheiten gewidmet sind. Durch die beidseitige Befestigung auf einem von einer hölzernen Struktur gehaltenen Gitter werden die ausrangierten Kuscheltiere zu schamanischen Totems.
Seit Jahrzehnten nimmt Palestine Charlemagne einen roten Koffer auf seine Reisen mit, in dem er seine Stofftiere aufbewahrt. Für ihn sind sie seine Museen, seine Gottheiten, die er bei sich haben will und in seinen Performances künstlerisch überhöht. Auch die ausgestellten Koffer ähneln Altären, die er für die Tiere schafft, und zeugen von der Sakralisierung des Profanen. Das Reisen mit dem roten Köfferchen hat auch rituellen Charakter: So sind Entwurzelung, Ausgrenzung, aber auch das Festhalten an der Welt durch immer wiederkehrende Rituale wichtige Motive im Werk des Künstlers.
Die wiederholte Arbeit mit Teddybären erinnert nicht nur daran, dass der Teddybär 1902 in Brooklyn, Palestines Geburtsort, erfunden wurde, sondern impliziert auch eine Distanzierung des Künstlers von den akademischen, formalen und intellektuellen Tendenzen in der westlichen Kunst und Musik. Im Gegensatz zu den divine toys, die wie Ready Mades funktionieren, werden die Teddybären nach Maßgabe des Künstlers hergestellt.
Charlemagne ist ein "Gesamtkünstler", der seit vierzig Jahren als Musiker, Komponist, Performer und bildender Künstler arbeitet. Es ist unmöglich, ihn einer Kategorie zuzuordnen, ist sein Werk doch bestimmt von Grenzüberschreitungen. Er beginnt sein künstlerisches Schaffen als Pionier der Minimal Music (verwendet für seine Kompositionen allerdings den Begriff "Maximalismus"). Später kommen Happenings dazu, in den 70er Jahren produziert er Videos von Performances (sehr ritualistisch und schamanistisch - dabei betet er zum Beispiel Teddybären an). In den folgenden drei Jahrzehnten schuf er Gemälde, Skulpturen und Installationen, die sich hauptsächlich um Plüschtiere drehen.
Ausstellungsansicht Charlemagne Palestine. GesammttkkunnsttMeshuggahhLaandtttt,
Kunsthalle Wien 2015, Foto: Maximilian Pramatarov
Charlemagne Palestine (geb. 1947 in New York) lebt und arbeitet in Brüssel. Seine künstlerischen Arbeiten wurden weltweit in öffentlichen und privaten Einrichtungen gezeigt.
Als Quelle für diesen Blogbeitrag habe ich die Homepage der Kunsthalle, die Pressetexte, das Booklet zur Ausstellung sowie die Berichterstattung in der Tagespresse (Der Standard, Kurier, Wiener Zeitung) herangezogen.
"Such das Hündchen...." Wie
"Such das Hündchen...."
Wie schön, daß da jemand die armen verstoßenen Waisen erlöst. Gefällt mir sehr.
Danke fürs Zeigen dieser besonderen Kunst und für den wie immer einfühlsamen Text.
Das Werk von Palestine
Das Werk von Palestine Charlemagne ist natürlich sehr komplex, ich habe besonders den Aspekt mit den Stofftieren als Totems herausgegriffen. Es ist für mich oft eine Gratwanderung, dass durch meine Vereinfachungen das Werk nicht banalisiert wird. Ich freue mich aber sehr, dass Sie den Text gelungen finden.