Wo ist Leo, der schwarze Labrador?
Die südkoreanische figurative Künstlerin Kim Bohie verbindet unterschiedliche koreanische sowie westliche Maltraditionen zu einem individuellen, sensiblen und zeitgenössischen Stil.
Nachdem sie Stillleben und Menschen gemalt hatte, wurde die sie umgebende Natur ab den 1990er Jahren zum ihrem bestimmenden Thema. Anfang der 2000er Jahre richtete sie ihr Atelier auf der Insel Jeju-Do ein, die südlich der koreanischen Halbinsel liegt. Die dortige Landschaft wurde zu ihrem Hauptthema - die lokale Flora und ihr eigener Garten.
Auffallend ist, dass in ihren ruhigen und eleganten Gemälden nie Menschen zu sehen sind. Nur ihr geliebter Labrador Leo belebt die Momentaufnahmen der üppigen Plantagen mit ihrer fein gemalten Vegetation. Diese einzigartige Topografie und das subtropische Klima der Insel haben Kim Bohie Motive für verschiedene Werkserien geliefert.
In ihren Serien geht es um die persönliche Verbindung zu einem Ort, wobei sie sich mit Ideen rund um Nähe - physisch und spirituell - auseinandersetzt. In den Pflanzenstudien vermittelt sie mit viel Feingefühl eine Ästhetik der Beobachtung, stellt sie Momente der einsamen Kontemplation dar.
"I have always been interested in my surroundings, and I always am full of adoration for every scene of nature I find around me. (…) My garden, especially, has become an alternative version of my own world, planting Washingtonia palms, Canary Island date palms, agave, hydrangea, rosemary and cactus, and my daily life within them becomes my paintings. The daily scenery that might be unnoticeable to others, things that other people may just pass by rather than an idealised perfect beauty of nature, is more magnetic to me."- (Kim Bohie, 2022, zit. n. hier)
„Ich habe mich schon immer für meine Umgebung interessiert und bin immer voller Bewunderung für jede Naturszene, die ich um mich herum finde, (...) Vorallem mein Garten ist zu einer alternativen Version meiner eigenen Welt geworden, in der ich Washingtonia-Palmen, kanarische Dattelpalmen, Agaven, Hortensien, Rosmarin und Kakteen gepflanzt habe, und mein tägliches Leben in ihnen wird zu meinen Bildern. Die alltägliche Szenerie, die für andere vielleicht unbemerkt bleibt, Dinge, an denen andere Menschen einfach vorbeigehen, sind für mich anziehender als eine idealisierte perfekte Schönheit der Natur.“ (übers. mit DeepL)
Ihre Naturbegegnungen sind nicht dramatisch oder spektakulär, sondern intim und friedlich. Herzerwärmend und humorvoll ist ihre Herangehensweise in der Serie Leo, wo der schwarze Labrador glücklich und gelassen zwischen den Bäumen und Sträuchern ihres an das Atelier angeschlossenen Gartens liegt. Dabei hebt sie die verschiedenen Körperhaltungen des ruhenden Leo in den Nahansichten hervor und stellt die Natur mit dem breiten Spektrum des Grüns und der frohen Farben der Blüten in der Fernsicht dar.
Kim Bohie übernimmt die Komposition und Perspektive der westlichen Malerei und kombiniert sie mit östlichen Ansätzen der Lebendigkeit und Harmonie.
Vielleicht erinnern Sie die Kompositionen auch an die naiven Gemälde von Henri Rousseau. Die Ähnlichkeit ist allerdings nur oberflächlich: Rousseaus Gemälde entspringen seiner Fantasie (er fand Impulse in Büchern, dem Pariser Palmenhaus und Tiergarten) und er zeigt theatralische und manchmal gewalttätige Szenen, die er im wirklichen Leben nie erlebt hatte (Tierjagden, Kämpfe zwischen Tieren). Kim Bohie beschäftigt sich mit den heiteren und erhabenen Aspekten der natürlichen Welt, die sich vor ihrem Atelier auftun: mit einer Vielzahl tropischer Pflanzen, den nahegelegenen Promenaden, dem Himmel und dem Horizont zwischen den Palmen.
Ihre Werke können in diesem Sinne als eine zeitgenössische Wiederaufnahme des koreanischen "JinKyoung Sansu" - der "wahrheitsgetreuen Landschaftsmalerei" - gesehen werden, in der die Natur kontinuierlich beobachtet wird. Diese Malerei des 18. Jahrhunderts versuchte bestimmte klassische oder in gewissem Sinne endgültige Orte, unter Berücksichtigung der ihnen innewohnenden Merkmale, darzustellen.
Ihre oft weitwinkligen Kompositionen widersprechen der linearen Perspektive in der Malerei, die die europäische Kunst von der Renaissance bis zu den Impressionisten dominierte. Stattdessen orientieren sie sich an der Tradition der koreanischen Paravents, bekannt als "Sansu Byeongpung" (Faltwand mit einem Landschaftsgemälde). Sie sind Modelle für eine Art des Sehens, in der die Natur nicht in einen engen Rahmen gestellt wird, sondern sich vor dem Betrachter entfaltet. Durch ihren speziellen Einsatz der Farbe und der Komposition wirken die Panoramabilder trotzdem zeitgenössisch.
Kim Bohie arbeitet auf Papier und Leinwand, wobei sie Tusche und Acryl verwendet, um eine Reihe von Effekten zu erzielen.
Unten noch eine Ausstellungsansicht von 2023, Towards, Gallery Baton, Seoul
Kim Bohie (*1952 in Seoul/Südkorea) lebt und arbeitet in Jeju, Korea. Sie war von 1993 bis 2017 Professorin für koreanische Malerei an der Ewha Womans University und von 2008 bis 2010 Direktorin am Ewha Womans University Museum. Heute ist sie emeritierte Professorin an der gleichen Institution. Kims Werke wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Korea und international gezeigt.
Quellen: The Modern Institute, Galerie Baton
alle Bilder © Kim Bohie